Protokoll der Sitzung vom 15.12.2000

Ist es aber nicht ein bisschen halbherzig, wenn die EU nur für die Produktion und die Verarbeitung in Deutschland und Europa diese Maßstäbe setzt, aber nicht auch dem Handel Verbindlichkeiten vorgibt, dass man auch im Rahmen von Importen nur Produkte auf den Markt bringen darf, also in Richtung EU importiert, die ebenfalls diese Standards erfüllen? Denn dann passiert das, was auch in der Presse zu lesen war, dass auch für Produzenten in der EU der Weg offen bleibt, die Regelungen über Drittländer zu umgehen. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass das ein bisschen halbherzig ist?

Ich wäre dankbar, Herr Minister, wenn Sie auf diese lange Frage eine kurze Antwort geben könnten.

Herr Krause, ich bin der Meinung, wir müssen die Standards entsprechend setzen, wir müssen sie auch kontrollieren. Und das ist ein weiter Weg. Das zeigen beispielsweise die Lücken in der Rinderkennzeichnung; denn wenn diese nicht bestünden, dann hätten wir auch nicht das Problem mit unserem Azorenrind gehabt. Aber im Prinzip bin ich Ihrer Auffassung.

Danke. - Bevor ich zur Debatte der Fraktionen aufrufe, darf ich weitere Gäste unter uns begrüßen, und zwar zum einen Damen und Herren des eingetragenen Vereins „Arbeit und Leben“ aus dem Regionalbüro „Rosa“ aus Hettstedt

(Beifall im ganzen Hause)

und zum anderen Schülerinnen und Schüler aus der Sekundarschule Gerlebogk.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen jetzt zur vereinbarten Debatte der Fraktionen. Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Barth. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über BSE wurde in den letzten Wochen schon viel und ausführlich debattiert. Es ist tragisch, und wir hätten uns alle gewünscht, dass Deutschland von dieser Seuche verschont bleibt. Aber in Zeiten der Globalisierung, der Liberalisierung der Märkte und der unbegrenzten Mobilität gehört schon ein gutes Stück Gläubigkeit dazu, anzunehmen, dass gerade vor unseren Grenzen, die ja im europäischen Warenhandel keine mehr sind, BSE Halt macht.

Bezüglich des unser Land betreffenden Falles in der Altmark möchte ich meine vorsichtige Erleichterung zum Ausdruck bringen; denn ich halte es für zwingend geboten, die Herkunft des infizierten Rindes zweifelsfrei zu ermitteln, bevor eindeutig nachgewiesen werden kann, dass es in Sachsen-Anhalt noch keinen Fall von BSE

gegeben hat. Ich denke, hier ist noch Aufklärungsbedarf vorhanden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! BSE ist - das haben die Diskussionen der letzten Wochen gezeigt - immer noch mit vielen Fragezeichen behaftet. Ob es sich bei BSE wirklich um eine neuartige Krankheit handelt oder ob erst das massive Auftreten von Fällen diese ans Licht gebracht hat, bleibt wahrscheinlich für immer ein Geheimnis und würde letztendlich an den Konsequenzen nichts ändern.

Fest steht aber, dass die Verfütterung von infiziertem Tiermehl der Auslöser der Epidemie gewesen ist. In England - und das muss man sich vor Augen halten - sind seit der Entdeckung der Seuche fast 200 000 infizierte Rinder registriert worden. Die Zahlen weisen seit mehreren Jahren eine Jahr für Jahr fallende Tendenz auf, für meine Begriffe ein Beweis dafür, dass ernsthafte Anstrengungen unternommen worden sind, der Epidemie Einhalt zu gebieten.

Nun kann uns das angesichts der immer noch auftretenden Neuinfektionen und der steigenden Anzahl der Fälle beim Menschen wenig trösten. Eine relative Sicherheit - das möchte ich explizit erwähnen - bietet unter den gegebenen Umständen nur die Nutzung regionaler Märkte, wie von meinen Vorrednern schon ausgeführt worden ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen 100prozentigen Schutz vor BSE oder ähnlich gelagerten Krankheiten wird es nach meiner Auffassung nicht geben. Es kann also nur darum gehen, die Risiken so weit wie möglich zu minimieren. Ich denke, dazu haben die Bundesregierung und die Europäische Kommission jetzt den richtigen Weg eingeschlagen. Meine Vorredner haben auf die vielfältigen Probleme in dieser Hinsicht schon hingewiesen. Ich möchte das nicht wiederhohlen.

Abschließend möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der mir angesichts der Diskussion um BSE aufgestoßen ist und den ich deshalb zur Sprache bringen möchte. Es geht mir darum, in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass die Verbreitung von BSE keine Frage der Betriebsgröße oder der Rechtsform landwirtschaftlicher Unternehmen ist.

(Zustimmung von Herrn Krause, PDS)

Und genauso wenig ist es eine Frage der artgerechten Tierhaltung. Aus meiner Sicht behaupte ich sogar, hinsichtlich der illegalen Verfütterung von Tierkörpermehl dürften größere Betriebe sicherer sein, da sie weitaus besser zu kontrollieren sind und der mögliche Schaden für diese Betriebe beträchtlich größer wäre. Wenn also jetzt von den Südländern und von einigen Lobbyisten die Miniaturlandwirtschaft als das heilbringende Mittel angepriesen wird, kann ich dem nur mit Unverständnis und energischem Protest entgegentreten.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Krause, PDS)

Unsere Fraktion wird dem Antrag der PDS zustimmen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD, von Herrn Krause, PDS, und von Frau Stolfa, PDS)

Vielen Dank, Herr Barth. - Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wolf. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von mir gibt es natürlich Schuldzuweisungen - völlig klar.

Der bisher leichtfertige Umgang unserer Regierung mit der als BSE oder auch als Rinderwahnsinn bezeichneten Seuche und mit der damit in Verbindung gebrachten neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen sind kein neues Warnsignal, sondern ein Ergebnis der Verflechtung politischen Versagens mit wirtschaftlicher Korruption in der EU und in Deutschland.

Jahrelang wurden wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse zurückgehalten oder verharmlost dargestellt. Das kommt uns bekannt vor, nachdem lange zuvor systematisch eine verbrecherische Verharmlosung bei der Seuche Aids betrieben wurde und wird. Kontrollierte Eindämmung wurde erst gar nicht versucht. Die Botschaft lautet auch heute noch: Sie können aus der gleichen Tasse trinken - keine Gefahr. Die Ärzteschaft weiß es besser bezüglich immer neuer Übertragungswege.

Die Bilder gleichen sich. Die Bevölkerung wurde abermals bewusst einer Gefährdung von Leib und Leben ausgesetzt, diesmal aus wirtschaftlichen Interessen im Euroland. Getrost kann man die Verfütterung tierischen Eiweißes an Pflanzenfresser als Tierquälerei bezeichnen, als nicht artgerechte Haltung in einem besonders schweren Fall.

Meine Damen und Herren! Das Fehlverhalten in der EU und leider auch in Deutschland ist mit Fakten belegbar. Im Jahr 1988 sieht sich die britische Regierung genötigt, zum Schutz ihrer Bürger die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer zu verbieten. Der Export auch in Länder der EU findet aber weiter statt nach dem Motto: „Ich tue es mir selbst nicht an, aber anderen mute ich das zu.“

Mit zweijähriger Verspätung führt die EU eine Meldepflicht für BSE-Fälle ein. Das war dann erst einmal alles, was der Überstaat zu bieten hatte. Erst im Jahr 1994 erlässt die EU viel zu spät ein Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer, also an Rinder und Schafe. Schweine und Geflügel sind davon nicht betroffen, obwohl nachgewiesen wurde, dass auch andere Tierarten wie Mäuse, Affen, Katzen und auch Schweine infiziert werden können, möglicherweise sogar Fische. So wurde auch in Deutschlands Schweinemastanlagen Tiermehl bis zum Jahr 2000 in großen Mengen verfüttert.

Im Jahr 1995 stirbt der erste Patient an der neuen Variante der Krankheit, welche durch den Konsum von Rinderprodukten auf den Menschen übertragen wird. Es sollen 90 weitere bis November 2000 folgen. Wie viele Menschen den Erreger bereits in sich tragen, ist bislang nicht bekannt. Roy Anderson, Epidemieexperte aus Oxford, hält bis zu 500 000 Tote in den nächsten 30 Jahren für möglich.

Eine Schweizer Firma stellte bereits im Jahr 1998 einen Antikörpertest vor, der innerhalb von zwölf Stunden anzeigt, ob ein geschlachtetes Tier infiziert ist. In Deutschland wartete man mit den BSE-Schnelltests noch bis November 2000, die EU wartet noch bis Januar 2001.

Noch Anfang November hatte sich der deutsche Landwirtschaftsminister entgegen aller Vernunft bei der EU gegen ein generelles Verbot von Tiermehlfutter ausgesprochen. Erst unter dem Druck der Ereignisse in Deutschland musste er seine Position aufgeben. Der Weg für ein entsprechendes Gesetz zum Verbot der Verfütterung von Tiermehl war nun endlich frei.

Mit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zum generellen Verbot von Tiermehl zum 2. Dezember 2000 ist der längst überfällige Schritt zur Vernunft scheinbar getan. Scheinbar, weil die Sache mit der Einstufung des Verstoßes als Ordnungswidrigkeit lasch geregelt ist. Organisierten Wirtschaftsverbrechern bleibt der Weg geebnet, Strafen und Profit rechnen sich. Fazit: Das Problem wurde nur gut verpackt.

Selbst heute, 16 Jahre nach der ersten Beobachtung eines erkrankten Rindes in West Sussex in England und nach langjährigen Studien renommierter Wissenschaftler, hat das Problem nicht den politischen Stellenwert, den es braucht.

Diese Tatsache ist uns bei anderen Seuchen längst bekannt. Wir denken an Ebola und Aids, wenngleich die Gründe dafür andere sind. Die Fortsetzung gezielter Überfremdungspolitik war auf das Äußerste gefährdet. Erst als es sich nicht mehr leugnen ließ und alle Bevölkerungsschichten betroffen waren, gab es wenigstens Projekte zur Aidsforschung, wurde Teilaufklärung betrieben. Nun trat auch die Pharmaindustrie auf den Plan.

Mir ist die Politik der Verdummung und der Verharmlosung von Gefahren aus der Herrschaftszeit der letzten Diktatur noch bestens bekannt, in der man uns glauben machen wollte, dass nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl keine Gefahr für die Bevölkerung der damaligen DDR bestünde.

Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich bitte an unseren Antrag zum Thema „Einfuhrstopp für englisches Rindfleisch“, den Sie sichtlich belustigt ablehnten. Sie liegen nicht nur einfach ständig daneben, Sie liegen mit Methode daneben. Der Verbraucher ist jetzt schuld.

Abschließend zum Antragspapier: Der Antragsteller hat mit dem inhaltlichen Aufbau mehr einer schriftlichen Anfrage entsprochen als einem tatsächlichen Antrag zum Thema BSE. Alibi-Anträge werden wir nicht unterstützen.

(Zuruf von Frau Rogée, PDS)

Überprüfen Sie Ihre Grundhaltung zu allen Seuchen, besonders zu Aids und Ebola, damit Sie zunächst etwas an Glaubwürdigkeit gewinnen. Bestürzende Hilflosigkeit besteht hier schon wesentlich länger, politisch gefördert durch Sie. Nach vollzogenem Wandel könnten wir dann einer komplettierten, ehrlichen Vorlage zustimmen. In dieser Form findet das nicht statt. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Sommerfeld. Bitte schön.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit über 50 Jahren bin ich Rinderzüchter in der Altmark. Ich habe auf einem hohen Niveau mit viel Engagement und großer Freude Rinder gezüchtet. Ich bin auch heute noch der Überzeugung, dass SachsenAnhalts Bauern ihre Tiere so füttern, dass sie sich nicht mit einem schlechten Gewissen zu quälen brauchen. Gleichzeitig bin ich aber auch sehr froh darüber, dass das so genannte Azorenrind doch nicht - und das bestätigt meine Meinung - aus unserem Lande stammt.

Meine Damen und Herren! Mir ist das teilweise unbegreiflich, was sich im Rahmen der BSE-Diskussion alles

abspielt. Jeder spricht von Sachen, von denen er keine Ahnung hat. Das ist das Schlimmste.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Die Hysterie, die bei diesem Thema ausgebrochen ist, ist aus fachlicher Sicht nicht nachzuvollziehen und schadet allen Bauern. Das ist das Schlimme. Es handelt sich erst einmal bei BSE nicht um eine Seuche - so ist es aber in dem Antrag der PDS formuliert -, sondern um eine Einzelerkrankung der Rinder. Sicherlich fehlen dazu Grundlagenforschungen, aber diese Erkrankung wird nicht durch ansteckenden Kontakt von einem Tier auf das andere übertragen. Darum bitte ich auch um eine sachliche Diskussion. Nur diese wird vor allem die Verbraucher nicht weiter verunsichern und kann dem Erzeuger hilfreich sein.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Anzahl der Erkrankungen spricht gegen jede Panikmache von Journalisten und - das habe ich schon gesagt - von Leuten, die gar nichts davon verstehen, von Politikern und anderen.

Ein Rind von 15 Millionen Rindern in Deutschland ist dennoch eines zu viel, meine Damen und Herren. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich will hier nicht Tatbestände ignorieren oder unter den Teppich kehren, aber ich will, dass dieses Thema auf einer sachlich fundierten Grundlage behandelt wird und die richtigen Schlussfolgerungen daraus abgeleitet werden.

Entscheidend sind die derzeitigen Maßnahmen, die auf politischer Ebene eingeleitet wurden, um alle aus dieser Krankheit resultierenden Gefahren weitestgehend zu vermeiden und das Vertrauen der Verbraucher in die Produzenten, sprich in die Bauern zu erhalten bzw. wiederzugewinnen.

Insgesamt möchte ich dazu sagen, dass ich das Management unseres Landwirtschaftsministeriums in den letzten Tagen sehr richtig finde. Ich habe es aufmerksam verfolgt. Sein pragmatisches Handeln ist für die Bauern, die Rinderproduzenten und die Züchter dieses Landes sehr dienlich gewesen.