Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Sie liegen vollkommen falsch. Ich würde mich freuen, wenn Sie das noch nicht als Pressemitteilung herausgegeben haben, um mit einer Schimpf- und Schmutzkampagne in den Kommunalwahlkampf bei uns in Bitterfeld einzugreifen. Mancher denkt eventuell, dass er damit die Möglichkeit dazu hat.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Entschuldigung!)

Ich habe eine solche Sache nicht ausgeteilt. Ich kann Ihnen sagen, was ich gemacht habe. Ich war zum Beispiel im Gut Mösslitz. Dort habe ich mich zur Walpurgisnacht bereit erklärt, Wasser, Cola, Bier, Fanta und Wein mit auszuschenken. Ich habe dabei sehr genau darauf geachtet, wer etwas erhalten darf und wer nicht. Und ich habe auch darauf geachtet, wie alt die entsprechenden Personen waren.

(Herr Gebhardt, PDS: Wie haben Sie denn das Alter bestimmt?)

Demjenigen, der zu jung war und gesagt hat: Ich will das für Mutti oder für Vati, habe ich gesagt: Mein lieber Freund, dann schicke deine Mutter oder deinen Vater; von mir kriegst du kein Bier.

Ich muss Ihnen auch sagen: Meine Kollegin von der PDS Frau Ehlert stand auch einmal neben mir und hat ein Bier getrunken. Ich weiß nicht, ob sie auch einmal ein Bier ausgegeben hat. Ich habe damit kein Problem.

Aber bitte verleumden Sie mich hier nicht. Schießen Sie nicht die Bolzen ab, die andere drehen und die der Wahrheit entbehren, Herr Bischoff. Und wenn Sie Pharisäertum und Scheinheiligkeit anderen vorwerfen wollen, dann müssen Sie selbst davon frei sein. Das erwarte ich jetzt von Ihnen.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP)

Kollege Bischoff hat sich zu einer Erwiderung gemeldet. Ich gebe ihm das Wort dazu.

Herr Kollege Schulze, es hat mich tatsächlich erregt. Ich hatte es gehört und habe versucht, es vorher zu recherchieren, damit ich nicht in diese Falle laufe und Ihnen etwas unterstelle, was Sie nicht gemacht haben. Wenn Sie es nicht gemacht haben, dann bitte ich Sie in aller Form um Entschuldigung.

(Herr Schulze, CDU: Ist angenommen! - Beifall bei der CDU und bei der DVU)

Meine Damen und Herren! Als amtierende Präsidentin möchte ich ein Wort zu dem Verfahren, das im Ältestenrat gelaufen ist, sagen. Ich bitte darum, dass die parlamentarischen Geschäftsführer Ihre Fraktionen darüber informieren, dass wir künftig beim Eingang von Änderungsanträgen prüfen werden, ob sie zulässig sind oder nicht. Die Geschäftsordnung hat uns bisher keine Grundlage gegeben, zu unterscheiden, was zulässige und was nicht zulässige Anträge sind; das heißt, wir haben auf das Urteil des Verfassungsgerichts bisher nie reagiert.

Da wir von der Geschäftsordnung her kein Instrument in der Hand haben, werden wir im Zweifelsfalle oder wenn die Meinungen zwischen Präsidium und Teilen des Landtages abweichen, über die Zulässigkeit abstimmen lassen. - So viel zum Verfahren. Es wird dann eine Beratung der Geschäftsführer erfolgen und gegebenenfalls die Geschäftsordnung geändert. Ich glaube, das war ich dem Parlament zur Information schuldig.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über den Ursprungsantrag in der Drs. 3/4545 und über die Änderungsanträge in Drs. 3/4553 und 3/4567.

Ich bin der Auffassung, dass der Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 3/4567 der weitergehende ist und lasse darüber zuerst abstimmen, und zwar punktweise, wie es die PDS-Fraktion verlangt hat. Sollte dieser Änderungsantrag keine Mehrheit finden, lasse ich -

Herr Scharf, - ich habe das nicht mitbekommen - wären Sie bereit, den Punkt 4 des Antrages der FDVP in Ihren Antrag zu übernehmen?

(Herr Scharf, CDU: Ja!)

Dann würde sich die Abstimmung darüber erübrigen. Danke schön.

Das Verfahren ist klar. Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 1 der Drs. 3/4567. Wer Punkt 1 dieser Drucksache seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Gegenstimmen? Einige wenige Gegenstimmen. Enthaltungen? - Einige Enthaltungen. Damit hat der Punkt 1 des Änderungsantrages die Mehrheit gefunden.

Ich lasse über Punkt 2 des Änderungsantrags abstimmen. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das muss ich auszählen lassen. - Noch einmal die Jastimmen, bitte. - Die Neinstimmen. - Enthaltungen? Das Abstimmungsergebnis sieht folgendermaßen aus: Für Punkt 2 votierten mit Ja 29 Abgeordnete, mit Nein 43 Abgeordnete, der Stimme enthielt sich ein Abgeord

neter. Damit ist Punkt 2 dieses Änderungsantrags abgelehnt worden.

Ich lasse über Punkt 3 abstimmen. Wer stimmt Punkt 3 zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen und einer größeren Zahl von Enthaltungen ist Punkt 3 mehrheitlich gefolgt worden. Damit hat der Änderungsantrag mit Ausnahme des Punktes 2 eine Mehrheit gefunden.

(Herr Scharf, CDU, meldet sich zu Wort)

- Bitte, zur Geschäftsordnung.

Frau Präsidentin, damit der Wille der Fraktionen klar wird - unser Antrag ist ja nun im Wesentlichen überstimmt worden -, bitte ich Sie, eine Gesamtabstimmung über den teilweise veränderten Antrag durchzuführen.

Herr Kollege Scharf, dieses Thema hatten wir schon einmal im Ältestenrat. Sie hatten moniert, dass ich auf Wunsch der SPD zu einem Antrag eine Gesamtabstimmung habe durchführen lassen. Das wurde im Ältestenrat behandelt. Durch den GBD wurde klargestellt, dass über Anträge nicht gleichrangig wie über Gesetze abzustimmen ist. Demzufolge würde es bei Anträgen keine Gesamtabstimmung geben. Es tut mir Leid. Einmal so entschieden ist immer so entschieden. Ich kann das jetzt nicht anders behandeln.

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Das ist doch falsch!)

- So haben wir damals gemeinsam die Entscheidung gefällt, und wir, ich und die anderen Präsidenten auch, haben uns künftig daran gehalten. Ich bitte das zu akzeptieren, Kollege Scharf.

Ich lasse jetzt über den Antrag in der soeben beschlossenen Fassung abstimmen. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Gegenstimmen ist der Antrag in der soeben beschlossenen Fassung angenommen worden. Wir haben damit den Tagesordnungspunkt 14 beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung

Entschädigung für deutsche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/4359

Der Antrag wird durch die Abgeordnete Frau Wiechmann eingebracht. Bitte, Kollegin Wiechmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwangsund Sklavenarbeit waren Ausdruck einer grausamen Missachtung der Menschenrechte und bedeuteten die Deportation von Menschen aller Altersgruppen,

(Unruhe)

Entschuldigung, Frau Kollegin. - Meine Damen und Herren! Ich muss um etwas mehr Ruhe bitten.

die aller ihrer Rechte beraubt wurden, ihre brutale Behandlung und in vielen Fällen ihren Tod durch Erschöpfung und Misshandlung.

Ehemalige Zwangsarbeiter des Naziregimes erhalten eine Entschädigung von insgesamt 10 Milliarden DM aus Deutschland. Darüber haben sich die Verhandlungsführer Mitte Dezember vergangenen Jahres geeinigt. Von den deutschen Zwangsarbeitern nach dem Zweiten Weltkrieg spricht man nicht.

Wenn wir an die Opfer der Naziherrschaft erinnern, sollten wir auch jener unschuldigen Deutschen gedenken, denen in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten als Zwangsarbeiter schweres Leid und grausamste Behandlung widerfahren sind. Millionen deutscher Zwangsarbeiter wurden unter menschenunwürdigen Verhältnissen in den Jahren von 1941 bis 1955 in den osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten unter Bedingungen gehalten, die man als Sklavenarbeit charakterisieren muss.

Betroffen waren Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, Mütter, alte Frauen, Männer und Greise, deutsche Soldaten und andere Gefangene. Sie wurden elend ernährt, misshandelt, und es ist ihnen um nichts besser ergangen, als man es von deutschen Konzentrationslagern her gewohnt war.

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

Nach bisherigen Erkenntnissen kamen beispielsweise in einem von 1 255 polnischen Arbeits- und Deportationslagern von 8 064 Insassen 6 488 Insassen ums Leben. Darunter waren auch 628 Kinder. Viele der Zwangsarbeiter ließ man verhungern, prügelte man zu Tode oder man erschoss sie. Wer nicht arbeiten konnte, wurde ermordet.

In der Tschechoslowakei gab es 2 061 Arbeits-, Strafund Internierungslager, in Jugoslawien waren es 1 562. In Jugoslawien wurde zwischen Arbeitslagern und Lagern für Arbeitsunfähige unterschieden. In den letztgenannten Lagern wurden die Menschen systematisch vernichtet. Im größten jugoslawischen Vernichtungslager Rudolfsgnad sind von 33 000 deutschen Insassen 9 503 umgebracht worden, darunter 491 Kinder unter 14 Jahre.

Die Arbeitskraft der Häftlinge wurde oft bis zur Erschöpfung ausgenutzt. Einem Bericht eines internationalen Rot-Kreuz-Delegierten über seinen CSR-Besuch im August 1946 ist zu entnehmen:

„Das Problem der Freizeitgestaltung gibt es nicht, da es die Gefangenen vorziehen, nach ihrer Arbeit zu schlafen, statt sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.“

In Polen wurden die Kinder zum Teil von ihren Müttern getrennt, um die Arbeitskraft der Frauen besser ausbeuten zu können. Die polnische Regierung betrachtete die von ihren Eltern getrennten deutschen Kinder als Staatseigentum und war bestrebt, sie zu polonisieren.

Über planmäßiges Erschießen der arbeitsunfähigen Alten und Kranken wird aus verschiedenen Lagern berichtet. Die großen Zentrallager wie Sikawa bei Lòdz und Granowo bei Lissa wurden erst 1949 bzw. 1950 aufgelöst, ebenso das berüchtigte Lager Potulica bei Bromberg.

Allein in die Sowjetunion wurden nach 1945 etwa 700 000 Deutsche zur Zwangsarbeit verschleppt. Hunderttausende von deutschen Kriegsgefangenen mussten sich völkerrechtswidrig in Sibirien bis Mitte der 50erJahre zu Tode schuften. Erst nach 1955 kehrten die Überlebenden aus Russland heim.

Frauen und Kinder wurden einfach von der Straße weggefangen. Weit über zwei Millionen Deutsche sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch Vertreibung, Internierung und Zwangsarbeit zu Tode gekommen.

Meine Damen und Herren! Verantwortung beginnt mit der Wahrhaftigkeit und sie endet mit ihr. Es ist an der Zeit, dass die Prinzipien der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit für alle Menschen - auch für Deutsche - gelten.