Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Berichtsantrag der CDU kann man nur zustimmen, wenngleich man weiß, dass die Aufforderung an die Landesregierung, im Ausschuss für Recht und Verfassung über die Erfahrungen bei der Anwendung der Volksabstimmungsgesetzes sowie im Umgang mit Volksinitiativen und Volksbegehren bis spätestens 30. Juni 2001 zu berichten, keine Substanz, nur ein Minimum an Schönfärberei, Unverbindlichkeiten und inhaltlichem Füllmaterial fordert.

Was die Landesregierung vortragen wird, wissen wir heute schon: Es ist alles in Ordnung, das Volksabstimmungsgesetz hat sich bewährt, die Volksabstimmungsverordnung bedarf lediglich einer punktuellen Korrektur, der Bürgerwille wurde beachtet, im Lande ist es so demokratisch, dass es demokratischer schon gar nicht mehr geht. Der Herr Innenminister hat uns vorhin einen Vorgeschmack auf diese Anhörung gegeben. Das wäre es dann auch.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie hätten das Problem anders angehen können und müssen. Nach dem Grundverständnis der FDVP hätte das Kinderbetreuungsbegehren im Lande einer Analyse unterzogen werden müssen, um dann über einen eigenen Gesetzentwurf die Unzuträglichkeiten des Volksabstimmungsgesetzes zu korrigieren. Bei dieser Gelegenheit hätten auch die Differenzen und Reibungsflächen zwischen dem Volksabstimmungsgesetz und der Landesverfassung einer Bewertung unterzogen und einer Korrektur zugeführt werden können.

Es ist allgemein bekannt - diesbezüglich befinden wir uns im Widerspruch zur CDU -, dass die Quorenregelung des Volksabstimmungsgesetzes nicht mehr in Übereinstimmung mit den realen Gegebenheiten steht. Wandert aber, wie geschehen und in der „Volksstimme“ vom 4. April 2001 nachzulesen, die Bevölkerung aus dem Lande ab, so muss das Quorum reduziert werden.

Ein weiterer Punkt - auch das wurde heute schon erwähnt - für die Aufnahme in das Volksabstimmungsgesetz wäre eine so genannte Behinderungsverbotsklausel, die den Umständen der Vergangenheit insoweit Rechnung tragen würde, als die Auslegung von Listen nicht verboten oder behindert werden darf.

Auch ich rufe Ihnen das Vorgehen der Städte Halle, Dessau und Magdeburg beim Kinderbetreuungsbegehren nochmals in Erinnerung, wo die Oberbürgermeister dieser Städte - bezeichnenderweise alles Sozialdemokraten - verboten hatten, die Listen öffentlich in den Kindergärten auszulegen.

Meine Damen und Herren der ersten Legislatur von der CDU, man kann sich nicht der Verantwortung entziehen, die Sie getragen haben. Sie haben das Volksabstimmungsgesetz mit allen Unzuträglichkeiten und Schiefebenen in das Parlament eingebracht. Sie haben es verabschiedet und ihm Gesetzeskraft erwachsen lassen. Das hat der Kollege Remmers vorhin doch ausdrücklich so bestätigt.

Es ist trotz der Ankündigung auf Bundesebene nicht zu erwarten, dass das Volk auf der Bundes- wie auf der Landesebene an den entscheidungserheblichen Aufgaben beteiligt wird. Damit wird und ist gegenüber der Weimarer Republik die Rolle des Volkes und seine Beteiligung an der Staatswillensbildung der Staatsorgane erheblich begrenzt.

Zu Recht ist die Entscheidung einer grundsätzlichen Mediatisierung des Volkes wiederholt kritisiert worden und auch heute ist sie noch nicht richtig eingeordnet worden. Die dem Grunde nach antiplebiszitäre Haltung des Grundgesetzes und der Landesverfassung ist nur verständlich als Reaktion auf die Republik von Weimar und die Erfahrungen mit den Volksabstimmungen der NS-Zeit im so genannten Dritten Reich.

Meine Damen und Herren! Diese Grundhaltung ist aber heute nicht mehr nachvollziehbar. Sie lässt sich auch nicht mit der zunehmenden Kompliziertheit der großräumigen Industriegesellschaft erklären, sondern es ist angezeigt, die bereits von der Wissenschaft empfohlene Schweizer Referendenpraxis zu übernehmen.

Mit dem Antrag, dem wir zustimmen werden, wird wahrscheinlich nicht viel mehr erreicht als lediglich parlamentarisches Füllmaterial, um einen gewissen Leerlauf bis zur nächsten Wahl zu überbrücken. Wir werden gelegentlich auf diesen Antrag zurückkommen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDVP)

Vielen Dank. - Für die DVU-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Brandt. Bitte.

Herr Präsident! Werte Herren und Damen! Anspruch und Wirklichkeit klaffen im Land Sachsen-Anhalt wie immer offenkundig weit auseinander, auch wenn es sich um den verfassungsmäßig garantierten Umgang mit plebiszitären Elementen auf Landesebene handelt. Jüngstes negatives Beispiel im Land Sachsen-Anhalt war das von den Eltern zu Recht organisierte und durchgeführte Volksbegehren zur Kinderbetreuung unter dem Motto „Für die Zukunft unserer Kinder“.

Bei der Novellierung des Volksabstimmungsgesetzes im Jahr 1995 durch die linken Fraktionen im Landtag ging man bezüglich der Quoren für Volksabstimmungen von der damals vorhandenen Bevölkerungsdichte in Sachsen-Anhalt aus. Nun war im Jahr 1995 die Situation eine andere als heute. Immerhin hat Sachsen-Anhalt seit 1995 eine beträchtlich hohe Anzahl an Einwohnern durch Unfähigkeit der Landesregierung verloren. Aus diesem Grund muss die Zahl der geforderten Unterschriften immer proportional zur Bevölkerungszahl stehen. Deshalb sind die von der Bürgerinitiative „Für die Zukunft unserer Kinder“ geforderten 250 000 Unterschriften als zu hoch anzusehen.

Wir fordern die Landesregierung und deren Tolerierungspartner, die PDS, hiermit auf, ihren Drahtseilakt endlich zu beenden und direkte sowie erlebbare Demokratie im Interesse der Bürger zu gestalten.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich muss um mehr Ruhe bitten.

Danke. - Es wird höchste Zeit, dass bestehende Gesetze im Land mit überschrittenem Verfallsdatum endlich aussortiert und geändert werden.

In Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es zu den Grundlagen staatlicher Ordnung: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. - Anscheinend ist dieser Artikel der Landesregierung von Sachsen-Anhalt verloren gegangen.

Meine Damen und Herren! Die oftmals gerügte Politverdrossenheit der Bürger und die bestehende Machtarroganz der so genannten etablierten Parteien gegenüber den Bürgern stehen immer in einem kausalen Zusammenhang zueinander. Ursache und Wirkung prallen hierbei unmittelbar zusammen.

Da uns, der Deutschen Volksunion, die Meinung des Volkes nicht egal ist, erwarten wir von der Landesregierung keine Lippenbekenntnisse, sondern klar formulierte Aussagen zum demokratischen Umgang mit Volksabstimmungen. - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Fikentscher. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider habe ich nicht genug Zeit, um auf die Krokodilstränen der CDU-Fraktion im Einzelnen einzugehen, die Herr Kollege Remmers eben noch einmal öffentlich vorgeweint hat.

(Beifall bei der SPD)

Fest steht jedenfalls, dass bisher niemand von uns in Sachsen-Anhalt eigene Erfahrungen mit dem Volksbegehren gemacht hatte, als wir das entsprechende Gesetz behandelten - ganz zu schweigen von der Verfassung - schon gar nicht. Jetzt gibt es solche Erfahrungen. Wir tun gut daran, sie zu sammeln, zu ordnen, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und gegebenenfalls Änderungen in der Verfassung, im Gesetz oder bei den Verordnungen vorzunehmen.

Das ist ein normaler Vorgang, unabhängig von dem soeben gescheiterten Volksbegehren zur Kinderbetreuung. Es ist wohl unbestreitbar, dass dieses Scheitern weder an einem zu hohen Quorum noch an bürokratischen Hürden oder wie auch immer gearteten Bedingungen gelegen haben kann. Dazu spricht die Zahl 48 000 eine zu eindeutige Sprache.

Zum Wesen eines Volksbegehrens gehört schließlich, dass es nicht nur Initiatoren und Organisatoren, nicht nur Sammelnde und Unterschreibende gibt, sondern auf der anderen Seite des Spektrums neben den Gleichgültigen auch solche, die bewusst nicht unterschreiben, die dagegen argumentieren und offensiv dagegen ankämpfen, weil sie gegen das angestrebte Ziel sind. Das gilt auch für Organisationen und Politiker gleich welcher Ebene. Deswegen weise ich den pauschalen Vorwurf der CDUFraktion, die SPD habe das Volksbegehren behindert, entschieden zurück.

(Beifall bei der SPD und von der Regierungsbank)

Es muss wohl eher an der Gesamteinschätzung des Problems in weiten Teilen der Bevölkerung, an der inhaltlichen Auseinandersetzung und an den überzeugenden Gegenargumenten gelegen haben.

Aber die inhaltliche Diskussion haben wir hinter uns. Jetzt geht es um die allgemeine Frage der stärkeren

Bürgerbeteiligung. Damit befinden wir uns mitten in einer großen Demokratiedebatte, in der theoretische Überlegungen mit praktischen Erfahrungen zusammenfließen und auf die natürlich auch unterschiedliche politische Grundströmungen einwirken.

Wir Sozialdemokraten sind überzeugt davon, dass die Demokratie umso stabiler ist, je mehr Menschen sich an ihr beteiligen bzw. an ihr teilhaben. Sich an der Demokratie zu beteiligen setzt voraus, ihre Regeln zu kennen und anzuerkennen, nach ihnen zu handeln heißt auch, Mehrheitsbeschlüsse zu akzeptieren, wenn man unterlegen ist, und über Minderheiten nicht zu triumphieren, wenn man gewonnen hat.

Die SPD will die repräsentative Demokratie durch eine stärkere Bürgerbeteiligung ergänzen und tritt daher seit langem für mehr direkte Volksbeteiligung ein. Das wurde nie treffender ausgedrückt als mit Willy Brandts Worten: Mehr Demokratie wagen.

Die CDU hat auch auf diesem Gebiet einen erheblichen Nachholbedarf, vollführt jedoch jetzt einige Zickzacksprünge in unsere Richtung.

Im gemeinsamen Verfassungsentwurf von CDU und FDP kamen diese Elemente nicht vor. Nach einem schwierigen Prozess der Kompromissfindung und schrittweisen Annäherung haben wir es geschafft, die Zahl von 35 000 Unterschriften für Volksinitiativen und 250 000 Unterschriften beim Volksbegehren in die Verfassung zu schreiben. Leider hat damals die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN die von Herrn Becker in der letzten Lesung angebotene Chance zur Quorensenkung nicht genutzt.

Inzwischen bewegt sich aber die Landes-CDU, wie wir gelesen haben und auch heute wieder gehört haben. Auch der Generalsekretär der CDU, Laurenz Meyer, äußerte kürzlich, dass auch die CDU insgesamt einer stärkeren Partizipation der Bürger offen gegenüberstehe.

Praktisch - das zeigt das Beispiel Thüringen - kann das ganz anders aussehen. In Thüringen beabsichtigt nämlich die CDU-Landesregierung gegen ein Volksbegehren gerichtlich vorzugehen.

Die SPD versucht auch auf Bundesebene weitere Schritte zu mehr Teilhabe zu gehen. Ein von unserem Parteivorstand verabschiedetes Diskussionspapier vom 19. März dieses Jahres enthält dazu unter anderem klare Vorschläge für die Quoren, und zwar 1 % der Wahlberechtigten bei Volksinitiativen und 5 % bei Volksbegehren.

Wie soll es nun weitergehen, meine Damen und Herren? In dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion, der die Substanz des CDU-Antrags nicht verändert, schlagen wir Erfahrungsberichte und Beratungen vor mit dem Ziel einer Gesetzes- bzw. Verordnungsänderung noch in dieser Legislaturperiode. Aufgrund der bekannten Haltung der CDU-Fraktion haben wir nicht mehr die Hoffnung, innerhalb dieser Legislaturperiode eine Verfassungsänderung zwecks Quorensenkung zu erreichen.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Dies wird wohl erst in der nächsten Legislaturperiode möglich sein. Als Richtgröße könnte man von den genannten 1 % bzw. 5 % der wahlberechtigten Bevölkerung ausgehen. Der Einfachheit halber scheinen mir konkrete Zahlen in der Verfassung vernünftiger zu sein als stets neu zu berechnende Verhältniszahlen.

Meine Damen und Herren! Abschließend ein Satz an die Initiatoren und die Aktiven der Volksinitiative bzw. des Volksbegehrens: Die SPD-Fraktion war inhaltlich immer dagegen, weil wir unser Gesetz für das bessere halten. Ungeachtet dessen gebührt Ihnen aber unser Respekt vor Ihrem Anteil an der Entwicklung der Demokratie in unserem Lande. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und von der Regierungsbank)

Herr Abgeordneter Fikentscher, Herr Remmers hatte eine Zwischenfrage. - Nun nicht mehr. Danke. Dann hat es sich erledigt. - Dann haben Sie, Herr Remmers, als letzter Redner noch einmal das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine Eingangsbemerkung machen: Ich bin immer wieder erstaunt über die Wandlungsfähigkeit und über politische Entwicklungen.

(Herr Bischoff, SPD: Der CDU, oder was?)

Wenn die PDS jetzt als Vorreiterin der ganz starken Bürgerbeteiligung auftritt,

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der FDVP)