Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

Uns geht es darum, das politische Homogenitätsgebot für Fraktionen klar in der Geschäftsordnung zu verankern; daher die erweiterte Fassung des § 2 Abs. 3. Es muß klar sein, daß die Mitglieder einer Fraktion sich in ihrer politischen Grundrichtung und Zielsetzung so weit ähnlich sind, daß es erkennbare Unterschiede zu den anderen Fraktionen gibt.

Die Mitglieder des Landtages dürfen nicht wie bei einem Kartenspiel gemischt und in zufällige Gruppen eingeteilt erscheinen. Die Farben müssen schon noch erkennbar sein. Die politische Homogenität einer Fraktion ist schließlich nicht nur Ausdruck der tatsächlichen Verbindung zwischen Fraktion und Partei, sie ist vielmehr und vor allem auch die notwendige Voraussetzung für die den Fraktionen auferlegte Aufgabe, an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken.

Die Fülle und Mannigfaltigkeit parlamentarischer Tätigkeiten der Abgeordneten ist so erheblich, daß diese Tätigkeiten nicht einzeln, sondern nur kollektiv wahrgenommen werden können. Deswegen muß zur Vorbereitung der Entscheidung im Parlament eine Willensbildung erfolgen. Es muß ein politischer Grundkonsens innerhalb der Fraktionen hergestellt werden.

Im Sinne einer wirkungsvollen Parlamentsarbeit ist die politische Homogenität Voraussetzung. Sie ist zu fordern, damit sich nicht Abgeordnete verschiedenster, möglicherweise sogar extrem gegensätzlicher politischer Richtungen, die isoliert jeweils keine Fraktion bilden können, zu bloßen Fraktionszweckgemeinschaften zusammenschließen, um damit in den Genuß der mit dem Fraktionsstatus verbundenen Vorteile zu gelangen.

Bei der von uns vorgeschlagenen Regelung wird die Möglichkeit der Fraktionsbildung mit dem Ergebnis der vorausgegangenen Landtagswahl verknüpft und grundsätzlich festgeschrieben, daß die Mitglieder einer Fraktion derselben in den Landtag gewählten Partei angehören müssen. Schließlich haben die Wählerinnen und Wähler ihr Votum für eine bestimmte Partei abgegeben bzw. haben mit der Erststimme bestimmte Personen gewählt, deren Parteizugehörigkeit eindeutig klar war.

Bei der DVU war allerdings selbst das nicht möglich, weil sie keine Direktkandidaten aufgestellt hat.

Der Wählerwille würde jedenfalls verfälscht, wenn es Abgeordneten verschiedenster, möglicherweise extrem gegensätzlicher Richtungen freigestellt wäre, sich zu einem fundamentalen politischen Arbeitsverband zusammenzuschließen, der eine Fraktion nun einmal ist.

Obwohl dies alles klar und logisch zu begründen ist, bestreiten wir nicht, daß wir uns in einem rechtlichen Spannungsfeld bewegen. Denn nach Artikel 41 Abs. 2 unserer Landesverfassung beruht die Gründung einer Fraktion auf der Mandatsfreiheit. Diese schreibt das Recht jedes Abgeordneten fest, Gruppen zu bilden bzw. sich an deren Arbeit zu beteiligen. Daraus leitet sich auch ab, daß jedem Abgeordneten gleiche Mitwirkungsbefugnisse zustehen. Wir erkennen das bei jeder unserer Landtagssitzungen an der Redezeit, die fraktionslosen Abgeordneten zugemessen wird.

Eine zu starke Beschränkung der Möglichkeit, Fraktionen zu gründen, würde zu stark in die Abgeordnetenfreiheit eingreifen und wäre damit verfassungswidrig. Das von uns vorgeschlagene Zustimmungsmodell erscheint uns jedoch als der geeignete Mittelweg. Das Ziel kann verfolgt werden, ohne in den Bereich der Verfassungswidrigkeit zu gelangen. Es handelt sich nicht um ein Verbot, sondern um das Erfordernis einer Zustimmung, die nur unter bestimmten Bedingungen versagt werden kann. Ich zitiere aus unserem Antrag:

„Schließen sich abweichend von Satz 1“

- darin sind selbstverständlich der Fraktionsstatus und die Fraktionsbildung beschrieben

„Mitglieder des Landtages zusammen oder wollen Mitglieder des Landtages nach der Konstituierung eine neue Fraktion bilden, bedarf die Anerkennung als Fraktion der Zustimmung des Landtages.“

Diese Entscheidung des Landtages soll im Ältestenrat zuvor beraten werden. Ohne diese Zustimmung könnte eine neue Fraktion nicht entstehen. Die Zustimmung ist jedoch nicht in das willkürliche Ermessen des Landtages gestellt; er hat Grenzen zu berücksichtigen. Nur unter bestimmten Bedingungen kann er die Zustimmung verweigern.

In Brandenburg ist eine vergleichbare Regelung in das Fraktionsgesetz aufgenommen worden. Das dortige Landesverfassungsgericht hat bei einem Normenkontrollantrag im Jahr 1995 dazu entschieden - ich zitiere -:

„Der Landtag hat bei der Entscheidung, ob er einer abweichenden Fraktionsbildung zustimmt, dem Geist der Verfassung und der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten Rechnung zu tragen. Die Entscheidung des Landtages ist verfassungsgerichtlich überprüfbar.“

Auch auf die Klage eines einzelnen betroffenen Abgeordneten hin kann das geschehen.

Meine Damen und Herren! Vorausgesetzt, Landesverfassungsgerichte sprechen in vergleichbaren Lagen gleiches Recht, ist somit klargestellt, daß wir eine Regelung, wie sie von uns gewünscht wird, in unsere Geschäftsordnung aufnehmen können, ohne uns dem Vorwurf des Verfassungsbruchs auszusetzen.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt könnte dann in einer entsprechenden Situation nach dem geschilderten Ver

fahren seine Zustimmung zur Fraktionsbildung verweigern. Er dürfte sie allerdings nicht verweigern, wenn ein offensichtlicher Mißbrauch nicht zu erkennen ist. Im Fall der Ablehnung kann diese Entscheidung auch von einzelnen Abgeordneten dem Verfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt werden.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die Zustimmung des Landtages kann nur dann verweigert werden, wenn tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, daß eine politische Zweckehe zwischen politisch heterogenen Mitgliedern oder Gruppen des Landtages geschlossen werden soll, die nur von der Absicht bestimmt ist, sich die mit dem Fraktionsstatus verbundenen Rechte zu verschaffen.

Meine Damen und Herren! Wenn das alles so schwierig ist und wenn letztlich nur in ganz seltenen Fällen von diesem Teil einer geänderten Geschäftsordnung Gebrauch gemacht werden könnte, warum geben wir uns dann soviel Mühe damit?

Darauf kann ich zunächst nur antworten: Mit dem Problem haben sich schon viele beschäftigt, nicht nur wir und nicht nur aus gegebenem Anlaß. Die Fragen wurden auch aus der Bevölkerung, aus den Reihen der Medienvertreter und aus den Reihen der Mitglieder unserer Parteien wiederholt gestellt; und es wird eine Antwort erwartet.

Es hat sich herausgestellt, daß Fraktionen bestimmter politischer Richtungen, wenn sie sich im Landtag bilden, nicht zu verhindern sind. Es ist aber auch deutlich geworden, daß in den Fällen, in denen eine politische Homogenität nicht erkennbar ist, sondern Mißbrauch deutlich wird, ein Riegel vorgeschoben werden kann. Darum sollten wir uns gemeinsam bemühen.

Im Vorfeld dieser Debatte bin ich gefragt worden, wie denn der eine oder andere Fall beschaffen sein müsse, um eine Fraktionsbildung versagen zu können oder auch nicht versagen zu können. Darüber läßt sich selbstverständlich spekulieren. Es lassen sich Fälle konstruieren. Aber man kann damit selbstverständlich nicht Entscheidungen des Ältestenrates, des Landtages und gegebenenfalls des Landesverfassungsgerichts vorgreifen. Vielleicht sind wir nach der nun folgenden Beratung im Ältestenrat und der abschließenden Debatte im Landtag auch in dieser Hinsicht schlauer.

Jede Entscheidung wird sich an dem Maßstab orientieren, daß ein rechtmäßiger Gebrauch der Möglichkeit der Fraktionsbildung nicht eingeschränkt werden darf und daß Mißbrauch verhindert werden soll. Man kann diesen Grundsatz offensichtlich gar nicht oft genug betonen, um Spekulationen über neue Möglichkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Meine Damen und Herren! Der Zeitpunkt der Antragstellung ist nicht der schlechteste. Wir wissen natür-lich, daß eine Änderung der Geschäftsordnung in diesem Sinne nicht unverzüglich wirksam werden kann und daß der neue Landtag in der nächsten Legislaturperiode ohnehin frei ist, sich eine Geschäftsordnung zu geben, wie er sie für richtig hält. Wir hielten es aber für gänzlich unangebracht, wenn über solche speziellen Fragen in der konstituierenden Sitzung eines neuen Landtages debattiert werden müßte.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Scharf, CDU: Das stimmt doch gar nicht! Es hat jahrelang Vor- gespräche gegeben!)

Wir vermuten, daß der neue Landtag es begrüßen wird, eine solche Regelung bereits vorzufinden, um sie mit der Gesamtheit der übrigen Geschäftsordnungsregelungen erneut in Kraft zu setzen.

Meine Damen und Herren! Sie haben hoffentlich bemerkt, daß ich mich, anders als in den Debatten, die wir in den Jahren 1991, 1993 und 1995 aus diesem Anlaß geführt haben, gänzlich aller Polemik enthalten habe. Ich fordere die Fraktionen der CDU und der PDS auf, sich unseren Gedanken nicht grundsätzlich zu verschließen und im Ältestenrat vorurteilsfrei mitzuberaten.

Wir sind naturgemäß der Ansicht, daß wir die ausgewogenste und beste Formulierung zur Erreichung unseres Ziels gefunden haben, sonst dürften wir sie nicht vorschlagen. Dennoch sind wir anderen Vorschlägen gegenüber offen. Wir sind auch der Ansicht, die in diesem Landtag schon früher geäußert wurde, nämlich daß eine solche Geschäftsordnungsregelung nur in breiter Übereinstimmung der Fraktionen getroffen werden sollte. Wir jedenfalls freuen uns auf die Beratung darüber. Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Re- gierungsbank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Bevor ich dem Abgeordneten Herrn Scharf das Wort erteile, begrüßen wir Gäste der Landeszentrale für politische Bildung, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Wolferode sowie Vertreterinnen und Vertreter des Blinden- und Sehbehindertenverbandes.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich bitte jetzt Herrn Scharf, das Wort zu ergreifen. Bitte, Herr Scharf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Dr. Fikentscher, wenn Sie am 10. März 1995 schon so klug gewesen wären, die Rede zu halten, die Sie heute vor diesem Hause gehalten haben,

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Wolf, DVU - Zurufe von der CDU: Richtig!)

sehr geehrter Kollege Dr. Fikentscher, dann wäre diesem Hohen Haus viel Spott im ganzen Land SachsenAnhalt erspart geblieben.

(Beifall bei der CDU)

Nun gut, wenn eine Einsicht sehr spät kommt, wird sie deshalb nicht automatisch zu einer falschen Einsicht. Deshalb, denke ich, sollten wir heute, wie Sie gesagt haben, tatsächlich unvoreingenommen über dieses Problem beraten und versuchen, dieses leidige Thema, über das wir seit Jahren im Landtag von Sachsen-Anhalt diskutieren, zu einem würdigen Abschluß zu bringen.

Die Neubildung von Fraktionen im Landtag von Sachsen-Anhalt ist kein neues Phänomen. Wir haben es schon öfter erlebt, daß Fraktionen zerbröseln, zerbrechen oder daß sich Abgeordnete zu neuen Fraktionen zusammenschließen.

Fraktionen sind für das Funktionieren einer parlamentarischen Demokratie unverzichtbar. Auf die Rechtsgrundlagen, von der Verfassung über die Geschäftsord

nung und das Fraktionsgesetz bis hin zum Haushaltsgesetz, das wir beschließen, ist schon verschiedentlich hingewiesen worden.

Meine Damen und Herren! Wenn auch die Willkür bei der Bildung von Fraktionen eingedämmt werden muß, so darf der Landtag doch nicht der Versuchung erliegen, seinerseits Fraktionsbildungen willkürlich verhindern zu wollen. Dann würde er denselben Fehler begehen.

Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat sowohl in der ersten als auch in der zweiten Legislaturperiode immer wieder Versuche unternommen, die Bildung von Fraktionen nach der Konstituierung des Landtages gewissen Einschränkungen zu unterwerfen. Meine Einbringungsrede vom 10. März 1995 könnte ich bis auf Punkt und Komma heute wiederholen.

(Beifall bei der CDU)

Es hat sich weder die Rechtslage noch die grundsätzliche Bewertung der politischen Situation geändert. Wir hätten damals schon handeln können und handeln jetzt zu spät.

Wir sind sehr wohl für eine wohlabgewogene Geschäftsordnungsänderung. In den Landtagen der Bundesländer und im Bundestag gibt es dafür insgesamt 17 verschiedene Regelungen. Man kann sich eine aussuchen. Sie sind alle mehr oder weniger gut.

Es gibt nur eine, die vor einem Landesverfassungsgericht schon einmal eine Probe bestehen mußte, und zwar die Regelung von Brandenburg. Deshalb haben wir damals die Brandenburger Regelung vorgeschlagen. Aber - ich sage es ganz offen - auch andere Regelungen sind denkbar.

Sie schlagen in etwa eine Mischung aus den Regelungen Bayerns und des Bundestages vor. Es muß ja nicht das Schlechteste sein, wenn man diese beiden zusammenfügt.

(Frau Budde, SPD, lacht)

Ich will damit nur sagen: Es gibt eine gewisse Regelungsbreite, die man sich vorstellen kann. Aber, Kollege Dr. Fikentscher, Sie müssen sich schon fragen lassen, ob Ihre Geschichtsauffassung, die Sie vorhin hier darzulegen versucht haben, nicht doch ein bißchen zu glatt war. Deshalb müssen Sie es sich schon gefallen lassen, daß ich einmal das alte Protokoll über die Landtagssitzung vom 10. März 1995 hervorhole.