Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Erstens sollte die höhere Besteuerung beim Energieverbrauch zu ressourcenschonendem Verhalten, insbesondere bei Industrie und Bürgern, führen. Zweitens sollten, da hierdurch Arbeitsplätze gefährdet würden, die Einnahmen aus der Ökosteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden. Durch die Entlastung des Faktors Arbeit sollten sogar neue Arbeitsplätze in Größenordnungen entstehen.

Ich halte beide Ziele auch heute noch für vernünftig. Voraussetzung wäre allerdings, dass sie im europäischen Kontext angestrebt würden und dass es in diesem Bereich nicht eine solche soziale Schieflage gäbe.

Heute jedoch wissen wir, dass die so genannte Ökosteuer rein gar nichts mit ökologischer Lenkungswirkung zu tun hat und annähernd zur Hälfte der Sanierung des Bundeshaushalts dient.

Die Ökosteuer ist vor allem mittelstandsfeindlich. Sie belastet gerade die Unternehmen, die Steuern zahlen, ausbilden und Arbeitsplätze schaffen.

Sie ist außerdem - das wissen wir heute - ein Taschendieb des kleinen Mannes, weil die Inflationsrate, die

durch die Ökosteuer ausgelöst wurde, inzwischen höher ist als die Zinsen, die die Oma für ihre kleinen Rücklagen auf ihrem Sparbuch bekommt. Die Ökosteuer hat nach nur drei Jahren rot-grüner Bundesregierung zu einer Preissteigerung auf Rekordniveau geführt. Die Teuerungsrate erreichte im Februar dieses Jahres mit 2,6 % den seit sechs Jahren höchsten Stand. Im Osten lag sie mit 2,7 % sogar noch leicht darüber.

Diese Preistreiberei geht vor allem zulasten sozial Schwacher. Laut Statistischem Bundesamt waren die ostdeutschen Haushalte stärker von den Verteuerungen betroffen als die westdeutschen. Zwischen Februar 2000 und Februar 2001 stiegen die Preise für leichtes Heizöl um 9,9 %, für Gas um 33,6 % sowie für Zentralheizung und Fernwärme um 31,7 %. Durch die höheren Energiekosten zogen auch die Einzelhandelspreise stark an.

Bei der versprochenen mageren Entlastung lassen Sie gleich zwei Generationen mit den Mehrkosten im Regen stehen, nämlich die Generation unserer Eltern und Großeltern, die Rentner, und die Generation der Studenten, der Jugend, die die Zukunft dieses Landes sein soll. Wegen der fehlenden Entlastung bei den Rentenversicherungsbeiträgen tragen sie zusammen mit den Sozialhilfeempfängern die volle Last der Ökosteuer.

Wenn die Leute das Motto der Bundesregierung „Heizen und rasen für die Rente, um mit der Benzin- und der Ökosteuer die Rentenbeiträge zu sichern“, nicht annehmen und stattdessen wirklich energiesparend auf den ÖPNV umsteigen, haben Sie gleich zwei neue Probleme:

Erstens fehlen die geplanten Steuereinnahmen für die Rentenkasse. Zweitens müssen diejenigen, die mit Bus oder Bahn fahren, aufgrund der Ökosteuer mehr für die Tickets bezahlen. Genau dies haben nicht nur wir vorhergesagt. Wirklich unabhängige und angesehene Experten haben die Auswirkungen vor der Einführung der Ökosteuer eindrucksvoll vorgerechnet.

Des Weiteren besteht ein verfassungsrechtliches Problem, über das bisher noch nicht entschieden wurde. Inzwischen sind bereits Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Da selbst der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages für den Bundestagsausschuss für Haushalt und Finanzen im Dezember 1999 auf vielfältige Rechtsprobleme hinwies, können wir davon ausgehen, dass die Klagen gute Erfolgsaussichten haben.

Was passiert aber, wenn die Klagen Erfolg haben? Dann stürzt das ganze System wie ein Kartenhaus zusammen und die Finanzierung der Rentenversicherung gerät in arge Turbulenzen. Schon deshalb hätte die Landesregierung die Ökosteuer im Bundesrat ablehnen müssen.

Ich zitiere aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes für den Ausschuss für Haushalt und Finanzen des Deutschen Bundestages:

„Eine Steuer darf zulässigerweise ein Lenkungsziel verfolgen. Dieses muss jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes tatbestandlich hinreichend bestimmt und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Diesbezüglich bestehen bei dem fraglichen Gesetz Zweifel in mehrfacher Richtung.

Die Freistellung der als umweltschädlich bekannten Kohle beim Einsatz zu Heizzwecken läuft dem eigentlichen Gesetzeszweck zuwider.

Der Steuersatz wurde nicht aufgrund ökologisch fundierter Überlegungen und genauer Zielsetzungen ermittelt. Aufkommens- und Belastungsneutralität sind nicht durchgängig gewahrt.“

Des Weiteren stellt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages fest:

„Die umfangreichen und in der kürzlich beschlossenen zweiten Stufe noch ausgeweiteten Freistellungs- und Ermäßigungstatbestände sind lenkungspolitisch ebenfalls kontraproduktiv und unter Gerechtigkeitsaspekten bedenklich, insbesondere auch wegen der sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung einzelner Branchen.

Jedes Gesetz ist anhand der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Kriterien der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Danach erscheint es fraglich, ob das Ökosteuerreformgesetz angesichts seiner inhaltlichen Ausgestaltung objektiv geeignet ist, das Lenkungsziel einer nachhaltigen Energieeinsparung zu erreichen und von daher das eingesetzte gesetzgeberische Mittel noch als verhältnismäßig angesehen werden kann.“

Dies ist nicht die Meinung der CDU-Fraktion, sondern die Meinung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.

Meine Damen und Herren! Man könnte noch ein weiteres Rechtsproblem benennen, die Betitelung des Ökosteuergesetzes. Sie betiteln es als eine Ökosteuer. Ich meine, wenn Sie die Belastungen weiterhin als „Ökosteuer“ bezeichnen wollen, dann kann Harald Juhnke seinen erstgeborenen Sohn auch „Apolinaris“ nennen. Beides hat nichts mit dem Inhalt zu tun. Diese Ökosteuer hat nichts mit einer ökologischen Lenkungswirkung zu tun. Sie ist auf diesem Gebiet völlig wirkungslos.

(Herr Sachse, SPD: Das ist ein Einstieg!)

Den von Sachverständigen vorgetragenen ernsthaften Bedenken würde ich an Ihrer Stelle nicht eine solche Ignoranz entgegenbringen. Ich würde die Bedenken stärker berücksichtigen; denn die Frage der Folgen kommt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf uns zu.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle reden vom Mittelstand. Doch die Ökosteuer beweist, dass insbesondere der Mittelstand von den Maßnahmen der Bundesregierung immer wieder negativ betroffen ist.

(Zustimmung von Herrn Dr. Daehre, CDU, und von Frau Ludewig, CDU)

Die Anhebung der Mineralölsteuer sowie der Stromsteuer hat im produzierenden Bereich zu einer jährlichen Erhöhung der Energiekosten um 5 bis 8 % geführt. Beim Handel und im Dienstleistungsbereich belief sich die Verteuerung sogar auf 10 bis 20 %.

Ein Beispiel aus dem Bereich des ÖPNV: Die Magdeburger Verkehrsbetriebe hatten im Jahr 2000 allein durch die Ökosteuer eine Mehrbelastung in Höhe von 622 000 DM zu tragen. Dieses Geld haben die Steuerzahler, der Busfahrer, der Straßenbahnfahrer bezahlt.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das wird dieses Jahr noch mehr!)

Wer fährt normalerweise mit der Straßenbahn oder mit dem Bus? - Es sind diejenigen, die sich ein Auto nicht

leisten können oder die aus umweltpolitischen Gründen auf das Auto verzichten. Ist das ein Ziel, das man mit einer solchen Steuer verfolgen möchte? - Ich meine, nein. Ich rate Ihnen, lesen Sie die Gutachten und ziehen Sie daraus die richtigen Schlüsse.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Herrn Oleikie- witz, SPD)

Weil all das zum Teil vorher bekannt war und die Landesregierung dennoch diese Ökosteuer, diese reine Abkassiersteuer, im Bundesrat befürwortet hat, hat die CDU-Fraktion eineinhalb Jahre nach der Einführung der Ökosteuer eine Große Anfrage gestellt, um die Auswirkungen auf das Land zu erfragen.

Schaut man sich die Antworten im Detail an, kann man eigentlich nur zu zwei Schlussfolgerungen kommen: Entweder gibt es eine extreme Inkompetenz - das will ich nicht hoffen - oder eine unglaubliche und nicht zu tolerierende Ignoranz gegenüber dem Parlament und seinen Rechten.

Ich will die Antwort, die uns die Landesregierung vorgelegt hat, auszugsweise zitieren. Es ist eine Antwort, die der Landesverwaltung mit der höchsten Bedienstetendichte aller Flächenländer in Deutschland nicht angemessen ist. Die Landesregierung wusste zum Beispiel nicht, wie sich die so genannte Ökosteuer konkret auf besonders energieintensive Handwerksbereiche auswirkt.

Die Landesregierung wusste angeblich nichts über die Situation bei den Hauptzollämtern, bei denen das bürokratische Rückerstattungsverfahren angesiedelt wurde. Auf die Frage nach einer Rechtfertigung für dieses extrem aufwendige Rückerstattungsverfahren für energieintensive mittelständische Produzenten, bei dem es erhebliche Probleme gibt, antwortet die Landesregierung, dass keine Daten vorlägen.

Die Landesregierung kann nicht mitteilen, welche Beund Entlastungen die so genannte Ökosteuer für die wichtigsten Industriezweige Sachsen-Anhalts sowie für das Handwerk mit sich bringt. Gerade wegen der Bedeutung der chemischen Industrie hätte man erwartet, dass die Landesregierung zumindest weiß, welche Auswirkungen die Ökosteuer für diesen für uns so wichtigen arbeitsplatzschaffenden Industriezweig hat. Das wusste die Landesregierung noch nicht einmal eineinhalb Jahre nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes. Das wollen Sie uns verkaufen?

Angesichts dieser Antworten fragt man sich, wie die Landesregierung im Bundesrat der Belastung von Bürgern und der Wirtschaft mit einem Umfang von mehr als 35 Milliarden DM zustimmen kann, obwohl sie nicht einmal weiß, welche Auswirkungen das für unser Land haben wird. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP - Herr Oleikiewitz, SPD: Wo waren Sie die letzten zehn Jahre, Herr Gürth?)

Die Menschen fragen sich zu Recht, wie ihre Interessen im Bundesrat vertreten werden. Ich kann ihnen sagen, sie werden nicht vertreten. Das ist eine wirtschaftspolitische Geisterfahrt zulasten unseres Landes.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP)

Weil es sich um einen umfangreichen Fragenkomplex handelte, haben wir einer Verlängerung der Beantwortungszeit um einen Monat zugestimmt. Die Landesregierung hatte ein Vierteljahr Zeit, um die Fragen zu beant

worten. Sie hat dies nicht in der Form, wie es die Verfassung vorsieht, getan. Ich meine, das Parlament sollte dies nicht tolerieren und sich dies nicht bieten lassen.

Warum hat die Landesregierung nicht die umfangreichen Datenbanken genutzt, zum Beispiel die des ISW? Hat die Landesregierung nicht einmal bei den Kammern und Verbänden nachgefragt, so wie es ihre Pflicht gewesen wäre? Hat die Landesregierung bezüglich vorhandener Daten vielleicht sogar falsche Aussagen getroffen? Sollte sich dies bestätigen, so wird das ein parlamentarisches Nachspiel haben. Das kann ich bereits ankündigen. Völlig unverständlich ist auch, warum die PDS das Ganze noch mitgetragen hat.

Nach den Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen stiegen die monatlichen Mehrbelastungen für allein stehende Rentner mit einem Nettoeinkommen von 1 200 DM, die in einer 50-qm-Wohnung leben, um 2,8 %. Eine vierköpfige Durchschnittsfamilie hat durch die Ökosteuer monatlich Mehrkosten in Höhe von 2,3 %, ein Singlehaushalt hingegen nur in Höhe von 1,5 % und ein Staatssekretärsehepaar in Höhe von 1,1 %. Ist das sozial gerecht? Kann man so etwas unter sozialen Gesichtspunkten mittragen? - Ich meine, nein.

(Zustimmung von Frau Ludewig, CDU)

Ich komme zu einem weiteren Bereich. Die Lebensqualität in unserem Land ist nicht nur für die hier lebenden Bürger entscheidend, sondern sie spielt eine Rolle bei der Frage, ob wir Entscheidungsträger davon überzeugen, in Sachsen-Anhalt Unternehmen anzusiedeln. Zu diesem Thema wurde eine Reihe von Auskünften verweigert.

Was ist mit den Vereinen, mit den Kulturvereinen, mit den Sportvereinen oder den sozialen Einrichtungen? Sie sind zweifach benachteiligt. Erstens müssen sie durch die Ökosteuer Mehrbelastungen hinnehmen. Zweitens sind sie insofern betroffen, als die Unterstützung von den Kommunen geringer wird, die die aufgrund der Ökosteuer entstehenden Mehrbelastungen - wie alle öffentlichen Haushalte - nicht kompensieren können und deshalb noch weniger Spielräume haben, ihre Kulturvereine, sozialen Einrichtungen und Sportvereine zu unterstützen. Das betrifft auch die Theater, die Museen und die Bibliotheken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist eine Auswirkung, die sich noch auf Jahre hinaus in SachsenAnhalt bemerkbar machen wird. Ich halte allein aus diesem Grund die Ablehnung der Ökosteuer für gerechtfertigt.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, den Landeshaushalt. Es ist aufgrund der Antwort der Landesregierung nicht möglich, konkret festzustellen, welche Belastungen aufgrund der Ökosteuer im Landeshaushalt insgesamt zu verzeichnen sind. In Einzelbereichen wird es jedoch deutlich. Allein für die Dienstfahrzeuge des Innenministeriums ist seit der Einführung der Ökosteuer bis zum Jahr 2003 mit einer Mehrbelastung, die lediglich auf die Ökosteuer zurückzuführen ist, in Höhe von rund 5 Millionen DM zu rechnen. Man kann das weiter verfolgen.

Auch die Hochschulen erhalten keine Kompensation für diese Mehrbelastungen. In all diesen Bereichen belaufen sich die Mehrkosten auf mehr als 1 Million DM. Was wird mit den Hochschulen? Sie müssen die Mehrbelastung innerhalb ihres Budgets ausgleichen, ohne dass sie

Mittel zur Entlastung erhalten. Ich halte dies für nicht gerechtfertigt, und ich halte es für dringend erforderlich, dass hierbei eine Korrektur erfolgt.