Protokoll der Sitzung vom 15.09.2000

Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist eines der wesentlichen Reformvorhaben der Bundesregierung. Zu diesem Zweck hatte sie die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ eingerichtet. Wie wir eben gehört haben, hat diese Kommission am 23. Mai ihre Empfehlungen vorgelegt; am 14. Juni hat Bundesminister Scharping dem Kabinett seine Vorstellungen vorgelegt.

Damit ist die Richtung für die Feinausplanung der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung vorgegeben, die bis Ende September dieses Jahres vorbereitet werden soll. Die Bundeswehr der Zukunft wird reaktionsfähiger, flexibler und vor allen Dingen effektiver und effizienter als bisher sein.

Bislang hat das Bundesministerium der Verteidigung allerdings noch keine detaillierten Angaben zur zukünftigen Struktur der Bundeswehr gemacht. Im November wird Minister Scharping den Ländern auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Schröder erstmals sein Konzept vorstellen. Anschließend ist die Abstimmungsrunde des Bundesministeriums für Verteidigung mit den Bundesländern vorgesehen, und hier wird es um die Details gehen, die auch Sachsen-Anhalt betreffen.

Mitte November wird auf einer Kommandeurstagung in Leipzig das Konzept beraten, danach wird es dann der

Öffentlichkeit vorgestellt. Im ersten Halbjahr 2001 werden dann die Abstimmungen mit den Ländern erfolgen.

Sicher ist bereits heute, dass im Rahmen der bevorstehenden Entscheidungen existierende Strukturen und Aufgaben von Truppenteilen, Dienststellen und Standorten auf den Prüfstand gestellt werden. Insbesondere Kleinstandorte mit weniger als 50 Dienstposten werden auf ihre militärische Notwendigkeit überprüft werden. Für alle anderen Standorte in Deutschland wird es oberste Priorität sein zu ermitteln, wie sie wirtschaftlicher geführt werden können.

In Anerkennung der positiven Erfahrungen und der Verankerung der Bundeswehr in der Fläche und der Vorteile für die regionale Wirtschaft soll Effizienzsteigerung den Vorrang vor Standortauflösungen haben.

Meine Damen und Herren! Aus meiner Sicht kann Sachsen-Anhalt hinsichtlich möglicher Standortentscheidungen relativ zuversichtlich sein. Insgesamt gesehen dürfte Sachsen-Anhalt von den zu treffenden Entscheidungen nur in geringem Maße betroffen sein. Die Äußerungen von Minister Scharping anlässlich seiner Rede zum feierlichen Gelöbnis in Burg, seine Äußerungen auf der anschließenden Pressekonferenz und das persönliche Gespräch mit mir im Anschluss daran bestärken mich in meiner Auffassung.

Ich gehe davon aus, dass Bundeswehrstandorte, in die in den letzten Jahren sehr viel investiert wurde, nicht aufgelöst werden. Das betrifft in dem Fall ganz speziell Burg. Dazu hat sich Minister Scharping in Burg bereits geäußert. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an Standorte wie Havelberg, Lietz, Letzlingen, Born-Planken, Altengrabow, Weißenfels oder Hohenmölsen, die Gegenstand umfangreicher Investitionsvorhaben waren und sind.

Die Bestrebungen zur Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind im Grundsatz durchaus sinnvoll und müssen nicht notwendigerweise mit negativen Folgen verbunden sein.

Bislang ist lediglich der Bundeswehrstandort Brettin im Landkreis Jerichower Land zur Auflösung vorgesehen. Dies ist allerdings bereits im Jahre 1996 durch das Bundesministerium für Verteidigung beschlossen worden und soll im Zeitraum 2001 bis 2005 umgesetzt werden. Von der Auflösung werden zirka 50 Soldaten und Zivilbedienstete betroffen sein, wobei das Bundesministerium für Verteidigung eine sozialverträgliche Lösung zugesichert hat, wie auch in allen anderen zu erwartenden Fällen.

Weitere Standortentscheidungen sind bislang nicht getroffen worden; Spekulationen führen zu diesem Zeitpunkt auch nicht weiter. Zunächst müssen die nächsten Planungsetappen abgewartet werden, bevor überhaupt ein Standpunkt bezogen werden kann.

Meine Damen und Herren! Ich versichere Ihnen, dass die Landesregierung ein waches Auge auf die weitere Entwicklung haben wird. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, zu erreichen, dass weder die Anzahl der Standorte noch die Truppenstärke in Sachsen-Anhalt reduziert werden.

Beim Aufbau der Bundeswehr in den neuen Bundesländern ist unser Land schon stiefmütterlich genug behandelt worden. Gerade darauf haben wir in den letzten Monaten in mehreren Gesprächsrunden mit Vertretern der Bundeswehr und der Bundesregierung hingewiesen.

Die Landesregierung wird sich weiter dafür einsetzen, dass die landesspezifischen Interessen auch im aktuellen Reformprozess der Bundeswehr entsprechend berücksichtigt werden. Ich werde dem Landtag zu gegebener Zeit gern darüber berichten.

Dass wir die Landesinteressen gegenüber dem Bund und der Bundeswehr in der Vergangenheit erfolgreich vertreten haben, können Sie an der Rücknahme der Überfluggenehmigung der Luftwaffe am Brockengipfel sehen, für die ich mich seinerzeit persönlich eingesetzt hatte.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD, und von Herrn Siegert, SPD)

Mehr ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen, und ich würde wirklich mit der Berichterstattung abwarten wollen, bis die ersten Fakten vorliegen. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Minister. - Für die PDS-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Gärtner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Debatte um Zweck und Struktur der Bundeswehr hat die PDS bereits im Mai dieses Jahres ein eigenes Konzept vorgelegt. Es geht uns um einen deutlichen Abbau der Bundeswehr auf zunächst eine 100 000-PersonenArmee, den Verzicht auf mobile Interventionskräfte, die unverzügliche Aussetzung der Wehrpflicht und radikale Beschränkungen bei der Neuausrüstung der Teilstreitkräfte mit Waffensystemen.

Bereits mit diesem Konzept hat die PDS auch Vorschläge veröffentlicht, wie mit zu erwartenden Auswirkungen der Bundeswehrreform umgegangen werden sollte. Ich nenne nur die Stichpunkte: Bildung eines Konversionsfonds des Bundes aus den frei werdenden Mitteln des Rüstungshaushaltes, sozialverträglicher Abbau der Streitkräfte, Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor für Bereiche, die jetzt wesentlich durch Zivildienstleistende abgedeckt werden, zivile Umnutzung von Bundeswehrliegenschaften und die Bereitstellung von Infrastrukturhilfen für betroffene Standorte im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden.

Letztgenanntem, der Zukunft gegenwärtiger Bundeswehrstandorte, widmet sich der CDU-Antrag, und es ist in der Tat ein Thema, dessen sich die Landespolitik annehmen muss. Wir unterstützen daher eine Berichterstattung zunächst in den vorgesehenen Ausschüssen zum richtigen Zeitpunkt.

Aber, meine Damen und Herren, die Debatte um Zweck und Struktur der Bundeswehr darf nicht nur aus dem Blickwinkel jetziger Standorte und gegenwärtig genutzter Liegenschaften geführt werden. Hier geht es um die politische Bestimmung künftiger Außen- und Sicherheitspolitik. Hier geht es darum, ob wir einen weltweiten Interventionismus wollen oder ob der Satz der rotgrünen Koalitionsvereinbarung „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“ doch noch Wirklichkeit wird und damit auch die Debatte für die Zukunft der Bundeswehr bestimmt.

Die PDS-Fraktion bezweckt mit dem von ihr vorgelegten Änderungsantrag deshalb eine Berichterstattung und

Beratung in den Ausschüssen, die nicht vorrangig auf den Erhalt bestehender Standorte, sondern auf infrastrukturelle Hilfen für diese bei der Umsetzung der Bundeswehrreform zielt. Hilfen übrigens, die für die betreffenden Gemeinden nötig sein werden. Darüber sind wir uns hier sicherlich weitgehend einig.

Lassen Sie uns also einerseits weiter streiten um die künftige Zielsetzung und angemessene, das heißt aus unserer Sicht wesentlich geringere Dimensionen von Streitkräften, und lassen Sie uns andererseits den landespolitischen Weitblick aufbringen, Probleme der Umsetzung einer solchen Reduktion frühzeitig zu erkennen und ihnen zu begegnen.

Es wäre zu kurz gedacht, aus der Sicht einzelner oder aller Standorte die Zukunft der Bundeswehr zu bestimmen, und es wäre zu kurz gedacht, mögliche Folgen nicht auch landespolitisch zu begleiten.

Ich bitte Sie aus diesem Gründen um Zustimmung zum Änderungsantrag der PDS-Fraktion. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Die FDVP-Fraktion hat auf einen Debattenbeitrag verzichtet. Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Rothe.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Liebrecht, Sie haben auf eine Bewertung des Reformvorhabens von Minister Scharping verzichtet. Sie hatten auch gar keine andere Wahl. Denn die CDU ist bei der Bundeswehrreform ebenso konzeptionslos wie bei der Verwaltungsreform hierzulande.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich an zwei Punkten belegen, welche Bedeutung der Bundeswehr mit ihren Standorten in Sachsen-Anhalt für Wirtschaft und Arbeitsmarkt zukommt.

In Sachsen-Anhalt wurden von der Bundeswehr für Baumaßnahmen in den Jahren von 1994 bis 1999 insgesamt 827 Millionen DM verausgabt. Für dieses Jahr ist ein Investitionsvolumen von 176,3 Millionen DM veranschlagt.

Für die Verankerung der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt sorgt auch das Ausbildungsmodell Schaumburg. Hierbei handelt es sich um ein Ausbildungsangebot an Jugendliche mit mittlerer Reife, welches die Nutzung des regional vorhandenen Ausbildungsangebots von Industrie und Handwerk durch die Bundeswehr vorsieht.

Schulabgänger, die Interesse an einer späteren Verwendung als Soldat auf Zeit haben, erhalten eine adäquate zivile Berufsausbildung und die Zusage, dass sie nach erfolgreichem Durchlaufen dieser Ausbildung für wenigstens vier Jahre als Soldaten auf Zeit beschäftigt werden.

Die Bundeswehr unterstützt die ausbildenden Betriebe durch Zahlung eines festen Ausbildungszuschusses. Ich denke, dass macht Sinn. Die Bundeswehr erhält gut ausgebildete junge Menschen und die Jugendlichen erhalten einen Arbeitsplatz.

Meine Damen und Herren! Den Eckpfeilern des Bundesverteidigungsministers für die Erneuerung der Bundeswehr zufolge wird der Friedenspersonalumfang der Bun

deswehr um rund ein Viertel reduziert. Nach der Verringerung beträgt er noch rund 360 000 Soldaten und zivile Mitarbeiter.

Welcher Anteil dieser Arbeitsplätze, frage ich mich, gehört nach Sachsen-Anhalt? Der Verteidigungsminister hat bei der Vorstellung seiner Eckpfeiler für eine Erneuerung der Bundeswehr deutlich gemacht, dass das Ziel der Flächenpräsenz der Bundeswehr Bestand hat. Diese Dislozierung von Streitkräften in der Fläche ist einmal militärisch geboten. Sie trägt aber anderseits auch dazu bei, dass die Bundeswehr den Kontakt zur Bevölkerung behält.

Für einen angemessenen Anteil Sachsen-Anhalts kommt es also weniger auf die Einwohnerzahl unseres Landes an, als vielmehr auf seine räumliche Ausdehnung.

Das Land Sachsen-Anhalt umfasst 20 446 km2 und nimmt der Fläche nach unter den deutschen Ländern den achten Rang ein. Die Gesamtfläche der Bundesrepublik beträgt 357 000 km2. Da die Zahl der Quadratkilometer fast identisch ist mit der Zahl der künftig bei der Bundeswehr Beschäftigten - ich nannte 360 000 -, wäre nach der Fläche des Landes Sachsen-Anhalt ein Anteil von etwa 20 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern angemessen.

Tatsächlich sind in unserem Land - diese Zahl entnehme ich dem CDU-Antrag - nur etwa 11 000 Bundeswehrangehörige beschäftigt. Daraus leite ich die Forderung ab, dass bei der bevorstehenden Bundeswehrreform die Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze nicht im Land Sachsen-Anhalt durchgeführt werden soll.

(Zustimmung bei der SPD)

Natürlich darf die Standortsicherung nicht zum Abrüstungshindernis werden. Aber der Abbau sollte dort erfolgen, wo die Bundeswehr überproportional vertreten ist, nämlich in den westlichen Bundesländern.

Es ist allerdings nicht sinnvoll - damit komme ich zum Änderungsantrag der PDS -, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt über die Modalitäten der Abwicklung von Standorten in den Ausschüssen reden; denn unser Ziel sollte es doch gerade sein, die Zahl an Standorten in SachsenAnhalt oder zumindest die Beschäftigtenzahlen in Sachsen-Anhalt zu erhalten.

Es kommt dabei durchaus in Betracht, dass man Standorte, die strukturell zu klein sind, zusammenlegt, aber dann bitte nur innerhalb des Landes Sachsen-Anhalt. Ich bin nicht bereit, mich auf eine Debatte darüber einzulassen, dass insgesamt der Bundeswehrstandort SachsenAnhalt reduziert wird.

Dies hat aber Ihr Antrag, Herr Kollege Gärtner, zum Inhalt. Deshalb können wir dem heute nicht zustimmen. Wenn es jedoch wider Erwarten nicht gelingen sollte, die Beschäftigtenzahlen der Bundeswehr und die Standorte in Sachsen-Anhalt in vollem Umfang zu erhalten, dann holen Sie Ihren Antrag wieder aus der Schublade. Dann könnten wir ihm auch zustimmen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

Es geht also darum, meine Damen und Herren, dass wir heute kein falsches Signal an die Bundeswehrführung senden. Lassen Sie uns heute nicht die weiße Fahne hissen, sondern - ich fasse jetzt Herrn Sommerfeld fest ins Auge - lassen Sie uns im Geist des Altmark-Generals Henning von Treffenfels für den Erhalt