Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Mit diesem Gesetzentwurf werden die grundsätzlich verankerten Erziehungsrechte der Eltern eingeschränkt, ja es wird darüber verfügt. Indoktrination gegen elterliche Erziehung, Kasernierungsversuche gegen selbstbewusste Kinder und Jugendliche.

(Oh! bei der SPD)

Die Fraktion der FDVP hatte in einem Änderungsantrag vorgeschlagen, die Grundschulen mit festen Öffnungszeiten auf freiwilliger Basis im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten zu führen.

Wir begründeten dies unter anderem damit, dass die verbindliche Anwesenheit aller Kinder in der Grundschule mit festen Öffnungszeiten einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Erziehungsberechtigten darstellt und die von der Mehrheit der Eltern gewünschten Möglichkeiten familiärer Erziehung einschränkt. Wir verwiesen auch darauf, dass die individuelle Erziehungsstrategie gegenüber staatlich geprägter und geführter Erziehung nicht den berechtigten Stellenwert zugebilligt bekommt. Zugleich plädierten wir für Ausnahmeregelungen auf be

gründeten Antrag von Familien und Erziehungsberechtigten, die eine familienbetonte Erziehung wünschen.

Die linksextremistische PDS übernimmt sukzessive FDVP-Positionen,

(Frau Bull, PDS: Oh!)

rudert zurück und der Januskopf verkündigt einen Entschließungsantrag. Dieser soll nun enthalten, dass den Eltern die Möglichkeit eröffnet wird, sich selbst in die Entwicklung der Grundschulen und die Nachmittagsbetreuung einzubringen oder sich dort zu engagieren.

Meine Damen und Herren! Das wird weder die PDS noch die Landesregierung retten, wenn Eltern oder Verbände vor das Landesverfassungsgericht ziehen, um gegen das Gesetz Klage einzureichen. Auch wir als Fraktion werden geeignete Schritte erwägen. Die Fraktion der FDVP wird gern bereit sein, klagewillige Eltern zu unterstützen, weil diese Landesregierung sonst nicht ihre verfahrene Schulpolitik aufgibt.

Namentliche Abstimmung hätten wir ohnehin gefordert. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Ich bitte Kollegin Kauerauf vielmals um Entschuldigung. Ich war schon eine Reihe weiter. Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Kauerauf. Bitte schön.

(Frau Kauerauf, SPD: Ich hätte aber auch nicht verzichtet!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Präambel zum Bericht und zu den Analysen der Enquetekommission „Schule mit Zukunft des Landes Sachsen-Anhalt“ wurde eine Reihe von Zielen formuliert, die den neuen Entwicklungen und Erfordernissen von Bildung und Erziehung im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts Rechnung tragen sollen. Kommissionsmitglieder und Sachverständige waren sich einig, dass die Schule weitreichender Reformen bedarf, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

Wir haben als SPD-Fraktion dieses Anliegen gemeinsam mit Mitstreitern aus unterschiedlichen Bereichen aufgegriffen und uns der längst überfälligen Reform der Grundschule unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zehn Jahre nach der Wende gestellt. Dabei konnte auf Ergebnisse und Erfahrungen zurückgegriffen werden, die in mehreren Bundesländern mit der bereits praktizierten „ganzen Halbtagsschule“ gesammelt und an Schulen unseres Landes modellhaft erprobt worden sind.

Positive Auswirkungen auf die Bildung und Erziehung der betroffenen Kinder führten zu der Empfehlung einer flächendeckenden Einführung in unserem Land, der mit der Gesetzesvorlage seitens der Landesregierung entsprochen wurde.

Vor der ersten Lesung des Gesetzes und in der Phase der Parlamentsberatungen gab es breite Diskussionen, die Übereinstimmung mit den wesentlichen Passagen des Entwurfs signalisierten.

(Frau Wiechmann, FDVP: Das stimmt nicht, Frau Kauerauf!)

- Ich habe gesagt: „mit den wesentlichsten“. Sie müssen zuhören.

(Frau Wiechmann, FDVP: Nein, das stimmt auch nicht!)

Ausgehend vom ganzheitlichen pädagogischen Konzept, war sich die Mehrheit der an der Diskussion Beteiligten einig, dass die Grundschule künftig nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln hat, sondern den gestiegenen Bildungserwartungen der Eltern Rechnung zu tragen hat, die veränderten Lernvoraussetzungen der Kinder zu beachten, Integrationsaufgaben zu erfüllen und die Lernentwicklung zu sichern hat.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Der vorgegebene Rahmen von fünfeinhalb Zeitstunden wurde als optimale Spanne zur Ermöglichung des kindgerechteren Lernens gewählt, da die Rhythmisierung des Schultages mit einer Vielfalt von Lern-, Lehr- und Sozialformen gewährleistet werden kann. Die Schule wird somit nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort.

Differierend waren die Ansichten in den Diskussionsrunden zu den Öffnungszeiten. Mehrfach kam die Forderung, den Zeitrahmen auf sechs Zeitstunden und mehr festzulegen, um ein tägliches Unterrichtsangebot von sechs Unterrichtsstunden vorhalten zu können. Dies wiederum sollte erweiterte Möglichkeiten freier Betätigung insbesondere für die Schüler der ersten beiden Klassenstufen eröffnen.

Andere Interessengruppen hielten eine vormittägliche Belastung der Grundschüler in den ersten zwei Jahrgängen mit fünfeinhalb Zeitstunden für zu groß und forderten die Freiwilligkeit beim Besuch der Grundschule mit festen Öffnungszeiten für jüngere Schüler.

Die SPD-Fraktion hält das im Gesetzentwurf angegebene Zeitvolumen für angemessen, optimal und verfassungskonform. Die pädagogischen Möglichkeiten der Schule werden unter der Mitwirkung der pädagogischen Mitarbeiterinnen erweitert und ergänzt. Für die Eltern werden gleichzeitig verlässliche Betreuungszeiten gesichert. Somit wird die Grundschule kind- und familiengerechter.

Da es sich bei dem neuen Grundschulkonzept um ein integratives System gegenüber dem herkömmlichen additiven System von Unterricht und Hortbetreuung handelt, ist es nicht möglich, den Schulbetrieb vor dem Ende des für alle verbindlichen Schulvormittags zu verlassen. Ein offener Schuleingang am Beginn und der Wechsel von Unterrichtsblöcken mit Entspannungsphasen stellen eine neue, innovative Schultagsgestaltung dar, die mit dem gemeinsamen Ausklang ihren Abschluss findet.

(Frau Wiechmann, FDVP: Das darf nicht wahr sein! - Herr Gürth, CDU: Innovation!)

Dabei ist gerade der gemeinsame Ausklang, die Rückbesinnung auf das am Schultag Erlebte und Erreichte für die Entwicklung des Selbstbewusstseins der Kinder von großer Bedeutung.

(Frau Wiechmann, FDVP: O Gott!)

Aus diesem Grunde war es uns sehr wichtig, im Rahmen der Novellierung des Gesetzes die Schulpflicht im § 36 genauer zu definieren und auf die Zeit der Ergänzung und Unterstützung zu erweitern.

Meine Damen und Herren! Zu weiteren inhaltlichen und organisatorischen Sachverhalten, die mit der Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten im Zusammenhang stehen, wurden bereits hinlänglich Erläuterungen vorgetragen.

Sicherlich ist verständlich, dass nicht alle genannten Rahmenbedingungen im Gesetzestext aufgeführt werden können. Wir halten es jedoch nicht nur für angemessen, sondern auch für notwendig, den berechtigten Informationswünschen von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umfassend und kurzfristig nachzukommen sowie deren aktive Einbringung in den Prozess zu ermöglichen.

Außerordentlich wichtig sind unseres Erachtens in Kürze anlaufende Fortbildungen, die der gründlichen Vorbereitung und Begleitung dieses Reformvorhabens dienen. Das muss notwendigerweise neben den Lehrerinnen und Lehrern und den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch die Beschäftigten in den staatlichen Schulämtern, im Jugendhilfebereich und natürlich die Schulleiter betreffen.

Frau Kollegin Kauerauf, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin gleich fertig. - Die SPD-Fraktion wird angesichts des weiteren Schrittes zur Realisierung sozialdemokratischer Bildungspolitik ein aktiver Begleiter bei der Schaffung dieser Schulform sein.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Im Mittelpunkt stehen die Kinder. Sie auf die Zukunft mit ihren vielfältigen Herausforderungen im Sinne des eingangs erwähnten Berichts der Enquetekommission vorzubereiten ist unser Ziel. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD, von Herrn Dr. Süß, PDS, und von der Regierungsbank)

Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Hein.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu diesem Regierungsvorhaben ist in den letzten Monaten viel debattiert worden hier im Landtag, aber fast noch mehr in der Öffentlichkeit. Dass ein neuer pädagogischer Ansatz Unruhe und Verwirrung hervorruft, verstehe ich.

(Frau Wiechmann, FDVP: Das ist ein kommunis- tischer Ansatz, Frau Hein, kein neuer!)

In Richtung der CDU möchte ich an dieser Stelle sagen, die Ablehnung moderner pädagogischer Arbeitsformen hatte leider in der DDR-Bildungspolitik eine ziemlich traurige Tradition.

(Frau Feußner, CDU: Das wissen Sie genau!)

Dass diese Tradition nun ausgerechnet von der CDU fortgesetzt wird, finde ich schon bemerkenswert.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Ernst, SPD, und von Frau Kauerauf, SPD)

Wenn im Übrigen etwas nicht verstanden wird, sagt das noch lange nichts über den Sinn oder den Unsinn eines Anliegens aus.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Sei es, wie es sei. Um so wichtiger ist es, dass die Einführung dieses Gesetzes sorgfältig vorbereitet wird, dass vor allem auch die Umfeldprobleme, zum Beispiel eine für die Kinder möglichst bruchlose nachschulische Nachmittagsbetreuung, Beachtung finden und dass nach Lösungen gesucht wird, die für die Kinder und die Eltern möglichst keine Nachteile bringen.

(Frau Wiechmann, FDVP: Wegschließen!)