Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

te Gruppe von Schülerinnen und Schülern des BördeGymnasiums Wanzleben.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen nun zur Aussprache über die Regierungserklärung. Der Ältestenrat schlägt eine Debattendauer von 90 Minuten vor. Ich teile Ihnen die Reihenfolge und die Redezeiten mit: CDU-Fraktion 22 Minuten, SPD-Fraktion 37 Minuten, PDS-Fraktion 19 Minuten, FDVP-Fraktion und DVU-FL-Fraktion jeweils sechs Minuten. Der Landesregierung stehen 37 Minuten zur Verfügung. - Ich bitte den Abgeordneten Herrn Gürth, das Wort zu ergreifen. Bitte, Herr Gürth.

(Herr Rahmig, SPD: Jetzt geht es wieder los!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zwar schade, dass der Ministerpräsident zehn Jahre Sachsen-Anhalt nicht genutzt hat, um grundlegend eine globale Analyse vorzunehmen und einmal Bilanz zu ziehen, wo wir im Vergleich mit anderen Bundesländern stehen und wie wir für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Es ist mit Sicherheit die Angst vor den schlechten Daten, die alle genannt werden müssten.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber zumindest haben wir die Chance, heute über ein anderes wichtiges Thema zu sprechen. Ich denke, es ist gut und dringend notwendig, dass sich der Landtag einmal ausführlich mit dem Thema „Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft“ beschäftigt. Schon in der Überschrift der Regierungserklärung wird deutlich, dass dies dringend erforderlich ist, weil die Begriffe in dieser Diskussion völlig nebulös und unscharf sind.

Wissensgesellschaft - was ist eine Wissensgesellschaft? Wissen hat zu jeder Zeit die Entwicklung einer Gesellschaft bestimmt. Das ist nicht neu. Manche werden bestätigen, selbst Lenin hat das schon erkannt - dazu brauchen wir nicht die neue Zeit - und er hat daraus geschlussfolgert: Wissen ist Macht. Lenin hätte mit diesem Spruch, der ihm zugeschrieben wird, heute Probleme mit dem Urheberrecht; denn der Erste, der öffentlich bekundet hat, wie wichtig Wissen ist und dass Wissen Macht ist, war Francis Bacon im 17. Jahrhundert.

Es geht also nicht um das Wissen oder die Wissensgesellschaft schlechthin, es geht um Informationstechnologien, welche die Forschung beschleunigen, Daten, Erkenntnisse sowie Informationen immer schneller weltweit verfügbar machen. Es ist also der immer schnellere und größer werdende Austausch von Informationen, der die wirtschaftliche Entwicklung, ja die gesamte Gesellschaft grundlegend verändert.

Deswegen ist es wichtig, dass wir uns zu Beginn der Debatte über die Definition der Eckwerte, der Begriffe und über die wesentlichsten Fragen der Zukunft dieser Gesellschaft einmal verständigen.

Wenn wir wissen wollen, wo wir im Vergleich mit anderen stehen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern, brauchen wir für eine ehrliche Analyse vergleichbare Daten. Es wird von Hightech, Mulimedia und IuK-Unternehmen gesprochen. Doch es gibt bis heute überhaupt keine anerkannten Daten, welche Unternehmen eigentlich dazu zählen. Es gibt bis heute keine anerkannte Statistik, weder in Europa noch hier im Land. Das führt dann, wenn man prüft, wo wir im

Vergleich mit anderen stehen, dazu, dass jeder sich Zahlen zusammenrechnet, wie er es gern hätte, die Regierung immer etwas großzügiger und die Opposition immer etwas knauseriger.

Ich sage dies vor allem deshalb, weil wir aufpassen müssen, dass wir nicht die Fehler der DDR wiederholen. Dort wurde der 1-Megabit-Chip - ich möchte einmal daran erinnern - gefeiert und hat doch die Wirklichkeit verkleistert. Wie war das in der DDR zum Schluss? Es wurde doch jeder elektrische Türöffner als Roboter gezählt.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU: Jawohl!)

Wie war es denn in der DDR? Wir haben 42 000 Industrieroboter gezählt. Japan hatte 17 000. Bei uns war jeder Zigarettenautomat in dieser Statistik mit drin. Deswegen müssen wir aufpassen, dass wir auf einer richtigen, fairen Zahlenbasis argumentieren.

Es ist also nicht Wissen schlechthin, sondern es sind die Geschwindigkeit und der Umfang der weltweit immer schneller verfügbaren Informationen, welche den ökonomischen Wandel auslösen. Im Jahr 1961, als die DDR die Mauer baute, hat es zwölf Stunden gedauert, bis die Information an den damaligen US-Präsidenten Kennedy gelangte. Heute sind Informationen in Bruchteilen von Sekunden weltweit rund um die Uhr verfügbar.

Die Rechenleistung von Computern verdoppelt sich alle 18 Monate. Mit der Rechenleistung des Mikrochips in den Handys, die oftmals auch die Sitzung stören, hätte die Mondlandung vor 30 Jahren gesteuert werden können. Der Datenverkehr im Internet verdoppelt sich alle 100 Tage und täglich kommen weltweit 170 000 neue Nutzer ins Internet, alle 17 Tage also so viel, wie das Land Sachsen-Anhalt Einwohner hat.

Wie ist eigentlich der Anteil in Sachsen-Anhalt und welche konkreten Veränderungen finden hier statt? Täglich stellen 600 Unternehmen in Deutschland ein eigene Homepage ins Internet. Wie sieht es mit unserer Wirtschaft eigentlich aus? Welchen Entwicklungsstand haben wir im Vergleich mit anderen Ländern, mit denen wir um die besten Köpfe und um Arbeitsplätze konkurrieren? Diese Antworten sind Sie uns schuldig geblieben, Herr Höppner.

(Zustimmung bei der CDU)

Sie haben heute in Ihrer Regierungserklärung eine lange Aufzählung einzelner Aktionen vorgenommen. Das war sicherlich für den einen oder anderen zum Teil ganz interessant. Noch interessanter wäre es gewesen, einmal zu erfahren, wo wir im Vergleich mit anderen Ländern - mit Sachsen, mit Thüringen, mit Hessen, mit Niedersachsen - stehen.

Für eine Regierung oder einen Politiker reicht es im Allgemeinen nicht aus, sich eine E-Mail-Adresse oder eine Homepage zu organisieren und staunend über die Informationsgesellschaft der Zukunft zu reden. Herr Höppner, Sie haben vorhin gesagt, Sie würden dem Internet und der Internetpräsentation des Landes Sachsen-Anhalt eine besonders große Bedeutung beimessen. Darüber haben Sie eine Stunde lang geredet.

Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, in der letzten Woche wiederholt im Internet nach „Sachsen-Anhalt.de“ zu suchen. Ich kann Ihnen sagen, was dabei herausgekommen ist. Die Erkenntnisse sind wirklich interessant.

Wenn man im Internet die Landesregierung und das Land Sachsen-Anhalt sucht, wird man zur Homepage der Staatskanzlei umgeleitet.

(Heiterkeit bei der CDU)

Das ist nicht schlecht, das will ich nicht kritisieren, nein, nein. Klickt man dort einmal - gleich auf der zweiten Seite, die sich einem öffnet - „Politik“ an, wird einem statt Werbung für eine gute Politik, die man auch nach außen verkaufen könnte, ausgerechnet das peinliche Modell der Minderheitsregierung auf die Nase gebunden.

Doch nicht genug, auch die Tatsache, dass Sie im Jahr 1998 ihren grünen Regierungspartner verloren haben, halten Sie noch für eine wissenswerte Werbebotschaft Sachsen-Anhalts. So sieht die Seite des Landes Sachsen-Anhalt aus. Das ist weiß Gott keine Werbung, wenn Sie die Bedeutung dieser Zukunftsindustrie so sehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU, bei der DVU- FL und bei der FDVP - Herr Bischoff, SPD: Wa- rum klicken Sie denn nicht weiter?)

Nun ist allgemein bekannt, dass wir in den sechs Jahren, seit Sie regieren, ununterbrochen die höchste Arbeitslosenrate haben. Deswegen dachte ich mir, klicke ich einmal „Wirtschaft“ an. Wenn sich Unternehmen, Wissenschaftler, kluge Leute informieren wollen: Was ist eigentlich mit Sachsen-Anhalt los? Sie sehen eine Minderheitsregierung und denken, das ist aber interessant, da musst du hingehen. Wie sieht die Wirtschaft dort aus? - Ich empfehle allen: Klicken Sie einmal den Button „Wirtschaft“ an. Ich habe es in der vergangenen Woche jeden Tag probiert. Da passiert erst mal vier Minuten lang überhaupt nichts. Ich will nicht sagen, dass das symptomatisch ist für die Wirtschaftspolitik dieser Landesregierung.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDVP)

Aber zumindest könnte man den Verdacht bekommen, dass das so sei.

(Zuruf von Minister Herrn Gabriel)

Im Internet wird solche Langsamkeit in der Regel durch einen Mausklick auf eine andere Seite bestraft. Ein Unternehmen könnte sich solch einen Internetauftritt gar nicht erlauben.

(Herr Bullerjahn, SPD: Sie kriegen die online doch nicht am Wochenende!)

Doch der Hammer ist nachher das Resultat. Herr Bullerjahn, ich habe das von mehreren Servern aus probiert. Nach ungefähr fünf Minuten - heute Morgen habe ich es noch einmal vom Landtag aus probiert - bekommen Sie folgende Meldung über die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik des Landes Sachsen-Anhalt: Error - Fehlmeldung - Null, nichts, gar nichts.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU, bei der DVU- FL und bei der FDVP - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Herr Höppner, Sie reden in Ihrer Regierungserklärung von Spitzenleistungen, davon, wie toll wir sind - das erinnert mich an DDR-Zeiten -, nur weil wir in Halle ein Internet-Klassenzimmer haben. Aber Sie produzieren hier nur Nullnummern.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Apropos Nullnummern: Dass Sie auch noch die Greencard als moderne Politik verkauft haben, ist schon ein starkes Stück. Also, das ist ein dolles Ding.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDVP - Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Gestern kamen - Sie haben ja im Landtag die Notwendigkeit und die Dringlichkeit der Einführung einer so genannten Greencard erklärt - die aktuellen Zahlen: Bundesweit gab es ganze 2 970 Anmeldungen, davon 13 in Thüringen, 13 in Brandenburg und 71 in Sachsen. Nur ein Jordanier am Fraunhofer Institut rettet uns vor einer weiteren glatten Nullnummer. Denn aus SachsenAnhalts Wirtschaft gibt es bis heute noch nicht einmal eine Anfrage.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Scharf, CDU: Dafür kennt den jetzt jeder mit Namen! Das ist doch eine große Werbung!)

Meine Damen und Herren! Versäumnisse in der Bildungspolitik kann man nicht durch Flickschusterei wie Greencards wettmachen. Wie brauchen die klugen Köpfe aus dem eigenen Land, wir brauchen die klugen Köpfe aus der ganzen Welt, um künftig Schritt halten zu können.

(Frau Budde, SPD: Also doch die Greencard!)

Deswegen müssen wir auch mehr für die Bildung tun und mehr in die Bildung investieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDVP)

Die Ausbildungsinitiativen von Cisco und Microsoft sind wirklich gut. Sie sind ein wichtiger und auch ein richtiger Schritt. Doch wenn Sie Ihre Politik nicht ändern und mehr wertschöpfende Hightech-Unternehmen auch hier im Land ansiedeln, bilden wir im Land Sachsen-Anhalt mit unserem knappen Geld Leute aus, die zwar zugegebenermaßen und Gott sei Dank eine Chance am Arbeitsmarkt bekommen; aber anschließend profitieren Unternehmen in anderen Ländern davon, weil diese Leute bei uns keine Perspektive haben.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU-FL und bei der FDVP - Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist richtig!)

Geradezu erschreckend und zu dieser Debatte passend heute ein Artikel in der „Volksstimme“: „Für Computerfachleute gibt es in der Region kaum Stellen.“ Das ist keine gute Nachricht. Es ist aber unsere Pflicht, den jungen Leuten und jedem in unserem Land eine Perspek- tive zu bieten.

Nach sechs Jahren Regierung Höppner haben wir mit 55 Fortgängen je 10 000 Einwohner die höchste Abwanderungsrate Deutschlands, und das im Wettbewerb um die klugen Köpfe. Das sind nicht die von Ihnen vor einigen Wochen in der Zeitung erwähnten unmotivierten Leistungsempfänger und ABM-Kräfte, das sind die gut ausgebildeten, motivierten, flexiblen jungen Leute. Insofern müssen wir die Abwanderungsrate ernst nehmen, und ich hatte gehofft, dass Sie heute ein Konzept gegen die Abwanderung vorstellen.

Herr Höppner, Sie haben zu Recht festgestellt - das muss man anerkennen -, dass in der modernen Informationsgesellschaft vor allem Bildung und eine moderne Verwaltung wichtig sind. In diesen beiden Politikfeldern - genau in diesen beiden Politikfeldern - haben Sie aber völlig versagt. In sechs Jahren Regierungszeit haben Sie es nicht geschafft, eine moderne Verwaltung aufzubauen.

Als Sie dann auch noch mit Hamissa kamen, Herr Höppner, da habe ich mich gefragt, wer Ihnen das aufgeschrieben hat. Hamissa, das Haushaltsaufstellungsmanagement- und -informationssystem Sachsen-Anhalt, als vermeintlich zukunftsweisende Heldentat für eine moderne Verwaltung! Die beabsichtigte einheitliche Einführung zu einem Zeitpunkt in allen Ressorts hat überhaupt nicht stattgefunden, weil das Finanzministerium die Verantwortung dafür abgelehnt hat. Die Einsparung von 105 Mitarbeitern als eine der Begründungen für die Effizienz hat bis heute nicht stattgefunden. Zum heutigen Zeitpunkt werden von Ihrem Hamissa, das Sie hier genannt haben, allein drei Versionen benutzt. Das nennen Sie „einheitliches effizientes Einführen“ und „Modernisieren der Verwaltung“. Das ist weiß Gott kein Musterbeispiel.