Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Eine flächendeckende deutliche Unterschreitung der Mindestgröße von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften ist jedoch mit einer wirklichen neuen Kompetenzausweitung dieser Strukturelemente unvereinbar.

Dagegen lässt aus unserer Sicht die neue Form der qualifizierten Verwaltungsgemeinschaft auch kleinere Mitgliedsgemeinden zu. Für die Handhabung dieser Frage ist jedoch die noch ausstehende gesetzliche Beschreibung dieses für Sachsen-Anhalt neu entstehenden Verwaltungsstrukturmodells unerlässlich. Im Interesse einer schnellen und verlässlichen Diskussionsgrundlage für die Sondierung vor Ort muss auch dies noch im Jahr 2001 erfolgen.

Nun noch kurz zur Einheitsgemeinde. Auch die Einheitsgemeinde, zurzeit Thema im Ersten Vorschaltgesetz, muss in ihrer Binnenstruktur genauer beschrieben werden. Politische Vereinbarungen, die darauf hinauslaufen, das Ortschaftsrecht dauerhaft und stark zu gestalten, müssen in diesem Ersten Vorschaltgesetz umgesetzt werden. Ansonsten wird dieses Modell weder bei der PDS noch bei den kommunalen Gebietskörperschaften wirkliche Akzeptanz erfahren.

Das vorliegende Gesetz ist aus unserer Sicht tatsächlich ein Programmgesetz. Es gibt uns als Landtag ein Programm für die nächsten Jahre vor. Dabei wird die Gefahr deutlich, dass dieser Prozess nicht nur kompliziert ist, sondern zu jedem Zeitpunkt durch konservative und kleinkarierte Besitzstandswahrung, Inkonsequenz und billigen Populismus bedroht ist.

Die PDS wird den steinigen Weg der Reform mitgehen. Aber ich verspreche Ihnen, sie wird ein verdammt unbequemer Partner sein. Ich will nicht einmal ausschließen, dass sich einige bald wünschen werden, diese Reform nie angepackt zu haben. - Danke.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Becker. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben gesagt: Kommen Sie heraus aus Ihrer Schmollecke! - Wir waren nie in der Schmollecke, wir sind nicht in der Schmollecke, aber wir weisen auf große Gefahren hin. Das werde ich jetzt auch tun und sage gleich eines voraus: Das, was Sie mit Ihrem Zweiten Vorschaltgesetz wollen, werden wir ablehnen. Wir halten dieses Gesetz nicht für würdig, überhaupt im Innenausschuss beraten zu werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

Herr Minister, wir wollen anerkennen - damit Sie sehen, dass wir nicht in der Schmollecke sind -, dass Sie, die Regierung und der Ministerpräsident einen Lernprozess durchgemacht haben, indem Sie in diesem Zweiten Vorschaltgesetz den Zusammenhang zwischen Funktionalreform und Verwaltungsreform jetzt sichtbar zum Ausdruck bringen.

Herr Gallert, wenn Sie behaupten, es sei die PDS gewesen, die zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden diesen Zusammenhang entdeckt habe, so darf ich Sie darauf hinweisen - vielleicht ist das Ihrem Gedächtnis entgangen -, dass dieses Hohe Haus bereits im Jahre 1993 unter der CDU-FDP-Regierung einen Antrag eingebracht hat, in dem es hieß: Jede weitere Kommunalreform ist zunächst mit einer Funktionalreform zu beginnen. Das war damals einschließlich der gesamten SPD und auch einiger Teile der PDS Konsens im Hause. Es ist dies also keine wie auch immer geartete Erfindung des einen oder anderen.

Wir sind ob unseres Hinweises auf diesen Zusammenhang in den letzten Jahren immer wieder belächelt worden. Wir sind froh, dass die Richtigkeit jetzt auch von der Landesregierung erkannt wird. Noch im Februar, als wir den Antrag gestellt haben, dieses Funktionalreformpapier solle aus dem Tresor heraus, haben Sie, verehr

ter Herr Ministerpräsident, auf meine Frage hin gesagt: Das geht das Parlament gar nichts an, das ordne ich selber, das ist meine Angelegenheit, bringen Sie mir bitte meine Beamten nicht durcheinander.

Zum Glück haben Ihnen Ihre Einflüsterer dann gleich gesagt, dass das so nicht stehen bleiben könne. Sie haben sich daraufhin im April zu einer Regierungserklärung entschlossen und diesen Fehler - wir alle machen einmal Fehler, Herr Ministerpräsident - korrigiert.

Insoweit finden wir es gut, dass wir die Regierung jetzt im Boot all derjenigen wissen, die sagen: In diesem Land muss etwas geschehen und dazu brauchen wir eine Funktionalreform und auch eine Kommunalreform.

Nun das Zweite, Herr Minister: Es gibt keine Umsetzung beider Reformen auf einmal in toto. Ich darf Sie an Professor Hesse, den Gutachter im zeitweiligen Ausschuss, erinnern, der dies im Juni klipp und klar zum Ausdruck gebracht hat. Er hat gesagt - darin sind wir mit ihm einer Meinung -, man müsse einen gedanklichen Gesamtansatz für Funktionalreform und Kommunalreform haben, dürfe jedoch nicht beide Reformen in einem Schritt realisieren, dies gehe nicht.

Ein klein wenig Geschichtsunterricht ist auch gut, meine Damen, meine Herren: Wenn wir uns die letzten 50 Jahre in der Bundesrepublik insgesamt anschauen, werden wir feststellen, es sind viele Reformen gemacht worden, aber in keinem Land und an keiner Stelle sind beide Reformen jemals gemeinsam realisiert worden. Das wäre vor die Wand gegangen.

Deshalb, Herr Minister, haben wir - das muss ich Ihnen sagen - große Bedenken, dass Sie sich, wie man so schön sagt, verheben werden. Am Anfang muss die Aufgabenkritik stehen, und zwar - das wischen Sie wieder weit von sich - Aufgabenverzicht, Aufgabenverlagerung, Privatisierung der Aufgabenwahrnehmung. All diese Fragen müssen integriert werden.

Genau das hat im Übrigen auch der Präsident des Landkreistages, Herr Dr. Ermrich, in der Jubiläumsveranstaltung in der vergangenen Woche noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Als Mitglied eines dieser Spitzenverbände muss ich Ihnen sagen: Für mich, Herr Minister, sind immer noch die Aussagen der Vorsitzenden, der Präsidenten dieser Verbände entscheidend und nicht die hin und wieder gemachten Äußerungen der Geschäftsführer.

(Beifall bei der CDU)

Es kommt auf die politischen Aussagen an und die Geschäftsführer sind dazu nicht befugt. Das muss auch einmal gesagt werden. Der Schulterschluss muss mit dem Verband insgesamt vollzogen werden.

Die Regierung will alles auf einmal erreichen und das führt meines Erachtens an die Mauer. Das Zweite Vorschaltgesetz bringt keine Klarheit. Deutlich wird das bei der Frage der Zwei- oder Dreistufigkeit der Landesverwaltung. Der Gesetzentwurf scheint diesen Grundsatz der Zwei- oder Dreistufigkeit zu verwässern.

Auch Sie, Herr Minister, haben es in Ihrer Rede gesagt. Sie sprechen von einem die Bündelungsfunktion innehabenden Verwaltungsamt und wollen auf der anderen Seite die Bündelung nach oben oder unten abdrücken. Nun frage ich Sie, um bei Ihrem Hausbeispiel zu bleiben: Auf welcher Etage Ihres zweistufigen Hausbaus wollen

Sie, Herr Minister, diese Bündelungsfunktion des Verwaltungsamtes eigentlich noch einbauen?

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Püchel)

Auch wenn Sie, Herr Minister, noch so laut dazwischenreden: Es entsteht ein gedanklicher Flickenteppich, der jetzt schon nicht mehr trägt und auch das gesamte Haus, das Sie bauen wollen, nicht tragen wird.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU, und von Herrn Scharf, CDU)

Noch im Dezember haben Sie, Herr Minister, ein Leitbild veröffentlicht; damals haben Sie ein Landesverwaltungsamt mit Bündelungsfunktion vorgesehen. Noch im Juni haben Sie, Herr Ministerpräsident, im zeitweiligen Ausschuss unmissverständlich erklärt, eine Analyse der Landesregierung habe ergeben, dass eine Reihe von Aufgaben im Grunde genommen nur in einem Landesverwaltungsamt mit Bündelungsfunktion wahrgenommen werden könnte. Die Landesregierung habe sich deshalb entschieden, diese Aufgaben an einer Stelle, nämlich im Landesamt, zu bündeln.

Ich weiß nun nicht mehr - das sage ich der Regierung -, wie oft die Regierung ihre gemachten Äußerungen wieder über Bord werfen will. Wem soll man in diesem Land eigentlich noch glauben, wenn man draußen Bürgermeister, Landrat, Ortschaftsrat, Gemeinderat, Kreisrat ist?

(Zustimmung bei der CDU)

Ich muss sagen, jeden Tag etwas Neues, das verwirrt doch die stärkste Frau, den stärksten Mann.

Im Übrigen haben wir Ihnen immer gesagt, wie man es machen soll.

(Lachen bei der SPD und bei der PDS - Herr Bi- schoff, SPD: Das machen Sie seit zehn Jahren! - Minister Herr Dr. Püchel: Jetzt kommt es doch!)

- Jawohl, dazu stehe ich, da können Sie noch so sehr lachen. - Wir haben gesagt: Bauen Sie doch endlich die Sonderbehörden ab! Führen Sie diese doch zusammen! Fangen Sie mit solchen kleinen Schritten an!

(Herr Hoffmann, Magdeburg, SPD: Diese Behör- den haben Sie doch eingeführt!)

Was machen Sie nun? Sie spitzen den Mund, ohne zu pfeifen.

(Frau Theil, PDS, lacht)

Sie sagen in Ihrem Gesetzentwurf, Sie würden Sonderbehörden abbauen, Sie lassen aber völlig offen, welche Sie abbauen wollen. Außerdem sagen Sie, die unteren Sonderbehörden wollen Sie auf ein Drittel zurückführen.

Jetzt will ich Ihnen als Verwaltungspraktiker etwas sagen, Herr Minister. Wissen Sie, welche Folgen das hat? - In den Amtsstuben, in den Fluren und Kantinen der Ämter wird jahrelang darüber diskutiert: Bleibt unsere Dienststelle erhalten oder bleibt sie nicht erhalten? Die eigentliche Arbeit wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen.

(Beifall bei der CDU)

Gehen Sie doch jetzt einmal hinaus in einige Ämter. Sie werden feststellen, die Befassung mit sich selbst ist so stark geworden, dass im Grunde die eigentlichen Aufgaben nicht mehr erfüllt werden.

(Widerspruch bei der SPD und bei der PDS - Zu- ruf von Minister Herrn Dr. Püchel)

- Ja, aber dann muss man schon sagen, was man will, und darf nicht sagen, dass das irgendwann im Jahre X geschehen werde. Sie haben durch den Ministerpräsidenten doch schon im Jahr 1997 verkünden lassen, dass ein Verwaltungsamt - und nur eines - im Jahre 2007 gebildet werde. Was hat das für eine Unruhe hervorgerufen! Jetzt ist vom Jahr 2004 die Rede. Vielleicht heißt es bald, im Jahre 2003 sei es so weit. Wer weiß das schon? Wer glaubt schon noch den Worten dieser Regierung, die ständig etwas Neues erfindet, die ständig neue Fantasien entwickelt.

(Zustimmung von Herrn Scharf, CDU - Herr Bi- schoff, SPD, lacht)

Aber, meine Damen und Herren, Fantasie braucht man an der richtigen Stelle. Hier gehört endlich Klarheit her. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU)

Ich darf Sie, Herr Ministerpräsident, zitieren. In Ihrer Rede am 10. Februar 2000 vor dem Landtag haben Sie gesagt:

„Ich sage Ihnen eines: Verwaltungsreformen kann man nur mit den Menschen machen, nicht gegen sie.“

Ich frage Sie: Wo bleibt da noch der Mensch? Der Mensch wird bei dieser ganzen Reform doch völlig vergessen.

(Herr Bischoff, SPD, lacht)