Protokoll der Sitzung vom 13.10.2000

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3642

Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/3712

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Wernicke. Danach ist eine Fünfminutendebatte angesagt. Bitte, Frau Wernicke, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei unserem Antrag handelt es sich um eine alt

bekannte und doch hochaktuelle Thematik, um die Ausweisung der Gebiete nach der Flora-Fauna-HabitatRichtlinie zur Schaffung eines europäischen Verbundsystems mit dem Namen „Natura 2000“.

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Kurt Becker erklärte die Landesregierung, dass das Ministerium für Raumordnung und Umwelt landesweit alle Gebiete habe zusammenstellen lassen, welche die Kriterien des § 19 b des Bundesnaturschutzgesetzes in Verbindung mit Artikel 4 und Anhang 3 der FFHRichtlinie erfüllten.

Nach dem vorläufigen Abschluss der Grundlagenauswertung erfolgte 1998 die Erarbeitung der FFH-Gebietsliste. Die Gebietskulisse lag in der ersten diskussionsfähigen Form im Juli 1999 vor. Zu Beginn dieses Jahres, am 28. Februar 2000, beschloss das Kabinett, die ausgesuchten 195 Gebiete mit einer Fläche von ca. 200 000 ha - das sind 9,8 % der gesamten Landesfläche - an die EU zu melden. Das geschah auch sofort.

Ob sich Sachsen-Anhalt bei der Ausweisung von Gebieten, was den Anteil an der Landesfläche angeht, unbedingt in eine Vorreiterrolle begeben musste, will ich heute nicht bewerten. Auch das grundsätzliche Ziel, Ökosysteme zu erhalten bzw. naturschutzgerechte Pflege- und Wirtschaftsweisen nachhaltig zu sichern, wird von der CDU nicht infrage gestellt.

Doch nach Meinung der CDU und der verschiedensten Verbände wurden - wie eine umfassende Anhörung zu diesem Problem ergab - gravierende Fehler gemacht, die auch nachträglich weder eingestanden noch beseitigt wurden. Hierzu gehört ein demokratisches Anhörungsverfahren, bei dem alle Betroffenen gehört werden müssen. Dies fand nicht statt.

Bei den 54 Alibiveranstaltungen von Frau Häußler und ihren Mitarbeitern kann von Anhörung keine Rede sein. Vielmehr wurden die Betroffenen vor vollendete Tat- sachen gestellt.

(Zustimmung von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Insgesamt wurde für das gesamte Verfahren ein Zeitraum von nur sechs Wochen zur Verfügung gestellt. Dies war für Landwirte und für Waldbesitzer, die praktisch Naturschutz betreiben, aber auch für Institutionen wie IHK oder BVVG nicht ansatzweise zu schaffen, wenn die Stellungnahmen umfassend und konkret sein sollten.

Da keine flurstücksgenaue Ausweisung erfolgte, sondern nur die Grenzen von Naturräumen eingezeichnet wurden, war für die meisten der Anzuhörenden keine Betroffenheit feststellbar; daher waren keine Konsequenzen darstellbar und die Regierung hatte leichtes Spiel bei der Festlegung der Gebietskulisse.

Obwohl das gesamte Verfahren seit 1998 läuft und obwohl die Landesregierung von den Verbänden sowie von der CDU-Fraktion in unterschiedlichster Form auf diese Problematik aufmerksam gemacht worden war, hat sie ihr Verfahren durchgezogen. Nur wenige Korrekturen erfolgten, obwohl teilweise wirklich fachlich falsch ausgewiesen wurde. Es wurde auch, obwohl die diskussionsfähige Form der Meldung an die Europäische Union bereits 1999 vorlag, bis zum heutigen Tage nicht flurstücksgenau ausgewiesen und die Betroffenen wurden nicht informiert.

Unsere Kritiken und auch Warnungen vor den Konsequenzen wurden in großem Umfang ignoriert, anfangs

mit dem Argument, dass der Bundesrepublik Zwangsgelder drohten, dann mit dem Argument, dass Strukturfondsmittel nicht ausgereicht würden, und später mit dem Argument, dass nach der erfolgten Meldung keine Änderungen mehr möglich seien. Versäumtes muss jedoch umgehend nachgeholt werden. Deshalb stellen wir diesen Antrag.

Spätestens bei Stellung der nächsten Anträge auf Fördergelder beispielsweise im Landwirtschaftsbereich, aber auch bei der Planung von Entwicklungsräumen seitens der Kommunen wird sichtbar werden, dass ohne flurstücksgenaue Ausweisungen Antragsstellungen gar nicht mehr möglich sind und sich die Fördertatbestände verschlechtern, weil eben nicht genau bekannt ist, wo die Flächen und deren Grenzen wirklich liegen.

Es stellt sich auch die Frage, was bei bereits erfolgten Förderungen zum Beispiel von Investitionen in den gemeldeten FFH-Gebieten passiert. Gilt für die Personen, die die Förderung erhalten haben, die investiert haben, der Grundsatz von Treu und Glauben oder müssen sie eventuell ausgezahlte Fördergelder zurückzahlen?

Ich frage mich auch ernsthaft, was neuerdings praktiziert werden soll. Wie sollen denn private und kommunale Antragsteller auf Mittel aus dem Programm zur Dorferneuerung den Nachweis erbringen, dass ihr zur Förderung beantragtes Projekt in dem FFH-Gebiet liegt, wenn sie gar nicht wissen, wie die Ausweisung flurstücksgenau erfolgt ist? Die unteren Naturschutzbehörden heben jetzt schon die Hände, weil sie diese Situation nicht beherrschen werden.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Herrn Oleikiewitz, SPD)

Welche Auswirkungen sind aufgrund dieses Tatbestandes für künftige infrastrukturelle Entwicklungen, die sich bereits in der Planungsphase befinden, zu erwarten? Eingriffe in Eigentumsrechte sind vorprogrammiert. Schon nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen haben alle Eigentümer das Recht zu erfahren, ob sie betroffen sind oder nicht und ob sie in Zukunft mit Einschränkungen zu rechnen haben werden. Entschädigungsansprüche sind flächendeckend zu erwarten. Nicht zuletzt hat dieses Verfahren der Akzeptanz in der Bevölkerung im Sinne des Naturschutzes mehr geschadet als genützt.

Um Ihnen einmal darzustellen, wie man das auch richtig hätte machen können, sei das Beispiel Bayern angeführt. Dort hat man ein dreimonatiges Anhörungsverfahren eingeleitet. Ackerflächen wurden mit Angabe der Flurnummern von der Meldung ausgenommen. So blieben Fördertatbestände erhalten. Die Betroffenen wurden darüber informiert, dass ihre Gründstücke in die Gebietsauswahl einbezogen sind. Sie wurden auch darüber informiert, warum sie einbezogen wurden. Damit ist den Eigentümern und Besitzern ausgiebig die Gelegenheit gegeben worden, sich zu positionieren und einen Dialog mit der Behörde zu führen.

Ein weiteres gutes Beispiel ist Thüringen. Dort wurden alle notwendigen Informationen in das Internet gestellt und waren so für einen sehr großen Teil der Bevölkerung abrufbar.

Dass durch die Verzögerung seitens der Länder, die auch in Bayern und Thüringen erfolgte, kein Schaden bei den EU-Zuweisungen entstanden ist, zeigt sich daran, dass diese Länder die Strukturfondsmittel bewilligt bekommen haben. Diese Länder liefern ein Beispiel dafür, dass Landesregierungen trotz großer Schwierig

keiten, die wir nicht verkennen wollen, diesen Prozess transparent gestalten, dass Landesregierungen Wert darauf legen, den Naturschutz gemeinsam mit den Betroffenen zu sichern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass den Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, die naturschutzfachlichen Kriterien nachzuvollziehen. Den betroffenen Eigentümern muss der Grund für die Ausweisung unter Angabe des Schutzziels und der zu erwartenden konkreten Einschränkungen auf den ausgewiesenen Flächen mitgeteilt werden, um die Folgen abschätzen zu können. Planungssicherheit für wirtschaftliche Aktivitäten, beispielsweise für Verkehrstrassen und für kommunale Entwicklungen, muss hergestellt werden.

Dass mit dieser Ausweisung ein erheblicher verwaltungstechnischer Aufwand verbunden ist, ist uns, denke ich, allen klar. Es geht jedoch um wirtschaftliche Interessen, es geht um Interessen der Kommunen und um Eigentümerinteressen, die es zu schützen gilt.

Um schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen, beantrage ich die direkte Annahme des Antrages.

Dass sich ein Runderlass als Verwaltungsvorschrift zur Umsetzung der FFH-Richtlinie zurzeit in der Abstimmung befinde, wurde uns bereits im Juli dieses Jahres in einer Ausschussberatung zugesichert.

Herr Wenzel, der zuständige Abteilungsleiter im entsprechenden Ministerium, führte aus, dass mit der Ausweisung eines FFH-Gebietes nicht automatisch eine Verschärfung in alle Richtungen verbunden sei; vielmehr gehe es um das Erhaltungsziel für das jeweilige Gebiet. Dem ist so weit noch zuzustimmen.

Er sagte aber auch, es sei nicht möglich, einfach zu sagen, der Neubau von Forstwegen sei zulässig oder nicht zulässig, weil die Situation für eine bewegliche Säugetierart völlig anders zu bewerten sei als für eine Käferart oder für eine Pflanzenart.

Er nannte als ein weiteres Beispiel, dass die Beurteilung der Errichtung eines Windparks in unmittelbarer Nähe eines Natura-2000-Gebietes völlig anders ausfallen werde, wenn in einem Gebiet nach Anhang 2 der FFH-Richtlinie Farne oder andere Pflanzen zu schützen seien.

Meine Damen und Herren! Schon diese beiden Beispiele beweisen doch, dass es bei der Beurteilung und bei Genehmigungsverfahren so oder so ausgehen kann, je nachdem, ob die Fläche im FFH-Gebiet liegt, bzw. je nachdem, was ich schützen will und was ich nicht schützen will.

Meine Damen und Herren! Es muss mir aber bekannt sein, ob mein Grundstück in dieser Fläche liegt, ob ich überhaupt die Chance habe, eine Investition oder eine Entwicklung vorzubereiten.

(Zustimmung bei der CDU)

Aus diesem Grund, weil es unbedingt notwendig ist, eine Klärung zu erreichen, bitten wir um Unterstützung und um die direkte Annahme unseres Antrags.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr. - Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt das Wort. Bitte, Herr Keller.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema FFH ist in der Tat ein Thema, das die Menschen in diesem Land, insbesondere die Eigentümer, bewegt. Aber, Frau Wernicke, das Thema kann nicht so behandelt werden, wie Sie das eben getan haben. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess, der im Jahre 1992 durch die Verabschiedung einer EURichtlinie eingeleitet worden ist. Übrigens war damals der Mitgliedstaat Deutschland durch die CDU-Bundesregierung vertreten, die dieser Richtlinie zugestimmt hat.

(Frau Wernicke, CDU: Das war nicht die Frage!)

Diese Richtlinie hat, weil sie in der Bundesrepublik Deutschland - im Übrigen auch aufgrund von Versäumnissen der CDU-Bundesregierung - damals nicht rechtzeitig in das bundesdeutsche Recht umgesetzt worden ist, unmittelbare Wirkungen entfaltet. Alle die Gebiete, die in der Richtlinie stehen, die ja bestimmte Anforderungen stellt und die bestimmte Gebiete in zwei Anhängen als schützenswerte Gebiete nach Biotoptypen ausweist, sind betroffen. Es gab im Übrigen in der Bundesrepublik schon Gerichtsurteile, bei denen die Nichtbeachtung der EU-Richtlinie zum Stopp von Vorhaben geführt hat. Dies zur Vorgeschichte.

Das Land Sachsen-Anhalt hat bereits im Jahr 1996 eine erste Tranche von FFH-Gebieten gemeldet. Das waren insbesondere die Gebiete, die rechtlich in SachsenAnhalt durch Verordnung bereits unter Naturschutz gestellt waren, und wir waren gezwungen, weil die Europäische Union das nicht als ausreichend anerkannt hat, eine zweite Tranche zu melden.

Diese Meldung, meine Damen und Herren, stand unter einem erheblichen Zeitdruck, weil erstens in der Zwischenzeit die Europäische Kommission die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der Nichtumsetzung dieser Richtlinie verklagt hatte und Zwangsgelder drohten - Sie haben das eben als Nebenaspekt erwähnt - und weil zweitens eine ganz massive Anforderung der Europäischen Kommission kam, die Freigabe von Mitteln aus EU-Strukturfonds mit der Ausweisung der FFH-Gebiete, also mit der Wahrnehmung und der Umsetzung von europäischem Recht in der Bundesrepublik Deutschland, zu verknüpfen. Jedermann weiß, dass gerade diese Drohung für die neuen Bundesländer eine ganz entscheidende Drohung gewesen ist.

Im Übrigen möchte ich sagen, Frau Wernicke: Immer wieder wird verbreitet, in Thüringen und in anderen Ländern seien die Strukturfondsmittel bewilligt, in SachsenAnhalt aber nicht. Das ist schlichtweg falsch. In Thüringen sind die Strukturfondsmittel genauso wenig bewilligt wie in Sachsen-Anhalt. Das einzige Land, dem die Mittel bewilligt worden sind, wobei die Europäische Kommission selbst zugibt, dass das eigentlich gar nicht hätte geschehen dürfen, ist das Land Mecklenburg-Vorpommern.

Was in Thüringen ebenso so wie in Sachsen-Anhalt bewilligt ist - darüber wird nicht geredet, weil es in Sachsen-Anhalt nämlich schon vor Thüringen bewilligt worden ist -, sind die Mittel aus dem EAGFL, Abteilung Garantie, aber nicht aus der Abteilung Ausrichtung, um das einmal klarzustellen. Das dazu.

Wir haben dann ein Verfahren durchgeführt, und dieses Verfahren - Sie haben es geschildert - ist in der Tat kein

förmliches Verfahren nach dem Naturschutzgesetz gewesen, sondern ein Verfahren, für das wir eine freiwillige Beteiligung vorgesehen hatten. Im Übrigen konnte sich jeder, der wollte, danach erkundigen. Die Unterlagen haben bei den Landkreisen ausgelegen - nicht flurstücksgenau; darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Wir standen unter erheblichem Zeitdruck.

Wir sind momentan bei folgendem Verfahrensschritt: Wir haben im März dieses Jahres nach Bonn gemeldet und nun muss die nationale Zustimmung dazu erfolgen. Wir befinden uns momentan - das soll bis zum 17. Oktober abgeschlossen sein - in der Abstimmung zwischen dem Landesamt für Umweltschutz und dem Bundesamt für Naturschutz, damit die nationale Bewertung der FFHGebiete, die Sachsen-Anhalt gemeldet hat, bestätigt wird und dies dann nach Brüssel weitergeleitet wird.

Dann wird Brüssel darüber entscheiden, ob die Gebiete von der EU akzeptiert werden. Gegebenenfalls wird es noch ein Gegenstromprinzip geben und es wird gefragt werden, ob noch Veränderungen notwendig oder möglich sind.

Wenn das passiert ist, Frau Wernicke, und wenn klar ist, welche Gebiete von Europa akzeptiert sind, dann bin ich gern bereit, die Dinge auch flurstücksgenau auszuweisen, weil dann die Betroffenheit für jeden Einzelnen sehr deutlich wird. Das werden wir auch sehr schnell machen können, weil der Abgleich mit dem allgemeinen Liegenschaftskataster dann möglich sein wird. Insofern ist Ihre Forderung sicherlich auf die Dauer gerechtfertigt, aber es muss wirklich klar sein, was denn nun von Europa in Sachsen-Anhalt als FFH-Gebiet insgesamt anerkannt worden ist.

Deshalb halte ich es zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht sehr zielführend, Ihrem Antrag unmittelbar zu folgen, sondern es ist richtig, das dann zu tun, wenn die Dinge feststehen.