Protokoll der Sitzung vom 01.03.2001

Die vielen kleinen und mittleren Einrichtungen besitzen keinerlei Personalreserven. Sie könnten bei einem weiteren Absinken der Pauschalen eher gezwungen sein, entweder die Elternbeiträge weiter zu erhöhen oder den Betreuungsschlüssel nur noch für maximal acht Stunden vorzuhalten. Die Frage der Auskömmlichkeit der Pauschalen bleibt also nach wie vor ein Schwerpunkt der Diskussion.

Zweitens. Die Personalsituation an den Einrichtungen insgesamt muss stabilisiert werden, einerseits hinsichtlich des geforderten zehnstündigen Betreuungsschlüssels, andererseits aber gerade auch hinsichtlich der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Fort- und Weiterbildung.

Für die Vernetzung von vorhandenen Angeboten und die Schaffung neuer Plätze brauchen wir qualifiziertes Personal. Dieses bildet sich nicht im Selbstlauf, sondern es benötigt Beratung und Unterstützung durch das Land. Dabei muss einer Verjüngung des Personals in den Einrichtungen durch Schaffung von Einstiegsmöglichkeiten Beachtung geschenkt werden.

Drittens. Der Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen ist besonderes Augenmerk zu schenken. Kindertageseinrichtungen haben eigenständige Bildungs- und Erziehungsziele, die inhaltlich und pädagogisch ausgestaltet werden müssen.

Über die Frage, ob man über einen gesetzlich verankerten konkreten Bildungsauftrag nachdenken will - so wie in anderen europäischen Ländern -, sollte offen mit allen Beteiligten diskutiert werden. Innovation, Vernetzung und neue Angebote sollte das Land fördern, diese Punkte stärker an Träger und Eltern herantragen und mit diesen gemeinsam diskutieren.

Viertens. Die anstehende Übernahme der Horte in den Bereich der Kinderbetreuung darf nicht zu einem Bruch für Kinder und Eltern werden, sondern sollte mit einem Qualitätsschub verbunden werden. Besonders wichtig erscheint uns, die bereits gemachten Erfahrungen mit den Vernetzungsstrukturen zwischen Hort und Angeboten der Jugendhilfe publik zu machen und über neue Förderstrukturen und die Verknüpfung vorhandener Förderung in diesem Bereich nachzudenken. Durch Bündelung an diesen Stellen könnten zum Beispiel Struk-turen entstehen, die eine stärkere Prävention in der Jugendhilfe möglich machen.

Fünftens. Qualitätsentwicklung bedeutet gerade auch Entwicklung des inhaltlichen Angebots in den Einrichtungen. Der Weg in die Wissensgesellschaft verlangt einen Paradigmenwechsel von einer Betreuung zu einer vorschulischen Bildung mit Ausprägung sozialer, körperlicher und Bildungskompetenzen. Möglichkeiten, wie sie beispielsweise die Situationspädagogik bietet, müssten flächendeckend angeboten werden, was wiederum ein hoch qualifiziertes und hoch motiviertes Personal erfordert.

Ziel unserer Anfrage und der damit verbundenen heutigen Debatte war es, Anstöße zu geben - vielleicht auch Widerspruch herauszufordern -, wie sich in den nächsten Jahren Kindertageseinrichtungen als Lebensort für Kinder qualitativ entwickeln können und wie wir als Gesellschaft diese Entwicklung befördern können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Bevor ich der Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort erteile, begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Goethe-Sekundarschule Merseburg sowie Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Muldenstein. Gestatten Sie mir einen besonderen Gruß an meinen Enkel Tobias, der mit in der ersten Reihe sitzt.

(Beifall im ganzen Hause - Heiterkeit bei der PDS)

Bitte, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordneten! Mit der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion zum Vollzug des Kinderbetreuungsgesetzes liegt ein umfangreicher Bericht zur Situation der Kindertagesbetreuung in Sachsen-Anhalt vor.

Unzweifelhaft erkennbar wird das besondere Engagement des Landes für eine qualitativ hochwertige und

eine finanziell gesicherte Tagesbetreuung. Es hat eben Hand und Fuß, wenn Medien in ihren Kommentarspalten zunehmend offen konstatieren, dass das Land SachsenAnhalt bundesweit vorzeigbare Standards für die Kinderbetreuung aufweist.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Gal- lert, PDS, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Das Kinderbetreuungsgesetz bietet dafür die solide und eine verlässliche Rechtsgrundlage. So soll es auch bleiben. Die Landesregierung jedenfalls steht zu ihrer Zusage, dem Wohl der Kinder und der Familien und damit auch der Kinderbetreuung weiterhin eine ungebrochen hohe Priorität einzuräumen.

Die Kinderbetreuung stellt einen wichtigen Baustein der aktiven Kinder-, Frauen-, Jugend-, Familien- und Beschäftigungspolitik in Sachsen-Anhalt dar. Die Koordinaten sind eindeutig und zuverlässig im Gesetz zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen, kurz KiBeG genannt, beschrieben.

Ich nenne den Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung von der Geburt an bis zum Abschluss der 6. Schulklasse, und das für eine Ganztagsbetreuung von mindestens zehn Stunden am Tag. Ich nenne den Personalschlüssel zur Sicherung der pädagogischen Qualität. Ich nenne die finanziellen Rahmenbedingungen mit den monatlichen Pauschalbeträgen pro betreutem Kind und die Investitionszuschüsse des Landes. Allein in den Landeshaushalt 2001 sind für die Kindertagesbetreuung 354 Millionen DM eingestellt worden. Ich denke, das ist eine Summe, die sich sehen lassen kann.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner)

Das alles ist real existierendes KiBeG, meine Damen und Herren. Es sichert die Grundlagen, damit die Kindertagesstätten ihren Betreuungs-, ihren Erziehungs- und ihren Bildungsauftrag erfüllen können.

Moderne Kindertagesstätten ergänzen und unterstützen die Erziehung in der Familie. Sie verhelfen dem Kind zu größtmöglicher Selbständigkeit, zu Eigenaktivität. Kreativität und Neugierde, die in den Kindertagesstätten geweckt werden, sind unverzichtbare Eigenschaften in jedem Lebensalter und auch in jedem Lebensbereich. Ich meine, hier wird seitens der Kindertagesstätten ein großer Beitrag für die Lebensqualität auch in späteren Lebensjahren gelegt.

Nicht minder leistet das engmaschige Netz der Kindertagesbetreuung in Sachsen-Anhalt einen unverzichtbaren Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Niemand muss im Land Sachsen-Anhalt aufgrund fehlender Betreuungsplätze seinen Arbeitsplatz riskieren oder eine neue berufliche Chance ungenutzt verstreichen lassen. Das gilt für Mütter und für Väter gleichermaßen. Insofern sind die Kindertagesstätten auch eine Grundvoraussetzung für erlebbare Gleichstellungspolitik.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner)

Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion zeichnet ein fassettenreiches Bild von der Umsetzung des Kinderbetreuungsgesetzes seit dem Jahr 1996. Daten zur Finanzierung und zum Umfang von Betreuungsleistungen wurden ebenso beigebracht wie zur Entwicklung von Trägerstrukturen und Einrichtungs

größen oder zum Qualifikationsstand des Fachpersonals.

Bevor ich auf einzelne Antworten etwas näher eingehe, will ich grundsätzlich noch Folgendes bemerken:

Um die zum Teil sehr detaillierten Fragen der PDS-Fraktion angemessen beantworten zu können, musste die Landesregierung die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und die landesweit 932 Einrichtungsträger befragen; denn das KiBeG - das wissen Sie alle - wird in den Kommunen und in der Verantwortung der Landkreise und kreisfreien Städte als den Trägern der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe umgesetzt.

Nicht jede Kommune und nicht jeder Träger reagierte verständnisvoll auf unsere Anfrage. Die Stadt Annaburg zum Beispiel wandte sich mit Schreiben vom 10. Juli 2000 an den Landtagspräsidenten und teilte mit, dass Zuarbeiten nur noch gegen Erstattung des verursachten Aufwandes geleistet würden. Für die Fragestellung der Großen Anfrage bezifferte die Stadt Annaburg die Kosten für den nötigen Verwaltungsaufwand fiktiv auf 3 000 DM.

Wir waren also als Landesregierung auf die wohlwollende Dienstleistung der Kommunen und Träger angewiesen, meine Damen und Herren. Wir konnten nur die Daten zusammentragen und auswerten, die wir aus freien Stücken bekommen haben.

Damit komme ich zu einigen Ergebnissen der Analyse. Ich beginne mit der Tagesbetreuung von körperlich, seelisch und geistig behinderten Kindern.

Wir haben in den vergangenen Jahren - das haben wir im Landtag mehrfach diskutiert - sehr konsequent den Grundsatz verfolgt: weg von der Abschottung, hin zur Integration. Ohne die besondere Hilfe und Fürsorge, die behinderte Kinder natürlich brauchen, infrage zu stellen, ist es uns gelungen, die Zeit der sonderpädagogischen Einrichtungen hinter uns zu lassen. Wir haben, meine ich, bundesweit Maßstäbe gesetzt. Wir hatten im Jahr 1996 immerhin noch 16 Sondereinrichtungen. In der Zwischenzeit haben wir praktisch nur noch integra- tive Einrichtungen im Land Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD, und bei der PDS)

Es ist gelungen, das Miteinander von behinderten und nicht behinderten Kindern zur Gänze zu erreichen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Die Zahl der integrativen Einrichtungen hat sich in der Zeit von 1996 bis zum Jahr 2000 nahezu verdoppelt. Die finanzielle Ausstattung der integrativen Betreuung wird gewährleistet. Es gilt der Grundsatz: Von den Grundpauschalen nicht gedeckte Kosten für die integrative Betreuung werden vom Land zusätzlich übernommen.

Für mich nicht überraschend - das ist ein anderes Thema, aber dennoch wichtig - ist folgendes Ergebnis: In den Kindertageseinrichtungen wird nicht nur anspruchsvolle Alltagsarbeit geleistet. Die Einrichtungsträger und die Erzieherinnen sind vielmehr ständig dabei, ihre inhaltlichen Konzepte zu hinterfragen und fortzuschreiben. Von einer Endzeitstimmung, von der gelegentlich in den Medien zu lesen oder zu hören ist, etwa nach dem Motto „Was kümmern uns Inhalte, wir sind froh, die Kinder irgendwie aufzubewahren“, kann überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner)

Überzeugender Beweis dafür ist unter anderem die steigende Nachfrage, vor allem nach Krippenplätzen. Eltern vertrauen also der Qualität der Betreuung in den Einrichtungen.

(Frau Wernicke, CDU: Na, was sollen sie denn machen?)

Ein überzeugender Beweis dafür ist auch, dass sich sowohl freie wie auch kommunale Einrichtungsträger an verschiedenen Modellprojekten zur Qualitätsentwicklung, insbesondere am Bundesmodellprojekt mit dem Titel „Nationale Qualitätsinitiative im System der Kindertageseinrichtungen“, beteiligen. Das Land Sachsen-Anhalt fördert zwei große Teilprojekte in diesem Bundesvorhaben. Rund 60 000 DM standen dafür im Vorjahr bereit und sind auch in diesem Jahr wieder in den Landeshaushalt eingestellt worden.

In das Teilprojekt „Qualitätsentwicklung“ konnten 47 Einrichtungen aufgenommen werden, 26 davon beteiligen sich sogar mit einem eigenen finanziellen Beitrag. In das zweite Teilprojekt „Trägerqualität“ sind sogar 200 KitaTräger unseres Landes einbezogen worden.

Wichtige Grundlagen für eine Atmosphäre des Vertrauens und der Sicherheit in den Einrichtungen, eine Atmosphäre, in der pädagogische Ansätze zur Entfaltung kommen können, sind natürlich die baulichen und räumlichen Gegebenheiten. In den Jahren 1997 bis 2000 haben wir als Land rund 67 Millionen DM für Investitionen in die Kita-Landschaft aufgewendet. Weit mehr als 450 Vorhaben freier und kommunaler Träger konnten damit realisiert und eine Gesamtinvestition in Höhe von knapp 200 Millionen DM aktiviert werden.

Ein Großteil der Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten hat zur Senkung der Betriebskosten in den Einrichtungen beigetragen. Das wiederum schafft Voraussetzungen für die Kostenstabilität in der Kinderbetreuung.

Für das Jahr 2001 stehen weitere Landesmittel in Höhe von 20 Millionen DM für Investitionen in Kindertageseinrichtungen bereit. Das Landesjugendamt führt derzeit abschließende Beratungsgespräche mit den Landkreisen und kreisfreien Städten, damit dieses Geld auch möglichst punktgenau bei den Trägern ankommt und in solche Einrichtungen fließt, die dauerhaft im Netz bleiben werden.

Abschließend komme ich zu einem Aspekt der Großen Anfrage, der mir als Jugendministerin ganz besonders am Herzen liegt, nämlich die Möglichkeit von Eltern und Kindern, sich aktiv in das Kita-Geschehen einzubringen. In der Zwischenzeit sind vielfältige Formen der Einbeziehung von Kindern und Eltern entwickelt worden.

(Zuruf von Herrn Schulze, CDU)

Es gibt Kuratorien und übergreifende Elternvertretungen, in denen sich Väter und Mütter einbringen können. Die Möglichkeiten reichen von turnusmäßigen Beratungs- und Abstimmungsgesprächen bis hin zur Einrichtung von Elternstammtischen an Kitas.

Auch die Möglichkeit der aktiven Einbindung der Kinder selbst wird zunehmend genutzt. In den Einrichtungen des Landes gibt es allein bei den Trägern, die sich zurückgemeldet haben, 343 Kindersprecherinnen und Kindersprecher. Das freut mich.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Bull, PDS)

Ich appelliere zugleich an die Träger, die so etwas noch nicht aktiviert haben, Kinder möglichst frühzeitig auch in ihren Einrichtungen in die Gestaltung des Kita-Alltags einzubeziehen; denn auch Kinder im Kindergartenalter sind sehr wohl in der Lage, über Varianten zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Sie entwickeln damit soziale Kompetenz, Selbstsicherheit und Kritikfähigkeit. Das sind Schlüsselqualifikationen, die man im späteren Leben auf jeden Fall braucht.