Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

Mit der Antwort auf die Große Anfrage liegen nun Antworten auf eine Reihe von Fragestellungen vor. Dazu möchte ich einige Anmerkungen machen.

Sie sagen zu Recht, die Fragen zielten auf die Qualität der beruflichen Ausbildung. Aus den vorgelegten Ergebnissen bezüglich der Ausbildungsabbrüche beziehungsweise der Quoten der Prüfungsversager direkt auf die Qualität zu schließen ist allerdings problematisch, weil es in den Ausbildungsberufen unterschiedliche Verteilungen der Jugendlichen gibt. Sie haben beispielsweise im öffentlichen Dienst Versagensquoten von 6,7 %, bei den freien Berufen von 6,9 %, während diese Quoten in den Bereichen Landwirtschaft und Handwerk bei über 20 % liegen.

Warum ist das so? Sie haben im öffentlichen Dienst und in den freien Berufen einen erheblich höheren Anteil an Abiturientinnen und Abiturienten in den Ausbildungsberufen. Sie haben auch eine höhere Bewerberzahl und deswegen natürlich eine positive Selektion im Sinne der Leistungsfähigkeit. Das wirkt sich wiederum auf die Prüfungsergebnisse aus.

Bei den staatlichen Sonderprogrammen und bei den Unterschieden zur betrieblichen Ausbildung muß darauf hingewiesen werden, daß in diesem Bereich - Sie haben es auch gesagt - auch der Verdrängungseffekt eintritt und daß sich bei dem Druck auf die begehrteren betrieblichen Ausbildungsplätze die Firmen selbstverständlich die leistungsstärkeren Jugendlichen heraussuchen. Das führt dazu, daß wir in den Sonderprogrammen vor größeren Schwierigkeiten stehen und deswegen Abbruch- und Wechselquoten keineswegs erstaunlich sind. Das gilt auch für Ausbildungsabbrüche.

Das System der Sondermaßnahmen, mit denen wir versuchen, tatsächlich jedem jungen Menschen einen Ausbildungsplatz anbieten zu können, führt auch dazu, daß wir Plätze anbieten, bei denen keine Ausbildungsvergütung bezahlt wird. Junge Menschen orientieren sich aber auch an sozialer und finanzieller Sicherheit und drängen natürlich in die Bereiche, in denen sie eine Bezahlung bekommen. Das kann man ihnen auch nicht vorwerfen.

Das heißt, Ausbildungsabbrüche müßten daraufhin untersucht werden - diese Zahlen legt das Statistische Landesamt nicht vor -, an welcher Stelle ein Wechsel in andere Ausbildungsverhältnisse vorgenommen wird. Diese Zahlen kann ich Ihnen leider nicht vorlegen.

Ein weiterer Punkt, der mich natürlich sorgenvoll stimmt, ist, daß wir mit den Angeboten nicht immer die Wunschberufe der Jugendlichen treffen. Gespräche mit Jugendlichen auch in Berufsschulen machen mir deutlich, daß an vielen Stellen ganz andere individuelle Vorstellungen vorhanden waren als die, die sich dann in den angebotenen Ausbildungsgängen realisieren. Das führt auch dazu, daß sich die Jugendlichen weiter umschauen, und ich glaube, auch dies sollten wir ihnen nicht vorwerfen.

Wir sind also in einer Situation, in der wir angesichts einer schwierigen Lage auf dem Ausbildungsmarkt gemeinsam versuchen müssen, vor dem Hintergrund, daß eine absolvierte Ausbildung besser ist als keine Ausbildung, jedem jungen Menschen eine Ausbildung anzubieten. Wir sollten mit der Wirtschaft gemeinsam konstruktiv erörtern - dies tun wir in der zentralen Arbeitsgruppe -, wie die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, insbesondere der 49 % der Betriebe, die derzeit noch nicht ausbilden, gesteigert werden kann; aber wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, daß viele Betriebe im Lande über ihren Bedarf hinaus ausbilden, weil sie etwas für die Qualifizierung des Nachwuchses tun wollen.

Bei der Qualitätssicherung glaube ich, daß wir uns weiter darum bemühen sollten, die Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahres auch in den neuen Bundesländern zu erreichen und die fehlende Zertifizierung von erfolgreich absolvierten Teilen der Berufsausbildung voranzutreiben. Wir werden unter dem nächsten Tagesordnungspunkt über diese Fragen reden. Das ist sowohl aus bildungsökonomischer Sicht als auch aus der Sicht der Ausbildungs- und Berufschancen für die jungen Menschen sinnvoll.

Die gegenwärtigen Reformbestrebungen zur Weiterentwicklung des Systems der dualen Berufsausbildung, an denen sich die Landesregierung übrigens intensiv beteiligt, deuten einen gewissen Konsens an, daß künftig auch Teilabschnitte, Module oder Bausteine zertifiziert werden können und daß dann aufeinander aufbauende Ausbildungsleistungen entwickelt werden können.

Bei der Qualitätssicherung der Berufsbildung spielt auch der Lernort Berufsschule, für den das Land die Verantwortung trägt, eine erhebliche Rolle. Sie haben vorhin gesagt, Frau Ferchland, an den Berufsschulen sei der Unterrichtsausfall die Regel. Das ist falsch. Wir haben an einzelnen Stellen Probleme mit Unterrichtsausfall, aber die Unterrichtsversorgung in der Berufsbildung wird mit großen Anstrengungen auch seitens der Schulen vorangetrieben. Auch die bauliche Ausstattung der Berufsschulen ist nicht durchgängig schlecht. Ganz im Gegenteil, das Land hat aus Landes- und EU-Mitteln in den letzten Jahren 670 Millionen DM investiert, und wir werden auch in der nächsten Förderperiode gemeinsam mit den Landkreisen an einer Weiterentwicklung und Verbesserung der materiellen Grundlagen in der Berufsbildung arbeiten.

Wir haben allerdings - das wird im gesamten Schulbau und auch im öffentlichen Bau generell immer mehr deutlich - ein Auseinanderfallen zwischen den neuen Berufsbildungszentren und den Schulen, bei denen derzeit noch alte Teile von Betriebsberufsschulen oder Kreisberufsschulen weitergeführt werden müssen. Die Schulentwicklungsplanung des kommenden Jahres wird die Grundlagen für die weitere Planung legen, und ich werde die Kreise dabei unterstützen, ein leistungsfähiges Berufsbildungsnetz zur Verfügung zu stellen.

Insgesamt stelle ich fest: Die Bereitschaft, an der Zukunftsgestaltung für junge Menschen im Lande aktiv mitzuwirken, ist in Wirtschaft, Politik und Verwaltung und bei den Verbänden weit verbreitet. In der zentralen Arbeitsgruppe wird streitig, aber konstruktiv diskutiert.

Ich glaube, daß wir an dieser Stelle auf dem richtigen Weg sind, auch wenn wir bekennen müssen, daß die Sondermaßnahmen unseren qualitativen Ansprüchen nicht immer genügen können. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Krause, PDS)

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage von Herrn Schomburg zu beantworten?

Selbstverständlich.

Herr Schomburg, bitte.

Herr Minister, Sie haben die Anrechnung des Berufsgrundbildungsjahres auf die Ausbildungszeit angesprochen. Dies mag aus bildungsökonomischer Sicht durchaus verständlich sein.

Nun ist mir aus Gesprächen mit der Handwerkskammer und Vertretern des Handwerks aus Niedersachsen bekannt, daß diese eindringlich davor warnen, weil sie im direkten Vergleich der Auszubildenden aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zu der Erkenntnis gelangt sind, daß die Auszubildenden aus Sachsen-Anhalt in bezug auf ihre fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse grundsätzlich besser waren. Die Handwerkskammer in Niedersachsen führt das auf die Anerkennung des Berufsgrundbildungsjahres in Niedersachsen zurück.

Man tut den Jugendlichen doch keinen Gefallen, wenn man an der Qualität der Ausbildung Abstriche macht, um sie künstlich zu verkürzen. Wie sehen Sie das?

Herr Schomburg, zum einen macht die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Jugendlichen, die aus SachsenAnhalt nach Niedersachsen wandern, auf ein ganz anderes Problem aufmerksam, nämlich darauf, daß teilweise die Besten weggehen. Das hat damit zu tun, daß die Jugendlichen, die am mobilsten sind und sich vorstellen können, woanders hinzugehen, teilweise auch andere Voraussetzungen mitbringen.

Zum anderen werden im Westen ganz gezielt - das haben wir auch in anderen Bereichen - in den Auswahlgesprächen die Besten herausgesucht. Ich meine, daß das nicht verwunderlich ist, wenn das Angebot groß ist.

Ich glaube, daß kein Zusammenhang zwischen der streitig diskutierten Frage der Anerkennung des Berufsgrundbildungsjahres und der Qualität der Ausbildung besteht.

Ich frage andersherum: Warum sollen wir vor dem Hintergrund einer Diskussion, die gerade auch Ihre Partei sehr intensiv führt, nämlich über die notwendige Verkürzung von Ausbildungszeiten und die Frage, wo Zeit ver

schenkt wird, Jugendliche in großer Zahl und zum Teil in Schulen mit hohem Niveau ein Jahr lang ausbilden, um sie hinterher in einem Lehrverhältnis neu beginnen zu lassen?

Ist es nicht sinnvoller, gemeinsam mit der Wirtschaft Formen zu entwickeln, um sagen zu können, das, was in den Schulen vermittelt wird, bringt weiter und legt solide Grundlagen für einen erfolgreichen Abschluß der Ausbildung? Am Ende der Ausbildung steht die Prüfung vor der Kammer. Dort wird entschieden, ob die Qualität der Ausbildung gut war.

Ich bin mir durchaus dessen bewußt, daß dieser Vorschlag bei der Wirtschaft nicht auf einhellige Zustimmung stößt. Ich glaube aber, daß die Abwehr eher aus ideologischen als aus Gründen der Vernunft kommt. Diesbezüglich sind wir unterschiedlicher Auffassung.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Dr. Heyer)

Danke sehr. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können Schüler des Domgymnasiums Merseburg und der Sekundarschule Bördeaue Wolmirsleben begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der FDVP und der DVU-FL haben auf einen Beitrag verzichtet. Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Siegert für die SPDFraktion das Wort. Bitte, Herr Siegert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte macht deutlich - Frau Ferchland, das sehe ich anders als Sie -, daß der Berufsausbildung Jugendlicher in unserem Land hohe Aufmerksamkeit zukommt. Angesichts der angespannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt kann das nicht verwundern. Schließlich hat die Debatte um die bundesweite sogenannte Greencard deutlich gemacht, wie wichtig es ist, rechtzeitig und unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes und der Nachfrage junge Menschen auszubilden. Sie sichern die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Unstrittig ist, daß sich die hohe Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im wesentlichen aus demographischen Faktoren ergibt. Sie wird dadurch verstärkt, daß sich zu wenige Abiturienten entschließen, eine akademische Ausbildung aufzunehmen. Statt dessen entscheiden sich viele junge Menschen für eine berufliche Ausbildung im dualen System.

Der lebhaften Nachfrage steht aber kein ausreichendes Angebot gegenüber; denn unsere von Strukturumbrüchen gekennzeichnete und von kleinen Betrieben dominierte Wirtschaft ist mit dem Ansturm geburtenstarker Jahrgänge überfordert. Eine Entspannung ist erst in den Jahren 2005 und 2006 zu erwarten.

Bekanntermaßen unternahm die Landesregierung außerordentliche Anstrengungen, um die Lücke im Angebot an Ausbildungsplätzen zu schließen. Es ist ihr Erfolg, daß Sachsen-Anhalt dabei seit Jahren eine Spitzenposition einnimmt.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Ich bringe Ihnen einige Bewerbungen von Jugendlichen, die noch su- chen!)

- Herr Daehre, Sie können nachher gern Fragen stellen. - Gleichwohl müssen wir uns über eines klar sein: In einer sozialen Marktwirtschaft kann der Staat keine umfassende Garantie für ein genau passendes Angebot an Arbeits- und Ausbildungsplätzen abgeben.

(Frau Bull, PDS: Davon sind wir noch weit ent- fernt! Diese Frage steht richtig nicht!)

Er kann sich aber darum bemühen, ein positives Umfeld zu schaffen. Klar ist damit auch, daß die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsplätzen die eigentliche Verantwortung der Unternehmen ist.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Oh, das hört sich aber neu an!)

Es ist ein Ausdruck ihrer sozialen Verantwortung, daß sie auch in schwierigen Zeiten der Strukturumbrüche bemüht sind, so viele Ausbildungsplätze wie möglich zu schaffen und anzubieten.

Trotzdem werden wir - auch das macht die Debatte klar - mittelfristig auf Bundes- und Landesprogramme in der außerbetrieblichen Berufsausbildung nicht verzichten können. Allerdings müssen wir feststellen, daß vor allem das Kooperationsmodell Schule/Wirtschaft auf Akzeptanzgrenzen stößt. Eine weitgehend gute Ausbildungsqualität, ein im Durchschnitt liegendes Bestehen der Abschlußprüfung und überdurchschnittliche Abbrecherquoten bedürfen allerdings einer differenzierten Betrachtung.

Probleme liegen in der eingeschränkten Akzeptanz bei Jugendlichen und Eltern, der deutlich schlechteren Ausbildungsvergütung, einer geringeren Motivation, auch in der Zielgruppe und in der sehr hohen staatlichen Förderung. Die fehlende Praxis erschwert einer im Regelfall leistungsschwächeren Gruppe den Übergang in das Erwerbsleben. Sie haben häufig nicht den gleichen Erfolg wie Jugendliche, die eine betriebliche Ausbildung durchliefen.

Natürlich sind auch nicht alle Schulabgänger im gleichen Umfang für alle Ausbildungsberufe geeignet. Die Anforderungen in neu geordneten Berufen mit gesteigertem Anforderungsprofil können nicht von allen Jugendlichen erfüllt werden. Dies liegt sowohl an den persönlichen Erwartungen, Fähigkeiten und Möglichkeiten als auch an den Rahmenbedingungen der Programme.

Es darf deshalb nicht überraschen, daß die Quote abgebrochener Ausbildungen im Kooperationsprogramm höher lag als in den Unternehmen.

(Frau Ferchland, PDS: Wir haben ja auch Abitu- rienten!)

Wir wünschen uns, daß beide Quoten möglichst gering sind. Allerdings müssen wir anerkennen, daß der Staat nur begrenzte Gestaltungs- und Zugriffsmöglichkeiten hat und haben kann.

Im Hinblick auf mangelnden Schulbesuch müssen wir festhalten, daß die betriebliche Ausbildung in der Regel eine erheblich höhere Motivation bewirkt und das Bestreben stärkt, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Die Zusammenarbeit zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb gestattet es Unternehmen, bei Versäumnissen in der Ausbildung notfalls auf Konsequenzen hinzuweisen und diese auch umzusetzen.

Diese Möglichkeit ist in staatlichen Programmen in dieser Form nicht gegeben. In den außerbetrieblichen Ausbildungen werden als Ursache für Fehlzeiten häufig

Frust, Perspektivlosigkeit, Schulmüdigkeit oder fehlende Erfolgserlebnisse und ähnliches genannt.