Darüber hinaus ist eine Region der neuen Bundesländer in einer Weise stigmatisiert worden, die in ihren Konsequenzen als geradezu unerträglich bezeichnet werden muss. Insofern sollte man sich auch jetzt schon die Frage stellen: Was sind die Hintergründe, die dazu führten, dass eine solche fehlgeleitete Kampagne überhaupt zustande kommen konnte?
Ich sehe zwei Ansatzpunkte. Zum Ersten können wir einer Mediendiskussion nicht ausweichen. Hierbei beschäftigt mich insbesondere eine Frage: Wir haben ein vielfältiges, ein plurales Medienangebot mit sehr unterschiedlichen Zeitungen und elektronischen Medien. Man könnte unterstellen, dass diese Pluralität bei einem Fall wie dem in Sebnitz dazu führt, dass unterschiedliche Bewertungen vorgenommen und unterschiedliche Gesichtspunkte herausgestellt werden. Aber es scheint zu den Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie zu gehören, dass die Pluralität der Medien sich nicht in einer Verschiedenheit der Bewertung, sondern in einem Wettlauf um eine möglichst schnelle Verurteilung des gleichen Sachverhaltes äußert.
Dieser Punkt, meine Damen und Herren, muss einmal kritisch und medienkritisch aufgearbeitet und bewältigt werden. Ich sage klipp und klar: Ich erwarte, dass sich diejenigen Zeitungen, Zeitschriften und elektronischen Medien, die in unverantwortlicher Weise Vorverurteilungen betrieben haben, nach Abschluss der Ermittlungen offiziell bei der betroffenen Region entschuldigen.
Der zweite Punkt berührt das politische Klima. Es ist psychologisch durchaus verständlich, dass eine Mutter, die den Tod ihres Kindes nicht verkraftet, nach Ursachen sucht, die mit der Realität nichts zu tun haben. Einen solchen Sachverhalt hat man bei der Bewältigung von Todesfällen auch an anderer Stelle erlebt. Das ist nicht das Problem, und ich bin weit davon entfernt, der Mutter in diesem Zusammenhang Vorwürfe zu machen, die jedenfalls diese psychologische Gegebenheit nicht berücksichtigen.
Aber wenn eine breite Öffentlichkeit glaubt, in einem Freibad könne ein Kind brutal ermordet werden und Hunderte Bürger schauten zu und redeten hinterher mit niemandem darüber und klagten niemanden dafür an,
die Bürger sähen weg - so ist das ja bezeichnet worden -, dann sage ich: Diese Unterstellung geht von einem unzutreffenden Menschbild aus.
Ich kann nur sagen: Das Schweigen bei solchen kriminellen und die Menschlichkeit verletzenden Handlungen wird von der Mafia in Sizilien mit Todesdrohungen erzwungen. Das heißt, die Neigung der Menschen, auf die wir uns verlassen können, so etwas anzuzeigen, es öffentlich zu machen, ist viel größer, als es die öffentliche Debatte je unterstellt hat. Es ist eine Unverschämtheit, den Sebnitzern zu unterstellen, sie hätten bei einem Mord weggeschaut und hinterher nicht auf dessen Aufdeckung gedrängt.
Dass ein solcher Vorwurf überhaupt möglich ist, hängt mit einer Problematik zusammen, über die wir nun etwas gründlicher reden müssen, mit der Problematik nämlich, dass wir die Debatte über den Rechtsextremismus, so nötig sie ist, inzwischen in der Art einer Geisterbeschwörung führen.
Meine Damen und Herren! Ich finde, wir ziehen erst dann die notwendigen Konsequenzen aus den Vorgängen in Sebnitz, wenn wir bereit sind, die Frage, ob wir nicht in eine Dämonisierungsdiskussion geraten sind, ernstlich zu erörtern. Ich kann eine Menge Initiativen nennen, die dem wichtigen und richtigen Anliegen der Bekämpfung des Rechtsextremismus folgen, die aber in der Sache völlig überzogen sind.
Wenn wir an dieser Stelle nicht bereit sind, dieses Thema, das im Grunde genommen ein Thema der Bekämpfung von Gewalt und Kriminalität sein sollte, ernsthaft aufzugreifen und zu akzentuieren - ich muss den Kollegen von SPD und PDS sagen, dass Sie das Thema im Sinne eigener politischer Profilierung angehen -, dann sind wir nicht davor geschützt, dass der moderne Hexenwahn weitere Blüten treibt und uns in neue Fehleinschätzungen und Fehlurteile treibt. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Von der SPD-Fraktion wurde kein Redebeitrag angemeldet. Darum spricht jetzt für die PDSFraktion der Abgeordnete Herr Gärtner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Ich halte eine Aktuelle Debatte zu dem ungeklärten Todesfall des kleinen Joseph für unangemessen.
Das Erschrecken über die ersten Veröffentlichungen zum Tod des kleinen Joseph war groß. Die öffent- liche Debatte fokussierte sich auf Sebnitz. Dieses Erschrecken ließ wenig Raum für Trauer, für Innehalten und Nachdenklichkeit, für das Begreifen der menschlichen Tragik, die die Familie mit dem Tod und nach dem Tod des Sohnes und Bruders erfahren musste.
Ich will Ermittlungsergebnisse nicht kommentieren, zumal die Ermittlungen, wie der Herr Minister richtig gesagt hat, nicht abgeschlossen sind.
Was aber bewegt eine breite Öffentlichkeit, wenn sie den gewaltsamen Tod des Jungen durch Rechtsextremisten für möglich oder wahrscheinlich ansah oder ansieht, und wie muss Politik reagieren, wie müssen Bürgerinnen und Bürger reagieren, wenn dies für möglich oder wahrscheinlich gehalten wird? Zeigt sich nicht hier das eigentliche Problem, ein Problem, das weit über den tragischen Tod und weit über Sebnitz hinausreicht?
Dabei geht es natürlich nicht um Stigmatisierung. Das Gegenteil von Stigmatisierung einer Stadt oder einer Region ist aber nicht Verschweigen und Wegsehen, wo es eine politische Situation gibt, die gewaltsame Tode als möglich oder wahrscheinlich erscheinen lässt.
Die Sebnitzerinnen und Sebnitzer mögen sich ungerecht behandelt fühlen, weil es diese Situation auch in anderen Orten gibt. Ob aber beispielsweise der Oberbürgermeister von Sebnitz seiner Stadt einen Gefallen tut, wenn er sich gegen Stigmatisierung ausgerechnet mit einem Interview in der berüchtigten Nazipostille „Junge Freiheit“ zur Wehr setzt, bezweifle ich.
(Beifall bei der PDS - Herr Wolf, FDVP: Na, na, na! Wir haben gute Anwälte! - Herr Dr. Bergner, CDU: In der „Jungen Welt“ wäre es nicht besser gewesen! - Frau Wiechmann, FDVP: Sie sind die Schuldigen!)
Die öffentliche Debatte um diesen Fall offenbart ein Weiteres: Die Reduktion des Problems auf Voyeurismus und die Inszenierung des Problems als medialer GAU hilft nicht nur nicht, sie ist kontraproduktiv. Dies ist keine Medienschelte, aber ein Aufruf an die Medien wie auch an uns alle.
Journalistinnen und Journalisten haben in den letzten Monaten mit Recherchen und Veröffentlichungen viel - das möchte ich hier ausdrücklich betonen, wenn die Journalistinnen und Journalisten in dieser pauschalen Art und Weise angegriffen werden - zum Kampf gegen Rechtsextremismus in diesem Land beigetragen.
Dieser Beitrag sollte nicht durch Voreiligkeit und Unvollständigkeit von Recherchen geschmälert werden. Es geht nicht um das kurze Erschrecken, es geht um nachhaltige Konzepte, um eine mitmenschliche Kultur gegen rechte Gefahr und gegen eine rechte Alltagskultur in diesem Lande.
Die notwendige Debatte über Rechtsextremismus als gesellschaftliches Problem verträgt eine solche Reduktion auf mediale Ereignisse nicht. Ebenso wenig sollte dieser ungeklärte Todesfall für Aktuelle Debatten in diesem Hause herhalten. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Auch die DVU-FL-Fraktion hat keinen Redebeitrag angemeldet. Damit wäre auch das zweite Thema der Aktuellen Debatte abgehandelt und damit der Tagesordnungspunkt 3 abgeschlossen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich Schülerinnen und Schüler der Justizvollzugsschule in Klötze unter uns begrüßen.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Im März dieses Jahres haben wir in einer von uns beantragten Aktuellen Debatte unseren Unmut darüber zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet bestehender Gesundheitsrisiken und Gefahren für die eigene Landwirtschaft im Bundesrat bzw. seitens der Bundesregierung einem Beschluss zur Aufhebung des Einfuhrverbots von britischem Rindfleisch zugestimmt wurde.
Völlig unverständlich war für uns schon damals, dass ausgerechnet der Bundesgesundheitsministerin Fischer nichts Besseres einfiel, als ermitteln zu lassen, in welchem Umfang die einzelnen Länder im Falle einer Importverweigerung an der Zahlung etwaiger Strafgelder beteiligt werden könnten. Für eine Gesundheitsministerin empfanden wir dieses Herangehen schon damals als einen sehr zweifelhaften Einsatz im Kampf um Gesundheit und Verbraucherschutz.
Statt sich rechtzeitig dafür auszusprechen, dass die Forschung zum Komplex Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu intensivieren ist und die erforderlichen Mittel dafür aufzustocken sind, wird mit einer solchen Herangehens-weise und Haltung eher die Verwaltung als die Bekämp-fung der Krankheit favorisiert.
Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass sich nunmehr ein Umdenken vollzogen hat. Jetzt heißt es, bei der Erforschung der Krankheit werde es am Geld nicht scheitern. Es bleibt die uralte Frage: Warum muss das Kind immer erst in den Brunnen fallen? Die Vergangenheit hat uns also wieder einmal eingeholt.
Die jüngsten BSE-Fälle haben, sicher durch das Hinzutun der Medien, die Verbraucher stark verunsichert. Es ist eine regelrechte Hysterie erzeugt worden. Vor diesem Hintergrund soll unser Antrag auch zur Versachlichung der Diskussion um dieses Thema beitragen.
Die Landwirte kommen nicht umhin, die ersten Auswirkungen dieses BSE-Einbruchs als wirtschaftliche Katastrophe zu bezeichnen. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des ersten mutmaßlichen BSE-Falls einer in Deutschland bzw. in Sachsen-Anhalt geborenen Kuh stürzten die Preise regelrecht in den Keller. So ist zum Beispiel der Preis für Bullenkälber bis zu 75 kg von 304 DM auf 171 DM gesunken. Die Marktlage änderte sich so gravierend, dass unter anderem Jungbullen nicht mehr aufgekauft werden und de facto keine Preisbildung mehr zustande kommen konnte. Parallel dazu stiegen die Futtermittelpreise, insbesondere die Preise für Eiweißfuttermittel, drastisch.
Meine Fraktion bekennt sich einhellig dazu, dass die Sorge um den Verbraucher mehr denn je in den Mittelpunkt aller ernährungspolitischen Überlegungen zu rücken ist. In diesem Sinne werden erste Maßnahmen
von Bund und Land zum Schutz der Verbraucher zur Kenntnis genommen. Es hat sich gezeigt, dass eine selbsttrügerische Schönfärberei nach dem Motto „Deutschland ist BSE-frei“ für einen wirksamen Verbraucherschutz sowie den Schutz der landwirtschaftlichen Produktion und der bäuerlichen Existenzen eher kontraproduktiv war.
Jetzt gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, um aus EU-Sicht in der aktuellen Situation für klare Verhältnisse und eine lückenlose Aufklärung zu sorgen. Die Einhaltung aller Bestimmungen bezüglich der Tierkennzeichnung, der BSE-Tests und der Verwendung von Futtermitteln muss in allen Mitgliedstaaten der EU - und wenn wir von Globalisierung sprechen, eigentlich auch weltweit - stärkere Verbindlichkeit erlangen.
Nur so und nicht durch Verschweigen des BSE-Problems kann das Vertrauen in heimische Rindfleischerzeugnisse wieder gefestigt werden. Wir sollten stärker darauf achten, dass im Schatten einer ausschließlich marktorientierten und auf Globalisierung ausgerichteten Diskussion sinnvolle Bestimmungen der EU nicht ausgehöhlt und untauglich werden.
Dennoch, meine Damen und Herren, die Bannung der BSE-Gefahr muss gleichzeitig die Ursachenbekämpfung einschließen. Sie ist letztlich nicht nur eine Frage von BSE-Schnelltests, von Tierkennzeichnungen und des Nachweises über die Herkunft tierischer Erzeugnisse. Sie ist vor allem auch ein gesellschaftliches, ein wirtschaftliches Problem. Hier geht es um komplexere Maßnahmen. Was wir brauchen, ist eine sachliche Debatte um notwendige Veränderungen in der Agrar- und Ernährungspolitik, damit wir zu einer tatsächlichen nachhaltigen Produktions- und gesunden Ernährungsweise gelangen.
Aus unserer Sicht muss es über die bereits getroffenen Maßnahmen hinaus darum gehen, dass langfristige Rahmenbedingungen eingeführt werden, die gerade in der Agrar- und Ernährungswirtschaft das Prinzip der regionalen Stoffkreisläufe und der Selbstversorgung fördern und den globalen Transport bzw. den Handel von Nahrungs- und Lebensmitteln im Allgemeinen und von lebenden Tieren im Besonderen wirkungsvoll zurückdrängen. Das Problem liegt, wenn überhaupt, nicht in erster Linie auf dem Tisch der Landwirte. Zu wenig wird der Futtermittelindustrie und dem internationalen Futtermittel- und Tierhandel auf die Finger geschaut.
Die Förderung des Regionalprinzips auch in der Futterwirtschaft, also die vorrangige Versorgung der Tierbestände mit Futter aus eigenem betrieblichem, regionalem Aufkommen, zum Beispiel aus dem Anbau von Leguminosen und anderer Futtermittelpflanzen, sowie die Förderung von Erzeugergemeinschaften und regional begrenzten Handelsgenossenschaften würde die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln und anderen agrarischen Rohstoffen wieder durch- und überschaubarer werden lassen.