Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

sondern dass sich die Neuerungen ausschließlich auf eine extensiv erweiterte Nutzung des Schultages oder auf das Überspringen eines Schuljahres, bestenfalls auf eine Begleitung mit vor- oder nachbereitenden Maßnahmen, reduzieren.

Meine Damen und Herren! Damit ist die gesellschaftlich geforderte höhere Bildungsqualität schon vom Ansatz her nicht anvisiert. Solche Vorstellungen, wie sie uns hier dargestellt werden, sind verbunden mit dem Bestreben, den Zugang zum Abitur einzuschränken.

(Frau Feußner, CDU: Was? Das können Sie nicht behaupten! Das ist doch keine Begründung! Das stimmt doch gar nicht!)

Solche Vorstellungen laufen auf eine verminderte Durchlässigkeit des Schulsystems und auf eine Erhöhung des Drucks im Hinblick auf eine frühzeitige Entscheidung über den Bildungsgang hinaus. Das zeigt unter anderem auch der vorliegende Gesetzentwurf.

Auch in der PDS wird ernsthaft darüber nachgedacht, unter welchen Voraussetzungen eine Schulzeitverkürzung bis zum Abitur möglich sein könnte. Folgende Prämissen werden von uns dafür als unabdingbar betrachtet:

erstens Zugang zum Abitur für alle, die es wünschen,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ach! Das ist begabungs- unabhängig!)

zweitens Durchlässigkeit und gezielter Nachteilsausgleich zur Wahrung der Chancengleichheit,

(Zuruf von der CDU)

drittens inhaltliche Sicherung und formale Anerkennung der allgemeinen Studierfähigkeit mit dem Abitur,

(Frau Schnirch, CDU: Ja!)

viertens - darauf lege ich großen Wert - Vermittlung eines Fundaments gemeinsamer Erkenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen bei allen Schülerinnen und Schülern, und zwar als Basis für gesellschaftspolitischkulturelles Zusammenleben und individuelle Selbstverwirklichung,

(Frau Schnirch, CDU: Dazu brauchen wir keine 13 Jahre!)

und fünftens optimale Förderung eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin, und zwar ausdrücklich nicht durch unterschiedliche Schulzeiten, sondern durch differenzierte Angebote, und das sowohl inhaltlich als auch didaktisch-methodisch.

Gerade weil wir eine solche inhaltliche Debatte über die Parteigrenzen hinweg vor einer Entscheidung über die

Schulzeitlänge bis zum Abitur für zwingend erforderlich halten,

(Frau Feußner, CDU: Das haben Sie noch nie gemacht! Auch nicht bei der Förderstufe! Noch nie! - Zurufe von Frau Schnirch, CDU, und von Frau Stange, CDU)

- ich habe Ihnen auch zugehört, Frau Feußner - hatten wir im Ausschuss die CDU-Fraktion gebeten, ihren Entwurf bis zur nächsten Legislaturperiode zurückzuziehen, und zwar im Interesse der Schülerinnen und Schüler und nicht, wie Frau Feußner meinte, um der SPD und der PDS einen Gefallen zu tun.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Wir hatten vorgeschlagen, diese Problematik zu dem Zeitpunkt weiter zu erörtern, wenn die Ergebnisse des Modellversuchs „13 kompakt“ vorliegen.

(Zuruf von Frau Schnirch, CDU)

Im Ausschuss fand eine Beratung mit Experten der ehemaligen Enquetekommission „Schule mit Zukunft“ statt. Ich konnte bei allen divergierenden Aussagen, die getroffen worden sind, bei keinem von ihnen eine Zustimmung zum vorliegenden CDU-Weg erkennen, auch wenn es, wie gesagt, zur Schulzeitlänge unterschiedliche Auffassungen gab. Mehrheitlich wurde auch von den Experten die Ansicht geteilt, dass die Schulzeitdebatte mit einer Debatte um eine inhaltliche Schulreform verbunden werden müsse.

(Frau Feußner, CDU: Ja!)

Für besonders problematisch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, halten wir den von der CDU als Kompromissangebot gedachten Vorschlag, nach dem den Gesamtkonferenzen der Gymnasien die Entscheidungsbefugnis darüber erteilt werden soll, ob an der Schule ganz oder zugweise das Abitur schon nach zwölf Jahren verliehen werden kann. Das fand selbst der Experte der CDUFraktion, Herr Hoffmann, etwas abenteuerlich.

Wir halten es für äußerst problematisch, hinsichtlich der Schulzeitlänge an einer Schule drei unterschiedliche Systeme zu installieren, und das in einer Zeit, in der sich die Schülerzahlen, die Schulstrukturen, das Schulnetz usw. dramatisch verändern. Eine solche Situation haben wir in einer Reihe von westlichen Bundesländern, beispielsweise in Baden-Württemberg, nicht.

Wir wollen diesbezüglich eine im Wesentlichen einheitliche Regelung für ganz Sachsen-Anhalt. Wir wollen keine Abschaffung der schulformunabhängigen Förderstufe wie die CDU-Fraktion, sondern deren Qualifizierung.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Wir wollen keine wahlkampftaktischen Schnellschüsse, sondern wir wollen eine ernsthafte Diskussion sowohl über Bildungsinhalte als auch über die Länge der Schulzeit bis zum Abitur.

(Herr Gürth, CDU: Scheinheilig!)

Aus all diesen Gründen lehnen wir den Änderungsentwurf der CDU-Fraktion zum Schulgesetz ab und stimmen der Beschlussempfehlung des Ausschusses zu. Ihren Änderungsantrag lehnen wir ab, weil - wir haben es bereits gesagt - eine verkürzte Debatte bis zum Ende dieser Legislaturperiode keinen Sinn hat. Wir müssen den Modellversuch „13 kompakt“ noch auswerten.

(Zuruf von Frau Schnirch, CDU)

Wir müssen klären, wie wir Bildungsinhalte neu strukturieren, was wir als Allgemeinbildung definieren.

(Herr Scharf, CDU: Das ist nicht glaubhaft!)

Das ist notwendig. Ohne dies wird es wahrscheinlich zu keiner Veränderungsmöglichkeit kommen können.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Für die DVU-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Brandt. Bitte.

Herr Präsident! Werte Herren und Damen! Nun soll schon zum siebenten Mal am Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt herumgekrittelt werden. Das halten wir, die Fraktion der DVU, zu diesem Zeitpunkt für gänzlich unpassend bzw. völlig unnötig.

(Herr Wolf, FDVP: Oh!)

Der Lehrkörper an unseren Schulen sowie die Elternschaft brauchen endlich Rechtssicherheit und nicht im Schnitt alle eineinhalb Jahre ein kleines Reförmchen des vorherigen Schulgesetzes.

Man hat das 13. Schuljahr eingeführt, obwohl ein Großteil des Lehrkörpers dagegen war. Man hat die Förderstufe an Sekundarschulen eingeführt, obwohl dem eine große Skepsis der Lehrer sowie sogar der Amtsleiter der staatlichen Schulämter und der Schulräte entgegenstand.

Selbst wenn die Förderstufe an allen Gymnasien Anwendung finden würde, so sind doch die Lehrkräfte nicht in der Lage, sich mit demselben Elan den schwächeren wie den stärkeren Schülern zu widmen. Auch Projektwochen ändern nichts daran.

Dort, wo man zwei Klassenstärken zur Verfügung hat, könnte man die leistungsstärkeren Schüler in einer Klasse bündeln und so praktisch eine Leistungsstufe aufbauen. Dies würde allerdings eine Diskriminierung der Leistungsschwächeren bedeuten. Aber unsere Jugend muss auch lernen, dass es in einer Gesellschaft immer auch Schwächere gibt, denen es zu helfen gilt. Ein elitäres Denken und Verhalten in unserer Schullandschaft halten wir für nicht gut.

Wir würden eine Rücküberweisung in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft begrüßen. - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht dann die Abgeordnete Frau Kauerauf. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch persiflierte einst in seinen Romanfiguren das Rollenverhalten in der Gesellschaft. Die Rollenverteilung für die Protagonisten der heutigen Debatte scheint - würde man den Verlautbarungen der CDU Glauben schenken - klar vorgegeben: auf der einen Seite die dem Wohle der Allgemeinheit dienenden Einbringer des Gesetzentwurfs und auf der anderen Seite die Verhinderer dessen, was so innovativ erscheinen soll. - Ach, wenn nur alles im Leben so einfach wäre; ist es aber nicht.

Der heute zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf der CDU mit der Wahloption für die Schulen stellt eben keine akzeptable Lösung des Problems dar. Ganz im Gegenteil: Er würde an den Schulen in Ignoranz der Rahmenbedingungen ein heilloses Chaos verursachen.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

An dieser Tatsache ändern auch Halbwahrheiten verkündende Briefe an unsere Abgeordneten nichts und auch nicht Ihr Änderungsantrag, der keine neuen Erkenntnisse enthält.

Leider findet vonseiten der CDU wiederum nur eine reduzierte Strukturdebatte statt. Die sowohl in der Ausschussanhörung von Experten als auch im Bericht der Enquetekommission „Schule mit Zukunft“ geforderte Auseinandersetzung mit notwendigen Lerninhalten und Qualifikationen zur Erlangung eines Abiturs bleibt weiterhin auf der Strecke. Sie aber bildet die eigentliche Vorraussetzung für die Festsetzung der Schulzeitdauer bis zum Abitur.

Meine Damen und Herren der CDU, so kann man sicherlich einen Wahlkampf führen. Mit verantwortungsvoller Politik hat das jedoch nichts zu tun.