Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Meine Damen und Herren! Verantwortung beginnt mit der Wahrhaftigkeit und sie endet mit ihr. Es ist an der Zeit, dass die Prinzipien der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit für alle Menschen - auch für Deutsche - gelten.

Mit dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ wollen deutsche Unternehmen und die Bundesrepublik Deutschland ein Zeichen ihrer historischen und moralischen Verantwortung für die Geschehnisse der NS-Zeit setzen und die bisherigen Wiedergutmachungsregelungen durch eine humanitäre Hilfe ergänzen. Ziel der Stiftung ist es, ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern unbürokratisch und vor allem schnell Hilfe zu leisten.

Diese gesetzliche Regelung ist unzureichend. Sie schließt die deutschen Zwangsarbeiter in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten von jeglichen Entschädigungsleistungen aus.

Meine Damen und Herren! Es darf doch aber keine Rolle mehr spielen, welcher Nationalität die Betroffenen sind. Was man ihnen in den Arbeitslagern des Zweiten Weltkrieges und danach antat, waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Meine Damen und Herren! Die Zeit ist längst überfällig, um das Unrecht, das diese Menschen erlitten haben, zumindest moralisch auszugleichen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion, die Fraktion der FDVP, will mit dem vorliegenden Antrag erreichen, dass den deutschen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten, die Krieg und Elend überlebt haben, schnellstmöglich die gleichen Entschädigungen gewährt werden, wie sie für die Opfer des Nationalsozialismus beschlossen wurden, damit die mitunter hochbetagten Menschen zumindest eine geringe Wiedergutmachung erfahren.

Ich möchte Sie alle daran erinnern, dass zum Beispiel die Regierung Österreichs ein positives Signal gesetzt hat. Österreichische Staatsbürger, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter in den kommunistischen Staaten Osteuropas auf ihre Heimkehr warten mussten, erhalten bis zu ihrem Lebensende eine monatliche Zusatzpension.

Die Landesregierung wird deshalb von der FDVP-Fraktion aufgefordert, sich über eine Bundesratsinitiative in Anlehnung an das österreichische Modell für die Novellierung des Gesetzes zur Zwangsarbeiterentschädigung einzusetzen. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden.

(Unruhe)

- Bin ich noch mit im Spiel, meine Herren? - Für die Debatte ist folgende Reihenfolge vorgesehen: CDU, DVU, SPD, PDS und FDVP. Als Erstem erteile ich für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Schomburg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der CDU-Fraktion ist dieses Problem durchaus bewusst. Wir werden uns am morgigen Nachmittag noch einmal in einer etwas anderen Form mit diesem Problem beschäftigen.

Da wir uns nicht im Klaren sind, ob die Betroffenen mit denjenigen deckungsgleich sind, die wir am morgigen Nachmittag ansprechen wollen, halten wir es für das Günstigste, wenn wir Ihren Antrag in den Innenausschuss überweisen, um uns sowohl mit dem österreichischen Modell als auch mit dem Kreis der Betroffenen beschäftigen zu können, um zumindest für uns mehr Klarheit zu gewinnen. Deshalb plädieren wir für eine Überweisung in den Innenausschuss. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Die DVU-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Ich frage zur Vorsicht, ob das so bleibt. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann widersprechen Sie bitte. Die SPD-Fraktion und die PDS-Fraktion verzichten ebenfalls.

Dann hat jetzt für die FDVP-Fraktion die Abgeordnete Frau Wiechmann noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle und auch das Publikum haben schon gemerkt leider ist das Publikum nicht mehr da; wahrscheinlich ist das Thema nicht so sehr interessant; aber vielleicht lesen sie ja die Protokolle -, es entspricht einfach dem politischen Stil dieses Landtages - ob man das noch Stil nennen kann, bin ich mir nicht ganz sicher -, dass die Anträge der FDVP-Fraktion und anderer Oppositionsparteien oft oder fast immer auf taube Ohren stoßen. Deshalb verwundert es mich natürlich heute nicht, dass Sie auf einen Redebeitrag verzichtet haben. Ich vermute einmal - ich denke, damit liege ich richtig -, dass auch dieser Antrag in bewährter Weise - jetzt möchte ich wieder Herrn Dr. Fikentscher zitieren - von Ihnen „abgeschmettert“ wird.

Bereits in der 29. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt haben Sie unseren Änderungsantrag - vielleicht wird sich der eine oder andere noch daran erinnern zum damaligen Antrag der PDS-Fraktion mit der Forderung, ausländische und deutsche Zwangsarbeiter gleichermaßen für erlittenes Unrecht zu entschädigen, mehrheitlich abgelehnt, ohne einen einzigen vernünftigen Grund dafür zu nennen. Ihnen ist wahrscheinlich auch kein Grund eingefallen, denn es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, außer dass man eine bestimmte Gruppe Entschädigungsberechtigter einfach benachteiligen möchte.

Ihre Entscheidung, meine Damen und Herren von den beiden roten und ganz roten Fraktionen, spiegelt eine Grundhaltung wieder, die mich fast erschrecken lässt.

(Unruhe bei der PDS)

Der Verbrechen der Deutschen wird gedacht. Aber die Verbrechen an Deutschen, die werden einfach ausgeblendet. In dieser Hinsicht muss ich nach dem Recht fragen. Es ist gut und richtig - das hat die FDVP-Fraktion mehrfach gesagt -, dass ausländische Zwangs- und so genannte Sklavenarbeiter des Naziregimes entschädigt werden.

Doch wer - die Frage stelle ich einfach noch einmal entschädigt die deutschen Zwangsarbeiter, die auch noch nach 1945 bis zu zehn Jahre lang unter zumeist katastrophalen Bedingungen in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten schwerste Arbeit leisten mussten? Dieses Unrecht wird totgeschwiegen, obwohl es genauso wie das an den Ausländern begangene Unrecht kriegs- und völkerrechtswidrig ist.

Es muss deshalb auch für Deutsche eine Gerechtigkeit geben. Die FDVP-Fraktion fordert mit ihrem Antrag nicht mehr und nicht weniger als genau diese Gerechtigkeit. Es wird Zeit, dass man sich auch seitens der deutschen Regierung daran erinnert und dafür sorgt, dass dieses Unrecht zumindest symbolisch wieder gutgemacht wird.

Ich wäre eigentlich zufrieden damit, Herr Schomburg, wenn es möglich wäre, über diese beiden Anträge im Ausschuss noch einmal detailliert zu beraten.

Ich kenne allerdings auch die Geschäftsordnung und befürchte, dass die sozialistische und auch die kommunistische Fraktion in geübter Manier dagegen stimmen werden. - Danke schön.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende der Debatte. Wir kommen zur Abstimmung. Von der CDUFraktion ist die Überweisung in den Innenausschuss beantragt worden. Wer stimmt dem Überweisungsantrag zu? - Gegenstimmen? - Der Überweisungsantrag hat keine Mehrheit gefunden.

Ich lasse jetzt abstimmen über den Antrag selbst. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 15 beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung

Gegen Schlussstrichmentalität - für eine sofortige rückhaltlose Aufklärung der Stasi-Verstrickungen von Mitarbeitern des MDR und für die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Senders

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/4437

Der Antrag wird eingebracht durch die Abgeordnete Frau Wiechmann. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heftigen öffentlichen Diskussionen über die Stasi-Verstrickungen des MDR sind, glaube ich, verständlich. Darin wird von den einen locker vom IMDR gesprochen, andere äußern sich nur über den MDR als Stasi

Sender. Für einige entlädt sich der Zorn darin, dass sie ohne Oliver Nix und Frank Liehr auf dem Bildschirm einen wesentlichen Bestandteil ihrer Fernsehwelt verloren haben.

Es gipfelt alles in der Verschwörungstheorie, dass „unser“ MDR mit seinen erfolgreichen Schunkelquoten um Carmen Nebel und Achim Menzel fertig gemacht werden soll, um eine unliebsame Konkurrenz innerhalb der ARD zu schwächen. So bieten sich die jetzigen Auseinandersetzungen hervorragend dafür an, alte Schlachten um Ossis und Wessis wiederzubeleben und auch auszutragen. Jeder versucht aus unterschiedlichen Ausgangsstellungen den endgültigen Sieg über die andere Position zu erringen.

An dieser Stelle sollte die Differenzierung einsetzen. Wir sollten zunächst einmal die unterschiedlichen Bewertungen des MDR-Programms außen vor lassen, auch wenn vielfältige, oft provozierende Artikel eine direkte FreundFeind-MDR-Bekennerdiskussion auslösen. Niemand ist dazu gezwungen, derartige Sendungen anzuschauen. Vielmehr hat jeder, je nach Geschmack und nach Sympathie, die Möglichkeit, diese Sendungen wegzuzappen oder - das wird viel zu selten genutzt - abzuschalten.

Keinem Geschmacksunterschied und keiner Sympathiebekundung sollten aber die Kriterien unterliegen, die der öffentlich-rechtlichen Anstalt hinsichtlich Informationen und Glaubwürdigkeit der Medien auferlegt worden sind.

Der Auftrag zur Gewährleistung einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung im Sinne einer umfassenden Vermittlung von Informationen und Meinungen stellt sich auch als Verfassungsauftrag dar.

Darauf gründet sich auch der Pressekodex, der die publizistischen Grundsätze zusammenfasst und dabei die Achtung vor der Wahrheit und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit als oberstes Gebot einordnet.

Wichtig dabei ist die Wahrung der Unabhängigkeit der Publizisten. Wir wissen natürlich auch, wie widersprüchlich die Verhältnisse zwischen selbst gesetzten und selbstbestimmten Idealen und der Wirklichkeit sind und welch verfeinerte Formen und Zwänge diese Unabhängigkeit auszuhebeln vermögen.

„Getürkte“ und frei erfundene Meldungen und Berichte in Zeitungen und Funk und Fernsehen, in durchaus seriösen Verlagen und Sendungen sind bekannt und oft nur durch Zufälle enttarnt worden.

Meine Damen und Herren! Journalisten sind natürlich derartigen Versuchungen bis hin zu Straftaten nicht hilflos ausgeliefert, sie sind einem Ehrenkodex verpflichtet. Das ist der Prüfstein für die journalistische Arbeit und auch für den Journalisten.

Wie verkommen aber muss ein Journalist sein, der unter dem Motto „Haltet den Dieb!“ in einer Fernsehsendung mit hoher Einschaltquote mit dem Brustton der Überzeugung die Entlarvung eines Kollegen als früheren IM vornimmt und dabei bereits den gähnenden Abgrund seines eigenen Absturzes vor den Füßen hat?

Es waren doch gerade die „Frontfrauen“ und die „Frontmänner“ des MDR-Bildschirms und des MDR-Funks, die als erbarmungslos selbstgerechte Enthüller oder selbst ernannte Moralisten über enttarnte IMs berichteten, interviewten und ihre Urteile fällten. Dabei war es nur eine Frage der Zeit und der Recherche, bis sie selbst demaskiert wurden. Das ist der Gipfel der Heuchelei und es ist in der Form einfach nicht mehr hinnehmbar.

Wenn sich diese Journalisten vom MDR dann zu ihrer Vergangenheit bekennen mussten, klang jedem Zuschauer und auch jedem Zuhörer der Satz in den Ohren: Ich habe doch niemandem geschadet.

Meine Damen und Herren! Der Intendant des Neuen Theaters in Halle Peter Sodann, einst als studentischer Kabarettist des „Rates der Spötter“ in Leipzig politisch verfolgt, eingesperrt und verurteilt, sagte mit der ihm eigenen Art zu einer solch kläglichen Haltung - ich zitiere, Frau Präsidentin -:

„Zum Kotzen finde ich allerdings dieses ewige ‚Ich habe niemandem geschadet!‘-Gejammer. Wer mitgemacht hat, hat auch geschadet.“

Der Volksmund sagt es treffend kurz und knapp: „Der größte Lump im Land, das ist der Denunziant.“

Wer es nicht ganz so grobschlächtig ausgedrückt lesen will, dem sei das Buch „30 Silberlinge - die Denunziation in Gegenwart und Geschichte“ von Karol Sauerland empfohlen. Der um Verständnis und Rechtfertigung heischende Satz „Ich habe niemandem geschadet“ wird vollends verworfen, wenn die dokumentierten Schicksale von politisch Verfolgten in der DDR herangezogen werden.