Protokoll der Sitzung vom 10.11.2000

Ich frage mich: Was gilt denn nun, Herr Minister? Sie reduzieren die Anzahl der Freiberufler in der Antwort auf unsere Anfrage so hoppla-hopp um 40 %. Was die

Weltwirtschaftskrise in den 20er-Jahren nicht schaffte, das schaffen Sie auf acht Seiten. Ich bitte Sie, schauen Sie sich Ihre eigene Antwort, die Sie dem Parlament gegeben haben, noch einmal an.

Wir wollen das nicht tolerieren und wir sollten das als Parlament auch nicht tolerieren. Vielleicht sollte sich der Ältestenrat einmal damit befassen.

Durch diese extrem schlechte - ich will nicht sagen schlampige - Bearbeitung dieser wichtigen Anfrage ist aus meiner Sicht nicht die nötige Aufmerksamkeit gegenüber den freien Berufen deutlich geworden. Das zeigt wahrscheinlich auch die generelle Einstellung zu dieser Thematik.

Ich will wegen dieser mangelhaften Zahlen, die uns vorliegen, nicht das auswerten, was wir uns eigentlich vorgenommen hatten, sondern nur zu wenigen Angaben Stellung nehmen und mehr auf die prinzipiellen und tendenziellen Entwicklungen eingehen.

Fest steht, dass die Anzahl der selbständigen Freiberufler in Sachsen-Anhalt stärker gewachsen ist als die Anzahl der Selbständigen im Allgemeinen in unserem Land. So stieg die Anzahl der Selbständigen aus allen Berufen und Bereichen von 1992 bis 1999 um 14,18 %. Die Zahl der selbständigen Freiberufler stieg jedoch um 27,2 %. Das bedeutet schlechthin, dass der Anteil der Freiberufler an der Wirtschaft in unserem Lande immer größer wird.

Ich halte es deswegen für Besorgnis erregend, dass das Referat für die freien Berufe im Wirtschaftsministerium in den zurückliegenden Jahren teilweise nicht existierte oder mehrere Male umbesetzt wurde. Vielleicht liegt darin auch die Ursache für die falschen Zahlen, die uns vorgelegt wurden.

Aber bemerkenswert ist - egal wie richtig Ihre Zahlen sind; weil sie von der Tendenz her stimmen -, dass der Anteil der Frauen in den freien Berufen, insbesondere auch bei den selbständigen Freiberuflern, in den neuen Bundesländern viel höher ist als in den alten Bundesländern. Zum Beispiel sind in den alten Bundesländern bei den selbständigen Notaren - es gibt ja nur diese Form der Notare - nur 3,9 % Frauen. Dagegen beträgt der Frauenanteil in dieser Berufsgruppe in den neuen Bundesländern 47 %.

Bei den selbständigen freiberuflichen Ärzten ist der Frauenanteil in Sachsen-Anhalt mit 55,5 % doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern. Ich denke, das ist eine gute Zahl.

Zwar ist der Frauenanteil insbesondere bei Ingenieurberufen sowie bei den Tierärzten besonders gering was sicherlich in der Natur dieser Berufe liegt, teilweise zumindest -, bei allen Berufen ist jedoch in Ost und West eine steigende Tendenz bezüglich des Frauenanteils zu verzeichnen. Das zeigt auch eine generelle Tendenz der Entwicklung unserer Gesellschaft auf.

Meine Damen und Herren! Es ist schade, dass gerade über die Anzahl der Insolvenzen bei den selbständigen Freiberuflern keine aussagefähigen Daten durch die Landesregierung geliefert wurden. Es werden Insolvenzen und Abmeldungen von Unternehmen teilweise zusammengerechnet und nicht, wie gefragt, getrennt aufgelistet. Bei einzelnen Berufsgruppen werden nur von 1991 bis 1999 zusammengefasste Zahlen angegeben. Das heißt, es ist überhaupt nicht möglich, die Entwicklung in den einzelnen Jahren nachzuvollziehen.

Ebenso gibt es über die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei den selbständigen Freiberuflern keine aussagefähigen Angaben durch die Landesregierung. Dies macht die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der selbständigen Freiberufler in SachsenAnhalt sehr schwer.

Allerdings wird ein Rückgang der Honorarumsätze bei Architekten festgestellt. Er betrug - jeweils im Vergleich zum Vorjahr - im Jahr 1998 31 % und im Jahr 1999 sogar 55 %. Als Ursache hierfür werden rückläufige öffentliche Aufträge, überzogene Vergabekriterien, zunehmende Konkurrenz durch Qualifizierungsgesellschaften und kommunale Unternehmen sowie der Trend, Aufträge an Generalunternehmen zu vergeben, welche wiederum Architekten nur als Nachauftragnehmer verpflichten, angegeben.

Diese generelle Einschätzung trifft nicht nur auf die Architekten, sondern nahezu auf alle freien Berufe zu. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Wirtschaft. Deswegen müssten wir diese Tendenz mit großer Sorge und Aufmerksamkeit verfolgen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen.

Ich glaube, dass die angespannte wirtschaftliche Lage der freien Berufe unserer wirtschaftlichen Entwicklung entspricht. Die Bedeutung der freien Berufe für die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt wird allgemein unterschätzt. Es wäre gut, wenn die Landesregierung die Potenziale, welche die freien Berufe in Sachsen-Anhalt bieten, besser nutzen würde. Allein im Landesverband der freien Berufe sind Selbständige mit 80 000 Beschäftigten organisiert, die viel in unserem Land erwirtschaften, und das Tag für Tag.

Wenn wir vor dem Hintergrund der Existenzgründeroffensive „Ego“ sehen, dass wir mit dem Infotruck durch Sachsen-Anhalt fahren und junge Leute ermuntern wollen, sich selbständig zu machen, eine Initiative, die durchaus unterstützenswert ist, wäre es doch gut, wenn man die freien Berufe in diese Existenzgründeroffensive mit einbeziehen würde. Was ist denn wichtig zu Beginn einer selbständigen Existenz? Dass ich die richtige Rechtsform wähle, dass ich auf die steuerliche Entwicklung aufpassen muss. All das sind Dienstleistungen, die uns Freiberufler bieten.

In diesem Zusammenhang, Herr Minister, muss ich Sie darauf hinweisen, dass der Landesverband der freien Berufe eine kostenlose Unterstützung in der Form, Ihren Infotruck zu begleiten, mehrmals angeboten hat. Dieses Angebot ist noch nicht angenommen worden.

(Minister Herr Gabriel: Das ist falsch!)

- Doch, das ist völlig richtig. Sie haben lediglich die Ingenieurkammer herausgepickt und -

(Minister Herr Gabriel: Nein, nein!)

- Ich habe gestern mit dem Landesverband der freien Berufe gesprochen. Er hat mir das so bestätigt. Wir können uns nachher noch einmal darüber unterhalten, Herr Minister.

(Minister Herr Gabriel: Es kann sein, dass Sie die Putzfrau am Telefon erwischt haben!)

- Das wäre interessant, Herr Minister. Ich hoffe, Sie liegen da richtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle sind gut beraten, gerade den Beitrag der freien Berufe zur

wirtschaftlichen Entwicklung in Sachsen-Anhalt nicht zu unterschätzen.

(Frau Budde, SPD: Das war der erste richtige Satz, Herr Gürth!)

Deswegen stehen wir auch in der Verantwortung, vernünftige Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

28,7 % aller Selbständigen in Sachsen-Anhalt sind Freiberufler. Nach den Angaben des Wirtschaftsministeriums sind es nur 11 %. Darin ist vielleicht die Ursache begründet, dass Sie die Freiberufler in Sachsen-Anhalt nicht ernst nehmen, weil Sie glauben, es sind nur knapp 11 % der Selbständigen in Sachsen-Anhalt. Dabei ist es beinahe jeder dritte Selbständige. Ich denke, wir sollten deshalb die freien Berufe mehr beobachten und unterstützen, als wir das in der Vergangenheit getan haben.

Ich will noch auf wenige Dinge hinweisen, die für die Freiberufler von existenzieller Bedeutung sind. Das eine sind die Diskussionen über das neue Betriebsverfassungsgesetz auf Bundesebene. Wenn dieser Entwurf so umgesetzt würde, wie ihn Herr Riester vorgelegt hat, wäre dies gerade für die kleinen Betriebseinheiten der freien Berufe äußerst problematisch.

Wer haftet denn im Falle eines Streiks, einer Arbeitsniederlegung im Rahmen einer Arbeitskampfmaßnahme beispielsweise für Fristversäumnisse eines Steuer- und Wirtschaftsberaterbüros im Zusammenhang mit der Berechnung und rechtzeitigen Anmeldung der I-Zulage? Insofern gibt es viele, viele Fragen, die haftungsrechtlich auch von der Organisation der freien Berufe zu betrachten sind.

Insofern würde ich mir wünschen, dass Sie eine vernünftige Position des Landes im Bundesrat vertreten. Der Erfolg der freiberuflichen Unternehmungen basiert vor allem auf der Vertrauensbasis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Aber auch durch die EU droht Unwetter. Die Europäische Kommission sieht in den deutschen Gebührenordnungen eine illegale Preisabsprache, übersieht aber nicht nur die Traditionen in Deutschland, sondern auch die Funktion des Verbraucherschutzes und die Argumente, die vor vielen Jahren zu der begründeten und guten Regelung in Deutschland führten.

Die Landesregierung sollte über ihre Mitwirkung im Bundesrat, aber auch bei der Europäischen Kommission selbst versuchen zu verhindern, dass die Tendenz, die von Kommissar Monti in dieser Hinsicht aufgezeigt wird, fortschreitet. Ansonsten würde nicht nur die Existenz vieler Freiberufler gefährdet, sondern auch der Verbraucherschutz in Deutschland verschlechtert werden.

Meine Damen und Herren! Die freien Berufe verkörpern mit ihren persönlichen, in Unabhängigkeit erbrachten Leistungen am Einzelnen ein Stück freiheitlicher Bürgergesellschaft, denn sie haben eine Mittlerrolle zwischen Individuum und Staat und bewahren individuelle Freiheiten gegenüber dem Staat - eine wichtige Funktion in einer freiheitlichen Gesellschaft.

Das allgemein vorherrschende Bild des Freiberuflers, der als steinreicher Zahnarzt dargestellt wird, stimmt nicht und entspricht nicht den Tatsachen. Es ist vielmehr ein harter Existenzkampf bei niedrigeren Umsätzen, bei niedrigeren Gebühren, einer schlechteren Auftragslage und zum Teil höheren Kosten für die freien Berufe hier im Osten.

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

Es sollte dafür Sorge getragen werden, dass die Freiberufler bei allen wichtigen Wirtschaftsfragen durch ihren Dachverband entsprechend einbezogen werden.

Außerdem möchte ich vor dem Hintergrund der gestern geführten Debatte zur Regierungserklärung zur Informationsgesellschaft darauf hinweisen, dass gerade in den neuen Berufsbildern in der Informations- und Kommunikationstechnik immer mehr freiberufliche Existenzen entstehen. Das heißt, die Bedeutung der freien Berufe in der Wirtschaft wird zunehmen. Dieser Entwicklung sollten wir durch die entsprechenden Rahmenbedingungen, für die wir hier im Land Verantwortung haben, Rechnung tragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Ziel war es, durch die Große Anfrage die Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Teil unserer mittelständischen Wirtschaft in Sachsen-Anhalt zu lenken. Ich hoffe, das ist uns gelungen. Ich freue mich auf eine angeregte und sachliche Debatte zur Lage und zur Situation der freien Berufe in Sachsen-Anhalt. - Danke schön

(Beifall bei der CDU)

Danke, Kollege Gürth. - Für die Landesregierung spricht jetzt Minister Herr Gabriel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung zur Statistik, Herr Gürth. Es gibt Selbständige, es gibt Firmen, es gibt Kammermitglieder und dann gibt es Mitarbeiter. Sie können davon ausgehen, dass wir Ihre Rede, die nachzulesen ist, auswerten und Ihre Zahlen mit unseren abgleichen. Dann werde ich mit Ihnen noch einmal Verbindung aufnehmen, bei welchen Fragen Irrtümer bestehen.

Mich stört ein bisschen, dass es bei Ihnen immer nach dem Prinzip geht, Sie behaupten erst etwas - - Wir können das kleine Einmaleins nicht, war heute die Behauptung. Gestern haben Sie gesagt, euer Internetauftritt taugt nichts, das funktioniert nicht. Das ist dann so, dass man dazu spontan nichts sagen kann. Ich habe einen kleinen Laptop, aber ich hatte die kleine GSMKarte nicht mit. Sonst hätte ich gestern gleich einmal schauen können, was mit unseren Internetseiten ist. Weil ich ansonsten nicht im Internet surfe, sondern den Debatten aufmerksam zuhöre, habe ich diese Spielerei zu Hause gelassen.

(Herr Scharf, CDU: Was heißt Spielerei? Das ist ja Blödsinn!)

- Auch darüber können wir separat diskutieren. - Ich habe es überprüft. Unsere Internetseiten sind in Ordnung. Warum Sie diese nicht auf den Schirm bekommen haben, müssten Sie an anderer Stelle überprüfen.

Sie haben die Große Anfrage gestellt. Ich bin Ihnen dankbar dafür, weil, wie Sie richtig sagten, die freien Berufe eine wichtige Säule unserer vor allen Dingen mittelständisch geprägten Wirtschaft sind. Wir haben die Fragen so gut beantwortet, wie das aufgrund des statistischen Materials und anderer Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen, geht.

Selbstverständlich ist es nicht so, dass wir angesichts solcher Anfragen extra große Statistiken in Auftrag ge

ben. Auch das kostet alles Geld. Sie sind gleichzeitig ein starker Verfechter der Deregulierung und für weniger Bürokratie. Fragebögen gehören in aller Regel auch dazu. Das ist immer eine Gratwanderung, wie bescheiden stattet man die Statistik aus, um trotzdem halbwegs aussagekräftige Aussagen treffen zu können.

(Zustimmung bei der SPD)

Eines ist klar: Die freien Berufe haben sich in SachsenAnhalt sehr positiv entwickelt, und zwar Dank der Initiative der Unternehmerpersönlichkeiten und der Mitarbeiter, die dahinter stecken. Sie verkörpern direkt die Tugenden unserer Wirtschaftsordnung. Sie stehen für Ideenreichtum, Privatinitiative, Risikobereitschaft, Kundenorientierung und Flexibilität und sind eben dieser wichtige Wirtschaftsfaktor, der in unserer Dienstleistungsgesellschaft eine zunehmende Bedeutung erhalten wird.

Hinter dem Begriff „freie Berufe“ verbirgt sich ein ausgesprochen breit gefächertes Tätigkeitsspektrum. Stellvertretend will ich nennen: Ärzte, Apotheker, Anwälte, Architekten zählen genauso dazu wie Steuerberater, Hebammen und Künstler.