Protokoll der Sitzung vom 13.10.2000

Es ist ohnehin kein Antrag auf Überweisung gestellt worden, somit hätte ich jetzt über die Änderungsanträge der Reihe nach abstimmen lassen.

(Frau Wernicke, CDU: Ich hatte die Überweisung beantragt! Dann habe ich mich wohl nicht klar genug ausgedrückt! Wenn beide Anträge in den Ausschuss überwiesen werden, dann würden wir dem zustimmen!)

- Das erleichtert die ganze Sache, aber Sie haben das wirklich nicht klar ausgedrückt; denn die Anträge selbst beziehen sich auf die Beratung in den Ausschüssen.

Ich lasse jetzt über den Antrag auf Überweisung in die genannten Ausschüsse abstimmen. Wer sich diesem Antrag anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Überweisung zugestimmt worden.

Meine Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 16 abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

Porno-Welle sprengt sämtliche Grenzen

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/3651

Der Antrag wird eingebracht durch die Abgeordnete Frau Wiechmann. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde mit unserem Antrag zunächst ein allgemeines Problem beleuchten und in der danach folgenden Debatte auch auf die Kinderpornografie im Besonderen eingehen.

Milliardengewinne erwirtschaftet die illegale Brutalfilmindustrie Jahr für Jahr, speziell auch mit Kinderpornografie. Einen mächtigen zusätzlichen Schub hat das noch junge Medium Internet diesem Markt verschafft. In dessen Fahrwasser wächst zudem auch die Zahl des verbrecherischen Missbrauchs von Minderjährigen und sogar von Kleinkindern durch erwachsene Täter rapide.

Das, was sich heute, meine Damen und Herren, mitten unter uns abspielt, ist die direkte Folge des gigantischen revolutionären Feldzuges für die so genannte totale Befreiung des Menschen seit Mitte der 60er-Jahre. Das Einzige, meine Damen und Herren, was heute tabufrei diskutiert werden kann, ist die Sexualität. Doch nahezu ohnmächtig sehen Öffentlichkeit und Strafverfolger dem Treiben der Pornoindustrie zu.

Dennoch ist der Abwehr- und Widerstandswille in der Bevölkerung offenbar lebendig. Im Kampf gegen die immer höher schlagende Welle menschenverachtender Pornografie in Fernseh- und Kinderprogrammen, in Presse und in Werbung könnte es schon bald - nach der Bewertung der Fachkräfte - zu ebenso nützlichen wie ungewöhnlichen Bündnissen kommen.

Inzwischen finden sich demnach nicht nur Menschen mit christlichen Werten und Grundüberzeugungen zu aktivem Protest gegen diese Industrie zusammen, sondern auch erklärte Fürsprecherinnen und Vorkämpferinnen des Feminismus. Zumeist jedoch prangerten sie nur die skrupellosen Angriffe der Pornografievermarkter auf die Frauen an. Was aber, so ist zu fragen, ist mit Kindern, mit Männern, mit Behinderten als den Opfern brutalster Ausbeutung, Vergewaltigung und Erniedrigung?

Festzustellen ist, meine Damen und Herren, dass sich in der Vergangenheit weder die CDU-FDP-Regierung noch die beiden großen Kirchen dieser Entwicklung energisch genug entgegengestellt haben. Von der SPD war ohnehin nichts anderes zu erwarten, denn keine anderen als Herbert Wehner und Schatzmeister Nau waren mit Millionenbeträgen an den Hamburger Pornoblättern „Sankt Pauli-Zeitung“ und „Sankt Pauli-Nachrichten“ beteiligt.

Die heutzutage praktisch uferlose Pornografieschwemme in Presse, Fernsehen und Internet vermittelt dem Menschen den fatalen irrigen Eindruck, er könne sich jeden noch so perversen und brutal-kriminellen Wunsch unverzüglich und rücksichtslos erfüllen, und das, je nach Lust und Laune, auch mit ständig wechselnden Partnern. Unausweichlich produziert die sich so darstellende Massen- und Medienwelt unkalkulierbare bedrohliche Folgen für die Allgemeinheit, weil, fehlgesteuert, auf Kinder und sogar Kleinkinder fixiert wird.

Rassistische Aufstachelung löst rassistische Verbrechen aus, meine Damen und Herren, und dasselbe gilt auch für pornografische Handlungen auf Videos, in Fernsehen, Film und Presse. So betrachtet, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Pornografie entsprechend zu brandmarken.

Es ist schon bemerkenswert festzustellen, dass der Tauschhandel mit kinderpornografischen Bildern über das Internet für einen festgenommenen 20-jährigen Mann nichts Besonderes gewesen ist. Nach seinem wörtlichen Bekunden war das wie Briefmarkensammeln, nur an dieser Stelle eben mit Fotos. Ähnlich ungerührt gab der festgenommene Mann zu, ein achtjähriges Mädchen aus seinem Bekanntenkreis mehrfach missbraucht zu haben. Fotos dieser Taten bot er dann über das Internet an, bis er gefasst wurde.

Der Fall dieses Mannes führte schließlich auf die Spur eines weiteren Täters, dem mehr als 200facher Kindesmissbrauch vorgeworfen wird.

Es kommt aber noch schlimmer; denn jetzt sind auch die Kinderfänger schon im Internet unterwegs. So hat die Kriminalpolizei Eschwege einen Mann festgenommen, der sich mithilfe des Internets das Vertrauen eines zwölfjährigen Mädchens erschlichen hat. Polizeibeamte befreiten das Kind im vergangenen Monat und nahmen den Verdächtigen fest. Die polizeilichen Ermittlungen haben ergeben, dass der Mann die Schülerin in übelster Weise missbraucht hat. Ein Einzelfall ist das nicht, sondern nur die Spitze eines Eisberges.

Wie kann es aber geschehen, meine Damen und Herren, dass Kinder den Kinderfängern im Internet in die Arme laufen? - Im Internet gibt es unzählige öffentliche Gesprächsrunden, so genannte Chatrooms, in denen sich Menschen per Tastatur unterhalten können.

Auch die betroffene Schülerin meldete sich regelmäßig in einem Chatroom für Jugendliche an und unterhielt sich dort über unverfängliche Themen. Die Zwölfjährige ahnte dabei nicht, dass einer ihrer regelmäßigen Gesprächspartner kein Gleichaltriger, sondern ein 24-jähriger Mann war, der offenbar auf der Suche nach Kindern war. Er flirtete mit der Schülerin und erschlich sich in wenigen Wochen ihr Vertrauen. Mitte August 2000 schlug dann der Unbekannte unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ein persönliches Treffen vor. Die Schülerin willigte arglos in dieses Treffen ein.

Als die Eltern ihr Kind am Abend vermissten, alarmierten sie die Polizei. Beamte entdeckten im Kinderzimmer des Mädchens die Telefonnummer des Unbekannten. Sie durchsuchten seine Wohnung in Baden-Württemberg und die seines Freundes in Aachen. Dort stießen die Beamten auf zahlreiche Kinderpornofotos, die in einem Computer gespeichert waren. Den Gesuchten nahmen die Polizeibeamten schließlich in der Wohnung seiner Mutter fest und sie befreiten das geschundene Mädchen.

Unsere Sorgen, meine Damen und Herren, werden auch vom größten Kinderschutzbund in Nordrhein-Westfalen geteilt. Ich zitiere:

„Wir vom Kinderschutzbund beobachten bereits seit einiger Zeit mit Sorge, dass sich Pädophile in Chaträumen für Kinder und Jugendliche tummeln. Viele Eltern ahnen ja gar nicht, dass hier eine katastrophale Gefahr droht. Sie sollten ihre Kinder unbedingt davor warnen, persönliche Angaben, wie den vollen Namen, eine Adresse oder eine Telefonnummer, mitzuteilen.“

Der Kinderschutzbund, meine Damen und Herren, will im kommenden Jahr, der Not gehorchend, eine OnlineBeratung für Kinder einrichten, die rund um die Uhr besetzt wird.

Meine Damen und Herren! Warten wir nicht ab, wie die Aktivitäten des Kinderschutzbundes ausgehen werden, sondern lassen Sie uns heute gemeinsam ein Zeichen setzen gegen das perverse Geschäft der Skrupellosen. Stimmen Sie unserem Antrag zu und brandmarken Sie mit uns Pornografie und vor allem auch Kinderpornografie. Verhelfen Sie durch eine parlamentarische Geste den geschundenen Kindern, Frauen und Behinderten zu der ihnen gebotenen Würde.

Der jüngste Schlag der Polizei gegen die Verbrecher im Internet mit weit über 1 000 ausgelösten Strafverfahren wegen Kinderpornografie signalisiert in diesem Zusammenhang nicht nur eine bedrohliche Lage, sondern einen sich ständig ausdehnenden Flächenbrand. Mit den Tausenden von Beschuldigten vom September 2000 ist aber wiederum nur die Spitze eines Eisberges sichtbar geworden. - Danke sehr.

(Beifall bei der FDVP)

Danke für die Einbringung. - Es ist im Ältestenrat eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion in der Reihenfolge CDU, PDS, DVU-FL, SPD und FDVP vereinbart worden. Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Remmers für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die geschilderten Sachverhalte und der Gegenstand des Antrages sind so ernst, dass ich meine, wir sollten hier schon feststellen, was denn unser eigentliches Problem ist.

Das Problem, denke ich, bei diesen schrecklichen Dingen, die zunehmend auch international anwachsen, etwa Kindesmissbrauch im Ausland, mit technischen Aufnahmegeräten festgehalten, mit unendlich grausamen Sexualtätern, die teilweise sogar nicht davor zurückscheuen, den Mord an Kindern im Zusammenhang mit sexuellen Aktivitäten darzustellen, ist nicht, meine Damen und Herren, dass der Landtag von SachsenAnhalt diese Dinge missbilligt.

Man könnte die Dinge eigentlich sogar etwas umdrehen und sagen: Woher nehmen die Antragsteller eigentlich die Annahme, dass eine solche Missbilligung von uns ausdrücklich ausgesprochen werden müsste?

Es ist sehr schnell zu sagen: Wir fordern die Missbilligung. Aber ich will doch einmal zurückfragen: Gibt es den Bedarf für uns, eine solche Missbilligung auszusprechen? Ist es nicht vielmehr so, dass wir diesem Antrag, wenn wir ihn richtig ernst nehmen wollten, ohne weiteres zustimmen würden? Denn niemand von uns wird die schrecklichen Dinge, die beschrieben sind, nicht missbilligen.

Wenn ich mir aber den Antrag selbst angucke, kriege ich bei der Zustimmungsmöglichkeit große Schwierigkeiten. Der einfache Satz „Wir missbilligen alle Formen der Pornografie“ und dann die Gesamtdefinition, bitte verurteilt doch mit uns das perverse Geschäft der Skrupellosen, sind so formuliert, dass ich große Bedenken habe, dieses wirklich sehr, sehr ernste Problem in dieser Form abzuhandeln.

Was ist denn unser wirkliches Problem? - Unser Problem ist doch nicht, dass wir diese schrecklichen Dinge nicht missbilligen und sie am liebsten verbannen würden, sondern das Problem ist, dass wir ansetzen müss

ten, in einer sehr ernsthaften Diskussion über die Ur- sachen und Möglichkeiten nachzudenken.

Das Zweite, das ich für sehr wichtig halte, ist, dass wir in einer sehr ernsten Diskussion darüber nachdenken müssen, welche technischen, menschlichen, polizeilichen und strafrechtlichen Möglichkeiten wir hätten, um das, was sich hier tatsächlich abspielt - insofern ist das Problem an der richtigen Stelle aufgespießt -, noch besser zu bekämpfen und die Weiterentwicklung zu verhindern. Das, denke ich, ist unser gemeinsames Problem.

Diesem gemeinsamen Problem würde eine ernsthafte Diskussion über die Möglichkeiten der Polizei bei der Frage: Wie komme ich an Internettäter heran? und eine ernsthafte Diskussion über die Frage dienen: Wie komme ich in der polizeilichen internationalen Zusammenarbeit so weit, dass im Ausland hergestellte sadomasochistische und andere Pornos schon in der Entstehung verhindert werden? und anderes mehr. Das alles müssten wir diskutieren.

Ich meine, dass der Missbilligungsantrag für diese Diskussion nicht die richtige Grundlage bietet. Wir werden diesem Antrag in dieser Form nicht zustimmen, weil er ein zu ernstes Problem für mich nicht ernst genug formuliert.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und von Herrn Gebhardt, PDS)

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Bull.

Meine Damen und Herren von der Rechtsaußenfront, mit welcher intellektuellen Schlichtheit Sie unausgesetzt hochkomplizierten gesellschaftlichen Problemen zu begegnen versuchen, ist eine wahre Wonne, das spottet jeder Beschreibung.

(Beifall bei der PDS und bei der CDU)

Das musste einmal raus, wie mein verehrter Kollege Daehre gestern meinte.

(Heiterkeit bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Gegen Pornografie in solcher Undifferenziertheit zu Felde zu ziehen halte ich schlichtweg für Unsinn. Ich vermute im harmlosesten Fall dahinter die zweifelhafte Ideologie vom sauberen deutschen anständigen Mann und von der sauberen deutschen anständigen Frau.

Pornografie ist eben nicht das, was der Stammtisch dafür hält und sich gleichzeitig im Hinterzimmerchen verkniffen reinzieht.

(Herr Meinecke, SPD, lacht)

Pornografie ist aber auch nicht die grafische oder fotografische Darstellung wohlgeformter erotischer Männerkörper. Pornografie ist in der Sexualwissenschaft tatsächlich die bildliche und sprachliche Darstellung aller Formen der Sexualpraxis. Es geht also tatsächlich um den Akt an sich. Damit wird die Spannbreite auch schon sichtbar.