Meine Damen und Herren! Die Vorsitzende der Frak- tion der FDVP hat den Antrag gestellt, sich zum Abstimmungsverhalten ihrer Fraktion äußern zu dürfen. Bitte, Frau Wiechmann, Sie dürfen sich dem Parlament stellen.
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde meine Erklärung gern „Aufruf gegen Gewalt und Extremismus“ nennen.
Mit Sorge und Abscheu verurteilen wir die anwachsende Gewalt und extremistische Taten in Sachsen-Anhalt und fordern die konsequente juristische Ahndung aller Gewalttäter und Verbrechen. Wir wenden uns entschieden gegen jegliche Gewalt und jede Form des Extremismus, weil damit keine Probleme und Konflikte sowohl zwischen Menschen als auch in der Gesellschaft gelöst werden können.
Meine Damen und Herren! Es gibt weder eine gute noch eine böse Gewalt, aber es gibt in unserem Lande Bestrebungen, Kinder und Jugendliche mit ihren sozialen Sorgen und Nöten allein zu lassen und sie als Spielball für politische Interessen auszunutzen.
Ungeachtet dessen erhebt sich in Sachsen-Anhalt die linksextremistische PDS zum Moral- und Tugendwächter und wird von der Regierung Höppner hofiert.
Es ist beschämend, meine Damen und Herren, dass machtpolitisches Denken der Regierenden in SachsenAnhalt zwar zu Recht rechtsextreme Straftaten verfolgt, aber zugleich den Linksextremismus von heutigen Gewalttaten und Verbrechen und von der jahrzehntelangen Verfolgung und Diktatur ausgeübter kommunistischer Herrschaft freispricht.
Die Fraktion der FDVP vertritt deshalb konsequent die Ächtung und Bestrafung jeglicher Gewalt und jeder Form des Extremismus. Es würde diesem Landtag, meine Damen und Herren, gut zu Gesicht stehen, eine Entschließung gegen jede Form von Gewalt und Extremismus zu verabschieden. Dafür stehen wir ein. - Danke.
Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Stolfa. Es folgt dann eine Fünfminutendebatte. Bitte, Frau Stolfa, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich las gestern in der „MZ“, wie Kollege Fikentscher, den Beitrag von Frank Räther über seinen Besuch bei der Familie Alberto Adrianos in Mosambik, der mich sehr bewegt hat. Ich möchte der Frage, die Herr Dr. Fikentscher zitiert hat, die anderen Fragen des Vaters hinzufügen.
Er fragt uns, neben der Frage, wieso die Menschen in einem so reichen und entwickelten Land so barbarisch sein können und einen Fremden erschlagen, nur weil er eine andere Hautfarbe hat, was jetzt mit den ande- ren Mosambikanern dort wird. Wir kennen doch einige, die nach Deutschland gegangen sind. Die Augen des 64-jährigen Mannes wanderten hinüber zum Holzkreuz auf dem Grab seines erschlagenen Sohnes, und dann
Meine Damen und Herren! Ich glaube, diese Frage werden wir dann mit Nein beantworten können, wenn fremdes Leid so sehr zu unserem eigenen Leid wird, dass wir ungeachtet dessen, was Demokraten politisch trennen mag, gemeinsam vorgehen, wenn es um die Entscheidungen geht, die zur gesellschaftlichen Ächtung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt beitragen können.
Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS-Fraktion, über den ich jetzt rede, ist in engem Zusammenhang mit dem soeben beratenen und von der parlamentarischen Mehrheit beschlossenen Antrag für Toleranz und Zivilcourage, gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu sehen.
Unser Antrag konkretisiert die Punkte sechs und sieben des oben genannten Antrages, die insbesondere auf den Schutz der Jugend vor rechtsextremistischem und rassistischem Einfluss und auf den Beitrag von Familie, Schule und Hochschule gerichtet sind, mit dem Vorschlag eines Bündels von Schwerpunkten, Schritten und Maßnahmen im Bildungsbereich.
Meine Fraktion ist in einem offenen Brief an die Lehrergewerkschaften und Lehrerverbände mit der Bitte herangetreten, mit uns ins Gespräch, in den Gedankenaustausch einzutreten über Quellen und Ursachen von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, über Nährböden und begünstigende Umstände und über Erscheinungsformen solchen Ungeistes, aber auch über Strategien, ihnen zu begegnen. Unseren Antrag haben wir dem Schreiben beigefügt.
Meine Damen und Herren! Wir Politikerinnen und Politiker brauchen umgekehrt den Disput mit denen, die tagtäglich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, um daraus Schlussfolgerungen für eine notwendige Unterstützung durch die Politik ableiten zu können.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich betonen, dass wir unsere Vorschläge nicht als etwas Abgeschlossenes, sondern als zu prüfendes, zu ergänzendes, veränderbares Angebot an Parlament, Landesregierung und alle direkt an Bildung und Erziehung Beteiligten verstehen. Deswegen hätten wir kein Problem damit, wenn die anderen Fraktionen darum bitten würden, dass der Antrag in den Bildungsausschuss überwiesen wird, um dort darüber zu diskutieren.
Meine Damen und Herren! Unsere Vorschläge sind aus unserer Sicht geeignet, einen wichtigen Beitrag zu leisten, um den rechten Ungeist einzudämmen, der unter anderem auf der sozialdarwinistischen These von der Ungleichwertigkeit der Menschen beruht. Neben einer Reihe von anderen Begründungsmustern nutzten die Nazis im so genannten Dritten Reich auch diese inhumane Theorie zur Rechtfertigung des Ausrottungsfeldzuges gegen die Juden, des barbarischen Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieges gegen andere Völker und der Ermordung der Homosexuellen, der Sinti und Roma und der Menschen mit Behinderungen.
Diese These, meine Damen und Herren, dass die Menschen ungleich viel wert seien, ist auch heute für Rechtsextremisten ein durchaus verinnerlichtes Denkmuster, auf das sich ihre Schandtaten gründen und mit dem sie diese zu rechtfertigen versuchen. Selbst in diesem Hohen Hause mussten wir schon unsägliche
Herabwürdigungsversuche gegenüber Homosexuellen und Ausländerinnen und Ausländern durch Vertreter der DVU-Fraktion bzw. der FDVP-Fraktion zurückweisen.
- Ich weise nur auf die Beiträge von Herrn Wolf, bei denen ich die Sitzung zu leiten hatte, hin, bei denen in diesem Zusammenhang ein paar Ordnungsrufe vorgekommen sind. Dann erinnern Sie sich schon daran.
Meine Damen und Herren! In einer hohen Allgemeinbildung, insbesondere in einer humanistischen Bildung sehen wir eine wesentliche Voraussetzung, um insbesondere junge Menschen gegen solchen rechten Ungeist und solche Gewalt zu immunisieren. Die Palette unserer Vorschläge ist breit. Sie umfasst Schule, Lehreraus- und -fortbildung, Hochschule und Forschung, Erwachsenenbildung, Netzwerkbildung zum Erfahrungsaustausch und Möglichkeiten für die Beteiligung an der Aktion „Noteingang“.
Ich konzentriere mich in meinen weiteren Ausführungen vor allem auf den Bereich Schulen. Wir wissen, dass allen an der Bildung Beteiligten eine große Verantwortung zukommt. Diese kann nicht nur auf einen Teil der Lehrerinnen und Lehrer abgeschoben werden.
Für diejenigen, deren Fächern Schlüsselfunktionen bei der Vermittlung und Verinnerlichung humanistischer und ethischer Kenntnisse und Werte zukommen, hält es die PDS-Fraktion dennoch für geboten, gerade in diesen Fächern, zu denen wir unter anderem auch Ethik und Religion, Sozialkunde, Geschichte, Deutsch, Musik, Kunsterziehung und Fremdsprachen zählen, eine stabile Unterrichtsversorgung zu gewährleisten.
Wir können es uns nicht länger leisten, zum Beispiel die Fächer Ethik und Religion an manchen Schulen gar nicht anzubieten oder von Kindern und Jugendlichen abwählbar unterrichten zu lassen. Diesbezügliche Defizite müssen schneller abgebaut werden, und ich halte den Vorschlag des Kollegen Böhmer für durchaus akzeptabel, als er sagte, es wäre über einen ökumenischen Religionsunterricht nachzudenken.
Bei Jugendlichen, die sich in der Berufsausbildung befinden, wirkt es sich im Hinblick auf die Bildungsqualität besonders negativ aus, wenn der Allgemeinbildung nicht der gleiche Rang zukommt wie der berufspraktischen und der berufstheoretischen Ausbildung. Daher auch unsere Aufforderung an die Landesregierung zur verstärkten Anstrengung in diesem Bereich.
Aus Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern, mit Schülerinnen und Schülern ist uns bekannt, dass es oft Unsicherheiten im Umgang und in der Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut eines Teils der Schülerinnen und Schüler gibt, dass Lehrende diesbezüglich auch Ängste haben, dass oft die Materialdecke, aber auch das Wissen fehlen, um besser mit dieser Problematik klarzukommen, und dass sie sich allein gelassen fühlen von der Politik.
Wir sind der Auffassung, dass Faschismus- und Neofaschismusforschung und die sozialpädagogische Forschung auf einen neuen Stand gehören, auch um eine moderne Grundlage für mehr und bessere Angebote in der Lehrerausbildung und -fortbildung zur Verfügung zu haben. Eine entsprechende Schwerpunktsetzung in der Wissenschafts- und Forschungsförderung durch die Landesregierung könnte diesen Prozess beschleunigen.
Die überwiegende Mehrheit der Pädagoginnen und Pädagogen, der Erzieherinnen und Erzieher ist bereit, sich den Anforderungen zu stellen, die ihnen die Zunahme des rechten Ungeists und die wachsende Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen und der große Beratungsbedarf mit Eltern abverlangen. Sie brauchen jedoch mehr als politische Proklamationen. Sie brauchen verstärkt Hilfe und Unterstützung durch die Politik, um argumentativ sattelfest, psychologisch feinfühlig, moralisch gestärkt und selbstbewusst agieren zu können.
Unsere Aufforderung an die Landesregierung bezüglich der Überprüfung der Rahmenrichtlinien zielt nicht in erster Linie auf deren stoffliche Bestandteile ab, sondern darauf, ob sie genügend Ansatzpunkte, Raum und Zeit bieten, um bei Kindern und Jugendlichen insbesondere höhere Kompetenzen bei zu bestreitenden Auseinandersetzungen mit der Geschichte und der Gegenwart zu erzielen. Dazu gehören zum Beispiel die Befähigung zum Analysieren, zum Vergleichen, zum Argumentieren, zum Schlussfolgern, zum Lehrenziehen, zur Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen, zum Umgang mit Andersdenkenden, zum Aushalten und gewaltfreien Lösen von Konflikten.
Wir halten die in unserem Antrag genannten Pflichtprojekte der Förderstufe - „Miteinander leben“ und „Zwischen Vergangenheit und Zukunft leben“ - für besonders geeignet, unser Anliegen zu unterstützen, nämlich die Hemmschwelle gegenüber rechtsextremistischen Einflüssen und Gewalt zu erhöhen, weil sie sich vom Thema und von der Lernform besonders dafür anbieten. Deshalb unsere Empfehlung an die Landesregierung, die Lehrkräfte mit geeignetem Informationsmaterial zu diesen Themen anzuregen und sie mit didaktisch-methodischen Hinweisen zu unterstützen.
Ein besonderer Anreiz - so ist unsere Meinung - kann die Würdigung besonders gelungener Schulprojekte, die sich mit dem Thema auseinander setzen, durch die Landesregierung sein. Das kann, muss aber nicht die Auslobung eines Preises sein.
Meine Damen und Herren! Wir wollen mit unserem Antrag nicht erreichen, dass die Beteiligung von Schulen an der Aktion „Noteingang“, die Opfern rechtsextremistischer Gewalt Schutz und Hilfe anbieten soll, verord- net wird. Wir möchten, dass die Schulen angeregt werden, sich mit dem Anliegen dieser Aktion auseinander zu setzen, mit Fragen wie zum Beispiel: Kann ich helfen? Wie will ich helfen? Wie kann ich helfen? Muss ich Angst haben vor Übergriffen, wenn ich helfe? Müssen wir zusammenhalten, wenn wir Opfern Schutz gewähren? Wie bereiten wir Hilfe vor? Was können wir tun?
Meine Damen und Herren! Diese Aktion bietet die Chance, das Problem Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in den Mittelpunkt der Diskussion an Schulen zu rücken und - das halten wir für besonders wichtig - die Bereitschaft zur Zivilcourage und zum Helfen zu entwickeln.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen. Wenn noch Diskussionsbedarf besteht, sind wir, wie gesagt, auch bereit, eine Überweisung in den Bildungsausschuss mitzutragen. - Danke schön.
Danke sehr. - Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen jetzt die Reihenfolge der Redner mit. Zunächst spricht
der Kultusminister Dr. Harms für die Landesregierung. Die DVU-FL hat auf einen Beitrag verzichtet. Es fol- gen SPD, CDU, FDVP und PDS. Bitte, Herr Minister Dr. Harms, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Entsetzen über die schrecklichen Gewalttaten dieses Sommers, über die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts und über die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit eint die großen Fraktionen dieses Hauses. Ich glaube, dass auch die Art der Debatte denjenigen Mut macht, die mit diesem Thema angesprochen werden sollen.
Es geht um die Frage, welchen Beitrag Bildung und Erziehung im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt leisten kann. Dazu: Die Schule leistet einen wesentlichen Beitrag zu Bildung und Erziehung gemeinsam mit Elternhaus und Familie. Dabei ist sie gefordert. Die Schule kann aber nicht die Probleme der Gesellschaft lösen. Dabei sind wir alle gefordert.
In ihrem Antrag unterbreitet die PDS eine Reihe von Vorschlägen, zu denen ich hier ganz kurz Stellung nehmen will. In der Erziehungsarbeit an den Schulen Sachsen-Anhalts sind viele der Punkte, die Sie ansprechen, nicht neu. In den Rahmenlehrplänen, in der staatlichen Lehrerfortbildung, in den schulpolitischen Förderprogrammen werden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in der Schule die Grundlagen für Toleranz, für einen respektvollen und gewaltfreien Umgang miteinander gelegt werden.