Die Fraktion der CDU beantragte fristgemäß, die Große Anfrage zur Aussprache auf die Tagesordnung zu setzen.
Der Ältestenrat schlägt eine Debatte mit 30 Minuten Redezeit vor. Gemäß § 43 Abs. 6 der Geschäftsordnung wird zunächst dem Fragesteller das Wort erteilt, dann erhält es die Landesregierung. Nach der Aussprache steht dem Fragesteller das Recht zu, Schlussbemerkungen zu machen.
Für die Debatte werden folgende Reihenfolge und folgende Redezeiten vorgeschlagen: PDS sechs Minuten, DVU fünf Minuten, FDVP fünf Minuten, SPD acht Minuten, CDU sechs Minuten. Ich erteile nunmehr für die Fraktion der CDU als Fragestellerin der Abgeordneten Frau Stange das Wort. Bitte, Frau Stange.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU-Landtagsfraktion zum
Maßregelvollzug verfolgt das Ziel, den Istzustand im Maßregelvollzug festzustellen. Aus dieser Bestandsaufnahme ergeben sich Perspektiven für die Zukunft des Maßregelvollzuges in unserem Land.
Die Zielstellung der CDU-Fraktion ist es, eine Verbesserung des Maßregelvollzuges für die Patienten zu erreichen und gleichzeitig dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung in höchstem Umfang Rechnung zu tragen.
Gesetzliche Aufgabe des Maßregelvollzuges ist die Besserung und Sicherung der untergebrachten Patienten, und zwar im gleichen Rang. Ziel ist es, den Untergebrachten so weit wie möglich zu heilen oder seinen Zustand so weit zu verbessern, dass er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt.
In der öffentlichen Meinung wird häufig ein Zielkonflikt zwischen dem Interesse an der Besserung der Patienten auf der einen Seite und der Sicherung der Allgemeinheit auf der anderen Seite gesehen. Therapie und Sicherheit sind jedoch keine Gegensätze. Anerkannt ist, dass die Sicherheit für die Allgemeinheit gerade aus einer klar strukturierten Therapie erwächst, welche sich an einem anerkannten wissenschaftlichen Qualitätsstandard orientiert.
Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, dass die Organisation des Maßregelvollzuges in Sachsen-Anhalt eine fachliche Aufgabe ist, die sich politischer Polemik entziehen sollte. Die Landesregierung hat sich bemüht, unsere fachlichen Fragen zu beantworten. Zugleich müssen wir jedoch kritisieren, dass versucht worden ist, den Eindruck zu erwecken, im Maßregelvollzug in SachsenAnhalt wäre alles in bester Ordnung.
So interessant und aufschlussreich die Antworten der Landesregierung auf der einen Seite erscheinen, so verdecken die Antworten doch den Blick auf die Realitäten. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Realität ist, der Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt hat mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Die Situation zu beschönigen ist fahrlässig, da das Thema in der Öffentlichkeit nach wie vor von hoher Brisanz ist.
In ihren Antworten verschweigt die Landesregierung die wahren Zustände im Maßregelvollzug. Nur wenn die Fakten auf den Tisch gelegt werden, kann ein konstruktives Gespräch über Problemlösungen geführt werden. Die CDU-Fraktion ist gewillt, die vorhandenen Probleme sachlich zu erörtern und einer Lösung zuzuführen.
Nachfolgend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einige Schwerpunkte lenken. Wie Ihnen bekannt ist, hat die Landesregierung im Jahr 1999 von der Ermächtigung des Maßregelvollzugsgesetzes Gebrauch gemacht und den Maßregelvollzug per Beleihungsvertrag privatisiert. Die Institutionen in Bernburg und Uchtspringe sind ab 1. Januar 2000 auf die Salus gGmbH übertragen worden.
Sie können sich sicher noch an die hitzigen Debatten zu diesem Thema in diesem Hohen Hause erinnern. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass es ein Hauptargument für die Privatisierung war, Möglichkeiten finanzieller Anreize zur Anwerbung von geeignetem Personal zu schaffen.
Ich verweise auf die unabhängige Kommission des Maßregelvollzuges in Brandenburg, die den Fall Schmökel sehr intensiv untersucht hat und festgestellt hat, dass neben den baulichen Voraussetzungen ein zumindest ebenso wichtiger Faktor für einen sicheren Maßregelvollzug die Beschäftigung gut ausgebildeten, qualifizier
ten und motivierten Personals in ausreichender Anzahl ist. Das gilt für alle Berufsgruppen, also für Ärzte, Psychologen und Kotherapeuten genauso wie für das Pflegepersonal.
Für die Unterbringung eines Rechtsbrechers in einer psychiatrischen Klinik oder in einer Entziehungsanstalt ist es erforderlich, dass die in diesen Anstalten tätigen Therapeuten die Qualifikation eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie besitzen, um die bei psychisch gestörten Rechtsbrechern vorhandenen Störungen erkennen und auch angemessen behandeln zu können.
Das Ergebnis dieser Kommission ist die Feststellung, dass Schwierigkeiten bei der Besetzung mit Ärzten und Psychologen bestehen und die Qualität des Maßregelvollzuges von der Kompetenz und der Anleitungsfähigkeit der Klinikleitungen erheblich abhängt. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Zustand in diesem Land im Maßregelvollzug traurig.
Schauen Sie in die Fragen 8 und 9 und in die von der Landesregierung darauf gegebenen Antworten. Diese erwecken den Eindruck - sollen den Eindruck wahrscheinlich auch absichtlich erwecken -, dass annähernd genügend Personal im ärztlichen und therapeutischen Bereich des Maßregelvollzuges in diesem Land vorhanden ist.
Die Landesregierung geht selbst davon aus, dass die vorhandenen Patienten gemäß Psychiatriepersonalverordnung von 40 Ärzten und Therapeuten behandelt und betreut werden müssen. Insgesamt sind nur 29 Fachkräfte vorhanden. Es besteht also eine Unterdeckung von elf Fachkräften. Dies kann und darf man einfach nicht hinnehmen.
Dies ist auch nur eine halbe Wahrheit; denn in der Begründung - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident - wird dargelegt: „Um den Besonderheiten des Maßregelvollzuges Rechnung zu tragen und den Einrichtungen ausreichend Spielraum für die spezifischen Anforderungen je nach eingewiesener Klientel zu geben,“ hat die Landesregierung die Zahl der Ärzte und Psychologen zusammengefasst.
Die Tatsache, dass elf Fachkräfte in diesem Bereich fehlen, ist die eine Seite. Andererseits besteht jedoch zusätzlich ein Missverhältnis zwischen Ärzten und Therapeuten. In der Antwort auf Frage 12 werden zehn Ärzte 19 Psychologen gegenübergestellt und von den Ärzten hat wiederum nur ein Einziger die Anerkennung als Facharzt für Psychiatrie.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich wiederhole: Ein Facharzt ist ein Facharzt für Psychiatrie. Es gibt also zurzeit nur diesen einen einzigen Arzt, der die Befähigung und die Erlaubnis hat, psychische Krankheiten zu behandeln. Grundsätzlich dürfen psychische Krankheiten nur durch einen Facharzt behandelt werden. Psychologen ist eine Behandlung von Krankheiten untersagt.
Bei genauerer Betrachtung der wahren Zustände im Maßregelvollzug wird somit deutlich, dass die von der Landesregierung gelieferten Zahlen den Blick auf die wahren Zustände im Maßregelvollzug versperren.
Darüber hinaus gibt es zurzeit in den Einrichtungen keinen Chef. Vielleicht hat sich in den letzten Tagen diesbezüglich etwas getan. Beide Anstalten, Uchtspringe und Bernburg, sind ohne Direktor. Eine Nachfolge ist nicht geregelt. Bisher hat es nur einen einzigen Bewer
Alle diese Tatsachen sind geeignet, Unruhe und Verunsicherung in den Maßregelvollzug zu tragen. Nach unseren Kenntnissen ist diese Unruhe vorhanden. Im Petitionsausschuss sowie im Psychiatrieausschuss liegen Eingaben von Patienten und ärztlichem Personal vor.
Zwar verneint die Landesregierung in ihrer Antwort auf Frage 12 eine hohe Fluktuation beim ärztlichen Personal, im Maßregelvollzug tätige Fachleute bestätigen jedoch dieses Problem und verweisen zugleich darauf, dass durch Unterbesetzung und Fluktuation die äußerst wichtige Diagnostik und die häufig sehr schwierige Therapie erheblich erschwert werden.
Es nützt also nichts, von optimalen Bedingungen zu sprechen; wir müssen sie schaffen zum Wohle der Patienten und des Personals und natürlich aus Gründen der Sicherheit für die Bevölkerung.
Das bisherige Bemühen, Personal zu rekrutieren, kann fast wöchentlich in den Stellenanzeigen der Salus gGmbH nachgelesen werden. Die Versprechungen, die seinerzeit mit der Privatisierung verbunden waren, können offensichtlich nicht eingehalten werden.
Wir sehen in dem fehlenden Fachpersonal eine erhebliche Gefahr. Entsprechende Befürchtungen werden durch die Feststellungen der unabhängigen Kommission in Brandenburg bestärkt. Die Sicherheit der Allgemeinheit muss aus einer klar strukturierten Therapie erwachsen.
Ich wiederhole noch einmal - weil es uns, der CDU-Fraktion, sehr wichtig erscheint -, dass die baulichen Voraussetzungen und die Besetzung mit Fachpersonal ein wichtiges Problem sind. Es geht uns darum, dass in allen Bereichen ausreichend Fachpersonal vorhanden ist; denn nur so können wir gemeinsam ein Therapiekonzept durchsetzen. Daran mangelt es in Sachsen-Anhalt. Wir wissen, dass es in der gesamten Bundesrepublik Deutschland schwierig ist, dieses Problem zu lösen, aber wir müssen Voraussetzungen dafür schaffen.
Gründe für eine mangelnde Attraktivität wollen wir Ihnen natürlich auch nennen. Bei Assistenzärzten sind es zum Beispiel die hohen Kosten für die ihnen abverlangte psychotherapeutische Weiterbildung. Auch das Problem BAT-Ost und BAT-West muss in diesem Zusammenhang genannt werden. Ebenfalls gibt es in SachsenAnhalt keine Chance, im Nebenerwerb voll in die Gutachtertätigkeit einzusteigen, denn bei uns ist die Gutachtertätigkeit stark reduziert.
Aufgabe der Politik ist es, die Zustände im Maßregelvollzug grundsätzlich zu verbessern, und zwar nicht nur im Sinne der untergebrachten Patienten, sondern auch - ich wiederhole mich da sehr gern - wegen des berechtigten Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung.
Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, dass die Privatisierung des Maßregelvollzugs bisher nicht den von der Landesregierung erhofften Effekt gezeigt hat. Daher ist über eine sinnvolle Lösung nachzudenken. Die Personalknappheit beim ärztlichen Personal ist nur dadurch zu beheben, dass entsprechende finanzielle Anreize geschaffen werden. Zum Beispiel muss es den Ärzten gestattet sein, Gutachten zu schreiben, wohl wissend, dass im Verhältnis zur investierten Arbeit nur ein relativ geringer Verdienst erwartet wird.
Nach unserer Ansicht müssen insbesondere die psychologischen Gutachter besser geschult werden, um Fehleinschätzungen zu vermeiden.
Weiter halten wir es für bedenkenswert, die Anbindung des Maßregelvollzugs bei einer Universität zu erwägen. Für Forscher in Magdeburg und für die klinische Psychiatrie in Halle ergeben sich dabei interessante Betätigungsfelder. Den Assistenzärzten könnte zum Beispiel nach zwei oder drei Ausbildungsjahren an den Universitätskliniken ein Pflichtjahr im Maßregelvollzug auferlegt werden. Die Bundesärztekammer plant für 2002 eine Ergänzung der Facharztausbildung „Psychiatrie“ durch einen Schwerpunkt „Forensische Psychiatrie“.
Wenn ein Teil der Assistenzärzte die Ausbildung im Maßregelvollzug absolvieren würde, würde eine wünschenswerte Rotation von Personal und damit die notwendige gegenseitige fachliche Befruchtung erreicht. Darüber hinaus wäre die Möglichkeit der unkomplizierten Hilfe bei medizinischen oder administrativen Problemen sowie der gemeinsamen Nutzung der Logistik gegeben. Wir halten es daher nicht für ausgeschlossen, den Maßregelvollzug künftig als akademisches Krankenhaus fortzuführen.
Als Problem sehen wir zudem die Nachbetreuung der Untergebrachten nach ihrer Entlassung. In diesem Bereich findet keine engmaschige Betreuung statt, und dies nur deshalb, weil unklar ist, wer die Kosten hierfür übernimmt. Auch in einer geeigneten Nachbetreuung sehen wir eine Möglichkeit zur Verbesserung des bestehenden Sicherheitskonzepts.
Zuallerletzt ist darüber nachzudenken, ob und wo ein gesonderter gesicherter Bereich für langfristig nicht lockerungsgeeignete Patienten geschaffen wird. Gerade im Maßregelvollzug sammeln sich nicht therapierbare Täter. Diese werden zu einer Belastung im Maßregelvollzug. Im Strafvollzug sind diese Personen ebenfalls nicht unterzubringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDUFraktion hat Vorschläge unterbreitet. Wir wollen und werden unsere Kontrollfunktion als Parlament wahrnehmen und werden - das kündige ich Ihnen an - weitere parlamentarische Initiativen bezüglich des Maßregelvollzugs in den nächsten Wochen und Monaten auf den Weg bringen. - Ich bedanke mich.
Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht jetzt die Ministerin Frau Dr. Kuppe. Bitte, Frau Dr. Kuppe.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Die Große Anfrage der CDU-Fraktion gibt mir Gelegenheit, Sie erneut über die Situation des Maßregelvollzugs in Sachsen-Anhalt zu unterrichten. Ich will gleich zu Beginn betonen - und das nicht zum ersten Mal -, dass es für mich eine Tatsache bleibt: Zum Maßregelvollzug, also zur Behandlung, zur Therapie von psychisch kranken Straftäterinnen und Straftätern gibt es keine sinnvolle Alternative.
Ich will gar nicht weiter auf die gesetzlichen Grundlagen des Bundes und des Landes eingehen. Wichtig ist mir aber, noch einmal darauf hinzuweisen, dass sich der Gesetzesauftrag, herausfiltriert aus den Landes- und Bundesregelungen, nicht allein auf die therapeutische Behandlung bezieht. Erforderlich ist auch die Schaffung gesicherter Unterbringungsmöglichkeiten zum Schutz der Allgemeinheit.
Dem folgend, hat das Land erhebliche Anstrengungen unternommen. Dazu haben Sie als Abgeordnete auch einen Teil beigetragen, indem Sie die Mittel im Landeshaushalt zur Verfügung gestellt haben. Wir haben damit dem Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt eine feste Basis geben können.
Immerhin standen wir im Jahr 1990 mit der Gründung des Landes Sachsen-Anhalt vor der Situation, eine bis dato in den ostdeutschen Ländern und damit auch bei uns in Sachsen-Anhalt unbekannte Therapieform aufbauen zu müssen. Wichtigster Punkt war, dass wir mit einem Investitionsaufwand von über 140 Millionen DM an den Standorten Bernburg und Uchtspringe Neubauten errichtet haben, die den neuesten Erkenntnissen hinsichtlich der sicherheitstechnischen Anforderungen und auch hinsichtlich eines größtmöglichen Freiraums für nach innen angemessene Therapie- und Freizeitformen entsprechen.
Vor allem die neue Anlage in Uchtspringe, in der Patienten mit großem Gefährdungspotenzial untergebracht sind, erfüllt höchste Sicherheitsstandards und belegt - so glaube ich - für alle, die sich für dieses Thema interessieren, dass wir vonseiten der Landesregierung der Sicherheit der Allgemeinheit einen hohen Stellenwert beimessen, aber immer verknüpft mit der Therapie der Straftäter und Straftäterinnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Patientinnen und Patienten im Maßregelvollzug haben wir es mit einer Tätergruppe zu tun, der im normalen Strafvollzug nicht adäquat geholfen werden kann. Nach der Entlassung aus dem normalen Strafvollzug bestünde das Problem, dass der oder die Betroffene zwar die Strafe verbüßt hat, aber die psychische Erkrankung nicht behandelt worden wäre. Es fehlt die adäquate therapeutische Hilfe. Die Wiederholungsgefahr wäre damit ungleich größer.