Protokoll der Sitzung vom 25.01.2001

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 50. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Meine Damen und Herren! Tief betroffen haben wir die Nachricht aufgenommen, dass der ehemalige Minister für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Dr. Klaus Schucht, am 18. Januar 2001 verstorben ist.

Herr Dr. Schucht hat sich nicht nur in den vier Jahren, in denen er hier als Minister tätig war, mit großer Kompetenz und überdurchschnittlichem Engagement sowie mit Weitsicht für die Entwicklung unseres Wirtschaftsraumes eingesetzt. So erreichte er, dass viele internationale Unternehmen sich in Sachsen-Anhalt ansiedelten. Sein Handeln war, wie er in seiner Abschiedsrede im Landtag am 21. Januar 1999 betonte, grundsätzlich von dem Ziel bestimmt, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.

Ich möchte aber auch sein Auftreten hier im Parlament würdigen, das von hoher Sachkunde, von Realismus bei der Darstellung vorhandener Probleme, aber auch von feinem Humor in der politischen Auseinandersetzung zeugte.

Wir werden Herrn Dr. Klaus Schucht stets in Ehren gedenken. Ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben.

Ich danke Ihnen.

Ich komme zur Entschuldigung von Mitgliedern der Landesregierung. Für die heutige Landtagssitzung liegen folgende Entschuldigungen vor: Herr Minister Gabriel nimmt heute in Vertretung des Ministerpräsidenten am Neujahrsempfang der Ingenieurverbände in Magdeburg teil und wird die Landtagssitzung deshalb gegen 17 Uhr verlassen. Herr Minister Gerhards hat sich aus gesundheitlichen Gründen für beide Sitzungstage entschuldigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 27. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Ich möchte darauf verweisen, dass sich die Fraktionen in der Sitzung des Ältestenrates am 18. Januar 2001 darauf verständigt haben, die Tagesordnungspunkte 8, 9, 10 und 15 als erste Punkte am Freitag zu behandeln.

Darüber hinaus ist an mich die Bitte herangetragen worden, den Tagesordnungspunkt 17 vorzuziehen, weil dessen Behandlung in die Abendstunden fallen würde, für die sich Herr Minister Gabriel entschuldigt hat. Ich schlage vor, dass wir den Tagesordnungspunkt 17 nach dem Tagesordnungspunkt 4 abhandeln. Findet das Ihre Zustimmung? Gibt es eine gegenteilige Meinung? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren, dass der Tagesordnungspunkt 17 nach dem Tagesordnungspunkt 4 abgehandelt wird.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum zeitlichen Ablauf der 27. Sitzungsperiode. Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat darauf verständigt, die heutige Sitzung gegen 19 Uhr zu beenden. Die morgige 51. Sitzung beginnt um 9 Uhr.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Debatte

Es liegen zwei Themen vor. In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit fünf Minuten je Fraktion und Thema. Die Landesregierung hat eine Redezeit von zehn Minuten.

Wir kommen zum ersten Thema:

Wal-Mart-SB-Warenhaus im Saalepark Günthersdorf

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/4103

Ich bitte die Fraktion der PDS, zu dem Antrag vorzutragen. Bitte, Herr Dr. Köck, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einseitige Entwicklung des Handelsnetzes in den neuen Bundesländern ist kein Marktversagen, sondern Planungs- und Verwaltungsversagen, weil Genehmigungen auf der grünen Wiese ohne Orientierung an Leitbildern der Raumordnung und Flächennutzungsplanung erteilt wurden. Wer eine andere Struktur des Handelsnetzes will, der muss einen richtigen Gebrauch von den bau- und planungsrechtlichen Möglichkeiten auf kommunaler und Landesebene machen. Den Kommunen und Aufsichtsgremien der Bundesländer kann deshalb nicht die Verantwortung für die räumliche Strukturentwicklung des Einzelhandels abgenommen werden.

Meine Damen und Herren! Diese Sätze stammen nicht etwa aus der Feder eines frustrierten Raumplaners, sondern aus dem Bundesministerium für Wirtschaft, und zwar bereits aus dem Jahre 1996.

Es ist daher legitim, nach den Beweggründen der Verantwortlichen dafür zu fragen, anstelle von ca. 6 500 m² nicht innenstadtrelevanter Baumarktfläche ein Wal-MartSB-Warenhaus im Saalepark Güntherdorf mit dem Doppelten an Verkaufsfläche und innenstadtrelevanten Sortimenten zu genehmigen.

Mit dem sprichwörtlichen Federstrich werden damit nicht nur weitere 100 Millionen DM Kaufkraft und das damit verbundene Entwicklungspotenzial für die Revitalisierung der Innenstädte nicht nur der beiden Großstädte Halle und Leipzig, sondern ebenso der Mittelzentren Merseburg, Weißenfels, Naumburg, Zeitz, Schkeuditz oder Delitzsch sowie der vielen kleinen Städte der Region entzogen; dieser Federstrich kostet auch weitere Arbeitsplätze im Handel, wenn man sich das Konzept von Wal-Mart anschaut.

Es ist für uns nicht nachvollziehbar, dass die getroffene bauaufsichtliche Entscheidung mit den Zielen der Raumordnung vereinbar sein soll. Im Gesetz über den Landesentwicklungsplan ist unter anderem als Ziel festgelegt, dass selbst Nutzungsänderungen in bestehenden Sondergebieten für Einkaufszentren und großflächige Einzelhandelsbetriebe an nicht städtebaulich integrierten Standorten nicht zulasten von innenstadtrelevanten Bereichen erfolgen dürfen.

Die Ziele der Raumordnung können nicht zum Gegenstand einer Abwägung gemacht werden. Ganz im Gegenteil: Nach § 1 Abs. 4 des Baugesetzbuches sind Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen.

Ein so genannter Vertrauensschaden gemäß § 39 des Baugesetzbuches kann ebenfalls nicht geltend gemacht

werden, weil die Gemeinden Günthersdorf und Kötschlitz über keine beschlossenen und genehmigten Flächennutzungs- und Bebauungspläne verfügten. Als Wal-Mart im vergangenen Jahr als Investor auftauchte, wurde das Aufstellungsverfahren zu einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan überhaupt erst begonnen.

Die Bauaufsichtsbehörden können sich auch nicht auf den § 33 des Baugesetzbuches berufen, der Vorhaben unter bestimmten Voraussetzungen bereits während der Planerstellung zulässt, weil sie nicht annehmen konnten, dass das Vorhaben den künftigen Festlegungen des Bebauungsplanes nicht entgegensteht. Dies konnten sie gerade im Hinblick auf den § 11 Abs. 3 der Baunutzungsverordnung nicht, der Einkaufszentren mit mehr als - man höre und staune - 1 200 m² Geschossfläche nur in ausgewiesenen Sondergebieten zulässt und bereits ab dieser Größe - Wal-Mart wird das Zehnfache an Verkaufsfläche aufweisen und der Saalepark ohne Ikea und Möbel Höffner 76 000 m² - a priori von beträchtlichen Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in anderen Gemeinden usw. in deren Einzugsgebiet ausgeht.

Raumbedeutsame Handelseinrichtungen dieser Dimension könnten nach der Raumordnungsverordnung, dem Raumordnungsgesetz des Bundes und dem Landesplanungsgesetz sogar einem Raumordnungsverfahren unterworfen werden.

Als einzige Möglichkeit verbliebe nur ein Zielabweichungsverfahren nach dem Landesplanungsgesetz, um von dem Ziel der Raumordnung im LEP abweichen zu können. Dieses Verfahren hätte allerdings nur geringe Erfolgschancen, wenn die gemeinsame Richtlinie des MU, des MW und des MWV vom 22. Oktober 1998 zur Beurteilung von geplanten Einzelhandelsgroßprojekten im Land Sachsen-Anhalt ernst genommen werden würde.

Zu fragen ist weiterhin, weshalb die Entscheidung ohne Beteiligung der regionalen Planungsgemeinschaft Halle getroffen wurde und welche Stellung die Raumordnungskommission Halle/Leipzig zu dem Vorhaben bezogen hat - nach meinem Kenntnisstand jedenfalls keine positive, wie eine in der Presse wiedergegebene Äußerung des Landrats Dr. Heuer glauben machen will.

Zum Schluss nun die Gretchenfragen: Weshalb war die Entscheidung so eilbedürftig? Warum war der Druck so groß, dass gar nicht anders gehandelt werden konnte? Warum wurde bewusst zum Nachteil einer ganzen Region und unter Inkaufnahme des Bruches von Gesetzen gehandelt?

Oder hat nicht vielmehr erst der gemeinsame Deal von Bauministerium, Regierungspräsidium, Landratsamt, Gemeinden und Investor mit einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan, der angeblich maßgeblich von Bauminister Heyer persönlich beeinflusst worden sein soll, die Grundlagen für eine Millionenklage geschaffen? Vor diesem Hintergrund hat es mir beim Zeitungsstudium heute Morgen fast die Sprache verschlagen, als mir in fetten Lettern die Überschrift „In Zentren soll wieder das Leben pulsieren“ und das herausgehobene Zitat des Landesbauministers „Wenn wir jetzt nicht handeln, werden die Zentren dem Verfall preisgegeben und unattraktiv“ entgegensprangen. - Also Fragen über Fragen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Dr. Köck, es gibt eine Bitte, eine Frage stellen zu dürfen, und es gibt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung. - Bitte, Herr Scharf.

Herr Präsident! Die CDU-Fraktion hat mit großem Erstaunen festgestellt, dass der zuständige Minister

(Unruhe - Zuruf von der CDU: Jetzt kommt er! - Herr Becker, CDU: Kann der Einbringer die Rede bitte noch einmal wiederholen?)

jetzt erst den Landtag betreten hat. Wenn der Minister nicht jetzt gekommen wäre, hätten wir beantragt, den Herrn Minister herzubitten; denn wir halten es für der Würde dieses Hauses nicht angemessen, dass ein Abgeordneter eine wichtige Rede zu einem Thema hält, welches sowohl das Bauministerium als auch das Raumordnungsministerium betrifft, und kein kompetentes Mitglied der Landesregierung dieser Rede beiwohnt.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der PDS, bei der DVU-FL und bei der FDVP - Herr Kühn, SPD: Ich verweise darauf, dass alle kompetent sind!)

Ich habe eine Frage an Minister Herrn Dr. Heyer: Möchten Sie jetzt nach dem Beitrag von Herrn Dr. Köck reden? - Bitte, Herr Dr. Heyer, Sie haben das Wort.

(Unruhe)

- Vermutlich stand er im Stau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich zu spät gekommen bin. Das hat Gründe gehabt, die ich bedauerlicherweise nicht beeinflussen konnte. Ich bitte um Nachsicht. Ich wollte das Hohe Haus keineswegs vor Probleme stellen.

Die Dinge, über die wir uns hier unterhalten, sind mir und der Landesregierung außerordentlich wichtig. Ich stehe natürlich auch über die heutige Debatte hinaus für Auskünfte und Diskussionen bereit.

Herr Kollege Dr. Köck, ich bitte Sie auch persönlich, mir nachzusehen, dass ich jetzt erst komme.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich gleich zu Beginn unterstreichen - -

Einen Augenblick, Herr Minister, ich muss Sie unterbrechen. Es gibt noch eine Geschäftsordnungsfrage. Bitte schön, Herr Dr. Bergner.

Herr Präsident, ich bitte um Verständnis. Wir wollen jetzt nicht pingelig sein, aber der Sachverhalt betrifft auch das Raumordnungsressort. Der dafür zuständige Minister ist auch nicht im Raum. Wir möchten die Debatte gerne in Anwesenheit der betroffenen Ressortminister führen. Ich denke, das ist eine billige Forderung vonseiten des Hohen Hauses.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Keller ist nicht entschuldigt.

(Zuruf von der Regierungsbank: Er ist schon da gewesen!)

- Er ist schon da gewesen.