Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Ferner müssen wir darauf achten, dass die Verwaltung durch die Umstrukturierungen in einer notwendigerweise mehrjährigen Umsetzungsphase nicht völlig lahm gelegt wird. Bekanntermaßen besteht gerade bei gut ausgebildeten und befähigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die verständliche Neigung, sich angesichts der mit derartigen Umstrukturierungen verbundenen Unsicherheiten

in andere Richtungen und zu anderen Arbeitgebern zu begeben.

Auch hierzu will das Zweite Vorschaltgesetz mit seinen Regelungen zum Personalüberhang in der Folge von Aufgabenübertragungen verlässliche Aussagen für die Betroffenen treffen. Damit wird das Land seiner sozialen Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerecht.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Zweiten Vorschaltgesetz, das die Reform der Landesverwaltung festschreibt und sie zugleich sinnvoll mit der Kommunalreform verknüpft, verfolgt die Landesregierung zielstrebig den eingangs erwähnten ganzheitlichen Ansatz. Ich lade Sie alle ein, den Weg mit uns gemeinsam zu gehen - auch Herrn Becker. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Im Ältestenrat ist zu diesem zweifellos wichtigen Gesetzentwurf eine Debatte von 60 Minuten Dauer vereinbart worden, und zwar in folgender Reihenfolge: DVU-FL-Fraktion fünf Minuten, PDS-Fraktion zwölf Minuten, CDU-Fraktion 14 Minuten, SPD-Fraktion 24 Minuten, FDVP-Fraktion fünf Minuten.

Herr Minister, weil Sie schon darauf abgehoben hatten: Die Landesregierung hat in der Debatte 24 Minuten Redezeit und Sie haben schon sechs davon in Anspruch genommen; 18 hätten Sie immer noch.

Ich rufe die DVU-FL-Fraktion auf. Für diese Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Montag. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass aufgrund der desolaten Finanzlage der Kommunen ein Gesetz zur Kommunalreform und Verwaltungsmodernisierung geschaffen werden muss, dürfte jedem klar sein; es kann aber in der hier vorliegenden Form von uns nicht mitgetragen werden.

Insbesondere der Fusion von Landkreisen stehen wir skeptisch gegenüber, geht doch damit - das ist unvermeidlich - Bürgernähe verloren. In den heute bestehenden Kreisen liegen die Kreisstädte meist zentral. Bei dem Zusammengehen mit einem Nachbarkreis wird für den einen oder den anderen Kreis der Kreissitz immer dezentral liegen.

Wir könnten uns vorstellen, dass man es bei der jetzigen historisch gewachsenen Kreisstruktur und einzelnen kreisübergreifenden Ämtern der besseren Effizienz halber belässt, wofür es schon sehr gute Beispiele gibt.

In Halberstadt arbeitet das Amt für Flurneuordnung jetzt schon für vier Landkreise. Das Katasteramt in Wernigerode ist für drei Landkreise zuständig und kann daher die teure Technik viel effektiver einsetzen. Das Gewerbeamt Halberstadt war zum Beispiel schon zur Zeit der DDR für den Kreis Wernigerode mit zuständig.

Man könnte auch andenken, Ämter für die einzelnen Planungsregionen zu schaffen und Landkreise mit Ämtern, welche viel Publikumsverkehr haben, in ihrer jetzigen Struktur zu belassen.

Da bereits im nächsten Jahr Landratswahlen ins Haus stehen, scheint uns diese Reform einem großen Zeitdruck ausgesetzt. Dass zum Beispiel Landkreise freiwillig zusammengehen, ist zurzeit eigentlich nirgendwo zu

erkennen und somit wahrscheinlich dem Besitzstandsdenken der jetzigen Landräte geschuldet. - Danke.

(Beifall bei der DVU-FL)

Vielen Dank. - Für die PDS-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Gallert. Bitte schön.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion begrüßt die Vorlage des Zweiten Vorschaltgesetzes zur Verwaltungsreform als ersten Schritt zu einer wirklichen Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes Sachsen-Anhalt. Mit diesem Gesetz bekommt die Diskussion um die Verwaltungsreform eine neue produktive Richtung: weg von der reinen Maßstabsvergrößerung kommunaler Strukturen hin zu einer inhaltlich begründeten Neuordnung der staatlichen Aufgaben.

Die Gesetzesvorlage ist das Ergebnis des Kampfes um eine Funktionalreform, der gleichermaßen von der PDS und von den kommunalen Spitzenverbänden in Sachsen-Anhalt geführt wurde.

Noch vor acht Monaten war die Vorlage eines solchen Gesetzes mit der Beschreibung der neuen Aufgabenverteilung und der gesetzlichen Verankerung zukünftiger kommunaler Strukturen deutlich abgelehnt worden. Hierbei gibt es einen neuen Stand, den wir ausdrücklich begrüßen.

Die PDS gibt sich jedoch nicht der Illusion hin, dass mit der abstrakten Beschreibung der Kommunalisierung von Aufgaben der Landesverwaltung bereits ein wirklicher Durchbruch erreicht ist. Allein die auch öffentlich gewordene Auseinandersetzung über den Grundsatz der Drei- oder Zweistufigkeit der Verwaltung in Sachsen-Anhalt zeigt, wie stark die Beharrungskräfte sind und auch in Zukunft sein werden.

Dabei werden in allen Fraktionen des Landtages sehr kontroverse Diskussionen darüber geführt werden müssen, ob man bereit ist, im Interesse eines modernen Verwaltungsaufbaus und starker Kommunen eigene Einflussmöglichkeiten - man kann dazu auch Macht sagen - abzugeben.

Das betrifft den Landtagsabgeordneten genauso wie den Minister, den Abteilungsleiter oder den Dezernatsleiter, der in Zukunft auf feierliche Übergaben von Bewilligungen oder Genehmigungen verzichten muss.

Wir wissen sehr wohl, dass damit auch die Möglichkeiten der PDS-Landtagsfraktion beschnitten werden. Im Interesse der Sache nehmen wir dies jedoch ausdrücklich in Kauf. Der Motor einer echten Funktionalreform kann nur das Parlament selbst sein.

Die im Landesbereich verbleibenden Aufgaben, zumindest jedoch ihre Kriterien müssen aus unserer Sicht noch im Jahr 2001 in dem bereits angekündigten Gesetz verankert werden. Diese Ausnahmen - ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, dass wir es hierbei mit Ausnahmen zu tun haben werden, also mit einem quantitativ kleinen Teil dessen, was jetzt im Bereich der Mittelinstanz passiert - sollen in dem hier beschriebenen Landesverwaltungsamt realisiert werden, das der Innenminister noch vor drei Wochen als schlankes Landesverwaltungsamt beschrieben hat.

(Herr Becker, CDU: Es verfettet!)

Ich vermisse dieses Attribut seit 20 Tagen eigenartigerweise. Diese schlanke Restbehörde - darum handelt es sich - kann ihrem Umfang nach jedoch keine zwei Außenstellen begründen. Auch hier sehen wir ausdrücklich noch Klärungsbedarf.

Bei der Aufgabenneuordnung schreibt das jetzt vorliegende Gesetz im Vorgriff auf zukünftige Regelungen bereits zwei Kriterien fest, das der Wirtschaftlichkeit und das der Zweckmäßigkeit. Gleichzeitig wird klargestellt, dass diese Maßstäbe nur im Kontext der Gesamtzielstellung der grundsätzlichen Zweistufigkeit gesehen werden können.

Dabei sind wir uns darüber im Klaren, dass diese Vorbehalte das Einfallstor für die Verhinderung einer wirklichen Funktionalreform sein können. Jeder Chef einer Landesbehörde wird im Normalfall begründen, dass allein seine Behörde die Aufgabe am billigsten, am effektivsten und am zweckmäßigsten erfüllt.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Das wird jeder Chef eines Landesamtes machen. Das wird wahrscheinlich auch jeder Minister machen. Es ist eben nicht von der Person abhängig, das hängt von der Funktion ab.

Deswegen wird sich die PDS bei der Definition der Aufgaben, die nicht kommunalisiert werden sollen, nicht danach richten, was die Landesbehörden dazu meinen, sondern welche Position die kommunalen Strukturen dazu einnehmen. Die Position des Landkreistages zum Leitbild für Sachsen-Anhalt gibt hierfür unter Punkt 3 bereits eine Liste vor, die auf nahezu uneingeschränkte Zustimmung in der PDS-Fraktion stößt.

Nur dann, wenn die Prämisse der Funktionalreform wirklich erfüllt wird, dürfen wir den Kommunen im Land den steinigen Weg der Gebietsneuordnung zumuten. Dabei verkennt die PDS die vielen Probleme, die auf diesem Weg auftauchen werden, nicht. Wir sind wahrscheinlich das einzige Land in der Bundesrepublik, das einen solchen Kraftakt zweimal in zehn Jahren bewältigen will.

(Herr Becker, CDU: Das werden wir nicht schaf- fen!)

Trotzdem bekennen wir uns aufgrund des vorher Gesagten zu dieser schwierigen Aufgabe. Wir müssen jedoch dann wenigsten garantieren, dass diese Strukturen in den nächsten Jahrzehnten Bestand haben können.

Die in § 3 aufgeführten Strukturgrößen finden im Wesentlichen unsere Akzeptanz. Die Beibehaltung der drei kreisfreien Städte ist in unserer Fraktion unstrittig. Wir begrüßen, dass die Zielmarke 100 000 Einwohner für die Stadt Dessau nicht wieder auftaucht. Die damit verbundenen Eingemeindungen hätten vermutlich mehr Pro- bleme gebracht als gelöst.

Die beschriebenen Landkreisgrößen erscheinen uns praktikabel, wobei der PDS besonders der Punkt wichtig ist, zwei Landkreise je Planungsregion zu bilden. Dadurch wird mit einer überschaubaren Anzahl von Partnern, nämlich dann maximal drei einschließlich der jeweiligen kreisfreien Stadt, ein echter Selbstfindungsprozess der Regionen maßgeblich erleichtert. Der erreichte Arbeitsstand in der Altmark zum regionalen Aktionsprogramm ist aus unserer Sicht auch darauf zurückzuführen.

Außerdem gibt es einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Kommunalisierung von Aufgaben und der

Größe der Landkreise. Je mehr Landkreise es gibt, desto geringer sind ihre Befugnisse.

Mit großem Unverständnis hat die PDS deswegen zur Kenntnis genommen, dass zeitgleich mit der Vorlage des Gesetzes das Innenministerium gegenüber der Presse und der Ministerpräsident auf der Festveranstaltung des Landkreistages die Zahl der Landkreise mit zwölf bzw. elf nach oben ausgedehnt haben. Wer so mit einer gerade selbst fixierten Zielstellung umgeht, sät Zweifel ob der Ernsthaftigkeit seines Reformwillens.

(Herr Becker, CDU: Das muss ich auch sagen!)

Eindeutig sei gesagt: Wenn wir diese Reform anpacken, dann bitte richtig. Eine inkonsequente Reform ist auf jeden Fall schlechter als gar keine Reform. Deswegen reden wir hier nicht von zirka zehn Landkreisen, sondern von zehn Landkreisen.

(Unruhe bei der SPD)

Mit der Neuverteilung der Funktionalität zwischen Landes- und Kreisebene geht die Notwendigkeit der Neuordnung der Gemeinden einher. Ziel dieser Reform muss es sein, dass alle individuellen Anliegen des Bürgers bereits in der Gemeinde erledigt werden. Nur dann werden wir eine Akzeptanz für größere Kreise erreichen.

Diese Neuverteilung von Aufgaben muss aus unserer Sicht noch im Jahr 2001 gesetzlich fixiert werden.

Die dann erforderliche größere Verwaltungskraft verlangt auch eine Maßstabsvergrößerung auf der gemeindlichen Ebene.

(Zuruf von Herrn Becker, CDU)

Dabei finden beide aufgeführten Strukturmodelle, die Einheitsgemeinde und die qualifizierte Verwaltungsgemeinschaft, unsere Zustimmung. Wir befürworten ausdrücklich, dass jetzt deren Gleichrangigkeit - im Gegensatz zum Leitbild des Innenministers - akzeptiert wird.

Vor diesem Hintergrund kann die PDS die unterschiedlichen Vorschläge zur Größe von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften jedoch nicht nachvollziehen. Wir befürchten negative Auswirkungen auf die Neuordnung kommunaler Strukturen. Dieser Punkt eignet sich jedoch nicht als Stolperstein für die gesamte Gebietsreform.

Uns erscheint der Hinweis hinsichtlich der Mindesteinwohnerzahl auf das Ausnahmekriterium der dünnen Besiedlung und nicht, wie eben gehört, der extrem dünnen Besiedlung als genauso wichtig wie die Präferenz für die Vollfusion von Verwaltungsgemeinschaften, selbst dann, wenn sie nicht die Grenze von 10 000 Einwohnern erreicht.

Eine flächendeckende deutliche Unterschreitung der Mindestgröße von Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften ist jedoch mit einer wirklichen neuen Kompetenzausweitung dieser Strukturelemente unvereinbar.