Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Wir haben in dem Gesetzentwurf ganz bewusst darauf verzichtet, ein bestimmtes Modell zur Verkürzung der Schulzeit festzuschreiben. In anderen Ländern werden dazu sehr unterschiedliche Versuche unternommen.

Darüber, welches Modell das beste ist, wollen wir ohne jegliche Vorurteile im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft diskutieren. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung und um die Überweisung des Gesetzentwurfes in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der DVU- FL)

Danke sehr. - Minister Herr Dr. Harms, jetzt haben Sie das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Feußner, es ist richtig, dass die Qualität von Bildung nicht mit der in der Schule verbrachten Zeit korreliert werden kann, jedenfalls nicht direkt. Aber auch der Umkehrschluss ist ein Irrtum. Auch weniger in der Schule verbrachte Zeit heißt nicht mehr Bildung.

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Das kommt auf das Niveau an!)

- Man muss ja auf das Niveau reagieren, das man angeboten bekommt.

(Heiterkeit bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Oh!)

Es ist wirklich bedauerlich, dass die CDU die Frage der schulischen Bildung erneut auf die fade Alternative zwischen zwölf und 13 Jahren reduziert und damit zu einer platten Diskussion beiträgt, die der Bildungsfrage meines Erachtens so nicht entspricht, diesmal mit dem vermeintlich schlagenden Argument, wie Sie es gerade ausdrückten, die Schulen könnten es entweder alle oder sie könnten es zum Teil machen.

Lassen Sie mich auf einige Aspekte eingehen. Erstens fordern Sie die Anbindung der Förderstufe an die jeweilige Schulform. Das ist inkonsequent, Frau Feußner, weil eine schulformbezogene Förderstufe keine ist. Von daher müsste man sagen: Sie wollen die Abschaffung der Förderstufe und Ihr Kompromissangebot ist ein rein verbales. Ich hielte das in der Tat für einen Rückschritt.

Zweitens. Eine Schullaufbahnempfehlung nach der 4. Klasse, wie Sie sie laut Begründung fordern, erscheint auf den ersten Blick interessant. Ich glaube auch, dass Grundschullehrerinnen und -lehrer in der Lage sind, aufgrund der Kenntnis der Kinder einiges über ihren weiteren Bildungsweg zu sagen. Aber sie können garantiert nicht - das ist aber Teil Ihres Gesetzentwurfes - eine Empfehlung etwa darüber abgeben, ob jemand nach zwölf oder 13 Jahren Abitur machen kann.

(Beifall bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Das sollen sie doch gar nicht! - Herr Scharf, CDU: Das steht doch gar nicht drin!)

- Doch, doch. Es soll ja Empfehlungen geben, in welche Richtung sie dann zu gehen haben. Mit einer solchen Entscheidung sind sie in jedem Falle vollständig überfordert. Es ist gar nicht Aufgabe der Grundschule, diesbezüglich Empfehlungen zu geben.

(Herr Scharf, CDU: Das steht doch gar nicht zur Debatte! - Herr Gürth, CDU: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

- Ich schreibe meine Reden selber.

(Herr Gürth, CDU: Dann haben Sie es nicht gele- sen!)

Das sind aber nicht die einzigen Aspekte. Jetzt komme ich auf Ihre Fehler zu sprechen. Denn im Moment habe ich ja das Wort; Sie können dann gleich wieder antworten. Es sind nicht die einzigen wirklich ärgerlichen und unseriösen Fehler.

Die CDU belässt in § 5 eine enge Zusammenarbeit zwischen der Förderstufe an der Sekundarschule und der Grundschule. Mir ist völlig unklar, warum man in § 6 auf eine Zusammenarbeit zwischen Gymnasium und Grundschule verzichtet, es sei denn, man will in der Tat eine deutliche Separierung der Kinder haben.

In § 3 Abs. 3 wird vorgeschlagen, künftig generell die dem 10. Schuljahrgang folgenden Schuljahrgänge der Oberstufe zuzuordnen. Das hört sich gut an, funktioniert auch im 13-jährigen Schulsystem, in einem zwölfjährigen System würde es aber bei den bindenden Verabredungen der Länder zwangsweise heißen, dass das Abitur nicht anerkannt ist; denn die Verabredungen zwischen den Ländern setzen eine dreijährige Oberstufe voraus. Das muss man sich einfach vorher ansehen, bevor man das will.

(Beifall bei der SPD)

Die Konsequenz lautet dann aber - darüber muss man sich dann auch im Klaren sein - -

(Zuruf von Herrn Schulze, CDU - Weitere Zurufe von der CDU)

- Nein, nein. Wenn man Gesetze macht, muss man sich die Rechtslage ansehen. Anders geht es nicht. - In diesem Modell hieße es dann: Die 10. Klasse wird der Oberstufe zugeordnet. Damit geht aber das Prinzip der Durchlässigkeit der Bildungsgänge verloren. Ich glaube, das Kompromissangebot wird immer dürftiger.

Ein richtiges Durcheinander würde im Übrigen dann ausbrechen, wenn die Schulen wählen könnten, ob sie ganz oder teilweise das Abitur nach zwölf Jahren vergeben. Denn das sind zwei unterschiedliche Prinzipien, die man übrigens beide mit Fug und Recht verfechten kann. Das eine sind Schnellläuferklassen, in denen ich zugweise die Möglichkeit schaffe, dass begabtere oder befähigtere Schülerinnen und Schüler durch ein - rechtlich betrachtet - gemeinsames Überspringen von Klassenstufen früher das Abitur erreichen. Das andere sind Klassen, die durchgängig 265 Stunden bis zum Abitur erreichen müssen. Dies parallel zu organisieren, würde in der Tat zwei sich ausschließende Systeme nebeneinander stellen.

Mich verblüfft dann die Naivität, angesichts eines solch komplexen Programms zu sagen, das sei alles zum übernächsten Schuljahr entscheidbar. Ich glaube, dass Sie zunächst einmal die Systemfrage klären sollten. Das können Sie nicht einfach in den Ausschuss verlegen. Der Gesetzgeber muss, wenn er einen Gesetzentwurf erhält, schon wissen, worauf das Ganze hinausläuft.

Bei einer Umstellung auf zwölf Jahre, sei es landesweit oder für einzelne Schulen, müssten die Stundenpläne der Klassen so geändert werden, dass eine Anerkennung des Abiturs sichergestellt würde. Eine Umstellung kann frühestens in der 9. Klasse vorgenommen werden, was aber bedeutet, dass die Klassenstufen 9 bis 12 mindestens 36 Wochenstunden Pflichtunterricht - ich betone: Pflichtunterricht - Sie hatten ja schon einiges zum

Sekundarschulbildungsgang gesagt - erhalten müssten. Hinzu kämen Arbeitsgemeinschaften, Wahl-angebote, zusätzliche Angebote. Wenn Sie das zeit- lich durchdenken, sehen Sie die Schwierigkeiten.

Aber das ist nur die eine Seite. Die handwerklichen Fehler des Gesetzentwurfes ließen sich ja durch intensive Beratung korrigieren und darüber könnte man ja reden. Ich glaube aber, dass zwischen der Landesregierung und der CDU-Fraktion noch einige grundsätzliche Unterschiede im Verständnis von Bildung und hinsichtlich der Aufgabe von Bildung bestehen.

Wir gehen davon aus, dass wir auch in Zukunft viele akademisch gebildete junge Leute brauchen. Wir sind der Meinung, dass sie dahin gehend gefördert werden sollten, dass sie eine umfassende Ausbildung erreichen, und wir sind für eine möglichst breite Bildungsbeteiligung. Aus dem Gesetzentwurf spricht die alte Vorstellung, Zugänge zu höherer Bildung eher zu spezialisieren und zu reglementieren.

Die Landesregierung will Auslandsaufenthalte, die auf die Zeit des Bildungsgangs anrechnungsfähig sind. Das ist mit der Einführung des 13. Schuljahres erreicht worden. Mit einer Rückkehr zu zwölf Jahren Schulzeit wären Auslandsaufenthalte nicht mehr anrechenbar. Sie würden somit Ihrem Verkürzungsinteresse entgegenstehen.

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Wir stehen zu einem längeren gemeinsamen Lernen der Kinder und sehen die Durchlässigkeit des Bildungswesens als einen wichtigen Aspekt an, der auch Chancengleichheit garantiert, und haben kein Interesse daran, Kinder schon möglichst frühzeitig auf bestimmte Bildungskarrieren festzulegen. Das ist aber das Interesse Ihres Gesetzentwurfes. Darin unterscheiden wir uns.

Ich weiß, dass Menschen unterschiedlich befähigt und talentiert sind. Das darf aber nicht dazu führen, dass bereits mit zehn Jahren, wenn wichtige Jahre der Entwicklung noch vor den Kindern und Jugendlichen liegen, die Schullaufbahnen komplett voneinander getrennt sind. Dies wird in Ihrem Gesetzentwurf versucht. Ich glaube, dahinter steht ein anderes Menschenbild. Das wollte ich zumindest darlegen.

Wir sind fest davon überzeugt, dass zu Bildung und Entwicklung mehr gehört als das Absitzen von Schulstunden. Darüber besteht, glaube ich, Einigkeit hier im Hause. Wir sind aber auch der Meinung, dass auch selbstständige Aktivitäten am Nachmittag, sei es in Arbeitsgemeinschaften an der Schule, durch zusätzliche Lernangebote oder auch durch freie Angebote von Vereinen, in Musikschulen und Verbänden, nicht zuletzt im Chorwesen - Herr Schomburg, auch das sei erwähnt -, ein wichtiger Teil des Bildungsprozesses sind.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Die mit Ihrer Umstellung verbundenen zeitlichen Belastungen würden dieses insbesondere in den ländlichen Regionen in erheblichem Maße einschränken und es würde auch zu einer Verkümmerung des kulturellen und sozialen Lebens führen.

Deswegen halten wir in der Tat die gemeinsame Diskussion über die Länge von Ausbildungszeiten für notwendig. Dabei müssen wir auch über die Möglichkeit diskutieren, befähigten jungen Menschen schnellere Durchgänge durch das Bildungswesen zu ermöglichen.

Der Modellversuch „13 kompakt“, dessen wesentliche inhaltliche Veränderung im ersten Jahr, nämlich in der

Jahrgangsstufe 11 liegt, ist nach dem, was ich aus den Schulen höre, erfolgreich verlaufen. Sie wissen, dass die Landesregierung auch diesen Weg unterstützt. Sie wissen weiter, dass wir mit der flexiblen Eingangsphase einen Schritt in eine ähnliche Richtung gegangen sind.

Den Schritt, den Sie vorschlagen, kann die Landesregierung allerdings nicht mitgehen. Ich glaube, dass wir unserem Schulwesen mit einem solchen Kurzschluss einen Tort antun würden. Ich beabsichtige, den Landtag in den Ausschussberatungen entsprechend zu beraten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Herr Minister Dr. Harms, der Abgeordnete Herr Dr. Bergner hat eine Frage. - Bitte, Herr Dr. Bergner.

Herr Minister, in der Öffentlichkeit wird man ja mit sehr einfachen Fragen konfrontiert. Die einfache Frage, mit der man in der Diskussion um die gymnasiale Schulzeit immer wieder konfrontiert wird, lautet, warum in Sachsen-Anhalt etwas nicht realisiert werden kann, was in Sachsen, in Thüringen, in bestimmten Zügen in BadenWürttemberg und in anderen Bundesländern läuft und wofür man sich auch in Brandenburg entscheidet. Ist aus Ihrer Argumentation zu schließen, dass in Sachsen das soziale Leben an den Schulen verkümmert, dass Auslandsaufenthalte nicht so häufig möglich sind,

(Frau Budde, SPD: Das ist eine einfach struktu- rierte Frage, da haben Sie Recht!)

dass weniger Schüler akademische Bildungswege einschlagen? Die ganze Latte von Nachteilen, die Sie aufgezählt haben - sind das Dinge, auf die wir hier vor wenigen Jahren noch verzichten mussten und die es, um bei dem Beispiel zu bleiben, auch in Sachsen nicht gibt?

Herr Bergner, Sie haben Recht. Man ist nicht nur in der Öffentlichkeit mit ziemlich platten Fragen konfrontiert.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber ich will versuchen, darauf einzugehen.

Erstens. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Abiturprüfungen in Sachsen-Anhalt mit einer Gesamtstundenzahl von 241 durchgeführt wurden. Und Sie wissen vielleicht auch - - Oder Sie wissen es auch nicht. Dann sage ich es Ihnen, weil ich damals dabei war. Gerade in der Debatte um die wechselseitige Anerkennung des Abiturs wurde von den B-Ländern, also von Ihren Parteikollegen, seinerzeit deutlich bezweifelt, dass dieser Wochenstundenumfang ausreichen kann, um die Qualität sicherzustellen.

(Herr Oleikiewitz, SPD: Hört, hört! - Herr Dr. Berg- ner, CDU: Das ist mir alles bekannt! - Herr Olei- kiewitz, SPD: Zur Wiederholung!)

- Sie haben mich ja gefragt und ich muss mindestens für das Protokoll antworten. Aber Sie hören mir ja auch interessiert zu, ich Ihnen auch.