Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

Auch in Sachsen-Anhalt wurde das Projekt „Jobrotation“ als Modellprojekt durchgeführt. Es hat in Sachsen-Anhalt wie auch in anderen Bundesländern, beispielsweise in Bremen und in Bayern oder seit Jahren in den skandinavischen Ländern, große Erfolge aufzuweisen.

Beispielsweise gibt es einen sogenannten Klebeeffekt. Das heißt, daß Mitarbeiterinnen in dem Betrieb, in dem sie stellvertretend tätig waren, bleiben können oder daß die Unternehmen sich gegenseitig Mitarbeiterinnen, mit denen sie sehr zufrieden waren, empfehlen. So liegt die Quote der Vermittlungen in diesem Bereich zwischen 60 % und 70 %.

Finanziert wurde das Projekt aus Mitteln der Gemeinschaftsinitiative „Adapt“ der Europäischen Union, aus Landesmitteln und aus Mitteln des Arbeitsamts. An dieser Stelle beginnen die Probleme.

Erstens. Es war ein Modellprojekt. Wie immer bei Modellprojekten ist unklar, wie es nach der Modellphase weitergeht. Das ist ein grundsätzliches Problem, erst recht aber bei Projekten, deren Sinnhaftigkeit augenscheinlich ist. Es ist einfach schade, daß ein Projekt, von dem alle meinen, daß es sinnvoll und erfolgreich ist, nicht aus der Modellphase in eine Regelphase überführt werden kann.

Zweitens. Die Rahmenbedingungen des Sozialgesetzbuches III und die Regelungen der Arbeitsförderung setzen oftmals Grenzen, die die Projekte konterkarieren.

Drittens. Die Modellphase läßt nicht genug Zeit, um das Projekt ausreichend bekanntzumachen. Das Geld für die Werbung und die Öffentlichkeitsarbeit fehlt in der Regel. Damit werden Effekte verschenkt. Man könnte das Projekt möglicherweise irgendwann auf eigene Füße stellen. Aber das geht auf diese Weise einfach nicht.

Viertens. Probleme gibt es auch in den Unternehmen selbst. Sie unterschätzen offenbar noch die Wirkungen von Qualifikation. Damit verschenken sie Möglichkeiten zur Erhöhung ihrer eigenen Produktivität. Es müßte viel mehr Zeit zur Verfügung stehen, um dieses Bild von Qualifikation und Weiterbildung auch in Sachsen-Anhalt umzukehren.

Die PDS-Fraktion schlägt deshalb vor, sich in den Ausschüssen für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten das Projekt genauer vorstellen zu lassen und nach Möglichkeiten zu suchen, es in Sachsen-Anhalt weiterzuführen.

Ich weiß, daß sowohl Mitglieder der SPD als auch der CDU Interesse an diesem Projekt haben. Ich habe beispielsweise gehört, daß Frau Angela Merkel dieses Projekt entdeckt und gelobt hat. Ich weiß auch von der SPD, daß sie das Projekt kennt und sich auch mit dem Problem vertraut gemacht hat. Ich erwarte deshalb eine breite Zustimmung. Ich denke, wir können über den Antrag direkt abstimmen, weil er eine Ausschußbefassung zum Inhalt hat. - Ich bedanke mich.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge CDU, DVU-FL, SPD, FDVP und PDS. Zunächst erteile ich jedoch für die Landesregierung der Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren! Bevor die Ministerin spricht, möchte ich Sie darum bitten, etwas konzentrierter zu sein und nicht so zu tun, als ob uns die behandelten Themen alle nichts angingen. Diesen Eindruck hatte ich bereits während der Behandlung der letzten Tagesordnungspunkte von manchen meiner Kolleginnen und Kollegen gewonnen. Ich bitte Sie, den Lärmpegel zu senken. Wenn Sie unbedingt reden müssen, tun Sie es außerhalb des Saales. - Bitte, Frau Ministerin. Entschuldigung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Das im Antrag der PDS-Fraktion angesprochene Modellprojekt zur Jobrotation wurde seit Anfang 1998 im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative „Adapt“ mit Mitteln des Landes und des Europäischen Sozialfonds gefördert.

Der Inhalt des Projektes war die Erprobung neuer Ansätze in der bedarfsgerechten Qualifizierung von Beschäftigten in Unternehmen bei gleichzeitiger Übertragung des in den skandinavischen Ländern entwickelten Modells der Jobrotation auf sachsen-anhaltische Verhältnisse.

Das Modell funktioniert nach einem ganz einfachen Schema. Den Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben wird eine bedarfsgerechte Weiterbildung angeboten. Dafür werden diese Beschäftigten zeitweise von ihren Unternehmen freigestellt.

Während der Zeit der Freistellung wird ihre Arbeit durch bisher arbeitslose Fachkräfte stellvertretend übernommen. Dadurch können die Probleme des Betriebes, die durch die Abwesenheit einer bewährten Fachkraft entstehen, gemildert werden, und gleichzeitig wird den stellvertretend Arbeitenden die Möglichkeit gegeben, Praxiserfahrungen zu sammeln und die Chancen auf eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt damit zu erhöhen.

Inzwischen wurde das Modellprojekt abgeschlossen. Eine erste Auswertung der Ergebnisse zeigt, daß mit diesem Verfahren ein grundsätzlich erfolgreicher neuer Weg der Arbeitsmarkt-, aber letzten Endes auch der Wirtschaftsförderung gefunden wurde. Mein Haus arbeitet zur Zeit daran, eine breite Förderung von Jobrotationsprojekten unter Nutzung der Erfahrungen aus diesem Modellprojekt vorzubereiten.

Ich bin gern bereit, in den Ausschüssen für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten über die Ergebnisse des Modellprojektes zu informieren und die Diskussion in den Ausschüssen dann auch bei der weiteren Ausgestaltung der Förderung in diesem Bereich zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Dir- lich, PDS)

Danke, Frau Ministerin. - Frau Stange hat jetzt für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat sind diese Projekte, die in der Bundesrepublik Deutschland leider noch nicht so laufen, wie wir alle uns das wünschen würden, in den skandinavischen Ländern sehr gute Beispiele. Sie bringen Vorteile für alle: Vorteile für die Unternehmen, Vorteile für die Beschäftigten, Vorteile für die Stellvertreter.

Aber es gibt auch unterschiedliche Möglichkeiten und unterschiedliche Facetten und Ansatzpunkte in den einzelnen Bereichen. Wir sollten im Ausschuß auch darüber diskutieren, wie in der Bundesrepublik Deutschland unterschiedliche Ansatzpunkte genutzt werden, wie wir in der Gemeinsamkeit den Unternehmen helfen können, wie wir Mittel des zweiten Arbeitsmarktes sehr intensiv einsetzen können - das haben die Modellprojekte ja schon gezeigt -, wie wir den Unternehmen helfen können, tatsächlich jede Mark für die Weiterbildung einzusetzen, damit sie erkennen: Lebenslanges Weiterbilden ist für die Unternehmen gut, ist für die Beschäftigten gut und ist auch für die gesamte Entwicklung unseres Landes gut.

Studien und Untersuchungen haben nämlich gezeigt, daß die Richtigkeit des Schlagwortes vom lebenslangen Lernen noch nicht von allen erkannt worden ist. Es handelt sich zwar um eine Studie aus dem Jahre 1998, aber danach sind erst 64 % der Beschäftigten und 55 % der Arbeitslosen bereit, lebenslang zu lernen.

Diesbezüglich haben wir noch eine ganze Menge zu tun, und wir wollen es auch tun. Wir wollen diese Vorteile nutzen und auch versuchen, herauszubekommen, wie wir diesen Managementbereich, den Kopfbereich, unterstützen können und wie wir, wie gesagt, die finanziellen Mittel, die wir haben, die Mittel aus dem Landeshaushalt, von der Europäischen Union und vom Arbeitsamt, so verteilen können, daß sie effektiv eingesetzt werden.

Wir sind sehr dankbar, daß zum Beispiel jetzt auch der Arbeitsamtsdirektor Mittel in den investiven Bereich verschieben will, weil wir uns auf diese Weise noch besser Gedanken machen, wie wir jede Mark der Bundesanstalt für Arbeit effektiv einsetzen können, um unsere Unternehmen zu unterstützen. Das ist ein Anliegen der CDUFraktion, das wir im Ausschuß gemeinsam besprechen wollen.

Kurzum, wir stimmen dem Antrag zu, und wir würden uns freuen, wenn wir auch die beiden Träger des Modellprojektes mit im Ausschuß hätten, um gemeinsam zu beraten.

Wir weisen aber darauf hin, daß wir keine vorgezogenen Beratungen über den Haushalt des Jahres 2001 durchführen können. Das ist die Gratwanderung, die wir machen.

In diesem Sinne ist unsere Zustimmung gegeben. Wir freuen uns auf die Beratungen mit allen, die an diesen Projekten beteiligt sind. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Frau Dir- lich, PDS)

Die DVU-FL-Fraktion verzichtet auf einen Redebeitrag. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Ute Fischer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Gemeinschaftsinitiative Adapt - Jobrotation“ war für mich ein seltsamer Begriff, als uns ein Bildungsträger aus Magdeburg anschrieb und sich im Arbeitskreis Arbeitsmarktpolitik unserer Fraktion vorstellen wollte.

Nach der Vorstellung war ich sehr skeptisch, denn ich habe mich gefragt: Welches mittelständische Unternehmen läßt einen Bildungsträger so genau in Unterlagen, in Betriebsabläufe hineinsehen, daß der Bildungsträger erkennt, welcher Weiterbildungsbedarf bei den einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorliegt, und wie schafft es der Bildungsträger, wenn er den Bedarf entdeckt hat, auch noch den betreffenden Menschen zu motivieren, daß er sich diese Bildung aneignet?

Weiter habe ich mir gesagt: Der Bildungsträger muß auch noch ein Qualifizierungsprogramm entwickeln, damit mehrere Beschäftigte gleichzeitig nach gleichem Programm qualifiziert werden können. Man muß also Klassen oder Gruppen zusammenstellen.

Hinzu kommt, daß Arbeitslose, die sich meistens schon länger außerhalb des Geschehens befinden, so speziell auf diesen Arbeitsplatz vorbereitet werden müssen, daß sie diese Arbeit lückenlos und ohne Einbruch für das Unternehmen fortführen können. Ja, wie schafft ein Bildungsträger das? Sind Unternehmen überhaupt bereit, jemanden so genau hinsehen zu lassen?

Und wie fühlt sich so eine Austauscharbeitskraft? Erst wird sie qualifiziert, dann wird sie dorthin geschickt, muß vier oder sechs Wochen dort arbeiten und bekommt hinterher gesagt: Das haben Sie gut gemacht, das war es dann!

Ich hatte also Vorbehalte. Nachdem ich inzwischen bei der ersten Auswertung des Bildungsträgers war und mir auch in Halle bei einem weiteren Bildungsträger die Modelle angesehen habe, mit den beiden Partnern auch gesprochen habe, also dem, der weiter qualifiziert wird, und dem, der als Austauschkraft hingeht, bin ich zum Fürsprecher dieser Modelle geworden.

Denn erstens entsteht ein hoher Klebeeffekt nicht nur in dem Unternehmen, in das die Austauscharbeitnehmerin geht, sondern auch durch Weitersagen: Du, ich weiß da jemanden, der oder die ist top qualifiziert und paßt in dein Unternehmen. - Zweitens ist Qualifikation für Unternehmen immer auch Innovation.

Ich denke, alle, auch kleine Segmente in der Arbeitsmarktpolitik müssen wir zu nutzen versuchen, um die Weiterbildung in den Unternehmen voranzutreiben, was Wirtschaftsförderung ist und auch Arbeitsplätze erhält, neue Arbeitsplätze schafft und Arbeitslosigkeit verhindert, und um eben diesen Klebeeffekt herzustellen.

Aus diesem Grunde befürworte ich inzwischen diese Modelle, und ich bin sehr daran interessiert, daß wir im Ausschuß darüber reden, daß wir darüber sprechen, wie wir die Weiterfinanzierung sicherstellen können.

Das Arbeitsamt hat sich schon weitestgehend bereit erklärt, zumindest den Part für die Arbeitslosen zu übernehmen. Wir müssen sehen, ob Unternehmen und

Unternehmensverbände den finanziellen Teil der Unternehmensweiterbildung übernehmen, so daß der Betrag für das Ministerium oder den ESF nicht allzu hoch wird.

Wir dürfen keine Chance verpassen, keine Möglichkeiten auslassen. Wir müssen jede Lücke besetzen, wenn es darum geht, Arbeitslose in Unternehmen zu vermitteln. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Für die FDVP-Fraktion hat der Abgeordnete Herr Wolf das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben den Eindruck, die Regierung läßt mal wieder über die PDS diesen Antrag einbringen.

(Herr Dr. Süß, PDS: Ach, hören Sie doch auf!)

Im Prinzip tauschen bei der Jobrotation zwei Arbeitnehmer für begrenzte Zeit ihre Plätze. Nicht mehr und auch nicht weniger passiert an dieser Stelle. Ein Arbeitnehmer nimmt bei vollen Bezügen an einer Weiterbildungsmaßnahme teil und wird für die Zeit seiner Weiterbildung durch einen vorher qualifizierten und eingearbeiteten Arbeitslosen vertreten.

Daß die Rotation bruchfrei verläuft, ist nicht anzunehmen. Wir haben es mit einem Notnagel zu tun. Das ist voranzustellen.

Normalerweise soll gewährleistet werden, daß während der Weiterbildung des Arbeitnehmers sein Tätigkeitsbereich nicht vernachlässigt wird. Weitab jeder Normalität, nämlich in Sachsen-Anhalt, wird daraus ein ganz anderer Schuh. Es ist das schüchterne Eingeständnis der Regierung, Arbeitsmarktprobleme nicht zu beherrschen. Nach außen freilich soll der Eindruck einer Initiative erweckt werden.

Jobrotation wird im Norden Europas seit Ende der 80er Jahre durchaus erfolgreich durchgeführt. Jährlich sind in Dänemark ca. 32 000 Beschäftigte, Arbeitsuchende und Unternehmen in Jobrotationsmaßnahmen eingebunden. In Schweden sind es gegenwärtig rund 40 000.