Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Wir haben uns in der Enquete-Kommission damit beschäftigt. Wenn dann innerhalb von zwei Wochen Konzepte vorliegen sollen, ist das, glaube ich, aber auch ein bisschen Wahlkampfgetöse von Ihrer Seite, Frau Schaper.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU – Widerspruch der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Ich will auch sagen, dass die von mir genannten Punkte – –

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Lehnt es ab – und gut!)

Vielleicht wollen Sie noch wissen, welche Gründe ich dafür habe, diesen Antrag abzulehnen? Dazu komme ich nämlich noch. Ich wollte jetzt eigentlich ausführen, warum wir aus meiner Sicht mittelfristig nicht um eine Weiterentwicklung zur Pflegevollversicherung mit solidarischer Finanzierung herumkommen – gerne auch in Form einer Bürgerversicherung.

Wir müssen auch nicht bei null anfangen. Ver.di hat glücklicherweise schon 2014 ein Machbarkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Wir haben das 2015 am Runden Tisch Pflege diskutiert.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Ja, eben! 2015!)

Wenn man diese Gutachten allerdings liest, Frau Schaper – das muss man vielleicht auch einmal tun –, stellt man fest, dass darin steht, welcher Aufgabenkatalog zu erledigen ist, um diese Reform überhaupt durchführen zu können. Das ist nicht mit einem Fingerschnipp getan. Wir sind ja auch ein Stück weiter. Ich empfehle das Gutachten von Herrn Rothgang zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zur Vollversicherung.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Darüber haben wir letztes Jahr ausführlich referiert!)

Das gibt es erst seit diesem Jahr.

Zu Alternativen: Wir sprechen hier über die Umstellung eines Milliardensystems. Ich möchte das nicht auf Zuruf zwischen Tür und Angel und in Form eines Antrags, in dem steht, wir sollten uns jetzt für eine Pflegevollversicherung einsetzen, diskutieren. Entweder wir diskutieren das hier in einer gewissen Tiefe und können auch einmal Argumente austauschen, oder Sie wollen das nicht. Dann gehe ich und setze mich wieder hin und lehne den Antrag ab. Ich verstehe Ihre Zwischenrufe überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD – Susanne Schaper, DIE LINKE: Das kommt doch aufs Gleiche raus!)

Das ist wirklich keine Art und Weise, hier Debatten zu führen.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Das ist doch Wahlkampfgedöns!)

Kommen wir jetzt zu Ihrem Antrag, Frau Schaper. Sie sagen, die Probleme der Pflegeversicherung entstehen aus dem Teilleistungssystem. Darin stimme ich überein. Sie entstehen aus der Unterfinanzierung? Die Pflegeversicherung ist nicht unterfinanziert. Sie ist eine Teilversicherung; daraus ergeben sich Finanzierungsprobleme. Eine Unterfinanzierung ist nicht festzustellen.

Mit Ziffer 1 Ihres Antrags erheben Sie eine Maximalforderung. Wir haben in der Enquete-Kommission gemerkt, dass wir für diese Maximalforderungen – Pflegevollversicherung, Bürgerversicherung, alle Pflegeleistungen,

Dynamisierung usw. – momentan keine Mehrheiten haben, um das schnell umzusetzen. Vor allem haben wir offene Fragen.

Um die von Ihnen in Ziffer 2 vorgeschlagene Übergangsregelung umzusetzen, brauchen Sie einen Leistungskatalog analog zur Krankenversicherung. Diesen haben wir in der Pflegeversicherung nicht und müssen ihn entwickeln. Wir brauchen dann Menschen, die den Menschen bei der Einstufung des Pflegegrads sagen: Bei Pflegegrad 4 erhalten Sie diese und jene Leistung aus dem Leistungskatalog, und diese Leistungen werden dann komplett finanziert. Dazu brauchen wir ein Case-Management.

Dann brauchen wir noch eine unabhängige Kontrollinstanz, die kontrolliert, ob die Leistungen bei den Pflegebedürftigen tatsächlich ankommen. Das kann man in den derzeitigen Strukturen nicht tun. Von daher setzt die Übergangsregelung, die Sie hier fordern, voraus, dass alles, was wir dann brauchen, um eine Vollversicherung einzuführen, eigentlich schon vorhanden ist. Es macht keinen Sinn, diese Übergangsregelung zu fordern. Wenn wir das alles schon hätten, dann bräuchten wir hier wirklich nicht mehr über Vollversicherung streiten; denn diese wäre längst eingeführt. Von daher finde ich viele Gründe, den Antrag abzulehnen, obwohl ich in der Zielstellung absolut mit Ihnen übereinstimme.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Frau Kollegin Grimm spricht für die AfD.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der Fraktion DIE LINKE: Pflegeversicherung in eine solidarische Pflegevollversicherung umgestalten. Liebe LINKE, Karl Marx wäre stolz auf Sie. Treffender lässt sich Ihr Antrag wohl nicht zusammenfassen.

Sie möchten, dass alle durch die Pflege resultierenden Kosten durch die Pflegeversicherung übernommen werden und dass das alles „die da oben“ schon bezahlen werden. Beitragsbemessungsgrenzen sollen Ihrer Meinung nach entfallen und nicht nur das Erwerbseinkommen, sondern alle Einkommen zur Finanzierung herangezogen werden. Ich denke, dass Sie das, was Sie mit Ihrem Antrag anrichten, überhaupt noch nicht überblicken. So macht es zumindest auf mich den Eindruck.

Erstens. Die Vollversicherung soll – so wie Ihr Antrag formuliert ist – nur für die professionelle Pflege gelten.

Frau Schaper, Sie können mir auch zuhören.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Muss ich aber nicht!)

Die Leistungsbeiträge für selbst beschaffte Pflegehilfen wären also laut Ihrem Antrag gleichbleibend. Die Angehörigenpflege wird in Ihrem Antrag nicht erwähnt und ist somit nicht erfasst. Sie wissen aber schon, dass die meisten Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Angehörigen oder von ambulanten Pflegediensten gepflegt werden. Eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige, so wie die AfD-Fraktion es will, ziehen Sie auch nicht in Betracht. Also wird es keine Verbesserung für den pflegenden Angehörigen mit Ihrem Antrag geben. Das ist völlig inakzeptabel. Ihr Antrag wird dadurch einen Heimsog und einen Sog in die professionelle Pflege auslösen, den sich bisher niemand hätte erträumen können. Das würde letztendlich zum völligen Kollaps des Pflegesystems führen. Das kann wirklich niemand wollen.

Zweitens. Die Abwägung von Solidar- und Versicherungsprinzip wird völlig verzerrt. Die Pflegeversicherung ist eine Sozialversicherung. Das heißt, dass ein jeder das leistet, wozu er imstande ist. Im Gegenzug erhält er von der Solidargemeinschaft die Absicherung des Risikos. Im vorliegenden Fall ist eine eventuell eintretende Pflegebedürftigkeit abgesichert.

Die soziale Pflegeversicherung ist trotz aller richtigen und wichtigen Umverteilungselemente wie die Beitragsbemessungsgrenze oder die kostenlose Familienversicherung immer noch eine Versicherung. Die Beträge dürfen also nicht völlig unverhältnismäßig dem Risiko gegenüberstehen.

Man kann trefflich über die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze streiten. Sie aber abzuschaffen ist nach gängiger Rechtsauffassung und nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nicht verfassungskonform.

Ich möchte ein Beispiel nennen. Ich denke, niemand ist bereit, für seine Kfz-Versicherung nach einer Lohnerhöhung mehr zu bezahlen als vorher. Aber genau das würde die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze in der sozialen Pflegeversicherung bedeuten.

Aufgrund dessen und weil wir am morgigen Tag einen eigenen Antrag – Herr Schreiber hat es angesprochen – zur Zukunft von Leistungen und Beiträgen der sozialen

Pflegeversicherung einbringen werden, lehnen wir Ihren Antrag heute ab.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Herr Zschocke, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch in Sachsen steigen die Pflegekosten rasant, vor allem für die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Nach Angaben der AOK haben zum Jahresbeginn 181 der rund 800 Pflegeheime im Freistaat neue Preisvereinbarungen mit der Pflegekasse abgeschlossen, und zwar mit Preissteigerungen teils über 30 %.

Ja, wir müssen dringend über die explodierenden Heimkosten reden und Lösungen finden, damit aus Pflegefällen nicht Sozialfälle werden. Der Grund dafür ist, dass die Pflegeversicherung eben nur einen Teil der Kosten abdeckt. In stationären Pflegeeinrichtungen sind das monatlich 125 bis 2 005 Euro je nach Pflegegrad. Pflegebedürftige in Deutschland zahlen bei den Pflegekosten zunehmend drauf. Hinzu kommen die Kosten für die Unterkunft, für die Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen. 2018 mussten Pflegebedürftige im Schnitt rund 1 300 Euro für einen Heimplatz zuzahlen. Seit Jahresanfang haben sich die Kosten in Sachsen wegen gestiegener Lohnkosten drastisch erhöht, zum Teil bis zu 400 Euro. Das ist von den Vorrednern ausgeführt worden.

Die Zahlungen übersteigen bei immer mehr Pflegebedürftigen die Rente. Selbst Erspartes ist da sehr schnell aufgebraucht. Ein Drittel der Menschen muss deshalb Hilfe zur Pflege in Anspruch nehmen.

Der Beitragssatz bei der Pflegeversicherung ist zwar seit der Einführung 1996 von 1 % auf mittlerweile 3,05 % plus 0,25 % für Kinderlose gestiegen. Aber die Kostensteigerungen werden damit mitnichten abgefangen. Jede Verbesserung müssen die Pflegebedürftigen aus der eigenen Tasche zahlen. Das betrifft Verbesserungen bei den Pflegeangeboten, bei den Konzepten, beim Personal, bei der tarifgerechten Bezahlung der Fachkräfte usw. usf.

Insofern teilen wir die Problemanalyse der LINKEN. Die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung reichen nicht für die Absicherung der Pflegeversicherten. Das System muss wirklich grundlegend neu aufgestellt werden. Deutschland braucht eine solidarisch gestaltete Pflegeversicherung.

Jetzt kommt das große Aber. Wir GRÜNEN wollen eine solidarische Pflegeversicherung, jedoch kein All-inclusive-Paket. Wenn der Beitragssatz bezahlbar bleiben soll, dann geht das eben nicht ohne eine Eigenbeteiligung.

(Beifall der Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE, und Patrick Schreiber, CDU)

Wir GRÜNEN haben ein ausgearbeitetes Konzept für eine Pflegebürgerversicherung vorgelegt, mit der die Pflege

gerecht und stabil finanziert werden kann. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen diese Pflegeversicherung mit finanzieren. Es gibt noch viel zu viele, die nicht einzahlen. Die Einbeziehung aller Einkommensarten ist notwendig. Wir reden also nicht von den Erwerbseinkommen. Das ist wesentlich gerechter und entlastet die junge Generation, weil sie in der Regel nur Erwerbs- und kein Kapitaleinkommen hat. Unser Antrag wird im Gesundheitsausschuss im Bundestag im Mai angehört.

Unabhängig davon müssen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen gedeckelt werden, was bedeutet, dass mehr Steuermittel ins System fließen müssen. Die Idee ist – Frau Neukirch hat es ausgeführt –, dass wir das System umdrehen und vom Kopf auf die Füße stellen. Der Eigenanteil der Pflegebedürftigen wird gesetzlich festgelegt und damit gedeckelt. Alle künftigen Kostensteigerungen für Personal, Qualität und neue Leistungen werden von den Kassen übernommen.

Zusammenfassend gesagt ist der Antrag der LINKEN gut gemeint. Wir haben auf der Bundesebene aber ein anderes Modell vorgelegt. Deshalb werden wir uns zu Ihrem Antrag heute enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)