Meine Damen und Herren! Wir sind am Ende der Debatte. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren zu der Dr. 3/3759 neu. Wer stimmt dem Antrag der Fraktionen der SPD und der PDS zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Gegenstimmen ist der Antrag beschlossen worden. Wir haben den Tagesordnungspunkt 16 abgeschlossen.
Bevor ich die Kollegin Wiechmann bitte, diesen Antrag einzubringen, möchte ich Sie an etwas erinnern, meine Damen und Herren: Morgen stehen als erster Tagesordnungspunkt die Wahlen zum Landesverfassungsgericht an. Ich bitte Sie ausdrücklich, pünktlich den Sitzungssaal zu betreten, damit wir rechtzeitig und mit vollem Hause abstimmen können.
Ich weise Sie jetzt darauf hin, weil am Ende zumeist Auflösungserscheinungen sichtbar sind und ich nicht gegen eine Welle von Leuten, die den Saal verlassen, anschreien möchte. - Frau Wiechmann, Sie haben jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag behandelt ein Problem, das wahrlich unterschiedliche Sichtweisen auslöst und vom Wegschauen bis zu drakonischen Strafen reicht. Ich meine,
die Schwierigkeit besteht vor allem darin, das rechte - ich sage besser: das richtige - Maß zu finden.
Wir alle erinnern uns bestimmt der herrlichen Szenen, meine Damen und Herren, aus dem uralten Ufa-Film „Die Feuerzangenbowle“. Sie kennen den Schüler Pfeiffer mit drei f. Sie erinnern sich an den Moment, als die Schüler an das Schultor des Gymnasiums ein Schild hängten, auf dem die Schule für diesen Tag für geschlossen erklärt wurde und die Lehrer nichts ahnend auf die Schüler warteten.
Meine Damen und Herren, seien wir ehrlich. Wie oft erzählen wir uns im Abstand der Jahre nach unserer Schulzeit beim Klassentreffen, wie wir die Lehrer ärgerten oder die Lehrer uns ärgerten und wie es gelang, mit den unmöglichsten Ausreden die Schule für einen Tag oder nur für die ungeliebte Mathestunde zu schwänzen. Manch einer weiß auch, dass sich das Drücken vor dem Unterricht von Generation zu Generation vererbt.
In diesem Hohen Hause, glaube ich, mögen all die verehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Regierungsbank eingeschlossen, sich erheben, die einst nicht einmal die Schule schwänzten. Vielleicht bildet jedoch die im Parlament zahlreich vertretene Lehrerzunft dabei eine Ausnahme. Aber Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.
Das Problem der notorischen Schulschwänzer ist aber ernster und es bedarf der Diskussion und der Gegenwehr. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kam dieser Erscheinung mehr beiläufig auf den Grund. Als der nicht nur in Niedersachsen bekannte und in den neuen Bundesländern mehr als berüchtigt charakterisierte Kriminologe Professor Christian Pfeiffer - Sie wissen, der mit den drei f und der KindertöpfchenTheorie - im Jahre 1998 eine Befragung von Schülerinnen und Schülern der neunten Jahrgangsstufe aller Schularten zum Thema der Gewalterfahrung und Kriminalitätsfurcht von Jugendlichen in Hamburg durchführte, stellte er eine bisher noch nicht bekannte Tatsache fest.
Das große Reformprojekt „Berufsvorbereitungsklassen“, das vor allem dem Nachholen des Hauptschulabschlusses dienen sollte, zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass ein Drittel der insgesamt rund 4 000 Schülerinnen und Schüler fehlte. Nun hatte der Kriminologe Pfeiffer sozusagen Blut geleckt, wurde motiviert zu weiteren Forschungen, zu soziologischen Erhebungen zum Problem der notorischen Schulschwänzer.
Er stellte dabei fest, dass die Abwesenheit dieser großen Anzahl von Schülern vom Unterricht nicht einmalig war und nicht die Ausnahme bildete, sondern gang und gäbe war. Die dabei herausgestellten Fakten waren erschütternd; sie beschränkten sich aber nicht auf den Untersuchungsbereich der Hamburger Schulen, sondern waren in allen Bundesländern anzutreffen. So ergaben die seriösen Schätzungen, dass allein in Hamburg etwa 2 000 Schülerinnen und Schüler unter 16 Jahren über Wochen und Monate die Schule schwänzten und sich auf Bahnhöfen, in Kaufhäusern oder in Anlagen aufhielten. In Berlin sprachen die Forscher von mehr als 3 000 Kindern und Jugendlichen; all das mit steigender Tendenz, und zwar unaufhaltsam.
Begünstigt wird dieser unaufhaltsame Anstieg notorischer Schulschwänzerei dadurch, dass das Problem entweder verdrängt oder bagatellisiert wird. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ich werde darauf noch Bezug nehmen.
Zurück zu den Folgen von Schulschwänzerei. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen stellte fest, dass 55 % der Schüler, die mehr als zehn Tage blaumachten, des Diebstahls bezichtigt wurden und 42 % als gewalttätig auffielen. Bestätigt wird das durch die Untersuchungen des Greifswalder Kriminologen Dünkel, der in einer 1997/98 durchgeführten Studie über Bildungs- und Berufswege von jugendlichen Mehrfach- und Intensivstraftätern konstatierte, dass bei fast allen Befragten mit schweren Straftaten die zweifelhafte Karriere als Schulschwänzer vorausging.
Meine Damen und Herren! Als bereits im Jahre 1980 in einer deutschen Studie von Schmehl bekannt wurde, das bei über 80 % aller Straffälligen das unentschuldigte Fernbleiben von der Schule kein vorübergehendes Ereignis war, sondern sich als stabile Einstellung erwies, wurden eben keine verallgemeinernden Schlüsse gezogen, um gegen diese alarmierende Erscheinung vorzugehen. Das heißt, die Alarmglocken läuteten nicht, warnende Stimmen wurden teils bewusst überhört, vielleicht auch als Resultat einer Erziehung, einer Pädagogik, in der sich die antiautoritäre Erziehung der Alt-68er widerspiegelte.
Wenn jüngst veröffentlichte Studien offenbaren, dass sich ein nicht geringer Teil von Lehrern im Beruf leer und ausgebrannt fühlt und über psychosomatische Störungen klagt, dann ist das einer gescheiterten Gut- menschenpädagogik anzulasten. Die Disziplinierung hat eben auch faule und faulende Früchte hervorgebracht.
Der alt-68er Pädagoge und Sozialarbeiter in den alten Bundesländern konnte sich in die Frühpensionierung flüchten oder sitzt nun auch in den neuen Bundesländern in höchsten Amtsstuben auf wohl dotierten Posten und Pöstchen,
fern von den Belastungen des Schulbetriebes und setzt sein begonnenes Missionierungswerk fort, grübelt über unsinnige Gesetze der verlängerten Schulzeit, „13 kompakt“ oder Grundschulen mit erzwungenen festen Öffnungszeiten nach.
Meine Damen und Herren, seien Sie dessen gewiss: Solange rot-grüne oder sogar rot-rote Koalitionen herrschen oder auch diese Koalitionen angestrebt werden, werden wir stets mit diesen Auswüchsen von Heilslehren und abstrusen Erziehungskonzeptionen zu rechnen haben.
(Zustimmung von Herrn Mertens, FDVP, und von Herrn Wolf, FDVP - Herr Weich, FDVP: Richtig! - Frau Fischer, Leuna, SPD: Ha, ha! - Unruhe bei der SPD)
Es drängt sich dabei unserer Fraktion natürlich der Gedanke auf, dass der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen Gerhard Schröder wohl diese Lehrerzunft mit der verbalen Entgleisung der Faulpelze der Nation beschrieb und sich dennoch auf dem richtigen Pfad der Erkenntnis befand.
Meine Damen und Herren! Allerdings beobachtete man in anderen westlichen Industrieländern dieses Abgleiten von Schülerinnen und Schülern mit größerer Aufmerksamkeit, als das in Deutschland der Fall war. In Japan stieg im Jahr 1998 der Anteil notorischer Schulschwänzer um mehr als 15 %. Die Regierung Blair sah sich im Mai 1998 gezwungen, im Parlament einen ausführlichen
Kollegin Wiechmann, Entschuldigung, ich muss Sie unterbrechen. - Meine Damen und Herren! Ich bitte den Lärmpegel zu senken, damit wir uns gegenseitig verstehen können. Wir können darüber nicht debattieren, wenn wir nichts verstehen.
Wie dramatisch die Lage war und ist, belegt ein Fakt: 5 % aller Straftaten in London werden von Schülern während der üblichen Schulstunden begangen, das heißt, die Schüler nehmen gar nicht mehr an der Schule teil.
Daraufhin führte eine Schule den Modellversuch ein und kontrollierte die Anwesenheit der Schüler sechsmal täglich durch elektronische Registrierung. Die Eltern wurden mit einer automatischen Funknachricht verständigt, wenn die Kinder bei mehrmaliger Registrierung nicht verfügbar waren. Zumindest sorgten diese Maßnahmen für eine Verminderung der Fehlstunden um 20 %.
Meine Damen und Herren! Ich sage ganz deutlich: Derartige technische Überwachungen sind keine Lösung und sollten auch nicht akzeptiert werden. Sie sind im Grunde genommen die Bankrotterklärung eines Schulsystems. Wir wollen aus unseren Schulen bei allen kritischen Einwänden natürlich keinen Knast formen, obwohl durchaus Stimmen an der Stelle nicht unbegründet sagen, dass dieses Land die Knastis wohlwollender umhegt als die Schüler.
Als der sächsische Schulminister Rößler im Jahre 1998 in Leipzig eine Schule für Schulverweigerer mit insgesamt 13 Plätzen einweihte, gestand er, dass er nicht wisse, wie viel Schulschwänzer es in Sachsen gebe.
Einer Mitteilung des Sprechers des Kultusministeriums von Sachsen-Anhalt konnten wir entnehmen, dass in diesem Land auf dem ruhmreichen Weg in die Wissens- und Informationsgesellschaft immerhin 1 bis 2 % aller Schüler die Schule schwänzen. In Halle sind das allein 800 Schüler.
Zugleich erhebt sich die Klage, dass für schulmüde Kinder entsprechende Lehrer fehlen. Zu den schulmüden Kindern gesellen sich nun aber leider auch die schul- müden Lehrer.
Unter der Überschrift „Null Bock auf Mathematik“ können wir nachlesen, dass von den rund neun Millionen Kindern und Jugendlichen auf weiterführenden Schulen in Deutschland fast 70 000 regelmäßig den Unterricht schwänzen, das heißt, darunter ist ein Großteil von Schülern, die seit mehreren Jahren keine Schule mehr von innen sahen. Diese Schüler gehörten nicht nur zur Kelly-Family.
Meine Damen und Herren! Wir wollen keineswegs solche Projekte für schulmüde Kinder abwerten und in eine Ecke stellen, sondern wir wollen diese Projekte weiter gefördert und betrieben haben. Jenen Pädagogen, die sich dieser Aufgabe stellen, gebührt hohe Anerkennung, sind sie doch nun die so genannte Reparaturbrigade der auch gesellschaftlich verursachten Missbildung im Bildungswesen.
Natürlich kann nicht immer gesagt werden, dass notorische Schulschwänzer eine Minderheit der Schüler bil
den, aber eine gesicherte Erkenntnis von Kriminologen, von Kinder- und Jugendforschern besagt, dass Schulschwänzen ein untrüglicher Indikator für die kriminelle Gefährdung von Kindern und Jugendlichen ist und im Unterschied zu allen anderen Verdächtigungen und Vermutungen über abweichendes Verhalten einen objektiven Indikator verkörpert, der leicht erfassbar ist.
Wenn also, meine Damen und Herren, auf dem Schulzeugnis dreistellige Zahlen erscheinen, dann sind das die Fehltage in der Schule. Keiner, weder Eltern noch Lehrer können bei diesem Indikator leugnen, dass sie es nicht wussten.
Aber es stellt sich die Frage: Was wollen sie dagegen unternehmen, meine Damen und Herren? Der Ruf „Wehret den Anfängen“ muss auch bei diesem Problem ertönen und er muss umgesetzt werden. Unduldsamkeit gegenüber Schulschwänzern ist unverzüglich angebracht und nicht erst dann, wenn das Kerbholz für die Fehltage nicht mehr ausreicht.
Diesem Anliegen stellt sich das Konzept des Freistaates Bayern gegen notorische Schulschwänzer. Seit zwei Jahren läuft in Nürnberg ein erfolgreiches Pilotprojekt, das den Deutschen Lehrerverband ermutigte, bundesweit Polizeistreifen gegen Schulschwänzer zu befürworten. Zugleich hebt der Lehrerverband hervor, dass es nicht um spektakuläre Polizeiaktionen gehe, sondern der Polizeialltag einschließe, sich diesen Problemen zu widmen.
Die Erfahrungen des Projektes in Nürnberg besagen zugleich, dass es eine Art von Sicherheitspartnerschaft geben muss und keineswegs die Polizei zum Buhmann erklärt wird. Das heißt, Schulbehörden und Polizei müssen zusammenarbeiten und gemeinsam - ich erweitere - mit den schulwilligen Kindern und Jugendlichen und mit den Eltern ein Klima begünstigen, das gegen notorische Schulschwänzer spricht und Schulschwänzen nicht zum Kavaliersdelikt erklärt.
Gerade darum erwies es sich als wirksam, dass die Polizei in Nürnberg im Vorfeld der notorischen Schwänzerei eingriff, so durch Kontrollen an beliebten Treffpunkten, wo sich Jugendliche während der Schulzeit treffen, durch Ansprechen, durch Zugehen auf die Jugendlichen, durch Feststellung der Personalien und durch Meldung an die Schulen, durch Information an die Eltern und durch das Verbringen erkannter und bekannter Schulschwänzer in die Schule.
Meine Damen und Herren! Ich könnte einige Beispiele bringen, was selbst Kinder und Jugendliche, Schülerinnen und Schüler zu diesen Maßnahmen in Nürnberg sagen. Aber dafür reicht meine Zeit heute nicht.
Deshalb kann ich das weglassen. Ich höre schon jetzt das Geschrei aus der linksextremistischen PDS-Ecke