Protokoll der Sitzung vom 15.12.2000

Die Förderung des Regionalprinzips auch in der Futterwirtschaft, also die vorrangige Versorgung der Tierbestände mit Futter aus eigenem betrieblichem, regionalem Aufkommen, zum Beispiel aus dem Anbau von Leguminosen und anderer Futtermittelpflanzen, sowie die Förderung von Erzeugergemeinschaften und regional begrenzten Handelsgenossenschaften würde die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln und anderen agrarischen Rohstoffen wieder durch- und überschaubarer werden lassen.

Damit wäre die Grundlage für eine nachhaltige Kontrolle tatsächlich geschaffen, unter Umständen sogar ohne die Schaffung besonderer Institutionen und ohne Bürokratie. Das würde auf lange Sicht eine echte Chance für eine gesunde Ernährung der Menschen, für die Landwirtschaft und die Landwirte in jeder Region Europas sowie für die Natur und eine lebenswerte Umwelt sein. In diesem Sinne ist gerade mit Blick auf die EU-Osterweiterung ein neues europaweites Agrarkonzept zwingend notwendig.

Wie gesagt: Die Bauern selbst tragen an dem gegenwärtigen Dilemma nicht nur die geringste Schuld, sondern sie sind als Verbraucher und als Wirt gleicher-maßen von der inzwischen dramatisch zugespitzten Situation am meisten betroffen.

Kurzfristig erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie vorerst im nationalen Rahmen nach Sofortmaßnahmen sucht, um existenzbedrohende Auswirkungen abzuwehren, dass sie sich aber auch auf europäischer Ebene noch intensiver um ein einheitliches Herangehen im Kampf gegen BSE bemüht.

In diesem Sinn bitte ich um die direkte Annahme unseres Antrages.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Barth, SPD)

Vielen Dank, Herr Krause. - Mir ist gesagt worden, dass an dieser Stelle für die Landesregierung höchstwahrscheinlich Herr Minister Keller sprechen wird.

(Herr Gallert, PDS: Es spitzt sich jetzt darauf zu!)

Wenn das so sein sollte, dann bitte ich jetzt Herrn Minister Keller nach vorn.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der positive BSE-Test eines Rindes in SchleswigHolstein und der Verdacht, dass das Rind, das in Portugal verendet ist, aus Sachsen-Anhalt stamme, hat schlagartig die Illusion beseitigt, dass Deutschland ein Land sei, das frei von BSE ist.

Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass diese Rinderseuche, die bereits im Jahre 1985 in Großbritannien diagnostiziert worden ist, in Europa insgesamt vorhanden ist. Wir müssen feststellen, dass diese Erkenntnis insbesondere den Agrarmarkt in Deutschland, den Markt für Tiere und die Landwirtschaft insgesamt erschüttert hat.

Ich glaube, die Konsequenzen, die wir daraus ziehen müssen, dürfen nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen über die Versäumnisse der Vergangenheit bestehen, sondern wir müssen versuchen, auf die entstandenen Probleme angemessen zu reagieren. Angemessen reagieren heißt aus meiner Sicht, so zu reagieren, dass der Verbraucher auf lange Sicht vor einer Krankheit, die er für sich selbst nur sehr schwer bewerten kann, geschützt ist. Welche Konsequenzen müssen wir ziehen?

Zunächst müssen wir uns eingestehen, dass die Rinderseuche BSE lange Zeit unterschätzt worden ist. Wir haben uns in Deutschland immer zugute gehalten, dass unsere Standards so hoch seien, dass der Fall bei uns nicht auftreten könne. Wir waren dadurch in Sicher- heit gewiegt, dass bisherige Fälle in Deutschland ausschließlich bei Rindern aufgetreten waren, die aus Großbritannien importiert worden waren.

Es ist in der Vergangenheit nicht genug bei der Forschung getan worden. Bis heute wissen wir nicht, wie die tatsächlichen Übertragungswege dieser Krankheit bei den Tieren selbst sind, noch weniger kennen wir die Zusammenhänge der Übertragungswege vom Tier auf den Menschen, vom Lebensmittel auf den Menschen.

Wir kennen wahrscheinliche Eintragungsquellen. Die Tatsache, dass offensichtlich das Tiermehl der Übertragungsweg ist, hat die Bundesregierung zu einem entschlossenen, aber auch sehr schnellen Handeln bewogen. Innerhalb kurzer Zeit wurde in Berlin mit Zustimmung des Bundesrates ein Gesetz verabschiedet, das nunmehr ein totales Tiermehlverfütterungsverbot in der Landwirtschaft beinhaltet.

Aber, meine Damen und Herren, wir müssen, wenn wir diese Fragen betrachten, auch zurückschauen. Wir haben beispielsweise bei verstärkten Kontrollen festgestellt, dass, nachdem das Tiermehlverfütterungsverbot in Kraft getreten ist, nach wie vor Tiermehl verfüttert wird. Von 435 untersuchten Stichproben, die wir seit Montag vergangener Woche bei 16 Herstellern, bei 16 Händlern in Sachsen-Anhalt und bei insgesamt 175 Tierhändlern entnommen haben, mussten wir bei 88 Proben Befunde von Tiermehl im Rinderfutter feststellen.

Das, meine Damen und Herren, ist ein Verhalten der Landwirtschaft und der damit verbundenen Industrie, das meines Erachtens nicht angemessen auf die notwendigen Schritte, die Sie, Herr Krause, in Ihrer Einbringungsrede angesprochen haben, reagiert.

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Schweinerei!)

Wenn man versucht, die aus Verbraucherschutzgründen notwendigen Maßnahmen zu umgehen, dann ist das ein Verhalten, das nicht geeignet ist, das Vertrauen in die Landwirtschaft in Zukunft zu stärken. Ich glaube, darauf kommt es hauptsächlich an, wenn man langfristig in Deutschland und in Europa Landwirtschaft betreiben will.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Meine Damen und Herren! Wir haben im Übrigen festgestellt, dass es im Gesetz eine Regelungslücke gibt. Als wir gegen die Futtermittelhersteller vorgehen und Bußgeldverfahren einleiten wollten, da wir in neu hergestelltem Futter Tiermehl gefunden haben, mussten wir feststellen, dass das Schnellgesetz das Herstellen von Futtermitteln mit Tiermehl gar nicht verboten hat. Es wurde nur das In-Verkehr-Bringen, das Exportieren und das Verfüttern verboten, aber nicht das Herstellen von Futtermitteln mit Tiermehl. Das heißt, wenn wir bei einem Futtermittelhersteller etwas finden, können wir nicht gegen ihn einschreiten.

Wir haben allerdings bei den Händlern und bei den landwirtschaftlichen Betrieben reagiert und haben 58 Bußgeldverfahren bei landwirtschaftlichen Betrieben und 15 Bußgeldverfahren bei Futtermittelhändlern einge- leitet.

(Zuruf von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Meine Damen und Herren! Hier tut es Not, dass die per Gesetz erlassenen Vorschriften ordnungsgemäß durchgesetzt werden.

Welche Schlussfolgerungen sind agrarpolitisch zu ziehen? Wir haben festzustellen, dass der Rindermarkt zusammengebrochen ist. Wir müssen nun sehen, dass wir hieraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen.

Ein Aufweichen oder eine Rücknahme des Tiermehlverfütterungsverbotes darf es weder in Deutschland noch in Europa geben.

(Beifall bei der SPD)

Hierbei weise ich darauf hin, dass innerhalb Europas der Ernst der Lage bezüglich BSE offensichtlich immer noch

nicht erkannt worden ist. Es gibt offensichtlich immer noch Länder, die sich für BSE-frei halten - möglicherweise mit gutem Recht - und deswegen gemeinsame Regelungen, die auf Dauer in Europa greifen, verweigern. Das ist nicht hinnehmbar. Wenn wir in Europa einen gemeinsamen Markt für landwirtschaftliche Produkte haben, dann müssen auch die Regelungen, nach denen diese Produkte erzeugt werden und wie diese Produkte auf den Markt gebracht werden, einheitlich sein.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt: In ganz Europa muss auf Dauer ein Tiermehlverfütterungsverbot gelten. In ganz Europa muss auf Dauer, solange das Problem mit BSE besteht, gelten: Kein Rind darf auf den Markt kommen, das nicht auf BSE getestet worden ist.

In diesem Zusammenhang betone ich, dass die Tests natürlich keine absolute Sicherheit bringen, aber sie geben eine Auskunft über das Seuchengeschehen, das wir innerhalb der Rinderbestände haben. Deshalb sind sie dringend erforderlich. Je mehr Tests wir machen und je weniger BSE-Rinder wir dabei finden, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Seuche, wenn sie denn überhaupt in größerem Umfang bestanden haben sollte, im Abklingen ist.

Das darf aber nicht dazu führen, meine Damen und Herren, dass wir uns die ganze Sache insgesamt zu leicht machen. Wir müssen versuchen, die Folgen zu beherrschen, und müssen deswegen gemeinsame Regelungen in Europa finden. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt.

Was das Land selber anbetrifft, so haben wir mit den erhöhten Kosten, die diese zusätzlichen Verbraucherschutzmaßnahmen auslösen, zu kämpfen. Es ist klar, dass unsere Regelungen beispielsweise bei der Tierkörperbeseitigung erhöhte Kosten für die Landkreise bringen, und wir sind in der Diskussion über die Frage, ob bzw. in welcher Form diese Kostenverteilung richtig ist.

Hierbei gibt es verschiedene Komplexe. Der eine Komplex sind die zusätzlichen Kosten, die durch die Untersuchungen entstehen. Diese werden zunächst einmal durch Gebühren geregelt. Aber es werden auch erhebliche Kosten auf uns zukommen durch Marktentlastungsmaßnahmen, die innerhalb der Europäischen Union beschlossen worden sind.

Nun mag man hier die ethische Frage stellen, ob es denn gerechtfertigt ist, zwei Millionen Rinder vom Markt zu nehmen und sie nicht dem Lebensmittelkreislauf zuzuführen, sondern sie zu vernichten. Aber ich glaube, auch aus Gründen der Verbrauchersicherheit wäre es nicht falsch, wenn man die Rinderbestände, die BSEgefährdet sind, vom Markt nähme, um jedes Risiko, das der Verbraucher zu tragen hätte, zu beseitigen. Über die Kosten, die diese Aktion verursacht, wird momentan zwischen Bund und Ländern verhandelt.

Grundsätzlich, und damit will ich zum Abschluss kommen, müssen wir dafür sorgen, dass die Agrarpolitik den Wünschen der Verbraucher nach artgerechter Erzeugung und nach Sicherheit der Lebensmittel entspricht. Und das, meine Damen und Herren, setzt voraus, dass die Landwirte nicht dazu gezwungen werden, zu Dumpingpreisen zu produzieren, nicht einem mörderischen Konkurrenzkampf ausgesetzt werden, der sie dazu verleitet, mit Methoden zu produzieren, die nicht risikofrei sind.

Wir müssen uns Rechenschaft darüber ablegen, dass der Verbraucher, der sichere Lebensmittel haben will, dafür auch den entsprechenden Preis zu bezahlen hat. Und das, meine Damen und Herren, ist ein wesentlicher Punkt. Wir müssen feststellen, dass in den vergangenen Jahrzehnten der Anteil der Kosten der Ernährung an den Lebenshaltungskosten entscheidend zurückgegangen ist und dass der Anteil beispielsweise für andere Dinge sehr stark gestiegen ist.

Wenn wir uns darüber Rechenschaft ablegen, dann ist natürlich die Krise BSE unter anderem ein Symptom dafür, dass der Verbraucher seine Prioritäten anders gesetzt hat. Und der Verbraucher muss sich meines Erachtens Gedanken darüber machen, wie er denn die Prioritäten in Zukunft setzen will. Wenn er Qualitätsfleisch aus Deutschland, aus der EU beziehen will, dann muss er auch die Produktionskosten, die eine solche Produktion von Qualitätsfleisch verursacht, tragen.

Die Krise BSE hat in der Gesellschaft insgesamt ein Nachdenken über die Landwirtschaft hervorgebracht. Und wenn wir die Landwirtschaft umsteuern wollen, dann wird das ein Prozess sein, der über viele Jahre geht und der sicherlich unter Beachtung der Tatsache zu erfolgen hat, dass es hierbei auch um viele wirtschaftliche Existenzen und um Strukturen im ländlichen Raum geht.

Aber ich denke, wir sollten die Chance nutzen, diesen Umstrukturierungsprozess einzuleiten, mit Augenmaß, nicht radikal - ich glaube, das ist auch nicht durchsetzbar - und nicht ausschließlich unter dem Stichwort ökologisch produzierende Landwirtschaft nach bestimmten ökologischen Labels, aber auf Dauer artgerecht und verbrauchersicher.

Wenn uns das gelingen soll, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass das für die Gesellschaft nicht kostenlos zu haben sein wird. Es wird einen erhöhten Aufwand bedeuten, und dazu müssen alle, die beteiligt sind, ihren Beitrag leisten.

Das werden sicherlich die öffentlichen Hände sein; aber ich glaube nicht, dass das ohne den Verbraucher geht. Wenn der Verbraucher es nicht will, wenn der Verbraucher nicht bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen, dann kann er nicht allein von der Politik erwarten, dass die alles für ihn regelt.

In diesem Sinne sehe ich in der Krise BSE eine Chance für eine Umstrukturierung von Produktionsweisen in unserer Gesellschaft, und ich denke, wir sollten diese nutzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Krause, der Minister hat die Redezeit bereits um eine Minute und zwanzig Sekunden überschritten. Wollen Sie jetzt noch eine Frage stellen?

(Herr Bischoff, SPD, und Herr Gallert, PDS, la- chen - Frau Stolfa, PDS: Keine Nötigung!)

- Die Redezeitregelung gilt natürlich auch für die Minister. Das ist nun einmal so.

Herr Minister, ich teile und unterstütze die von Ihnen getroffenen Aussagen bezüglich der einheitlichen Stan

dards und Normen bei Erzeugung und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, nicht bloß in Deutschland, sondern europaweit. Ich freue mich auch, dass in der Ministerrunde, auch in Richtung EU, doch diese Auffassung geteilt wird und immer deutlicher sichtbar wird.

Ist es aber nicht ein bisschen halbherzig, wenn die EU nur für die Produktion und die Verarbeitung in Deutschland und Europa diese Maßstäbe setzt, aber nicht auch dem Handel Verbindlichkeiten vorgibt, dass man auch im Rahmen von Importen nur Produkte auf den Markt bringen darf, also in Richtung EU importiert, die ebenfalls diese Standards erfüllen? Denn dann passiert das, was auch in der Presse zu lesen war, dass auch für Produzenten in der EU der Weg offen bleibt, die Regelungen über Drittländer zu umgehen. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass das ein bisschen halbherzig ist?