Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

(Zustimmung bei der FDVP - Lachen bei der SPD und bei der PDS)

über all das, was in Nürnberg erfolgreich erprobt worden ist. Der Freistaat Bayern wurde heute schon mehrmals als Beispiel genannt. Ich glaube, alle diejenigen, die im Land Sachsen-Anhalt etwas zu sagen haben, die in der Regierungsverantwortung stehen, sollten sich immer wieder an Ländern ein Beispiel nehmen, die diese Er- folge vorzuweisen haben.

All das, was in Nürnberg erfolgreich erprobt worden ist, wird möglicherweise als „Polizeistaat“ denunziert. Es verwundert uns nicht. Bereits die Videoüberwachung an Schwerpunkten des Drogenhandels im Dessauer Stadtpark ruft den Widerstand der Linksextremisten dieses Hohen Hauses hervor.

Wir haben aber - Sie sollten das bedenken - nicht einmal das Ansinnen gestellt, von den Linksextremisten, auch nicht von buntgescheckten obersten Volksvertretern ihrer Glaubensrichtung, einen Haartest abzuverlangen; denn ihr Lebensrecht auf Rausch ist die solideste Grundlage, um das weltweite Scheitern ihrer Heilslehre verkraften zu können.

Nein, meine Damen und Herren, es geht nicht um einen Polizeistaat. Es geht darum, auch polizeiliche Maßnahmen zu unterstützen, die dem notorischen Schulschwänzen wirkungsvoll begegnen. Die in Nürnberg eingesetzten Schulverbindungsbeamten der Polizeidirektion gewährleisten eine enge Zusammenarbeit mit den Fachdienststellen, dem Jugendamt und dem allgemeinen Sozialdienst der Stadt Nürnberg.

Zwei Säulen kennzeichnen die polizeilichen Maßnahmen, die in Abstimmung mit den Schulbehörden und dem Jugendamt durchgeführt werden. Die Polizei führt auf Antrag der Schulbehörde die Vorführung von Schulschwänzern durch und die Polizei führt in Eigeninitiative Kontrollen während der üblichen Schulzeit an bekannten Jugendtreffpunkten durch.

Manch einer, meine Damen und Herren, traut der bayerischen Polizei vielleicht die betonte Sensibilität im Umgang mit Kindern und Jugendlichen nicht zu. Aber Innenminister Dr. Beckstein forderte bei diesen Aufgriffen von Kindern und Jugendlichen zugleich das Gespräch von Polizei und Aufgegriffenen.

Meine Damen und Herren! Von der Größe her - er möge es mir nicht übel nehmen - ist Innenminister Dr. Püchel durchaus dem bayerischen Staatsminister Dr. Beckstein ebenbürtig. Ich hoffe, Herr Dr. Püchel, Sie finden auch die menschliche Größe, die erprobten und erfolgreichen Maßnahmen der Polizei in Nürnberg im Lande SachsenAnhalt zu nutzen.

(Unruhe)

Ebenso nützlich wäre die Diskussion in den Fachgremien, im Innenausschuss, im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft und im Ausschuss für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport.

Natürlich wirkt sicher überzeugender ein Besuch vor Ort, um Erfahrungen zu sammeln, zumal der Freistaat Bayern eher und kostengünstiger erreichbar ist als so manches interkontinentale Reiseziel der Landesregierung mit null Ergebnis. - Danke sehr.

(Beifall bei der FDVP)

Frau Kollegin Wiechmann, würden Sie noch einmal die Ausschüsse nennen, in die sie den Antrag überwiesen haben wollen?

Ich würde es ganz gern in den Bildungsausschuss und in den Innenausschuss überwiesen haben. Den Innenausschuss würde ich gern federführend haben.

(Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge PDS, DVU-FL, SPD, CDU und FDVP. Als Erstem erteile ich für die Landesregierung Minister Dr. Harms das Wort.

(Frau Lindemann, SPD: Jetzt müsste eigentlich der Innenminister sprechen! Das haut jetzt nicht hin!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wirklich gelungener Titel für einen Tagesordnungspunkt: „Präventive Maßnahmen für notorische Schulschwänzer“.

(Heiterkeit bei der SPD)

Es wird das Geheimnis der Verfasser bleiben, wie vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden sollen, wenn diejenigen, die es betrifft, durch wiederholte Handlungen bereits identifiziert werden konnten.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

Frau Wiechmann, ich finde es wirklich bedauerlich, dass Sie die durchaus richtigen Beschreibungen, die Sie sich teilweise haben aufschreiben lassen und die unstreitig sind, mit unerträglichem Gerede kombinieren. Die Erträglichkeitsgrenze - das meine ich nicht nur akustisch - ist manchmal überschritten.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustimmung von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Zur Sache: Das Problem, das Sie ansprechen, ist in der Tat eines, und es ist nicht nur eines in Sachsen-Anhalt. Es ist ein Problem, das alle Bundesländer haben und das in der Tat nicht auf die leichte Schulter genommen wird.

In der Antwort auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion zur Situation der Berufsausbildung hat die Landesregierung hierzu einiges ausgeführt, nicht nur zur Berufsausbildung, sondern auch zu den allgemein bildenden Schulen. Wir sind dabei, ein Maßnahmenbündel zu erarbeiten. Ich hatte mich dazu auch öffentlich geäußert. Vielleicht hat Sie das zu dem Antrag provoziert.

Neben einer Handreichung für Schulleitungen und Lehrkräfte, die das gesamte Spektrum der Maßnahmen von der Elterninformation bis zu Bußgeldverfahren und auch Zuführungen regeln soll, neben der Intensivierung der Lehrerfortbildung in diesem Bereich und einer wissenschaftlichen Analyse durch Professor Knopf von der Martin-Luther-Universität will ich nur kurz auf zwei Formen der besonderen Beschulung eingehen, die sich derzeit in Vorbereitung befinden.

Das eine sind Reintegrationsklassen. Das Zweite wird unter dem Begriff „Werkstatt Schule“ gefasst. Es muss unser Ziel sein, möglichst viele Schulverweigerer, die der Schule fernbleiben, in die Schule zurückzuholen, weil nur Bildungsabschlüsse tatsächlich die Chance auf eine befriedigende Teilhabe an der Gesellschaft sicherstellen.

In den Reintegrationsklassen werden Schulverweigerer im Alter von zwölf bis 14 Jahren vom Team einer Lehrkraft, eines Sozialpädagogen oder einer Sozialpädagogin und einer ABM-Kraft betreut. Ziel ist die schrittweise Reintegration in den Regelunterricht, damit die Schul

pflicht erfüllt wird und möglichst ein Abschluss erreicht wird.

Drei solcher Klassen werden im Januar 2001 mit Fortbildung der Leitungsteams und ab Mitte Februar 2001, also im zweiten Schulhalbjahr, mit jeweils acht bis zwölf Schülerinnen und Schülern an den Standorten Halle, Magdeburg und Wittenberg eröffnet. Ab Schuljahresbeginn 2001/2002 wollen wir an zehn weitere Standorte gehen.

Das Projekt „Werkstatt Schule“ beinhaltet dagegen Maßnahmen für ältere Schülerinnen und Schüler, also 16-jährige in etwa, die sich im 9. Schuljahr befinden und sich selbst dem Ort Schule verweigern. Für sie wird bei freien Trägern in so genannten Werkstätten eine Betreuung mit allgemein bildendem Inhalt und handwerklichem Anteil aus je zwei Gewerken organisiert, die auf die Schulpflichterfüllung angerechnet werden können und die die Möglichkeit einer Reintegration in den Regelunterricht und den Erwerb eines Schulabschlusses bieten sollen.

Drei dieser Maßnahmen „Werkstatt Schule“ mit Berufsvorbereitungsjahr-Angeboten starten im Januar 2001 mit Fortbildungen und im Februar 2001 mit jeweils acht bis zwölf Jugendlichen an den Standorten Halle, Magdeburg und Wittenberg. Vier weitere Angebote sind in der Planung.

Diese Angebote werden gemeinsam vom Kultusministerium und vom Sozialministerium geplant und sind neben der Schulsozialarbeit ein weiterer Beitrag zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe. Selbstverständlich gibt es darüber hinaus eine Zusammenarbeit mit den Polizeidienststellen und mit dem Innenministerium, bei der wir jeweils regionale Maßnahmen abstimmen.

Sie sehen also, die Landesregierung ist in diesem Themenfeld äußerst aktiv. Eines solchen Antrages bedarf es nicht. Deshalb empfehlen wir die Ablehnung. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Für die PDS-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Dr. Hein das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem Problem der Schulschwänzerei handelt es sich unter Garantie um ein sehr schwieriges und gravierendes Problem, das mit einer solchen einfachen, nivellierenden Art und Weise, wie sie hier vorgetragen wird, ganz bestimmt nicht behandelt werden kann.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Was mir an dem Antrag, der uns heute zur Debatte vorliegt, am meisten missfällt, ist, dass Schulschwänzerei unter einem einzigen Aspekt betrachtet wird, nämlich unter dem der Kriminalität.

(Zustimmung bei der PDS)

Sie haben auch sofort ein Rezept. Und das ist Repression, Polizeistreifen einzusetzen. Es geht mir gar nicht darum, dass ich eventuell Polizistinnen und Polizisten die Feinfühligkeit im Umgang mit Jugendlichen nicht zutrauen würde. Ich kenne zu viele, denen ich das sehr

wohl zutraue. Es ist nur einfach einmal nicht ihre Auf- gabe.

Und wenn ein Staat - ich weiß, dass auch in SachsenAnhalt solche Maßnahmen vorgesehen sind - zu solchen Mitteln greifen muss, dann ist es eigentlich schon eine Bankrotterklärung. Der Ansatz muss früher und aus einer anderen Sicht kommen.

Wenn wir über Schulschwänzerei reden und über das Problem beraten, sehen wir dabei vor allem das Problem der entgangenen Bildung und der damit verbundenen entgangenen Lebensperspektiven. Das ist der Grund, warum wir hier sehr sorgfältig und übrigens sehr differenziert vorgehen müssen. Und dann müssen Sie mir erklären, was Sie der so genannten Gutmenschenpädagogik bitte entgegenzusetzen hätten. Was soll denn das bitte sein? Ich nehme an, dass Sie überhaupt keine Antwort haben oder eine, die Sie selbst diskreditiert.

(Frau Wiechmann, FDVP: Man merkt, dass Sie zugehört haben!)

- Sicher höre ich Ihnen zu, auch wenn es keinen Spaß macht.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der PDS - La- chen und Zustimmung bei der FDVP)

Ich brauche sicher nicht über alternative Schulprojekte reden. Ich könnte dem, was der Minister gesagt hat, noch das eine oder andere hinzufügen, was wir auch in anderen Ländern kennen gelernt haben. Ich weiß gar nicht, ob alle diese Projekte tatsächlich immer - - Sie werden Kindern und jungen Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich in der Schule zurechtzufinden, die Schwierigkeiten haben, sich zu Hause zurechtzufinden, helfen, sich wieder einzugliedern. Sie werden solche Angebote haben.

Aber es wird noch mehr geben. Die Ursachen für das Schulschwänzen sind sehr sehr vielfältig. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass jemand in der Schule nicht klarkommt. Manchmal liegen die Ursachen ganz woanders. Es gibt sehr schwierige Fälle, bei denen nichts hilft.

Ich war, als meine Kinder selbst noch zur Schule gegangen sind, lange genug in einer Elternvertretung, um das zu wissen. Mit denen hatte ich keine Probleme. Aber ich weiß von vielen anderen, dass sie Probleme hatten, und ich weiß auch, wie schwer es ist, beispielsweise mit Elternhäusern zu reden. Ich glaube, gerade hier liegt eine Potenz, die wir weiter ausschöpfen können und müssen.