Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

(Unruhe bei der CDU)

Und prompt liegen uns heute gleich zwei Gesetzesentwürfe vor, die entweder das im Oktober beschlossene Gesetz in Gänze aufheben wollen, so der FDVP-Entwurf, - das lehnen wir rundweg ab - oder den integrativen Konzeptansatz durch einen im Wesentlichen additiven Ansatz, so der CDU-Entwurf, ersetzen wollen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, ich möchte Sie bitten, einmal alle Polemik beiseite zu lassen und mit uns gemeinsam darüber nachzudenken, worin die Chance gerade eines integrativen Konzepts einer Grundschule mit festen Öffnungszeiten bestehen könnte, das eben mehr will als nur eine verlässliche Öffnungszeit.

Ich erinnere an internationale Leistungsvergleiche wie TIMSS. Sie weisen Deutschland allenfalls einen mittleren Rang unter den großen Industrienationen zu und konstatieren deutliche Schwächen in der Unterrichts- arbeit an deutschen Schulen.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von Frau Wiech- mann, FDVP)

- Darf ich zu Ende reden? - Man muss diese Meinung nicht unbedingt teilen; aber sie steht so da. Überall, auch in den Parteien, wird laut darüber nachgedacht, was in Deutschlands Bildungswesen zu verändern ist, damit es den gestiegenen Anforderungen der Gesellschaft gerecht wird.

Und wir entdecken bei der CDU erstaunlich neue Aspekte und Positionen gegenüber den Positionen der 70er- und 80er-Jahre. So wäre beispielsweise damals

das laute Nachdenken von Kultusministerinnen und Kultusministern von CDU- oder CSU-geführten Ländern über die Einführung von Ganztagsschulen, und das möglichst flächendeckend, überhaupt nicht denkbar gewesen. Dass es nicht flächendeckend gemacht wird, liegt einfach an dem Kostenfaktor, so im „Focus“ nachzulesen.

(Frau Schnirch, CDU: Freiwillig! - Herr Schulze, CDU: Frau Stolfa, freiwillig!)

- Machen Sie mal ein Ganztagskonzept freiwillig. Das möchte ich sehen.

Frau Hohlmeier, Kultusministerin von Bayern, kommt zum Beispiel - das finde ich richtig gut - zu folgender Entdeckung - ich darf aus dem „Focus“ zitieren -: „Eine moderne Ganztagsschule muss mehr sein als herkömmlicher Vormittagsunterricht mit anschließendem Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung.“ Sie müsse, so Frau Hohlmeier, eine Verteilung des Unterrichtsstoffes auf individuell zugeschnittene Lern- und Trainingseinheiten ermöglichen.

Das ist doch ein sachlicher Ansatzpunkt für eine konstruktive Diskussion über Konzepte. Und darum geht es mir eigentlich, wenn ich mich an Sie wende.

(Frau Feußner, CDU: Sie haben doch gar nicht zugehört! Wir haben doch das Konzept nicht ab- gelehnt!)

- Lassen Sie mich vielleicht erst einmal zu Ende reden, Kollegin Feußner. - Landesweit wird in weiterführen- den Schulen darüber geklagt, dass bei der Beherrschung der Kulturtechniken mit Abschluss der Primarstufe im Vergleich zur DDR ein deutliches Defizit zu erkennen sei. Große Anstrengungen und Engagement von Lehrerinnen und Lehrern allein können ein Minus von 500 Deutschstunden und 100 Mathematikstunden in der Primarstufe im Vergleich zur Unterstufe der DDR eben nicht wettmachen.

Was sollen wir also tun? Sollen wir wieder den Sonnabendunterricht einführen? Sollen wir die fehlenden Wochenstunden einfach an den bisherigen Unterricht anfügen und damit den Unterrichtstag verlängern, ohne Entspannungspausen dazwischen?

Sicher würden wir auf diesem Wege auch - als eine quantitative Anreicherung - positive Lerneffekte erzielen können. Aber das kann doch nicht der Weg sein, der in die Zukunft führt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, sicher sind wir uns in dem Ziel einig, dass wir eine höhere Bildungsqualität auch oder vor allem in der Primarstufe haben wollen. Wir, die Mitglieder der PDS-Fraktion, sind der Meinung, dass dieses Ziel nur über ein anderes Konzept von Schule zu erreichen ist,

(Zustimmung bei der PDS)

ein Konzept, das die Effektivität von Bildungsprozessen erhöhen kann, ein Konzept, das den natürlichen Lebensrhythmus der Kinder aufnimmt, das einen Wechsel zwischen Phasen der Anspannung und der Entspannung, zwischen gelenktem und offenem Unterricht, zwischen frontaler und Gruppenarbeit und individuellem Lernen ermöglicht, das mehr Zeit zum Festigen und Anwenden und für fächerübergreifendes Lernen und vor allem mehr Gelegenheit für die Herausbildung sozialer Kompetenz bietet.

Ich denke - und damit komme ich zu meinem Anliegen -, wir haben kein Recht, einen kleinen Teil der Kinder, deren Eltern dieses Konzept nicht wollen, von dieser Chance auszuschließen.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin sofort fertig. - Auf der anderen Seite trägt das Konzept auch nicht, wenn eine bestimmte Gruppe von Schülerinnen und Schülern dauerhaft nicht teilnimmt.

Meine Damen und Herren! Das ist auch der Grund dafür, dass wir den Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, den wir zumindest für eine Bremse möglicher Entwicklungschancen der Grundschule halten - wahrscheinlich ist er sogar mehr -, ablehnen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Frau Stange, CDU: Haben Sie denn nicht gele- sen, was da drin steht?)

Die Redezeit wurde deutlich überzogen. Wir fahren fort. Für die Fraktion der DVU-FL erteile ich der Abgeordneten Frau Brandt das Wort. Bitte, Frau Brandt.

Herr Präsident! Werte Herren und Damen! Im Okto- ber 2000 haben wir uns bereits schon einmal mit dem Thema „Grundschule mit festen Öffnungszeiten“ beschäftigt. Damals haben wir den Gesetzentwurf der Landesregierung abgelehnt, weil dieser Entwurf in Bezug auf unsere Kinder und deren Eltern sehr unausgegoren war.

Nachdem die betroffenen Eltern und verschiedene Bürgerinitiativen in Sachsen-Anhalt einen wahren Sturm gegen die festen Öffnungszeiten entfacht hatten, sah sich das Kultusministerium unter der Leitung von Herrn Harms gezwungen, dieses politisch instinktlose und pädagogisch haltlose Gesetz zu verändern, zumindest im Hinblick auf die Flexibilisierung in der ersten und zweiten Klasse. Ob dieses so genannte Entgegenkommen ausreichend ist, darf wohl bezweifelt werden.

Die PDS-Fraktionsvorsitzende Frau Dr. Sitte befürchtet nun aufgrund der neu eingebrachten Gesetzespassage der CDU eine „Ausfransung des bestehenden Gesetzes“, besteht aber weiterhin darauf, dass die Grundschule mit festen Öffnungszeiten inhaltlich nicht infrage gestellt wird. Vielleicht darf ich Frau Dr. Sitte darauf hinweisen, dass PDS und SPD mit ihren Stimmen im Landtag für dieses Chaosgesetz gesorgt haben. Wenn jemand dieses Gesetz schlecht vorbereitet hat, dann doch Sie und Ihre SPD-Verbündeten.

Dem Gesetzentwurf der CDU, der eine Betreuung der Schüler auf freiwilliger Basis außerhalb des Unterrichts garantiert, ist nichts entgegenzusetzen. Manchmal ist eben der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach; und dieser „Spatz“ kann nur im Interesse der Schüler und ihrer Eltern sein. - Ich bedanke mich.

(Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU-FL)

Danke sehr. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Kauerauf. Bitte, Frau Kauerauf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist scheinbar zu einer Unsitte geworden, im Landtag mehrheitlich verabschiedeten Gesetzen einen eigenen Gesetzentwurf hinterherzuschicken.

(Widerspruch bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU, lacht - Zuruf von Herrn Schulze, CDU)

Beachtenswert ist dabei der Umstand - dies sollte nachdenklich stimmen -, dass beiden Gesetzentwürfen keine neuen Erkenntnisse zugrunde liegen. Das Wiederaufgreifen mehrfach erörterter und von einer Ausschussmehrheit abgelehnter Positionen verfolgt unmissverständlich das Ziel, ein in der Öffentlichkeit sehr emotional diskutiertes Thema für eigene Interessen nutzbar zu machen und weiter Unmut zu schüren.

(Widerspruch bei der CDU - Frau Feußner, CDU: Was heißt denn hier „eigene Interessen“?)

Damit wird eine sachliche Auseinandersetzung verhindert und bei den Betroffenen Unruhe verursacht. Genau dies ist aber kontraproduktiv.

(Herr Scharf, CDU: Und wir sollen ruhig sein!)

Wirklich notwendig sind die nach der Verabschiedung des Gesetzes von der Landesregierung eingeleiteten und in der Rede des Ministers dargestellten Unterstützungssysteme. Dazu zählen eine umfangreiche Elterninformation und -beratung, die Unterweisung der Schulleiterinnen und Schulleiter sowie der schulfachlichen Dezernenten und die Fortbildung der Lehrkräfte und der pädagogischen Mitarbeiterinnen.

Ein hoher Stellenwert sollte auch den bereits auf freiwilliger Basis agierenden Grundschulen mit festen Öffnungszeiten eingeräumt werden. Von ihren positiven Erfahrungen sollten möglichst viele Grundschulen profitieren. Es geht einfach darum, das innovative pädagogische Konzept vor Ort entsprechend zu vermitteln und die Agierenden in die Lage zu versetzen, es adäquat umzusetzen.

Der Gesetzentwurf der CDU zielt letztendlich, wenn auch verdeckt, auf eine Aushebelung des ganzheitlichen Konzepts. Lernen, Betreuung und Erziehung bilden dann keine integrative Einheit mehr, sondern sollen additiv zusammengefügt werden. Auf eine Kurzformel gebracht, soll im Hinblick auf das pädagogische Konzept alles so bleiben, wie es ist; jedoch unterstützt von pädagogischen Mitarbeitern. Wie das konkret aussehen soll, bleibt mehr als fraglich; ein fauler Kompromiss und nicht sehr originell.

Damit würde sich Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier - sie wurde heute schon zitiert - nicht zufrieden geben.

(Herr Gürth, CDU, lacht)

In ihrer Rede zum zentralen Grundschultag 2000 in Nürnberg sagte sie unter anderem zu dem in Bayern durchgeführten Schulversuch einer kindgerechten und familiengerechten Halbtagsgrundschule - ich zitiere -:

„Ziel des Modellsversuchs ist es, Konzepte zu erproben, wie der Unterrichtsvormittag stärker individualisiert und der Tagesverlauf flexibler auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet werden kann. Neben unterschiedlich langen Arbeitsblöcken und Unterrichtsphasen werden Ruhe-, Betreuungs- und Pausenzeiten in den Unterrichtsvormittag eingebaut.“

Sagen Sie mir, wie man das freiwillig machen soll!

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Meinecke, SPD - Frau Feußner, CDU: Das ist doch eben freiwillig!)

- Bravo. Genau dies soll in Sachsen-Anhalt mit dem integrativen Konzept getan werden. Vielleicht besorgt sich die CDU-Fraktion einmal diesbezügliche Unterlagen, bevor sie Gesetzentwürfe schreibt.

(Frau Feußner, CDU: Das ist doch freiwillig! Da müssen Sie sich einmal informieren!)

Erhebliche Fragen ergeben sich auch in Hinblick auf die im Gesetzentwurf der CDU vorgesehenen eingeschränkten Betreuungsangebote. Eine ausschließliche Betreuung vor und nach dem Unterricht würde dem bisherigen Hort entsprechen, der jedoch mit dem Auslaufen des Hortgesetzes zukünftig durch den Träger der örtlichen Jugendhilfe nach dem KiBeG zu organisieren ist, allerdings nicht kostenlos.

In verschiedenen Bundesländern, die eine Grundschule mit festen Öffnungszeiten führen, müssen Eltern die zusätzlichen Betreuungsangebote vor und nach dem Unterricht mitfinanzieren.

Frau Abgeordnete Kauerauf, sind Sie bereit, eine Frage zu beantworten?