Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Meine Damen und Herren! Inwieweit sich die bestehenden Regelungen in der Praxis bewähren, zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen, die mit dem Volksbegehren „Für die Zukunft unserer Kinder“ gesammelt wurden und werden. Die Eintragungsfrist für die Sammlung der Unterschriften endete am 10. März 2001. Die Unterschriftsbögen sind, wie gesagt, am Dienstag dem Landeswahlleiter übergeben worden. Der Landeswahlleiter übersendet die Unterschriftsbögen nunmehr zur Überprüfung der Eintragungen an die Meldeämter.

Während des Verfahrens aufgetretene bzw. noch auftretende Probleme müssen aufgearbeitet werden. Mögliche Schwachstellen - die gibt es - der Gesetzesregelung müssen erkannt und daraufhin notwendige Änderungen bzw. Ergänzungen vorgeschlagen werden. Eine Prüfung und Bewertung kann sinnvollerweise erst nach der Beendigung des Volksbegehrens erfolgen. Hierzu sollten insbesondere die Aussagen der Meldebehörden zur Überprüfung der Unterschriftslisten in die Berichterstattung einfließen. Gerade diese dürften interessant sein.

Wenn man davon ausgeht, dass die Überprüfung durch die Meldebehörden etwa acht Wochen in Anspruch nehmen wird, dann könnte das Volksbegehren vielleicht Ende Juni 2001 abgeschlossen sein. Daher rege ich an, den Bericht der Landesregierung nicht bereits zum 30. Juni 2001, sondern entsprechend dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zum September anzufordern.

Meine Damen und Herren! Ohne der weiteren Diskussion vorgreifen zu wollen, denke ich, dass über eine Absenkung der Quoren für Volksbegehren diskutiert werden sollte. Es wäre gut - aber es scheint nach dem, was Sie eben gehört haben, nicht so zu sein -, wenn die politischen Parteien eine gemeinsame Haltung zu dieser wichtigen Frage finden könnten, zumal eine Verfassungsänderung notwendig wäre.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Herr Minister, ich muss Sie auf das rote Licht vor Ihnen aufmerksam machen.

Ja. Das habe ich zugedeckt. Entschuldigung. - Meine Damen und Herren! Es ist vornehmlich Aufgabe des Landtages, das Verhältnis zwischen parlamentarischrepräsentativer Demokratie und direkter Demokratie zu bestimmen. Der Bericht der Landesregierung in den Ausschüssen kann dafür nur der Auftakt sein. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Es gibt eine Nachfrage von dem Abgeordneten Herrn Dr. Bergner. Bitte, Herr Bergner.

Herr Minister, ich bestreite nicht, dass wir über die Wichtung von repräsentativer und direkter Demokratie

verschiedener Meinung sind und dass sich das im Gesetzgebungsverfahren in unterschiedlicher Verantwortung - bei uns in der ersten Wahlperiode und bei Ihnen später - niedergeschlagen hat.

Ich frage Sie trotzdem: Sind Sie nach all den Erfahrungen, die jetzt vorliegen, tatsächlich der Meinung, dass das Volksabstimmungsgesetz im Sinne der Gesetzesklarheit und der Berechenbarkeit durch den Bürger so bleiben kann, wie es ist?

Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir uns nach der Auswertung des Volksbegehrens damit beschäftigen müssen. Ich bin der Auffassung, dass einige Formulierungen klarer gefasst werden müssen, insbesondere in § 17.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Wir kommen dann zur vereinbarten Debatte der Fraktionen. Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Tiedge.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das veränderte Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid, kurz Volksabstimmungsgesetz genannt, ist am 9. August 1995 in Kraft getreten.

Die PDS-Fraktion hatte damals im Vorfeld eine ganze Reihe von Änderungsanträgen eingebracht, weil der Gesetzentwurf, obwohl weitaus besser als der vorherige von der CDU-FDP-Koalition, hinsichtlich der Bürgerrechte nicht weit genug ging. So wurde zum Beispiel beantragt, ein Beteiligungsrecht für Bürger der EU aufzunehmen oder eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, nach der die Volksinitiative auch eine Bundesratsinitiative zum Ziel haben kann. Diese Anträge fanden keine Mehrheit.

Die PDS-Fraktion hatte ebenfalls beantragt, das komplizierte Verfahren hinsichtlich der Eintragung auf nach den örtlichen Zuständigkeitsbereichen der Meldebehörden getrennt geführten Unterschriftsbögen zu vereinfachen. Genau das hat sich bei der Volksinitiative zum Kinderbetreuungsgesetz als zu große bürokratische Hürde herausgestellt.

Gestatten Sie mir, dass ich aus dem damaligen Redebeitrag von Roland Claus zu diesem Punkt zitiere:

„Bei der Erfassung der Unterschriften sind wir ja jetzt zur bayerischsten aller Lösungen gekommen. Das heißt ganz konkret, dass jemand, der Unterschriften sammelt, erst einmal fragen muss: Wo kommen Sie denn her? Aus welcher Meldebehörde sind Sie denn entsprungen? Nun gehen Sie bitte zu Tisch 17, dort liegt die Liste 133 a. Da haben Sie sich einzutragen!

Wer mit solchen Bögen schon einmal im Regen gestanden hat, unter irgendeinen Torbogen gekrochen ist und dort versucht hat, die Dinge fortzusetzen, wird wissen, wie sehr so etwas das Verfahren erschwert.“

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das haben wir 1985 er- lebt!)

Wie Recht er hatte, zeigen die Erfahrungen der Volksinitiative. Eine Mehrheit fand sich damals für unseren Antrag nicht.

Nun möchte ich an dieser Stelle sagen, dass wir dem CDU-Antrag und dem Änderungsantrag der SPDFraktion nicht ablehnend gegenüberstehen. Auch wir befürworten eine Berichterstattung als Auswertung der Volksinitiative. Uns verwundert nur, dass ausgerechnet die CDU-Fraktion sich zum Anwalt des Volkes aufschwingt,

(Herr Dr. Daehre, CDU: Aber umgekehrt! Mein lieber Mann!)

da sie doch eine völlig andere Auffassung zur Einführung plebiszitärer Elemente hat und zum Beispiel in Sachsen-Anhalt die von PDS und SPD geforderte Absenkung der Quoren für Volksbegehren ablehnt.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Mein lieber Mann! Das kann doch nicht wahr sein!)

Da dazu aber eine Zweidrittelmehrheit im Landtag notwendig ist, scheitert dies an der Haltung der CDU-Fraktion. Sie vertritt die Auffassung, dass die Unterschriftenzahl groß genug sein muss, um den Vorrang der repräsentativen Demokratie deutlich werden zu lassen. Die CDU-Fraktion beantragte im Jahr 1995 sogar, die Antragsquoren von 10 000 auf 25 000 Unterschriften heraufzusetzen, angeblich, um das Verhältnis zu den 250 000 Unterschriften für Volksbegehren zu verbessern.

Man kann über dieses Gesetz nicht reden, ohne grundsätzlich über die Notwendigkeit plebiszitärer Elemente und damit auch über die Höhe der Quoren zu reden. Alles andere ist reiner Populismus und anscheinend nur dafür gedacht, den Wahlkampf einzuläuten.

Ganz deutlich wird die Haltung der CDU aber, wenn man sich Redebeiträge von CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag verinnerlicht.

Die PDS-Bundestagsfraktion hat im Jahre 1999 den Entwurf eines Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid mit der Begründung in den Bundestag eingebracht, dass viele Bürger sich über fehlende bzw. unzureichende Möglichkeiten beklagen, unmittelbar in politische Prozesse eingreifen zu können; sie würden sich immer mehr als Objekte parlamentarischer Demokratie verstehen. So wird immer mehr der Übergang von einer Zuschauer- zu einer Teilhabedemokratie verlangt.

Herr Präsident, gestatten Sie mir, dass ich auszugsweise aus den Redebeiträgen der beiden CDU/CSUAbgeordneten zu diesem Gesetzentwurf zitiere. Ich brauche sie auch nicht zu kommentieren, sie sprechen für sich. Ich zitiere Herrn Marschewski:

„Um die richtige Entscheidung zu treffen, ist ein Blick nach Weimar vonnöten. In der Zeit der Weimarer Republik wurde zwar nur relativ selten von der Möglichkeit plebiszitärer Entscheidungen Gebrauch gemacht, aber der permanente Druck plebiszitärer Entscheidungsmöglichkeiten, der von Nazis und Kommunisten genutzt wurde und zu Gewalttaten auf den Straßen Deutschlands führte, hat die Entwicklung einer stabilen Demokratie verhindert.“

Ich fahre fort:

„Plebiszite verengen die Entscheidung selbst über schwierige Probleme meist auf ein schlichtes Ja oder Nein. Plebiszite blenden auch allzu leicht die Allgemeinwohlorientierung aus; oftmals geht es nämlich lediglich um die Durchsetzung egoistischer Interessen Einzelner.“

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Ein Zusatz von mir an dieser Stelle: Die CDU sollte angesichts ihres Spendenskandals gerade über diesen Punkt nochmals gründlich nachdenken.

(Beifall bei der PDS - Oh! bei der CDU)

Ich zitiere weiter:

„Mittels Volksbegehren sollen manchmal Nachteile bestimmter Art auf weniger gut organisierte andere abgewälzt werden. Die in parlamentarischen Ausschüssen mögliche differenzierte und komplexe Problemlösung wird abgelöst durch oftmals emotionsüberlagerte und damit meist eindimensionale Entscheidungen.“

Norbert Röttgen:

„Wir verschließen uns der Diskussion nicht, sind als CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber der klaren Überzeugung, dass Plebiszite das politische System in Deutschland nicht verbessern, sondern verschlechtern würden.“

Frau Abgeordnete Tiedge, die Zeit ist jetzt überschritten. Sie müssten jetzt mit zwei oder drei Sätzen zum Schluss kommen.

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz kurz an Herrn Bergner wenden. Er ist nun gerade nicht da.

(Zurufe von der CDU: Doch! - Herr Dr. Bergner, CDU, hebt den Arm)

- Entschuldigung. - Einige Worte hinsichtlich seiner Darstellung in der Öffentlichkeit, der ich widersprechen möchte. Ich möchte mich etwas höflicher ausdrücken als unser parlamentarischer Geschäftsführer und entschieden dem widersprechen, dass wir mit Willkürhandlungen der Volksinitiative im Weg gestanden hätten.

Wir stehen einer Berichterstattung durch die Landesregierung und einer Anhörung der Vertrauensleute sehr aufgeschlossen gegenüber, wenn dies dazu führt, dass in Sachsen-Anhalt den plebiszitären Elementen mehr Raum gegeben wird, dass das Gesetz entbürokratisiert wird und die Quoren herabgesetzt werden. Wir sind jedenfalls auf Diskussionsbeiträge der CDU-Abgeordneten im Ausschuss sehr gespannt.

Wir werden dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zustimmen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Bi- schoff, SPD)

Vielen Dank. - Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wiechmann.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Berichtsantrag der CDU kann man nur zustimmen, wenngleich man weiß, dass die Aufforderung an die Landesregierung, im Ausschuss für Recht und Verfassung über die Erfahrungen bei der Anwendung der Volksabstimmungsgesetzes sowie im Umgang mit Volksinitiativen und Volksbegehren bis spätestens 30. Juni 2001 zu berichten, keine Substanz, nur ein Minimum an Schönfärberei, Unverbindlichkeiten und inhaltlichem Füllmaterial fordert.