Protokoll der Sitzung vom 15.12.2000

Deswegen halten wir es für nicht gerechtfertigt, dass sich die öffentliche Hand saniert, indem sie bei Leistungen für diese Sozialkassen spart.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Wolf, FDVP)

Dies ist in den letzten Jahren eindeutig geschehen. Allein seit 1998 ist eine Reihe von Gesetzen beschlossen worden, die in der Folge verminderte Einnahmen für die gesetzlichen Krankenversicherungen mit sich bringen.

Das begann im Dezember 1998 mit dem Solidaritätsstärkungsgesetz. Das hat im Bereich der GKV damals zu Mindereinnahmen in Höhe von 2 Milliarden DM geführt. Das ging weiter im Jahre 1999 mit der Aussetzung der nettolohnbezogenen Rentenanpassung, was bei der GKV zu Mindereinnahmen in Höhe von 500 Millionen DM im Jahr 1999 geführt hat und im Jahr 2000 voraussichtlich zu Mindereinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden DM führen wird. Es geht weiter mit der Absenkung der Beitragssätze für die Arbeitslosenhilfebezieher, was bei der GKV wiederum Mindereinnahmen in Höhe von etwa 3 Milliarden DM nach sich ziehen wird.

Insgesamt sind aufgrund von Entscheidungen des Gesetzgebers in den letzten zwei Jahren im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen Mindereinnahmen in Höhe von ca. 7,5 Milliarden DM zu verzeichnen. Das können diese Kassen beim besten Sparwillen nicht kompensieren.

Die letzte gesetzliche Maßnahme - um Ihnen ein weiteres Beispiel zu nennen - ist eine Regulierung auf der Grundlage eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat vom Gesetzgeber verlangt, dass die rechtliche Gleichstellung gewahrt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht gesagt, wie dies zu geschehen habe.

Mit dem Gesetz zur Neuregelung der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von einmalig gezahlten Arbeitsentgelten - das so genannte Einmalzahlungsneuregelungsgesetz, das der Bundestag am 1. Dezember 2000 beschlossen hat - wird die Beitragsbemessungsgrenze für die Bezieher von Arbeitslosenhilfe von bisher 80 % auf 58 % reduziert. Die entsprechenden Regelungen im Bereich des SGB V stehen noch aus und müssen noch nachgefasst werden.

Allein für die AOK in Sachsen-Anhalt bedeutet dies Mindereinnahmen in Höhe von 53,9 Millionen DM pro Jahr. Große Ortskrankenkassen in wirtschaftlich gesunden Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg mögen das verkraften. Aber die Ortskrankenkassen in wirtschaftlich schwachen Ländern - dazu gehört SachsenAnhalt - können dies nicht.

In einem Land mit der höchsten Arbeitslosenquote, in einem Land mit einer ständig sinkenden Zahl von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, in einem Land, das rund 50 000 mehr Auspendler als Einpendler zu verzeichnen hat, bedeutet das für eine landesbezogene Sozialkasse wie die AOK in Sachsen-Anhalt, dass deren Kompensationsfähigkeit erschöpft ist, wenn die Einnahmen durch gesetzliche Maßnahmen weiter reduziert werden.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Wolf, FDVP)

Das sieht übrigens auch der Bundesrat so. Es liegt in der Drs. 592 vom 20. Oktober dieses Jahres eine Stellungnahme des Bundesrats zu dieser Gesetzesänderung des Bundestags vor, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der Bundesrat hinsichtlich der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts den Bundestag darauf aufmerksam macht, dass dies im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen zu Mindereinnahmen von insgesamt ca. 1,5 Milliarden DM führen wird.

Da die Kassen nur das Geld ausgeben können, das ihnen zur Verfügung steht, darf man sich auch nicht wundern, wenn die Leistungserbringer weniger Geld für die gleiche Leistung bekommen. Wir haben das Problem in diesem Jahr bei den Fachärzten erlebt. Es gab entsprechende Protestaktionen.

Es ist eine Tatsache, dass für die gleichen Leistungen, für die früher ein Punktwert von mehr als 10 Pfennig bezahlt wurde, jetzt nur noch ein Punktwert von 4,4 Pfennig bezahlt wird. Das ist weniger als die Hälfte.

In diesem Bereich gibt es ein Berechnungsverfahren, das die meisten von Ihnen nicht kennen. Zunächst werden Leistungen erbracht, von denen der betreffende Leistungserbringer nicht weiß, in welcher Höhe sie vergütet werden. Spätestens nach einem Vierteljahr werden die Punkte - die Leistungen werden mit Punkten bewertet - addiert. Dann schaut man, wie viel Geld zur Verfügung steht. Erst danach wird der Punktwert errechnet, und der Betreffende erfährt, wie seine Leistung bezahlt wird.

Dadurch geraten die Ärzte, die dagegen demonstriert haben, natürlich in wirtschaftliche Schwierigkeiten, weil sie sich selbst mit Krediten verschuldet haben. Denn sie hatten vor einigen Jahren schließlich ihre finanzielle Situation auf der Grundlage der damals geltenden Punktwerte kalkuliert. Man muss nunmehr dafür Verständnis haben, dass diese Ärzte mit einer solchen Lösung nicht leben können.

(Zustimmung bei der CDU)

Man kann das Problem nicht lösen, indem man sie mit salbungsvollen Reden zu trösten versucht. Es muss tatsächlich das Finanzierungssystem geändert werden. Wir müssen uns mit dem Gedanken abfinden - ich möchte jetzt gar nicht an die gesundheitspolitischen Debatten erinnern, die wir vor Jahren über Neuordnungsgesetze im Gesundheitswesen usw. geführt haben; die meisten können sich daran erinnern -, dass in diesem Bereich

mehr Leistungen nicht mit weniger Geld finanziert werden können.

(Zustimmung bei der CDU und bei der PDS)

Wenn wir die Probleme im Gesundheitswesen lösen wollen, muss in dieses System mehr Geld hineinfließen, woher es auch immer kommen mag. Darüber wollen wir jetzt nicht diskutieren. Es ist jedoch ausgeschlossen, dass wir auch nur den gegenwärtigen Standard mit weniger Finanzmitteln halten können.

Wenn wir zukünftige Entwicklungen aufnehmen wollen - das werden wir ohnehin tun müssen -, müssen wir über eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens diskutieren und bereit sein, für höhere Ansprüche und mehr Leistungen auch weitere Finanzierungsmöglichkeiten zu eröffnen. Wie dies geschehen kann, soll nicht der Gegenstand des heutigen Antrags sein.

Ich gebe Ihnen darin Recht und sage das auch so deutlich, Frau Kollegin Krause - wir haben darüber gelegentlich diskutiert -, dass man die Probleme des Gesundheitswesens nicht nur unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten lösen kann.

Aber ich sage auch: Nach dem Prinzip „Deckel drauf und kümmert euch“ wird es auch nicht gehen. Die Budgetierungsvariante ist im Jahr 1992 mit der Absicht eingeführt worden, sie nur zwei Jahre beizubehalten und in dieser Zeit das gesamte Finanzierungssystem im Gesundheitswesen umzustellen. Beides ist nicht gelungen.

Mit den Neuordnungsgesetzen, über die wir uns auch hier im Hause unterhalten und gestritten haben, konnte erreicht werden, dass am Ende des Jahres 1998 die Finanzsituation erstmals bundesweit ausgeglichen war, bei einem gewissen Überschuss in den westlichen Ländern, der aber größer war als das Defizit in den östlichen Ländern. Dieses konnte mit dem Risikostrukturausgleich abgefangen werden. Aber auch nach der bundesweiten Öffnung des Risikostrukturausgleichs ab dem nächsten Jahr wird die Einnahmesituation nicht ausgeglichen werden können, wenn die Einnahmen des Versicherungssystems insgesamt durch den Gesetzgeber weiter reduziert werden.

Ohne auf weitere fachspezifische Einzelheiten einzugehen, möchten wir mit diesem Antrag um ein Votum des Hohen Hauses bitten, das die Landesregierung ermutigt, in der Intention einer schon gefassten Stellungnahme des Bundesrates darauf hinzuwirken, dass durch die Maßnahmen des Bundesgesetzgebers die Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung nicht weiter verschlechtert wird, weil das natürlich diejenigen Länder zuerst treffen muss, deren Wirtschaftskraft und deren lokale Einnahmesituation am schlechtesten sind. Dazu gehören wir nun einmal.

Deswegen haben wir die herzliche Bitte um Zustimmung zu diesem Antrag, damit auch bei uns die notwendigen Leistungen im Bereich des Gesundheitswesens weiterhin so finanziert werden können, dass die Leistungserbringer, auf deren Tätigkeit wir angewiesen sind, auch überleben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU-FL)

Danke, Kollege Böhmer, für die Einbringung.

Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden, und

zwar in der Reihenfolge: SPD, DVU-FL, FDVP, PDS und CDU. Als erster Rednerin erteile ich jedoch für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt kommt die Bundesregierung der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts zur Neuregelung in diesem Bereich nach. Dieses Gesetz war notwendig geworden, weil das Ende 1996 vom Bundestag beschlossene Gesetz verfassungswidrig war, und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Thematik früher schon einmal geprüft und Vorgaben für eine verfassungsgemäße Regelung aufgestellt hatte.

Ich begrüße es, dass die Bundesregierung mit dem aktuellen Gesetzentwurf relativ zügig handelt. Denn damit wird die bestehende Ungerechtigkeit beseitigt, die darin besteht, dass zwar auf einmalig gezahltes Arbeitsentgelt Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung erhoben werden, dass dies aber zu keiner Gegenleistung führt.

Gleichzeitig werden in dem Entwurf auch Änderungen im Bereich der Beitragsbemessung für Arbeitslosenhilfeempfänger und -empfängerinnen in der Krankenversicherung geregelt. Darum geht es insbesondere bei diesem Antrag. Denn im Ergebnis zahlt der Bund dann für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe künftig geringere Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung.

Die CDU - Sie haben es dargestellt, Herr Professor Böhmer - formuliert die Befürchtung, dass diese Regelungen zu nicht akzeptablen Mehrbelastungen in der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Dem hält der Bundesgesetzgeber entgegen, dass die Mindereinnahmen, die die Krankenkassen aufgrund der Senkung der Beiträge für Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger erzielen, durch die positive Konjunkturentwicklung kompensiert werden; das ist für Ostdeutschland allerdings nur begrenzt wirksam.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Auch haben erste Ergebnisse für das Jahr 1999 gezeigt, dass die Beitragspflicht bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen bundesweit höhere Beitragseinnahmen zur Folge haben wird als ursprünglich angenommen. Das ist in der Tat so.

Herr Professor Böhmer, Sie haben vorhin über die Belastungen im Sozialversicherungssystem gesprochen, aber kein Wort zu den Entlastungen gesagt, die in den vergangenen zwei Jahren vorgenommen wurden. Es gibt Mehreinnahmen, sowohl in der Krankenversicherung als auch in der Rentenversicherung, aufgrund der Einbeziehung der geringfügig Beschäftigten und es gibt eine Entlastung in der Rentenversicherung in der Größenordnung von 25 Milliarden DM durch die Umfinanzierung von versicherungsfremden Leistungen durch Steuergelder.

(Zuruf von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU)

Für die Regionalkassen, insbesondere in den ostdeutschen Ländern, gehe ich allerdings stärker als Sie davon aus, dass ein verbesserter Risikostrukturausgleich, der im nächsten Jahr kommen muss, zu Mehreinnahmen bei unseren Krankenkassen führt und insbesondere die

dramatische Situation der ostdeutschen AOK verbessern hilft. Denn wir erwarten hier in der Tat wesentlich verbesserte Transferleistungen.

Die Problematik der Kostenverlagerung zwischen einzelnen Haushalten des sozialen Sicherungssystems ist aber abgesehen von den Konjunkturprognosen ein Problem grundsätzlicher Art. Dieses besteht seit vielen Jahren. Ich habe das immer beklagt. Wir haben in vielen Gesetzgebungsverfahren der letzten Jahre darauf aufmerksam gemacht, dass es hier zu Verschiebungen kommt.

Wir müssen zu einem grundlegend soliden System kommen. Deswegen hat sich der Bundesrat in vielen Fällen mit dieser Problematik auseinander gesetzt und in diesem aktuellen Fall auch eine Stellungnahme abgegeben, in der die Sorge formuliert wird, dass die vorgesehene Absenkung der Beitragszahlungen für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe die Beitragsstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung gefährden wird.

Ich habe mich darüber hinaus im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an Herrn Bundesminister Riester gewandt; denn es ist bekannt, dass mit der Ausweitung befristeter Renten ebenfalls fiskalische Belastungen für die GKV einhergehen. Ich habe dem Bundesminister sehr deutlich die Lage in einem ostdeutschen Bundesland geschildert und ihn gebeten, die Situation der Krankenkassen im Osten in besonderer Art und Weise zu berücksichtigen. Im Ergebnis der Verhandlungen ist es gelungen, zumindest in diesem Gesetzgebungsvorhaben Grenzen der finanziellen Auswirkungen auf die GKV zu vereinbaren.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Problematik der Verschiebung von Lasten zwischen den Budgets der einzelnen sozialen Sicherungssysteme sehr ernst nehmen und dass wir auch Einfluss darauf nehmen werden, dass insbesondere unsere ostdeutschen Kassen nicht zu stark belastet werden.

Aber ich denke, wir müssen das Einmalzahlungsneuregelungsgesetz jetzt billigen. Es ist nicht das, was wir uns unter dem Strich gewünscht haben; aber es enthält eine ganze Menge von Regelungen, die wir dringend brauchen. Deswegen bitte ich Sie, dem Antrag der CDUFraktion nicht zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD - Oh! bei der CDU)

Danke, Frau Ministerin. - Jetzt spricht zu uns die Abgeordnete Frau Ute Fischer von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ministerin hat über Inhalte und Zusammenhänge dieses Einmalzahlungsneuregelungsgesetzes ausführlich gesprochen. In der Tat werden nach diesem Gesetz neben den Verbesserungen auf der Leistungsseite - Anrechnung auf das Krankengeld, das Übergangsgeld und das Arbeitslosengeld - die Beiträge in die Kranken- und Pflegeversicherung für Arbeitslosenhilfeempfängerinnen für nur 80 % des Auszahlungsbetrages geleistet. Sie haben in Ihrem Antrag von Arbeitslosengeld gesprochen. Aber dies betrifft nur die Arbeitslosenhilfeempfänger und -empfängerinnen.

Die Arbeitslosenhilfe und die Beiträge an die Kassen kommen aus dem Bundessteuertopf. Da liegt es nahe, dass die Sparbremse gezogen wurde und dass nunmehr eingespart wird. Offensichtlich hat man ganz geschickt einen kostenneutralen Gesetzentwurf vorgelegt, ohne darauf zu achten, wo Belastungen entstehen. Ich denke, es ist das Recht der Opposition, einen solchen Antrag einzubringen. Wir hätten ihn in der Rolle der Opposition sicherlich genauso eingebracht.

(Herr Bischoff, SPD, lacht - Zuruf von Frau Krau- se, PDS)

Trotzdem können Sie natürlich nicht erwarten, dass wir jetzt sagen: Jawohl, wir sind auch dafür. Denn es gibt noch viele andere Dinge, die man im Zusammenhang mit diesem Gesetz bedenken muss. Ich denke, Sie stimmen mit mir darin überein, dass die Haushaltskonsolidierung auf Bundesebene an erster Stelle steht. Man muss sehen, dass man spart, wo immer es geht.