Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

Herr Minister Heyer, da Sie jetzt hier sitzen, werden Sie sicher auch dazu reden und nicht Frau Ministerin Kuppe. Wir wollen genau nicht reglementieren, wie es in dem Prüfbericht steht, den wir schon diskutiert haben. Denn wir wollen gemeinsam mit den Organisationen und Verbänden ein Konzept suchen, mit ihnen Standards erarbeiten, die Mindeststandards sein können und auch sein sollten. Wir wollen initiativ sein. Aber es muß jemand für diesen Bereich das Zepter in die Hand nehmen. So weit sind wir nicht gekommen in den Diskussionen des anderen Antrags, daß wir bereits sagen: Nehmt das Zepter in die Hand! Man kann es auch gern wieder abgeben, wenn sich der Fall erledigt hat.

Wir brauchen die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs mit den verbindlichen Mindeststandards. Wir wollen

gern dabei die Liga mit einbeziehen wie auch Bausparkassen, Landesseniorenrat, Städte- und Gemeindebund, Landkreistag, Architektenkammern, Landespflegeverbände, Behindertenverbände, Dienste der Krankenkassen und Pflegekassen, aber auch Landesverbände der Wohnungsunternehmen und noch mehr, die beteiligt werden könnten.

Sie merken es schon an der Aufzählung, und ich will Ihnen einige Kriterien nennen, die im Vorstellungsbereich unserer Fraktion liegen: Vorstellung des Betreuungskonzepts natürlich an erster Stelle. Auch dazu sind in Ihrem Prüfbericht Ausführungen gemacht worden. Wir lehnen uns dabei etwas an das baden-württembergische Gütesiegel an. Das heißt, ein Betreuungsvertrag enthält eine transparente und detaillierte Darstellung des Betreuungs- und Dienstleistungsangebots sowie eine überprüfbare Kostenzuordnung in den einzelnen Leistungsbereichen. Zu diesem Betreuungskonzept gehört die Grundbetreuung. Ich brauche hier nicht weiter auszuführen, was das ist. Aber auch Vite-Service ist in diesem Betreuungskonzept für uns wichtig.

Weitere Kriterien könnten sein - ich will hier überhaupt nichts vorwegnehmen, weil ich glaube, daß die Diskussion dies ergibt -: das Wohnumfeld - deswegen heißt unser Antrag „Barrierefreies Wohnumfeld“ -; wie ist die Lage, wie komme ich zu Institutionen, zu Einrichtungen, wo kann ich einkaufen gehen, wo kann ich aber auch meine Freizeit gestalten und vor allen Dingen nutzen? Die Gestaltung der Gebäude wie die Gestaltung der Wohnung und die Barrierefreiheit sind die Kriterien solch eines Gütesiegels.

Es stellt sich die Frage, wenn wir ja sagen - und ich denke, wir sagen ja zu einem Gütesiegel -: Wer könnte denn Träger sein? Das ist sicher auch ein Problem. Träger kann man nach unterschiedlichen Gesichtspunkten suchen. Wir gehen davon aus, daß die Wohlfahrtsverbände und die kommunalen Spitzenverbände sich sehr gern einbringen, vielleicht auch die Trägerschaft übernehmen und wir dann eine Jury oder eine Arbeitsgruppe oder einen Beirat oder eine Arbeitsgemeinschaft finden, egal wie wir sie nennen, die die Anträge bearbeitet und dieses Gütesiegel herausgibt.

Wir wollen schlicht und ergreifend die Diskussion am Köcheln halten, auch in Richtung Gütesiegel, so daß wir den älteren Menschen und deren Angehörigen ein qualitätsgerechtes Angebot übergeben. Sie können damit verifizieren, welches qualitätsgerechte Angebot sie nutzen können. Wir wollen aber auch Bauträger und Betreuungseinrichtungen stimulieren, daß sie den Wohnraum im geeigneten Umfeld mit einem differenzierten Betreuungsangebot schaffen.

Wir würden Ihnen eine Überweisung in den Ausschuß für Arbeit und Soziales sowie in den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr vorschlagen, so daß wir dort über die vielen Fragen, die noch offen sind, reden können. Wir freuen uns auf die Diskussion in den Ausschüssen. Die Federführung sollte beim Arbeits- und Sozialausschuß liegen.

(Beifall bei der CDU)

Danke für die Einbringung. - Wir kommen nun zu der vereinbarten Fünfminutendebatte in der Reihenfolge SPD, DVU, PDS, CDU. Als erstem erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Dr. Heyer das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Stange, ich war, offen gestanden, doch ein bißchen überrascht, als ich Ihren Antrag gelesen habe. Sie haben hier die ganze Geschichte dieses Gütesiegels erzählt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Sie die richtigen Schlüsse daraus gezogen haben.

Wir haben doch schon am 16. April 1999 einen Beschluß gefaßt: Die Landesregierung soll sich kümmern, soll berichten. Die Landesregierung hat sich gekümmert, hat berichtet. Am 2. Juli 1999 haben wir einen Bericht abgegeben, darin stehen alle Kriterien. Am 1. Oktober 1999 haben wir im Bau- und Verkehrsausschuß noch einmal berichtet, haben das alles erläutert und unsere Vorstellungen dazu mitgeteilt.

Ich habe gesagt - ich darf das wiederholen -, daß das Qualitätssiegel ein richtiger Weg ist, daß es aber nicht unter Federführung des Landes herausgegeben werden soll - darin sind wir uns einig, auch Sie wollen nicht reglementieren -, daß das vielmehr in der Zuständigkeit der sozialen Träger gemacht werden soll, daß aber die Erarbeitung einen kritischen Prozeß voraussetzt. Dieser Prozeß läuft.

Der Ausschuß war - so möchte ich einmal sagen - ganz außerordentlich zufrieden, wie es sich auch gehört, mit der Arbeit der Landesregierung und hat gesagt: Wir erklären den Antrag für erledigt. Dies geschah mit den Stimmen der CDU.

Nun waren Sie nicht dabei, sondern der Kollege Daehre. Vielleicht sprechen Sie einmal mit ihm darüber, wie das da gelaufen ist, denn die Sache war definitiv.

(Zuruf von Frau Stange, CDU)

Das hieß nicht etwa, liebe Frau Stange, daß damit die Sache begraben war, sondern wir haben weitergearbeitet.

(Herr Felke, SPD: Richtig!)

Insbesondere haben die gearbeitet, die wir angesprochen haben.

Ich war beim Runden Tisch, bei den behinderten Menschen, und die haben gesagt: Laßt uns das gemeinsam mit denen machen, die am ehesten etwas konzipieren können. Das sind natürlich die Architekten, und die Architekten haben das auch gemacht. Die Architekten liebe Frau Stange, das wissen Sie vielleicht auch - haben am 27. Januar ein Papier vorgelegt. Sie haben mehrere Möglichkeiten aufgeschrieben, wie man diese Dinge umsetzen kann. Wir halten das für außerordentlich vernünftig.

Jetzt haben Sie offenbar den Eindruck gewonnen, es gehe nicht weiter. Das ist aber überhaupt nicht mein Eindruck. Offenbar meinen Sie, der Staat müsse doch ein bißchen hinterher sein und die Architektenkammer allein schaffe das nicht.

(Heiterkeit bei der SPD)

Darauf sage ich: Einverstanden, wenn ihr das allein nicht schafft - das habe ich so mit meiner Kollegin Kuppe besprochen -, laden wir beide ein. Den Vorsitz möge Professor Niebergall übernehmen, bei dem ich mich jetzt schon herzlich dafür bedanke, daß er das auch machen wird.

(Beifall bei der SPD)

- Herzlichen Dank. Dieser Beifall ist wirklich verdient. Dahinter steckt schon jede Menge Arbeit. Dann sollen die Dinge laufen.

Aber, meine Damen und Herren, daß wir noch einmal einen Beschluß in der Sache fassen, ist nun wirklich dramatisch überflüssig.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wäre ich Ihnen ganz außerordentlich verbunden, wenn Sie den Antrag einfach ablehnen würden, so daß wir dann relativ schnell fertig werden können. Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Minister. - Die SPD-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die DVU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Czaja.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU legt uns einen Antrag vor, in dem sie allgemeinverbindliche Mindestqualitätsstandards sowie Maßnahmen zur Qualitätssicherung für sogenanntes betreutes Wohnen fordert. Dabei handelt es sich um eine Art des Wohnens, die sich gegenüber der herkömmlichen durch eine besondere Rücksichtnahme auf die physischen und psychischen Leiden des hohen Alters auszeichnet.

Insgesamt handelt es sich um eine immens teure Angelegenheit, der sich in der jüngsten Zeit private Investoren und Träger annehmen, weil sie erkannt haben, daß das Problem des Alters in Deutschland zunimmt. Ferner haben sie erkannt, daß es durchaus eine gutbetuchte Rentnerklientel unter den alten Menschen gibt, die sich diese Art des kommoden Wohnens und Lebens leisten kann.

Neben der guten Absicht gegenüber der sonst sehr vernachlässigten Durchschnittsrentnerschaft ergibt sich für uns der Verdacht und die Gefahr der Kommerzialisierung des Alters und von Behinderung.

Doch zurück zum Antrag, meine Damen und Herren. Dieselbe CDU, die eben noch unseren Antrag auf Unterstützung der Obdach- und Wohnungslosen ablehnte und die Sorgepflicht und damit die Verantwortung auf die ohnehin gebeutelten Kommunen abzuwälzen versucht, buhlt heute um die Gunst besonders betuchter Wohnungsuchender.

Wir halten bestimmte soziale Standards für völlig normal. Aber sie sollten für alle alten und behinderten Menschen gleichermaßen gelten. Wir sollten eher Mängelsiegel für noch nicht erreichte Standards einführen, bevor wir neue konzipieren.

Überdies sind wir der Auffassung, daß in unserer Gesellschaft an vielen Stellen Gütesiegel konzipiert werden müßten, beispielsweise in der staatlichen Kinderbetreuung, in der Erziehung, in den Schulen, in den Universitäten, im Gesundheits- und Pflegesystem, in den Betrieben und so weiter. Oder doch lieber Mängelsiegel?

Die Leute erkennen sehr wohl, so sie sich diesen Luxus überhaupt leisten können, ob und welche Träger umfassende und bedürfnisgerechte Wohnungseinrichtungen anbieten. Schließlich ist der Markt noch lange nicht so sehr übersättigt, daß man sich landespolitische Sorgen über die herausragende Qualität der Wohnbedin

gungen für eine kleine Gruppe von Rentnern machen müßte.

Abgesehen davon argwöhnen die Kranken- und Pflegekassen, die früher oder später immer mehr in die Pflicht genommen werden könnten und müßten, ob der zu erwartenden Kosten für derart umhätschelte Wohnbedürfnisse.

Die Erfahrungen im Umgang mit anderen Gütesiegeln wie dem Grünen Punkt haben vielmehr gezeigt, daß sie ohne vor- oder nachgeschaltete gesetzliche Regeln ins Leere gehen, den ideellen Effekt verfehlen und außer der gutgemeinten Absicht nichts erkennen lassen oder bewirken.

Es wundert uns, daß gerade die CDU, die sonst immer sehr an einer korrekten gesetzlichen Verfahrensweise interessiert ist, heute mit bloßen moralischen Attitüden Aufmerksamkeit einzuheimsen sucht. Zwischen Wohnungslosigkeit und betreutem Wohnen liegen unserer Ansicht nach Welten, deren einseitige finanziell aufwendige Ausgestaltung die soziale Deklassierung nicht beseitigt, sondern eher verstärkt. Helfen Sie uns, diese Welt erst einmal zu harmonisieren. Außerdem haben wir letztens von Herrn Dr. Daehre erfahren dürfen, daß es inzwischen mehr Wohnungen gibt, als wir vermieten können.

Aber zurück zum Gütesiegel-Antrag der CDU. Wie sagt mein Fraktionskollege Rudi Wiechmann so schön: Es ist so eine Sache mit den Bändern. Es ist auch so eine Sache mit den Siegeln, sage ich.

Ein zusätzliches Siegel gerade zu diesem Problem einzuführen, obwohl alle geneigt sind, Bürokratie abzubauen, ist der falsche Weg. Lassen Sie uns bitte gemeinsam dafür sorgen, daß betreutes Wohnen so gut wie möglich gestaltet wird und soziale Standards allen Menschen, auch den armen, etwas einbringen. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der DVU und von Herrn Buder, fraktionslos)

Für die PDS-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Hoffmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von mir nur einige kurze Bemerkungen dazu. Frau Stange und Herr Minister Heyer sind schon ausführlich auf diese Thematik eingegangen.

Das Anliegen dieses Antrages wird von der PDS-Fraktion ausdrücklich begrüßt. Nur gibt es genau zu diesem Sachverhalt, wie von allen Seiten bemerkt wurde, bereits einen Beschluß des Landtages. Auch die Landesregierung hat hierzu im Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr und im Sozialausschuß berichtet.

In den Arbeitsgruppen des Runden Tisches für Menschen mit Behinderungen und im Landesbehindertenbeirat wird seit geraumer Zeit in Zusammenarbeit mit Vertretern des Ministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr und des Landesseniorenrates an entsprechenden Richtlinien gearbeitet. Die Architektenkammer arbeitet dabei mit. Das hat der Minister bereits erwähnt. Dabei werden auch die Erfahrungen aus Baden-Württemberg einbezogen.

Diese Erarbeitung gestaltet sich allerdings nicht so schnell wie erhofft, da viele Vorschläge und Einwände zu beachten sind. Zum Beispiel gibt es auch den Einwand, mit einem solchen Gütesiegel könnte Wettbewerbsverzerrung betrieben werden.

Wir erachten einen erneuten Landtagsbeschluß im Moment jedenfalls für überflüssig und lehnen deshalb den Antrag ab.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)