Protokoll der Sitzung vom 06.04.2000

(Beifall bei der SPD und von der Regierungs- bank)

Das zeigt mir, mit welcher Fairneß Sie an die Sache herangehen. Ich finde es unerhört, wenn Sie das in das Zentrum Ihrer Rede stellen.

Die Verwaltungsreform ist Chefsache. Die Landesregierung hat ihre eigenen Positionen, auch wenn sie Ihnen vielleicht nicht immer gefallen mögen.

Das Bild vom Bauwerk ist gar nicht so falsch. Es gibt viele alte Gebäude, die vernünftig umgenutzt worden sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß man weiß, wie viele Etagen das Bauwerk haben soll. Das wissen wir, auch wenn das Ihnen nicht paßt. Wir wissen, wie die Mittelinstanz aussehen soll. Die Züge, die wir losschicken, haben auch einen Zielbahnhof; das ist das Landesverwaltungsamt, und das sind die Landkreise.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPDLandtagsfraktion begrüßt das Leitbild und das Programm der Landesregierung zur Modernisierung der Verwaltung des Landes Sachsen-Anhalt.

Der Landtag wird sich in der Folge an der Diskussion beteiligen. Er wird dieses Leitbild weiter untersetzen; denn es gilt, die Zielzahlen des Leitbildes zu erreichen: Verringerung der derzeit 15 Landesoberbehörden um die Hälfte, Reduzierung der Behörden auf der Ortsinstanz um ein Drittel. Was die Ministerien angeht, nutzt die Regierung die Situation, daß wir nun eine sozialdemokratische Oberbürgermeisterin in Halle haben, dazu, auf der Ministerialebene zusammenzufassen.

(Beifall bei der SPD)

Der Ministerpräsident hat heute eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen unterbreitet. Dies begrüßen wir, da es den unzutreffenden Vorwurf ausräumt, die Landesregierung wolle nur die kommunale Ebene neu gestalten, halte sich aber bei der Landesverwaltung vornehm zurück.

Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten weist in die richtige Richtung, weil sie eine Kommunalisie- rung von Aufgaben mit der Konzentration verbleibender Aufgaben bei weit weniger Landesbehörden verbin- det. Genau so stellt sich die SPD-Fraktion den Reformprozeß vor.

(Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Der Ministerpräsident hat heute politische Klarheit geschaffen und eine Lücke geschlossen, die nur er schließen konnte. Die SPD-Landtagsfraktion will ge- nau wie die Landesregierung eine ganzheitliche Reform. Die Verwaltungsebenen in Sachsen-Anhalt sind von den Gemeinden bis hin zur Landesregierung zu modernisieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich wünsche mir, daß diese Haltung Grundkonsens der großen Parteien dieses Landes ist. Das heißt nicht, daß wir nur alles nachbeten, sondern das heißt, daß es einen konstruktiven Diskussionsprozeß zwischen Landesregierung und SPD-Fraktion auf der einen Seite und dem Parlament auf der anderen Seite gibt. Der Ausschuß ist dafür die Garantie.

Soweit aber heute wieder das methodische Beden- ken angeklungen ist, vor allem anderen müsse die Aufgabenkritik durchgeführt werden, ist dies von uns als wenig praxistauglich zurückzuweisen. Wir reformieren eine hier und heute arbeitende Verwaltung, in der vielfältigste Interessen aufeinandertreffen. Und bei jeder Aufgabenkritik stellen sich die Betroffenen die Fragen der Zuordnung und künftigen Struktur automatisch und von selbst.

Wenn wir also nicht wollen, daß zu dem Ameisenhaufen freiwillige Phase der Gebietsreform ein Termitenhügel Landesverwaltung hinzukommt, müssen wir sehr geordnet und schrittweise vorgehen, so wie es der Ministerpräsident heute beschrieben hat.

Im übrigen könnte uns das Bild vom Ameisenhaufen auch sehr ehren; denn das vermeintliche Chaos eines Ameisenhaufens oder eines Termitenhügels hat sehr wohl eine innere Ordnung. Da macht keiner einen Schritt, den er vorher nicht kannte.

Deshalb ist es wirklichkeitsfremd, die Fragen der Aufgabenzuordnung und der Struktur der Verwaltung nicht von Anfang an mitzudenken. Der von der Landesregierung gewählte ganzheitliche Denkansatz ist der einzig erfolgversprechende. Andere Auffassungen sind eher fundamentalistischer Natur, sie taugen für wissenschaftliche Seminare, aber nicht für eine laufende Landesregierung und Landesverwaltung.

Die gebetsmühlenhaft vorgebrachte Kritik soll auch allein als Ausrede dafür herhalten, keine konkreten Aussagen zu künftigen Strukturen treffen zu müssen und damit die Reform blockieren zu können oder zumindest nicht mitdenken zu müssen. Ich weiß auch, daß es bei manchen Themen einfacher ist zu kritisieren, als machbare Lösungen finden zu müssen.

Damit die Reform nicht in Gefahr gerät, von Bedenkenträgern und Besitzstandswahrern zerredet zu werden, will ich noch einmal nachdrücklich die Gründe zum Handeln in Erinnerung rufen. Sie sind nur nachrangig, also a u c h fiskalischer Natur. Das Leitbild der Landesregierung enthält Ausführungen zu den Themen Strukturwandel in der Dienstleistungsgesellschaft, demographische Entwicklung und globaler Wettbewerb. Das sind die entscheidenden Gründe, und nur unter anderem die fiskalischen.

Ziel ist es, Sachsen-Anhalt als ein Land zu gestalten, in dem zwar das Staatssäckel leer sein mag, in dem die Menschen aber trotzdem gern leben. Daher brauchen wir eine Verwaltung, die nicht kopflastig mit sich selbst beschäftigt ist, sondern die in der Lage ist, ein Optimum an Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zu erbringen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind.

Die Frage lautet: Sollen die unvermeidlichen Einsparungen bei der Verwaltung der Verwaltung erfolgen oder dort, wo unmittelbare Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger erbracht werden?

Anstrengungen bei der Verwaltungsreform stärken auch unsere Verhandlungsposition bei den anstehenden Neuverhandlungen zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt. Das sollte nicht vergessen werden. Schon zum 31. Dezember 2002 muß ein Maßstäbegesetz zum Länderfinanzausgleich vorliegen, und der Solidarpakt läuft im Jahr 2004 aus. Niemand weiß, ob wir im Jahr 2006 noch Ziel-1-Gebiet der Europäischen Union sein werden.

Der Osten und gerade Sachsen-Anhalt hat sehr berechtigte Ansprüche auf verstetigte finanzielle Unterstützung. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben jüngst zutreffend festgestellt, der Westen müsse sich darauf einstellen, daß noch sehr lange Hilfe erforderlich sein wird. Anders ist der Rückstand in den neuen Ländern nicht aufzuholen.

Aber bei dem Verteilungskampf um die Steuergelder werden die westlichen Bundesländer ihre eigenen Interessen nicht ohne weiteres zurückstellen. Sie werden Argumente suchen, mit denen sie eine Verstetigung der Hilfen zu verhindern suchen; und zur Zeit liefern wir in Ostdeutschland den Geberländern Argumente: Ihr leistet euch eine ineffiziente, überteuerte Verwaltung, Stichwort 33 Bedienstete auf 1 000 Einwohner; ihr leistet euch zu viele Gemeinden, ihr leistet euch nicht finanzierbare konsumtive Ausgaben oder zumindest konsumtive Ausgaben, die in den alten Bundesländern nicht die Regel sind. Wir, die Altbundesländer, sind nicht bereit, für all dies zu zahlen.

Deshalb, meine Damen und Herren, auch deshalb brauchen wir die Verwaltungsreform.

Nach der Wiedervereinigung ist die Chance verpaßt worden, in den neuen Ländern eine modernere Verwaltung als in den alten Ländern aufzubauen, so wie der Reformstau auch in anderen Bereichen nicht abgebaut worden ist. Wir sollten deshalb diese Anstrengungen heute nachholen.

Um politische Gestaltungsspielräume zu gewinnen, haben wir gar keine andere Wahl als bei der Verwaltungsreform erfolgreich zu sein. Deshalb ist es wichtig, daß wir in den Verhandlungen mit den Westländern sa- gen können - ich möchte hier ein Wort von Ihnen, Herr Becker, aufgreifen -: „Seht, wir sind zwar ein armes Land, aber wir haben die beste Verwaltung.“

Wir sollten das immer im Hinterkopf haben: Wer die Verwaltungsreform verhindert, wer die Kommunalreform verhindert, gefährdet die finanzielle Ausstattung Sachsen-Anhalts.

(Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Niemand hier im Hause kann Interesse daran haben, ein weiteres Kapitel zum Reformstau in Deutschland mitzuschreiben. Unser Ziel ist es, die bislang von den Regierungspräsidien und Sonderbehörden wahrgenommenen bündelungsrelevanten Aufgaben grundsätzlich auf die Ebene der Landkreise zu übertragen,

(Zuruf von der CDU)

wenn diese die dafür erforderliche Verwaltungskraft erlangen. - Sie sollten immer den Nachsatz mithören.

Ein Beispiel ist die Übertragung der Aufsichtsfunktion über Einrichtungen der Jugendhilfe. Das können Sie in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten nachlesen.

In dem künftigen Landesverwaltungsamt werden zum einen jene Aufgaben zu konzentrieren sein, die auch nach einer Kommunalreform noch einer überkreislichen Bündelung bedürfen, und Sonderbehörden sollen integriert werden. Bis zum Jahr 2005 sollten das Nebeneinander und das Durcheinander in der staatlichen Mittelinstanz endgültig überwunden sein.

Veränderungen sind auch auf der unteren Ebene staatlicher Aufgabenerfüllung angezeigt. Dabei darf es auch

keine Tabus geben. Die Überlegung des Ministerpräsidenten, das elektronische Grundbuch mit dem Liegenschaftskataster zu einem modernen Grundstücksinformationssystem zu verbinden, verdient Unterstützung. Es ist bedauerlich, daß bundesrechtliche Vorgaben hier hinderlich wirken.

Die Erinnerung an das Liegenschaftswesen der DDR sollte aber nicht gegen sinnvolle Erneuerungsbestrebungen ins Feld geführt werden. Es geht auch nicht darum, die Erfolge der in Sachsen-Anhalt bereits durchgeführten Reform der Katasterverwaltung in Frage zu stellen. Aber nachdenkenswert erscheint mir eine Zusammenführung der Katasterverwaltung mit den Grundbuchämtern an den Amtsgerichtsstandorten, an denen sich weiterhin ein Katasteramt befindet.

Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat seine Vorschläge zur Funktionalreform richtigerweise unter den Vorbehalt der Umsetzung des die Kommunen betreffenden Leitbildes gestellt; denn eine Aufgabenübertragung auf die Kommunen ist nur dann vertretbar, wenn diese über die notwendige Leistungsfähigkeit verfügen.

Unserer Auffassung nach ist die Kommunalreform unverzüglich mittels eines Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform vorzubereiten und zu sichern. Daran, meine Damen und Herren von der CDU, ändert auch Ihre plakative Auslegung des Leitbildes in der letzten Sitzung des Ausschusses nichts.

Ich will auch an dieser Stelle das Anliegen der SPD betonen, daß bei einer Kommunalreform die örtliche Identität geschützt und gewahrt bleibt. Diese Sicherung muß schon durch das Vorschaltgesetz erfolgen, und zwar dadurch, daß eingemeindete Gemeinden Ortsbürgermeister, Ortschaftsrat und Ortsschild behalten können, daß der Ortsbürgermeister ein aufschiebendes Vetorecht haben kann, daß die eingemeindeten Gemeinden, sofern sie dafür groß genug sind, ein eigener Wahlbereich werden und daß die Kompetenzen des Ortschaftsrates erweitert werden.

Im übrigen hat der Ministerpräsident darauf hingewiesen, welche Möglichkeiten die Informationstechnologien - ich nenne das Stichwort Bürgerbüros - zur Sicherstellung der dörflichen Identität und zur Stärkung der Bürgernähe und Kompetenz der Verwaltung bieten.

Das Engagement von Microsoft in Wernigerode kann hier als Initialzündung für das ganze Land angesehen werden. Infolge der Verträge des Landes mit der Telekom, mit Cisco und Microsoft über den erweiterten Einsatz der Informationstechnologien in den Verwaltungen können wir effizientere, schnellere und leichter zugängliche und bürgerfreundlichere Verwaltungen schaffen. Dies kann dann auch helfen, neue Arbeitsplätze im Ausgleich für solche zu schaffen, die in der Verwaltung wegfallen.

Der Grund, warum ich die Maßnahmen zur Wahrung der örtlichen, der dörflichen Identität näher erwähne, ist aber der Umstand, Herr Bergner, daß hier im Hause schon die Rede davon war, daß die Landesregierung einfach so 1 000 Gemeinden schlachten wolle.

(Herr Becker, CDU: Einfluß! - Minister Herr Dr. Püchel: Schlachten! Nicht Einfluß, sondern schlachten!)

- Schlachten, Herr Becker, schlachten! - Wer sich derartig äußert, ist meines Erachtens nicht an einer konstruktiven Mitarbeit an der Kommunalreform interessiert,

sondern polemisiert allein zum Zwecke ihrer Verhinderung.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Da Funktionalreform aber ohne Kommunalreform nicht geht, sondern allein eine ganzheitliche Reform möglich ist, will er im Ergebnis allen Lippenbekenntnissen zum Trotz auch diese verhindern. Um es ganz offen zu sagen: Ich wünsche mir für die Arbeit im zeitweiligen Ausschuß, daß die konstruktiven Kräfte in der CDUFraktion sich durchzusetzen vermögen.

(Zustimmung bei der SPD)

In einem Punkt allerdings hat sich die CDU SachsenAnhalts bewegt. In ihrem Eckpunktepapier vom 6. Dezember 1999 zur Diskussion um die Gebietsreform findet sich die mutige Ankündigung:

„Aus heutiger Sicht muß über die Anzahl der Regierungspräsidien neu nachgedacht werden.“