Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Meine Damen und Herren! Prävention ist auch ein entscheidendes Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität auf zwei weiteren Feldern, die ich kurz anspreche. Herr Becker hat diese ebenfalls angesprochen. Es sind dies die extremistischen Gewalttaten und die Drogenkriminalität.

Ich begrüße nachdrücklich, dass in diesem Sommer in Deutschland endlich eine nachhaltige Diskussion über die Gefahren des Rechtsextremismus begonnen hat. Die Wahrnehmung der Lage hat sich verändert, die Lage jedoch nicht. Was die Lage betrifft, bestand und besteht in Sachsen-Anhalt Anlass für erhöhte Wachsamkeit, denn die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in den neuen Ländern ist im Vergleich zu den alten Ländern immer noch bedrückend hoch.

Zur aktuellen Entwicklung. Herr Becker, wenn Sie sagen, wir sind das Land mit der höchsten Belastung: Wir haben einen eindeutigen Rückgang bei den extremistischen Straftaten zu verzeichnen, sowohl bei den Gewalt- als auch bei allgemein rechtsextremistischen Straftaten. Sowohl von links als auch von rechts. Wenn Sie vorhin von links sprachen, da beträgt der Rückgang bei den Straftaten im ersten dreiviertel Jahr sogar über 70 %. Die Zahlen sind belastbar und stellen auch die Relation her. Aber, wie gesagt, die Augen dürfen wir davor absolut nicht verschließen.

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung sah und sieht in der Bekämpfung rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierter Straftaten eine Hauptaufgabe.

Was den polizeilichen Bereich betrifft, sei an dieser Stelle nur die Koordinierungs- und Ermittlungsgruppe gegen Rechts - abgekürzt KEG Rechts - genannt, die seit dem Jahr 1994, also erst seit meiner Zeit, besteht. Von ihr wurden unter anderem mehrere Ermittlungskomplexe wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, des versuchten Mordes, des schweren Landfriedensbruches sowie wegen Gefahren im Zusammenhang mit der Skinhead-Musikszene bearbeitet.

Einen Arbeitsschwerpunkt bildet gegenwärtig die Nutzung der modernen Kommunikationstechnologien durch Angehörige der rechten Szene sowie der SkinheadMusikszene. Im letztgenannten Bereich wurde verstärkt gegen Musikvertriebe in Sachsen-Anhalt vorgegangen. Ich erinnere nur an die erfolgreiche Durchsuchungsaktion vor wenigen Wochen. Insgesamt kann hinsichtlich der Einrichtung der KEG Rechts eine positive Bilanz gezogen werden.

Meine Damen und Herren! Die CDU hat in der Großen Anfrage zur Polizei auch nach dem Verfassungsschutz gefragt. Der Verfassungsschutz ist mitnichten ein Unterfall der Polizei.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

- Die Große Anfrage betraf nicht die innere Sicherheit, sondern es handelt sich um eine Große Anfrage zur Polizei. Schauen Sie bitte nach.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

- Herr Bergner, Sie nehmen sonst immer jedes unserer Worte ganz exakt. Ich nehme Sie jetzt auch beim Wort.

Dennoch mache ich auch zu diesem Fragenkomplex einige Bemerkungen. Ähnlich wie bei der Polizei in Sachsen-Anhalt wurden auch beim Verfassungsschutz in den letzten Jahren organisatorische und inhaltliche Veränderungen vorgenommen. Die Umstrukturierung des Landesamtes für Verfassungsschutz in eine Abteilung des Innenministeriums hat zu einer effizienteren Aufgabenwahrnehmung geführt.

Es ist uns gelungen, die mit den Aufgaben des Verfassungsschutzes betrauten Mitarbeiter auf die originären Aufgaben einer Verfassungsschutzbehörde zu konzentrieren. Bereits im April dieses Jahres habe ich durch die Bündelung von Personal eine Spezialeinheit zur Beobachtung der Skinheadszene eingerichtet. Durch weitere aufbau- und ablauforganisatorische Maßnahmen mit dem eindeutigen Schwerpunkt der Beobachtung des Rechtsextremismus wurden zusätzliche Synergieeffekte erzeugt.

Gerade bei der Beobachtung und Bekämpfung des Rechtsextremismus haben wir unter strikter Beachtung des Trennungsgebotes die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei weiterentwickelt. Ergebnis dieser Kooperation ist unter anderem, dass es im ersten Halbjahr des Jahres 2000 nach unseren Erkenntnissen kein Konzert der Skinheadszene im Land Sachsen-Anhalt gegeben hat.

Meine Damen und Herren! Gerade nach den Diskussionen über die Verfassungsschutzbehörde des Landes in den letzten Jahren freut mich der Landtagsbeschluss zum Thema „Toleranz und Zivilcourage gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“ in der vergangenen Landtagssitzung, in dem unter anderem die Arbeit des Verfassungsschutzes fraktionsübergreifend - also auch von der PDS - zu Recht gewürdigt wurde. Vielen Dank noch einmal für Ihre Zustimmung.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Meine Damen und Herren! Der Anstieg der Drogenkriminalität hat unterschiedliche Gründe. Zum einen ist Drogenkriminalität Holekriminalität, das heißt, durch verstärkte Kontrollen der Polizei steigen die Fallzahlen, zum anderen haben wir seit Mitte der 90er-Jahre einen Anstieg der Drogenkriminalität zu verzeichnen.

Dies entspricht der Entwicklung in allen neuen Bundesländern. Leider ist gewissermaßen ein Aufholprozess gegenüber den alten Bundesländern zu verzeichnen. Die neuen Bundesländer liegen aber mit ihren Häufigkeitszahlen, Herr Becker, immer noch deutlich unter den entsprechenden Zahlen der alten Länder.

Teilweise sind die höheren Fallzahlen auch auf eine verstärkte Kontrolle durch die Polizei zurückzuführen. Hierbei gelingt es zunehmend, das bei der Betäubungsmittelkriminalität besonders große Dunkelfeld aufzuhellen. Ich will nicht näher auf den Fall der letzten Tage eingehen, der einigen Klischees entgegengetreten ist.

Um keinen falschen Eindruck zu erzeugen, will ich ausdrücklich betonen, dass der Zahlenvergleich keineswegs verharmlosen soll. Wir dürfen die Augen vor dieser Entwicklung nicht verschließen und müssen uns den Herausforderungen stellen.

Meine Damen und Herren! Rauschgiftkriminalität ist und bleibt das größte Betätigungsfeld der OK. Die durch die OK in Sachsen-Anhalt erzielten Gewinne werden für das Jahr 1999 auf ca.10,7 Millionen DM geschätzt, ganz abgesehen vom Dunkelfeld. Gerade die Abschöpfung von illegalen Gewinn- und Vermögenswerten hat sich zuletzt als ein besonders wirksamer Hebel zur Bekämpfung der OK herausgestellt.

Dabei ist unsere Polizei besonders erfolgreich. Erst vor kurzem konnte ich eine erste Bilanz unseres Konzeptes zur Gewinnabschöpfung vorstellen. Nach diesem Konzept unterstützen speziell ausgebildete Vermögensermittler der Polizei in engem Zusammenwirken mit der Staatsanwaltschaft die Tatermittler beim Aufspüren und Beschlagnahmen von kriminellem Vermögen oder dessen Ersatz.

Allein in den ersten 17 Monaten wurden Vermögenswerte in einer Höhe von rund 38 Millionen DM vorläufig gesichert. Endgültig konnten bislang Werte in Höhe von knapp 9,5 Millionen DM eingezogen werden.

(Zustimmung von Herrn Kühn, SPD)

Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass SachsenAnhalt zu den Bundesländern gehört, die auf diesem Wege bisher mit am erfolgreichsten waren. Die erzielten Ergebnisse liegen im Vergleich der neuen Bundesländer eindeutig an der Spitze und belegen die hohe Professionalität unserer Polizei.

Meine Damen und Herren! Die Erfolge der Polizei in den vergangenen Jahren sind unverkennbar. Der Rückgang der registrierten Straftaten von 320 000 im Jahr 1995 auf 260 000 im letzten Jahr und der gleichzeitige Anstieg der Aufklärungsquote von 35,9 % im Jahr 1995 auf aktuell 55,3 % fallen nicht vom Himmel.

Dieser anhaltend positive Trend in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik ist das Produkt einer kontinuierlichen Entwicklung der Polizei auf allen Feldern - eine Entwicklung, die zunehmend auch von der Bevölkerung anerkannt wird, bei der die Polizei unter allen staatlichen Institutionen mit das höchste Ansehen genießt, und zwar auch - das ist besonders wichtig - unter den jungen Menschen.

Für die hervorragende Arbeit, die unsere Polizeibeamtinnen und -beamten in den letzten Jahren geleistet haben, danke ich ihnen von dieser Stelle aus ganz herzlich.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Meine Damen und Herren! Wie die Anfang September veröffentlichte Umfrage zum Kompetenzvorsprung der SPD in Sachsen-Anhalt unter anderem auch bei der Kriminalitätsbekämpfung ergeben hat, werden diese Erfolge auch auf das erfolgreiche Wirken der Landesregierung zurückgeführt. Dies ist eine Bestätigung unserer politischen Arbeit auf dem Gebiet der inneren Sicherheit.

(Herr Becker, CDU: Vorsicht!)

Dafür möchte ich allen danken, die mich bzw. uns dabei in den letzten Jahren unterstützt haben. Wenn es darauf ankam auch Sie, Herr Becker. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind fertig, Herr Minister?

Ja, aber so fertig nicht.

(Heiterkeit)

Wollen Sie eine Frage des Abgeordneten Herrn Dr. Bergner beantworten? - Bitte schön.

Herr Minister, ich würde gern zwei Fragen stellen. Die eine betrifft die zu erwartende Personalproblematik, also die Entwicklung des Personalkörpers der Polizei. Niemand bezweifelt, dass wir im Moment bei der Ausbildung von Anwärtern bzw. von zukünftigen Polizisten eine ausgesprochen exzellente Bewerberlage haben. Was mich ein bisschen irritiert, ist Ihre Sicherheit, dass das im Jahr 2010 und in den folgenden Jahren, wenn die meisten ausscheiden, auch so sein wird.

Der Ministerpräsident wirbt zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Satz um Lehrstellen: Wir werden in Sachsen-Anhalt in die Jahre kommen, in denen die Wirtschaft mit der Laterne Lehrlinge suchen wird. - Ich frage Sie: Warum sollte es bei der Nachwuchssuche für die Polizei grundsätzlich anders sein?

Zum anderen haben Sie gesagt, dass die Rechtsextremismusdiskussion, wie sie in diesem Sommer gelaufen und angelaufen ist, auch hilfreich für die polizeiliche Arbeit ist. In dem Zusammenhang würde ich gern zwei Fragen stellen.

Es geht hierbei nicht um die Polizei. Ich habe gesagt, es ist wichtig, dass diese Diskussion in diesem Sommer eröffnet wurde. Ich meinte nicht allein die Polizei, sondern die gesamte Gesellschaft. Denn es wurde in den letzten Jahren viel zu wenig darüber diskutiert. Wir können jetzt fragen, ob es in der jetzigen Dimension und zu diesem Zeitpunkt ablaufen soll. Wie es dazu kam, ist eine andere Frage. Ich halte es aber für wichtig, dass dies thematisiert wird und in alle Köpfe der Bevölkerung eindringt, damit ein Wandel im Bewusstsein der Menschen einsetzt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Ich will Ihnen in der Sache gar nicht widersprechen. Trotzdem frage ich mich, ob Sie sich nicht auch über

zwei Phänomene Sorgen machen müssen, die mir von polizeilicher Seite beschrieben wurden. Zum einen verstärkt die starke Aufmerksamkeit der Medien gegenüber einem bestimmten Komplex von Straftaten die Motivation von Nachahmungstätern. Ich will gar nicht in die Einzelheiten gehen, um nicht missverstanden zu werden. Aber mit Blick auf konkrete Straftaten, die auch in Sachsen-Anhalt stattfinden, wurde hier eine entsprechende Analyse vorgelegt.

Zum anderen sagen diejenigen, die in der Polizei tätig sind, dass sie bei der Feststellung von Regelverstößen bei Ausländern, wenn sie sie überführt haben, immer stärker mit dem Vorwurf konfrontiert werden, die Überführung dieses Regelverstoßes wäre ausländerfeindliches Verhalten. Was gedenken Sie, um auch polizeiliches Handeln gewissermaßen zweifelsfrei zu lassen, vor dem Hintergrund der allgemeinen Diskussionslage in dieser Hinsicht zu unternehmen?

Zum Ersten. Der Polizeiberuf ist ein attraktiver, interessanter Beruf mit einer hohen Sozialkompetenz, der immer interessierte junge Menschen finden wird, die dies machen wollen. Meine Hoffnung ist, dass es auch in Zukunft immer wieder junge Leute geben wird, die sich an dieser Stelle engagieren.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Können wir uns darauf einigen, dass es proportional zur Menge der potenziellen Bewerber zurückgehen wird?)

- Das ist sicherlich kein Problem. Wir werden später eine Halbierung der Zahl der Berufsanfänger haben. Auch wenn wir eine Halbierung der Bewerberzahlen bei der Polizei zu verzeichnen haben, haben wir immer noch eine so große Auswahl, dass wir da überhaupt kein Problem haben dürften. Weiter hinunter wird es da nicht gehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Punkt 2, Nachahmungstäter: Dies ist ein Problem, das wir seit Jahren haben. Nach den Ausschreitungen im Jahr 1992 vor dem Asylbewerberheim in Quedlinburg hatten wir über Wochen hinweg einen Anstieg der Straftaten in diesem Bereich zu verzeichnen, der dann wieder abflachte. Nach den Himmelfahrtsausschreitungen gab es einen starken Peak über drei Monate hinweg. Das gleiche Phänomen haben wir auch jetzt wieder. Damit müssen wir fertig werden. Wir müssen konsequent durchgreifen, um dem zu begegnen, um das wieder einzufangen.

Das Problem besteht zurzeit, keine Frage. Auch aufgrund der Berichterstattung in der Öffentlichkeit tritt das auf. Es lässt sich aber nicht vermeiden. Wichtig ist auch in diesem Fall, dass es thematisiert wird und die Sensibilität der Bevölkerung steigt. Das wird auch dazu führen, dass ein Rückgang der Straftaten zu verzeichnen sein wird.