Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Eine solidarische Pflegevollversicherung wäre für alle finanzierbar. Es stellt sich nur die Frage nach dem politischen Willen und dass man genau das auch durchsetzen möchte. Eine solche solidarische Lösung ist mit dieser Regierungskoalition eben leider nicht zu machen. Sie wird nicht kommen, solange die CDU regiert. Das erkennt man leicht, wenn man sich die Stellungnahme der Sozialministerin zu unserem Antrag durchliest.

Die CDU setzt weiter darauf, dass Angehörige selber pflegen, wohl wissend, dass es sich meist um Frauen handelt, denen dann wiederum selbst Armut im Alter oder im Pflegefall droht. Lohnersatzleistung gibt es bisher noch nicht. Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich und unterstützende Pflegekräfte reichen aktuell noch nicht einmal annähernd aus, um eine gute, menschenwürdige Pflege ohne Nachteile für die pflegenden Angehörigen zu garantieren.

Sie können also weiter Nebelkerzen zünden und Scheinlösungen vorlegen oder einfach unserem Antrag zustimmen, um sich auf Bundesebene für eine Pflegevollversicherung einzusetzen. Das kann ja eigentlich nicht so schwer sein und wäre auch zutiefst sinnvoll.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Kollege Schreiber spricht jetzt für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein so erfrischender Beitrag zu so später Stunde, liebe Susanne Schaper! Ich würde aber einmal damit beginnen, dass ich glaube, dass das Thema Wahlkampfpropaganda und Nebelkerzen eher sozusagen die Grundlage für euren Antrag sind. Denn ich finde es schon sehr wahlkampfpropagandamäßig, was Sie hier ausgeführt haben, dass sich die Sächsische Staatsregierung und die Regierungskoalition zu irgendetwas hinreißen lassen. Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie sich einmal hier hinstellen und sagen, dass das, was Sie hier fordern, im Sächsischen Landtag überhaupt nie entschieden werden kann, erst recht nicht von der Staatsregierung durch einen Beschluss des Sächsischen Landtags. Wer das beschließen kann, ist einzig und allein die Bundesebene.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Das gehört, Frau Schaper, zur Ehrlichkeit einfach einmal dazu. Deswegen: Der Listenplatz 2 ist doch sicher, deswegen können wir an dieser Stelle ein bisschen abrüsten

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

und diese Propaganda und diese Demagogie ein Stück weit lassen. Denn – das ist, glaube ich, das Entscheidende – wenn wir einmal auf die Tagesordnung von morgen schauen, sehen wir dort einen Antrag dieser Fraktion. Der Kreis schließt sich ja immer irgendwo. Wenn man weit genug links ist, kommt man rechts irgendwo an. Wir sehen dort Anträge, die fast inhaltsgleich sind.

(Zuruf von der AfD: Das ist ein Schwachpunkt!)

Deshalb hätte ich Ihnen gern den Gefallen getan, meine inhaltlichen Ausführungen für morgen zu bündeln und zum AfD-Antrag auszuführen.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Aber nach dem Redebeitrag von Frau Schaper kann ich Ihnen nicht ersparen, tatsächlich noch einige Dinge dazu zu hören. Frau Schaper, ist Ihnen bewusst, dass durch die norddeutschen Länder eine Bundesratsinitiative eingebracht wurde, was das Thema Pflegeversicherung angeht? Ist daran in irgendeiner Landesregierung die Partei DIE LINKE beteiligt? Nein. Gibt es im Deutschen Bundestag, der dafür zuständig wäre, das zu beschließen, was Sie hier fordern, seit Jahren seitens der Fraktion DIE LINKE eine Gesetzesinitiative zur Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Pflegevollversicherung, Frau Schaper? Nein.

Also: Alles, was Sie hier vorbringen, sind Nebelkerzen. Aber ich bleibe dabei: Der Ansatz wäre zu sagen, das System Pflegeversicherung, wie es heute angedacht ist, als Teilleistungssystem, funktioniert zumindest in Ostdeutschland so eben nicht mehr. Das haben Sie zu Recht festgestellt. Aber anstatt sofort hier herzukommen und von Pflegevollversicherung zu reden, sollten wir vielleicht erst einmal das Problem analysieren und daraus eine Lösung finden, die auch tatsächlich akzeptabel ist.

Denn eines vergessen Sie auch: Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Mitte Februar hätten Sie eine EMail bekommen, dann haben Sie vielleicht damals ein EMail von irgendeinem Heimbewohner bekommen, dessen Beiträge um 23 % angestiegen sind. Ich frage mich, ob Sie von dem gleichen Heimbewohner vor zwei Jahren eine E-Mail bekommen haben, als sich die Leistungen aus der Pflegeversicherung im Pflegegrad 4 und 5 um sage und schreibe 400 Euro oder mehr erhöht haben, die er bekommen hat. Damals haben Sie garantiert keine E-Mail bekommen, weil die Leistungen, die man vom Staat bekommt, immer sehr gern angenommen werden. Diese Gelder sind auch zu Recht erhöht worden. Das zu sagen gehört aber zur Ehrlichkeit dazu.

Nichtsdestotrotz ist das Problem vorhanden, das Problem, dass die Beiträge, die wir aus der Pflegeversicherung an die Pflegebedürftigen zahlen, gedeckelt sind, dass sie nicht dynamisiert sind, dass die Kosten in der Pflege steigen und dass wir aus meiner Sicht – das habe ich an vielen Stellen auch deutlich gesagt – hier eine Initiative brauchen, ein Umdenken brauchen, dass wir Planbarkeit für den zukünftigen Pflegebedürftigen brauchen, dass wir

Transparenz brauchen und dass wir vor allem eine transparente und nachvollziehbare künftige Deckelung von Eigenbeiträgen brauchen.

Aber sich hinzustellen und darüber zu schimpfen, dass ein privatwirtschaftlich organisierter Sektor – nichts anderes ist die Pflege – nach Renditen strebt, das ist erstens aus meiner Sicht eine grundsätzliche Unterstellung, die vielleicht auf einen ganz geringen Teil der Pflegeeinrichtungen zutrifft, aber garantiert nicht auf alle.

Zweitens, Frau Schaper, frage ich Sie: Wenn Sie der Meinung sind, dass eine Solidargemeinschaft, wie es die Bundesrepublik Deutschland ist, etwas so Schlechtes wäre, wenn man auch im Alter Leistungen aus dieser Solidargemeinschaft bekommt, warum ist es dann in unserer Gesellschaft völlig legitim, dass jemand Kindergeld bekommt, dass jemand Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bezieht, dass jemand Erziehungsgeld bekommt oder dass wir Kinderzuschläge zahlen? Was ist der Unterschied zu dem, was im Alter eine Solidargemeinschaft für alte Menschen, die sich ihre Pflege aufgrund ihrer Rente nicht mehr leisten können, übernimmt?

Das einzige Problem an dieser gesamten Diskussion ist doch nur das Wort „Sozialamt“. Das ist das Problem: dass der Gang auf das Sozialamt etwas Schlimmes ist. Dort müssen wir doch einmal ansetzen. Wir leben in einem Land, wo die Solidargemeinschaft auch dafür Sorge trägt, dass jeder grundsätzlich in Würde altern kann und in Würde versorgt wird. Darauf können wir als Sozialstaat im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf dieser Welt erstens sehr stolz sein und zweitens müssen wir alles dafür tun, dass dies auch so bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Nichtdestotrotz, um an dieser Stelle zum Schluss zu kommen: Es gibt bereits Initiativen, und ich würde mir wünschen, dass wir uns als Freistaat Sachsen hinter die Initiative der norddeutschen Länder stellen, denn genau das ist der richtige Weg. Es geht nicht um Abschaffung von Eigenbeiträgen, sondern darum, dass Eigenbeiträge planbar sind. Es gibt ja nach wie vor die Leistungen aus der Pflegeversicherung. Darüber hinaus gehört zum Altwerden eben auch Wohnen und Essen. Das sollte man an dieser Stelle nicht vergessen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Barbara Klepsch)

Frau Kollegin Neukirch für die SPD-Fraktion, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allen Problemen, die wir derzeit haben, möchte ich eine Lanze für die Pflegeversicherung brechen. Die Pflegeversicherung ist aus meiner Sicht eine absolute Erfolgsgeschichte. Bevor die Pflegeversicherung eingeführt wurde, bedeutete

Pflege nicht nur ein Armutsrisiko, sondern auch ein Lebensrisiko. Mit der Versicherung wurde ein riesengroßer, wichtiger Bestandteil in unseren Sozialstaat eingefügt.

Die Pflegeversicherung wurde extra als Teilversicherung angelegt, weil sie noch eine andere Funktion hatte: Sie hatte die Funktion, ein Versorgungssystem, Versorgungsstrukturen aufzubauen. Dies in kurzer Zeit hinzubekommen ging nur, indem man die Pflegeversicherung als Teilversicherung gestaltete und einen Teil dieses Prozesses dem Markt übergab. Das ist damals so entschieden worden.

Es hat dazu geführt, dass in Sachsen innerhalb von zehn Jahren 1,4 Milliarden Euro in die Versorgungsstruktur geflossen sind und über 20 000 Pflegeheimplätze zur Versorgung pflegebedürftiger Menschen geschaffen

werden konnten. Die Anlage als Teilversicherung war also auch Grundlage für die gute Pflege in Sachsen.

Zwar war die Pflegeversicherung in den ersten Jahren der Motor für den Versorgungsstrukturaufbau, inzwischen ist sie aber nicht mehr auf der Höhe der Zeit und der Notwendigkeiten, die wir jetzt haben;

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

denn dass sie als Teilversicherung ausgestaltet ist, behindert seit Jahren genau das, was Frau Schaper eben angesprochen hat: dass wir die Rahmen- und Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern können.

Das ist aber tatsächlich erst durch die vielen Pflegestärkungsgesetze der letzten Jahren aufgefallen, weil dadurch die lange überfällige Leistungsdynamisierung, Leistungsverbesserung und auch Lohnverbesserung für die Pflegekräfte vonstatten gehen konnte.

Teilversicherung bedeutet Eigenanteile. Eigenanteile steigen bei jeder Dynamisierung und bei jeder Leistungsverbesserung. Sie sind für die Pflegebedürftigen letzten Endes nicht beeinflussbar oder vorausberechenbar. Das ist der große Nachteil. Durch diese Leistungsverbesserung musste der Eigenanteil – nach der Gesetzeslogik, in der die Pflegeversicherung angelegt ist – also steigen.

Im Ergebnis müssen wir jetzt feststellen, dass dies eine Armutsfalle für pflegebedürftige Menschen auch in Sachsen bedeutet. Das aktuelle System führt also erneut zu Ungerechtigkeiten. Eigenanteile sind zu erbringen, egal ob die Menschen sich das leisten können oder nicht. Sie sind darauf angewiesen, das Geld irgendwie aufzubringen.

Gleichzeitig – auch das ist ein wichtiger Punkt, der heute noch keine Erwähnung gefunden hat – kann dadurch eben nur unzureichend gesteuert werden, ob tatsächlich alle Pflegebedürftigen die Leistungen erhalten, die sie auch benötigen, weil Eigenanteile natürlich auch dazu führen, dass Leistungen vielleicht gar nicht in Anspruch genommen werden, da man befürchtet, sich den dafür anfallenden Eigenanteil nicht mehr leisten zu können.

Aus diesen zwei Gründen – einerseits die Finanzierung, andererseits aber auch die Qualität und die Versorgungssicherheit für pflegebedürftige Menschen – wird ersichtlich, welch große Aufgabe die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ist. Dass wir eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung brauchen, darüber besteht mittlerweile großer Konsens.

Ziel muss natürlich sein, dass es nicht nur für die Pflegebedürftigen zu kalkulierbaren Belastungen kommt, sondern dass diese Belastungen auch für den Staat und für diejenigen, die die Pflegeversicherung organisieren, kalkulierbar bleiben. Auch das ist ganz wichtig. Uns nutzt keine Pflegeversicherung, die die Leistungen nicht mehr erbringen kann. Wir brauchen die Pflegeversicherung, um die Leistungen für pflegebedürftige Menschen sicherzustellen, das heißt, die Leistungsfähigkeit dieses Systems ist enorm wichtig.

Wir sprechen hier über ein System, das allein durch die gesetzliche Pflegeversicherung 40 Milliarden Euro in Leistungen umsetzt. Dazu kommen noch die Eigenanteile und die private Pflegeversicherung. Das ist ein enorm großes System, das man nicht von heute auf morgen mal eben umbauen kann. Es geht bei dieser Reform – das finde ich ebenfalls sehr wichtig – auch nicht nur um einen Umbau der Finanzierung. Es geht gerade auch darum, die Qualität sicherzustellen.

Wir wissen aus dem Klie-Gutachten, dass die Pflegeversicherung es nicht mehr schafft, eine gleichbleibend gute Versorgung in Stadt und Land sicherzustellen. Das ist ein riesengroßer Punkt, weshalb wir die Pflegeversicherung weiterentwickeln müssen. Wir müssen die Leistungen sicherstellen, egal wo ein Mensch lebt und in welcher Versorgungsform er sich befindet. Das heißt, auch die Sektorengrenzen müssen überwunden werden. Das bedeutet eben mehr als nur die Finanzlogik der Pflegeversicherung umzubauen oder einfach mehr Geld in die Pflege zu bringen.

Deshalb brauchen wir verschiedene Maßnahmen. Ich bin davon überzeugt, dass wir kurzfristige Maßnahmen brauchen, die relativ schnell zu einer Entlastung von Menschen in Pflegeeinrichtungen führen. Daneben brauchen wir aber mittel- und langfristige Lösungen, die das System der Pflegeversicherung leistungsfähig erhalten.

Als kurzfristige Maßnahme schlagen wir als SPD einen Wechsel der Finanzierungssystematik vor: Die Eigenanteile sind zu deckeln; der Zuschuss über die Pflegeversicherung ist offenzuhalten. Das muss durch Steuerzuschüsse ausgeglichen werden.

Die krankheitsbedingte Pflege beispielsweise sollte, egal ob sie im Pflegeheim geleistet wird oder zu Hause, aus der Krankenversicherung bezahlt werden. Das sind ganz konkrete Vorschläge, die umgesetzt werden können.

Die Initiative im Bundesrat, die Herr Schreiber schon erwähnt hat, geht genau in diese Richtung und wird auch

von uns sehr unterstützt. Es sind nicht zuletzt SPDLänder, die diese Initiative eingebracht haben.

Das Pflegewohngeld ist kein Wahlkampfgetöse. Wir haben uns damit in der Enquete-Kommission relativ lange beschäftigt. Das Pflegewohngeld kann genau hier ein kurzfristig wirkendes Instrument auf Landesebene sein, das zur Entlastung der Pflegebedürftigen beiträgt.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Das wird immer verkündet! Wo ist es denn?)

Wir haben uns in der Enquete-Kommission damit beschäftigt. Wenn dann innerhalb von zwei Wochen Konzepte vorliegen sollen, ist das, glaube ich, aber auch ein bisschen Wahlkampfgetöse von Ihrer Seite, Frau Schaper.