Protokoll der Sitzung vom 20.01.2000

den Interessengruppen folgend, sehr unterschiedlich interpretiert. Ich denke aber, man muß der Auslegung des Bundesgesundheitsministeriums folgen, daß bei einem zweifelsohne erforderlichen Ausgleich allein im Rahmen der Gesamtvergütung der vertragsärztlichen Leistungen in einer Vertragsregion, konkret also über den Honorarverteilungsmaßstab der Kassenärztlichen Vereinigung, gesteuert werden kann.

Nach dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz darf nämlich die Gesamtvergütung für Gesundheitsleistungen für das Jahr 1999 nicht erhöht werden. Somit können die Krankenkassen ihrerseits eigentlich nichts draufpacken und haben schon gar keine Nachschußpflicht.

Ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. August 1999 bezüglich der Honorarsicherstellung geht sogar noch weiter und spricht von einem „festen Anspruch“ der Psychotherapeuten auf einen Punktwert von ca. 10 Pfennig, also einem Rechtsanspruch, dem auch in Zukunft entsprochen werden müsse.

Meine Damen und Herren! Sowohl rückwirkend für das Jahr 1999 als auch für die kommenden Jahre ist nun umgehend eine Lösung zu finden, will man nicht letztlich auch eine Flut von Rechtsstreitigkeiten riskieren. Entscheidend sollte dabei sein, daß alle an der Sache Beteiligten guten Willens sind, kurzfristig eine Lösung zu finden, so daß das Problem weder auf dem Rücken der Berufsgruppe der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ausgetragen, noch - das ist wohl das wichtigste - daß die psychotherapeutische Versorgung im Land durch die Existenzbedrohung bei den Behandlungspraxen weiter gefährdet wird.

Die im wesentlichen fehlende Entscheidungskompetenz der Landespolitik in dieser Angelegenheit hatte ich bereits erwähnt. Wir meinen allerdings, daß das Sozialministerium im Rahmen seiner Rechtsaufsicht und unter dem Gesichtspunkt der derzeit ernsthaft gefährdeten psychotherapeutischen Versorgung seinen Einfluß auf die Krankenkassen und vor allem auf die aus unserer Sicht zuerst gefragte Kassenärztliche Vereinigung geltend machen sollte. In diesem Sinne wäre jedenfalls Anstrich 2 unseres Antrags zu verstehen.

Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales sollte sich kurzfristig über den Fortgang in der Angelegenheit berichten lassen. Möglicherweise kann der Ausschuß durch die Moderation einer bereits geplanten Anhörung aller Beteiligten zur Problemlösung, zumindest in Sachsen-Anhalt, beitragen. Der Antrag - darum bitte ich - sollte direkt zur Abstimmung gestellt und angenommen werden. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort. Im Anschluß daran wird Herr Professor Böhmer für die CDU-Fraktion sprechen. Bitte, Frau Ministerin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Als nach einer über 20jährigen Fachkontroverse am 1. Januar 1999 das Psychotherapeutengesetz in Kraft trat, atmeten viele in Deutschland auf. Erstmals sind bundeseinheitliche berufsrechtliche Rege

lungen für die Berufe der psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenbereich sowie Regelungen zur Einbeziehung dieser Berufsgruppen in die vertragsärztliche Versorgung getroffen worden. Das Kernstück ist die Gleichstellung von psychologischen und ärztlichen psychotherapeutischen Leistungen, die durchweg aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu vergüten sind.

Das Ziel des Gesetzes war es, Klarheit in berufsrechtlichen und vergütungsrechtlichen Fragen für die Versicherten und für die psychotherapeutisch Tätigen zu schaffen. Das Gesetz befreit die nichtärztliche Psychotherapie von ihrem Schattendasein als Hilfsarm der Ärzteschaft, der lediglich unter deren Verantwortung und im sogenannten Delegationsverfahren an der Krankenbehandlung teilnehmen durfte.

Für das Jahr 1999 gibt es für das Ausgabevolumen Übergangsvorschriften. In Sachsen-Anhalt wurden in den ersten beiden Quartalen des Jahres 1999 ambulante psychotherapeutische Leistungen direkt zu den mit den Krankenkassen ausgehandelten Punktwerten in Höhe von durchschnittlich 6,4 Pfennig vergütet. Dies erfolgte auf der Grundlage einer Bundesempfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Die genauen Punktwerte für das zweite Halbjahr 1999 sind noch nicht im Detail bekannt. Es zeichnet sich aber ein massiver Punktwerteverfall ab. Herr Dr. Nehler wies bereits darauf hin. Möglicherweise kommt es zu einer Halbierung.

Das führt dazu, daß die wirtschaftliche Führung einer psychotherapeutischen Praxis in Sachsen-Anhalt erschwert oder nicht mehr möglich sein wird. Damit wäre das Ziel der Neuordnung der psychotherapeutischen Versorgung im Ergebnis verfehlt, und zwar nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Ostdeutschland.

(Zustimmung von Frau Ferchland, PDS, von Frau Bull, PDS, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner - Frau Krause, PDS: Das war keine Sternstunde!)

- Aber wir haben hart darum gerungen,

(Herr Dr. Nehler, SPD: Um das Gesetz, sehr wohl!)

und ich bin froh, daß wir das Psychotherapeutengesetz haben, Frau Krause; denn die besondere Situation in Ostdeutschland ist, daß wir vor dem Jahr 1990 kaum ambulante Niederlassungen in diesem Bereich hatten. Der Nachholbedarf war enorm. Wir sind heute noch weit davon entfernt, von einer nur annähernd bedarfsgerechten Versorgung sprechen zu können, so wie sie in anderen ambulanten medizinischen Bereichen bei uns durchaus vorhanden ist.

Falls die tatsächliche Entwicklung in einer vom Gesetzgeber nicht gewünschten negativen Weise verläuft, ist im Psychotherapeutengesetz eine Auffangregelung beschrieben, die eine Stützung des Punktwertes, also des Wertes der psychotherapeutischen Leistungen zum Gegenstand hat bzw. des Einkommens derer, die die psychotherapeutischen Leistungen erbringen.

Diese Auffangregelung wird durch die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung unterschiedlich interpretiert. Die Krankenkassen verweisen darauf auch das klang an -, daß sie wegen der Budgetierung der Gesamtvergütung im Jahre 1999 nachträgliche

Zahlungen nicht leisten dürfen. Die KV vertritt die Auffassung, daß sie den Punktwert der Psychotherapeuten nicht zu Lasten der übrigen Arztgruppen stützen will.

Deshalb wurde in Sachsen-Anhalt mittlerweile das Schiedsamt angerufen. Es besteht aus Vertretern der Ärzteschaft, der Krankenkassen, einem Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Die Kassenärztliche Vereinigung in Sachsen-Anhalt rechnet damit, daß der Spruch des Schiedsamtes im Februar, allerdings wahrscheinlich erst gegen Ende des Monats Februar, zu erwarten ist.

Meiner Meinung nach beruhen die Probleme insbesondere darauf, daß für die Honorarbemessung wie für die Vergütung medizinischer Leistungen generell das Budget von 1996 als Bemessungsgrundlage gilt. Die gegenüber 1996 um ein Drittel gestiegene Zahl der psychotherapeutisch Tätigen muß mit einem an der damaligen Situation orientierten Budget agieren. Dabei ist der Grad der Unterversorgung noch immer enorm hoch. In Sachsen-Anhalt sind im ambulanten Bereich jetzt rund 120 Psychotherapeuten tätig. Wenn wir den bundesdurchschnittlichen Angebotsstandard abdecken wollten, müßten noch zusätzlich 250 Psychotherapeuten zugelassen werden. Dafür muß auch das entsprechende Budget zur Verfügung stehen.

Sprüche des Schiedsamtes, die zu Stützungsmaßnahmen führen, können die akute Situation entschärfen das ist richtig -, die Ursachen des Problems beheben sie aber nicht. Gleiches gilt für die bereits mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalts diskutierte Möglichkeit, eine Sicherstellungsrichtlinie für notleidende psychotherapeutische Praxen aufzulegen, damit die schlimmsten Verwerfungen schnell behoben werden können. Damit könnte ebenfalls die akute Finanznot einiger Praxen abgemildert werden. Die Ursachen würden aber auch über diese Maßnahme wiederum nicht beseitigt werden.

Ich sage es noch einmal so deutlich, wie ich es heute früh in der Antwort auf die Kleine Anfrage bemerkt habe: Ich halte eine Überbrückungslösung für dringend geboten.

(Zustimmung von Frau Schnirch, CDU)

Aber Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dürfen nicht auf Almosen angewiesen sein. Sie gehören in die reguläre Versorgungs- und Vergütungsstruktur.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Schnirch, CDU, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Das Bundesgesundheitsministerium hat von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aktuell nochmals Daten zur Vergütungssituation der psychotherapeutisch Tätigen in den Regionen der einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen angefordert, um den bestehenden Handlungsbedarf einschätzen zu können. Deshalb habe ich das Bundesgesundheitsministerium gebeten, bei der Auswertung dieser Unterlagen auch die in den Ländern bestehenden Unterschiede in den Versorgungsgraden, insbesondere die Unterversorgung in Ostdeutschland, zu berücksichtigen, zum Beispiel durch die Bereinigung der Basisermittlung.

Auch bevor diese Analyse vorliegt, ist meine Einschätzung, daß zur bundesweiten Sicherstellung der psychotherapeutischen Versorgung gesetzgeberisches Handeln erforderlich ist. Dies sondiere ich derzeit beim Bundesgesundheitsministerium und bei den Ländern.

Das Globalbudget, meine Herren und Damen Abgeordneten, wäre eine Alternative zur Novellierung des Psychotherapeutengesetzes gewesen, da dann wesentlich problemloser Verschiebungen zwischen Behandlungsformen hätten vorgenommen werden können. Diese wären auch gerechtfertigt, da die psychotherapeutische Versorgung sicherlich einen nicht unerheblichen Anteil an Kosteneinsparungen in anderen medizinischen Versorgungsbereichen zur Folge hat.

Die dem Land im Rahmen der Rechtsaufsicht über die Kassenärztliche Vereinigung gegebenen Möglichkeiten auch das will ich noch erwähnen - werden wahrgenommen mit dem Ziel, gemeinsame Lösungen zwischen den Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung anzustreben. Ich habe bereits die Kompromißfähigkeit der Beteiligten eingefordert. Denn es darf auf keinen Fall zu einem Praxensterben kommen. Deshalb muß auch der weiteren Abkoppelung der Vergütungen für psychotherapeutische Leistungen von den Vergütungen für andere ärztliche Leistungen ein Riegel vorgeschoben werden.

Ich denke, meine sehr geehrten Herren und Damen, daß wir uns einig darüber sind: Das Psychotherapeutengesetz darf auf keinen Fall zu einem Bumerang für die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten werden. Deswegen begrüße ich es auch, daß sich der Landtag so intensiv mit diesem Thema befaßt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner)

Danke sehr. - Herr Professor Böhmer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Nehler und dann auch die Frau Ministerin schon alle Zusammenhänge und Hintergründe dargestellt haben, will ich mich kurz fassen und darauf nicht mehr eingehen.

Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, Herr Kollege Nehler: Wir werden diesem Antrag zustimmen, weil wir meinen, daß er auch für die Antragsteller selbst eine therapeutische Wirkung haben müßte.

(Zustimmung bei der DVU)

Denn Sie müssen wissen: Alles, was Sie vorgetragen haben, ist ja Konsequenz der Gesetzgebung, also Konsequenz dessen, was, die Finanzierung betreffend, in das Psychotherapeutengesetz hineingeschrieben worden ist. Und Sie waren es, der uns gesagt hat, wie man die Probleme lösen könne: Deckel drauf und kümmert euch. - So geht es eben nicht.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU, von Frau Liebrecht, CDU, und bei der PDS - Zuruf von Herrn Dr. Nehler, SPD)

Herr Präsident, ich bitte darum, abweichend von der Geschäftsordnung einmal einen Satz vorlesen zu dürfen. Ich möchte gerne den Präsidenten der Bundesärztekammer, Herrn Professor Hoppe, zitieren, der zu dieser Art Gesundheitspolitik zum Abschluß des Jahres 1999 in seiner gesundheitspolitischen Bilanz gesagt hat - ich zitiere -:

„Es ist politisch einfach unredlich und verantwortungslos, den Menschen zu suggerieren, daß

man mit einem begrenzten Finanzbudget unbegrenzt Leistungen erwarten kann.“

Das ist die eigentliche Problematik.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Preiß, DVU)

Ich habe ja die gesamte Diskussion über das Psychotherapeutengesetz und die Öffnung der Kassenärzt-lichen Vereinigung für psychologische Therapeuten miterlebt. Das war eine schwierige Gefechtslage. Es war ja nicht so, daß wir bis 1990 sozusagen eine weiße Stelle gewesen wären. Auch davor gab es schon Psychologen, auch in den Polikliniken der DDR. Aber zugegeben: Die Versorgungsdichte war wesentlich geringer und ist auch jetzt noch nicht optimal.

Nun haben wir von der Bundesregierung ein Gesetz bekommen, das genau diesem Prinzip folgt: Das Budget darf nicht erhöht werden. Im Gegenteil: Die Grundlohnsummenanbindung bedeutet für das Jahr 1999 eine Absenkung um 0,48 %. Mit diesem Budget müßt ihr auskommen, aber per Gesetz schreiben wir euch höhere Leistungen vor, zum Beispiel die Niederlassung von mehr Ärzten in diesem Bereich, die Anerkennung der Finanzierung zu Lasten der kassenärztlichen Versorgung. - Nun haben wir den Konflikt. Er war vorhersehbar.

Deswegen sagen wir immer wieder und haben schon immer gesagt: So kann man Gesundheitspolitik eben nicht betreiben. Mehr Leistungen verlangen auch mehr Geld.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Sie können auch nicht sagen, das Globalgudget hätte das Problem gelöst. Wem hätten Sie denn etwas wegnehmen wollen? Man kann immer sagen: Wir wollen es den Krankenhäusern wegnehmen. Ich sage Ihnen, Frau Kuppe: Auf keiner Baustelle der gesamten Bauindustrie Sachsen-Anhalts wird so erheblich und gravierend gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen wie in den Krankenhäusern.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU, und von Frau Krause, PDS)