Vor dem Hintergrund solcher rigorosen Forderungen wundert es mich schon, daß das verabschiedete Leitbild in bezug auf das Problem der Stadt-Umland-Beziehungen in dem Kabinett, dem auch Sie als Ministerin angehören, ohne nennenswerte Lösungsvorschläge bleibt. Für die Stadt Halle - das sollten Sie im Rahmen Ihrer Kandidatur im Auge behalten - hätte die Umsetzung der Vorstellungen des Innenministers eine erhebliche Verschärfung der Stadt-Umland-Probleme zur Folge.
Die Auflösung des Saalkreises und die Vergrößerung der angrenzenden Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften weit in das tiefere Umland hinein würden die Zentrifugalkräfte des Umlandes vom Oberzentrum weg erheblich stärken. Damit würden jegliche korrespondierenden Regelungen im Rahmen eines einheitlichen Aufgabenraumes in Frage gestellt werden.
Ich kann mich nur wundern, daß eine Ministerin, die im Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters so weitgehende Forderungen nach Eingemeindungen erhebt, dies übersehen oder ignorieren konnte.
Daraus schlußfolgere ich eine Vermutung, Frau Minister Häußler: Das scheint mir ein Indiz dafür zu sein - im übrigen nicht das einzige -, daß diese kommunalen Leitbildvorschläge des Innenministers im Kabinett von allen anderen Ressortchefs und von dem Ministerpräsidenten abgenickt wurden, ohne daß sie die Tragweite und die Bedenklichkeit dieses Vorstoßes wirklich erfaßt haben.
Hat eigentlich - darauf zielte auch die Frage des Kollegen Becker - der Finanzminister schon einmal berechnet, welche Ausgleichsaufgaben auf ihn zukommen? Das letztemal haben wir für den Verlust des Kreissitzes insgesamt den Betrag von 40 Millionen DM bezahlt.
Zu den Fragen, welche Konsequenzen dies für die kommunalen Finanzzuweisungen haben könnte und wie bei einer Gebietsneugliederung die in der Regel unvermeidlichen finanziellen Trostpflaster finanziert werden sollen, wurden im Leitbild keine Angaben gemacht.
Ich will dem Innenminister seine hehren Absichten nicht absprechen. Er hat längst erkannt, daß in diesem Lande eine lähmende Erstarrung herrscht, die er zumindest in seinem Ressort nicht länger verantworten möchte. Der Reformvorschlag, den er gemacht hat, ist aber alles andere als ein Reformvorschlag aus einem Guß.
Er bleibt genau dort unkonkret und unverbindlich, wo der Handlungsbedarf am größten ist: bei der unmittelbaren Landesverwaltung.
Demgegenüber geht er ausführlich auf die Reformabsichten in der mittelbaren Landesverwaltung der Kommunen ein. In einem Gesetzgebungsplan wird das erste Gesetz nicht bei der Landes-, sondern bei der
Kommunalverwaltung eingeführt. Hier wird - ich kann es nur wiederholen - das Pferd vom Schwanz aufgezäumt.
Man kann es auch mit dem Bild von einem vergleichen, der als Tiger abspringt und als Bettvorleger landet. Mit Blick auf die Vorschläge würde ich diesen Vergleich wie folgt anwenden: Im Hinblick auf die Landesverwaltung ist die Regierung nie zu einem Tiger geworden. Sie ist, wie in den letzten sechs Jahren, Bettvorleger geblieben.
Mit Blick auf die Kommunalverwaltung steht zumindest der Innenminister in Tigerpose da, und die SPD-Fraktion läßt die Sprungmuskeln spielen. Aber wenn Sie in die beabsichtigte Richtung springen, meine Damen und Herren, werden Sie spätestens zum Ende der Legislaturperiode auch als Bettvorleger landen.
Damit werden Sie unserem Land einen Bärendienst erwiesen. Dies wollen wir verhindern, nicht mehr und nicht weniger.
Deshalb hat das Parlament zunächst eine zentrale Aufgabe, der sich die CDU-Fraktion stellen will: Das vorgelegte Reformprojekt ist vom Kopf auf die Füße zu stellen. Vorrang hat die Verwaltungs- und Funktional-reform. Die Notwendigkeiten einer Kommunalreform müssen mit dem Problembewußtsein und der Umsicht diskutiert werden, die dem Thema angemessen ist.
Das ist bisher nicht geschehen. Wir haben im Gegenteil manchmal den Eindruck, daß die Grimmigkeit, mit der auf Kommunalstrukturen geblickt wird, von den Versäumnissen und Widersprüchen der Landespolitik der letzten Jahre ablenken soll. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Bergner, vor meiner Frage habe ich eine Bitte, nicht nur an Sie, sondern auch an Herrn Püchel und an Herrn Becker. Die ganze Angelegenheit ist sehr kompliziert und differenziert. Deshalb bitte ich Sie, lassen Sie uns gemeinsam versuchen, weniger polemisch zu sein. Das wäre dem Thema sicherlich angemessener.
Ich habe jedoch eine andere Frage: Sie haben für mich relativ überzeugend dargestellt, daß diese ganze Verwaltungs- und Funktionalreform nicht vordergründig ein Problem der Kommunen und des Innenressorts ist. Das ist völlig richtig. Das sehe ich auch so.
Aber ich verstehe Ihre Schlußfolgerung nicht. Ich verstehe nicht, weshalb Sie einen zeitweiligen Ausschuß, der ausdrücklich einen fachübergreifenden Ansatz haben soll, ablehnen und den Innenausschuß lediglich um Sachverständige erweitern wollen. Es besteht doch
damit gerade die Gefahr, daß wir uns dann ausschließlich auf die kommunale Ebene konzentrieren und die anderen Aspekte nicht beachten.
Zunächst gehen wir davon aus, daß verbindliche Vorlagen zwar federführend im Innenausschuß beraten werden, aber zur Mitberatung in andere Ausschüsse überwiesen werden.
Des weiteren darf ich Sie daran erinnern - das ist für uns der Leitgedanke -, was wir in der ersten Wahlperiode in bezug auf die Kommunalgesetzgebung beschlossen haben. Ich nenne nur die Gemeindeordnung, die Kreisgebietsreform und zahlreiche andere Gesetze wie das Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit. Es wurde viel grundsätzliche Arbeit geleistet, wobei bei dem Stand Null angefangen werden mußte. Wer hat das damals getan? - Der Innenausschuß federführend.
Ich sehe nicht ein, daß wir in einer Zeit, in der wir in der Gesetzgebungsarbeit zu den gleichen Fragen sehr viel mehr leisten mußten, mit dem Innenausschuß ausgekommen sind, jetzt aber einen zusätzlichen, zeitweiligen Ausschuß brauchen. Der Innenausschuß hat sich doch bewährt.
Ich weiß nicht, ob Sie irgendeinen Grund haben, an der Arbeit des Innenausschusses oder seines Vorsitzenden Kritik zu üben. Dann würde ich sagen, gut, denken wir über etwas anderes nach. Aber der Innenausschuß hat sich gerade in der Kommunalgesetzgebung bewährt.
Wenn wir jetzt ein neues Gebilde gründen, ist die Gefahr sehr groß, daß das Ganze zu einer Art Alibiveranstaltung wird, bei der man sagt, jetzt haben wir unsere Pflicht getan, wir haben einen neuen Ausschuß, wir haben ein neues Gremium, nun wollen wir einmal sehen, was der uns bietet. Nein, die Angelegenheit bleibt weiterhin eine zentrale Arbeitsaufgabe und sollte deshalb bei uns in den zuständigen Ausschüssen beraten werden.
Ganz kurz. Nehmen wir ein Beispiel, Herr Bergner. Wir diskutieren in diesem Ausschuß zum Beispiel über die Umstrukturierung der Umweltverwaltung. Das ist doch nicht unbedingt ein Thema, womit sich nur der Innenausschuß zu beschäftigen hat, genauso wie meinetwegen bei Schulangelegenheiten oder ähnlichem.
- Es ist sozusagen eine Nachrangigkeit bei dem mitberatenden Ausschuß. - Deswegen verstehe ich die Argumentation einfach nicht.
Ich gehe davon aus, daß wir Mitberatungen haben werden und daß wir zu guter Letzt ohnehin eine Bündelung
- Ja, um Gottes willen, das ist auch meine Reaktion, um das einmal so zu sagen. - Dann würde ich Ihre Überlegung gelten lassen. Aber wenn es um die Facharbeit an Gesetzesvorlagen geht, müssen wir mit unseren Ausschußstrukturen, die wir uns selbst einmal gegeben haben, zurechtkommen. Ich sehe jedenfalls keine zwingende Begründung, davon abzuweichen.
Im übrigen, Herr Gallert, Nebenkriegsschauplatz. Die Mehrheiten sehe ich schon kommen. Ich wollte nur unseren Standpunkt begründen.
Herr Kollege Bergner, ich hatte mich zu einem anderen Zeitpunkt gemeldet. Am Ende sind Sie aber mit Ihrer Bettvorlegergeschichte gekommen.
Geben Sie wenigstens jetzt zu, daß das alles nicht nötig wäre, wenn Sie in den Jahren 1993/1994 nicht selber als Bettvorleger gelandet wären?
Die eigentliche Frage, die ich noch stellen wollte: Sie sind auf die Identitätsfindung eingegangen, die in unserem Lande sicherlich problematisch ist. Haben Sie aber jemals gehört, daß sich Menschen in einem Land mit einer Verwaltungsstruktur identifizieren? Sie identifizieren sich doch nicht mit einem Regierungsbezirk und sagen, ich komme aus dem Regierungsbezirk Sowieso, sondern sie identifizieren sich mit ihrer Stadt oder mit ihrer Gegend.