Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

Meine Damen und Herren! Nachdem die Landesregierung gesprochen hat, steht Ihnen nach unserer Ge

schäftsordnung das Recht zu, sich noch einmal zu äußern. Gibt es seitens der Fraktionen Redebedarf? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann kommen wir zu den Abstimmungen.

Wir stimmen zunächst ab über die Beschlussempfehlung in der Drs. 3/4536, und zwar über alle selbständigen Bestimmungen. Die §§ 1 bis 6 liegen in der Fassung der Beschlussempfehlung vor. Der § 7 ist unverändert. Können wir darüber im Block abstimmen? - Es wird signalisiert, dass wir darüber im Block abstimmen können.

Wer sich der Beschlussempfehlung in der vorliegenden Fassung anschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen und einer großen Zahl von Enthaltungen ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Gesetzesüberschrift. Sie lautet: „Gesetz über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge im Land Sachsen-Anhalt (Vergabe- gesetz Sachsen-Anhalt)“. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen und einer großen Zahl von Enthaltungen ist die Gesetzesüberschrift so beschlossen.

Wir stimmen über das Gesetz in seiner Gesamtheit ab. Wer dem Gesetz zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Ich sehe das gleiche Abstimmungsverhalten. Somit ist das Gesetz angenommen. Das Gesetz ist beschlossen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Wir haben nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der PDS in der Drs. 3/4532 abzustimmen. Wer stimmt dem zu? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen und bei einer Anzahl von Enthaltungen ist der Entschließungsantrag angenommen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 6 abgeschlossen.

Wir setzen fort mit dem Tagesordnungspunkt 21:

Beratung

Sonderprogramm Ost für 2001 bis 2004

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/4491

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4561

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Professor Dr. Böhmer. Es folgt eine Fünfminutendebatte. Bitte, Herr Professor Böhmer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand soll von uns sagen, dass wir, die neuen Bundesländer, ein Fass ohne Boden wären. - Sie alle wissen, dass in den letzten zehn Jahren über die unterschiedlichen Finanzierungsstränge, den Fonds Deutsche Einheit, die Einbeziehung der neuen Bundesländer in den innerdeutschen Finanzausgleich und die Investitionsfördergesetzgebung, die wir inzwischen als Solidarpakt I bezeichnen, sehr viel Geld in die neuen Bundesländer geflossen ist. Davon kann man überall, in allen neuen Bundesländern, doch so viel sehen, dass der Spott und die Häme über den Begriff der blühenden

Landschaften, an die wir uns auch noch erinnern, nunmehr kaum noch von jemandem aufgegriffen wird.

(Beifall bei der CDU)

Ich weiß noch ganz genau, wie wir Anfang der 90erJahre, auch in diesem Haus, über die Probleme und über diesen Begriff gestritten haben. Ich stelle jetzt fest, dass alle, die damals versucht haben, die Sache schlechtzureden, heute dorthin fahren und sich vor den Leistungen der letzten zehn Jahre fotografieren lassen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Wiechmann, FDVP)

Das ist ein gutes Zeichen. Wir haben alle etwas dafür getan.

Wir wissen auch, dass diese Aufbauleistung noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben erfahren, dass sie länger gedauert hat und länger dauern wird, als wir es selbst vermutet haben. Wir hören davon, dass auch die Verhandlungen zum so genannten Solidarpakt II auf einem guten Weg sind. Davon ist jetzt und hier und in diesem Antrag eigentlich nicht die Rede.

Die Tatsache, dass wir diesen Antrag gestellt haben und dass dieses Thema in der letzten Zeit in allen neuen Bundesländern thematisiert wird, hängt damit zusammen, dass etwa in den letzten zwei Jahren die Entwicklung und das Wirtschaftswachstum in den beiden ehemaligen Teilen Deutschlands wieder auseinander gehen. Die Schere zwischen Ost und West ist in den letzten Jahren wieder, und zwar mit steigender Tendenz, aufgegangen.

Die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts war im Jahr 2000 in den alten Ländern durchschnittlich zweieinhalbmal höher als in den neuen Ländern. Die Steuerkraft beträgt im Osten lediglich etwa ein Drittel der des Westens.

Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist immer noch im Durchschnitt zweieinhalbmal höher als in den alten Bundesländern. Trotz beachtlicher Neuansiedlungen und trotz des Ausbaus insbesondere des Dienstleistungssektors haben sich die Arbeitsmarktprobleme in den neuen Bundesländern in der letzten Zeit wieder verschärft. Sachsen-Anhalt ist dabei - das wissen Sie - immer noch Spitzenreiter.

Etwa seit 1998 sehen sich die neuen Bundesländer mit einer stärker zunehmenden Abwanderung in Richtung Westen konfrontiert. Das hat allerdings nicht zu einem Rückgang der Arbeitslosenquote geführt und wird insbesondere langfristig negative Auswirkungen haben, die wir hier bereits besprochen haben. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen Antrag, der von der PDSFraktion gestellt wurde und der dies thematisiert hat.

Wir haben jetzt einen negativen Wanderungssaldo zu verzeichnen. Das ist eigentlich nicht sonderlich schlimm; das könnte sich sogar relativ rasch umkehren lassen. Das eigentliche Problem ist, dass es zu einer demografischen Entschichtung gekommen ist, das heißt, dass insbesondere junge Leute zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr das Land verlassen. Die Demografen haben längst berechnet, welche Konsequenzen das für die nächsten 20 bis 50 Jahre haben wird und haben muss, wenn nicht gegengesteuert wird.

Ich will diese Diskussion jetzt nicht wieder aufmachen. Ich möchte nur auf einen Artikel aus einer deutschen Wochenzeitschrift verweisen, der selbst mich stutzig gemacht hat. Darin wird uns vorgerechnet, dass die

demografische Entschichtung, das erhebliche Geburtendefizit und die Verringerung der Zahl der Erwerbspersonen, die sich bis etwa 2050 halbieren wird, eine demografische Verschiebung zur Folge haben werden, wie es sie seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im mitteleuropäischen Raum nicht mehr gegeben hat. Diese Konsequenzen kann man nicht ernst genug nehmen, wenn man über die eigene Legislaturperiode hinaus denkt und sich verantwortlich fühlt.

Das bedeutet, dass wir jetzt praktisch zwischen dem Solidarpakt I und dem bevorstehenden Solidarpakt II ein unerwartetes, von niemandem in dieser Weise vorhergesehenes Problem haben, dem gegengesteuert werden muss, wenn all das, was mit dem Solidarpakt I gewollt war und mit dem Solidarpakt II fortgesetzt werden soll, tatsächlich den gewollten politischen Erfolg haben soll.

Das heißt, wir müssen in den nächsten Jahren mit einem Instrumentarium, über das nachzudenken ist, und mit einem Sonderprogramm, das aufgelegt werden muss, erreichen, dass wir möglichst rasch, innerhalb von acht bis maximal zehn Jahren - das wird schon zu viel sein -, innerhalb von sechs bis acht Jahren eine Lohnangleichung erreichen und dass wir Arbeitsplätze auch für junge Menschen schaffen, damit sie hier bleiben, damit all das wirksam werden kann, was mit dem geplanten und projektierten Solidarpakt II, der kommen wird - das wissen wir -, erreicht werden soll.

Die unerwartete Entwicklungsschere hat dazu geführt, dass auch in der innerdeutschen Politik in Bezug auf die Angleichung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse nachgesteuert werden muss, um zu erreichen, dass das Auseinanderentwickeln, das so nicht vorhersehbar war das will ich niemandem in die Schuhe schieben; denn das ist politisch nicht instrumentalisierbar -, aufgefangen wird, um die weitere Entwicklung der neuen Bundesländer nicht zu gefährden.

Das war der Grund, weshalb von einzelnen Ministerpräsidenten, insbesondere von Ministerpräsident Vogel aus Thüringen, öffentlich ein Sonderprogramm Ost gefordert wurde, das genau dieses Auseinanderdriften der Entwicklungsschere auffangen soll.

Auch wenn wir zu Einzelheiten natürlich unterschiedliche Standpunkte haben werden, halte ich es doch für erwähnenswert, dass mit dem beantragten Sonderprogramm ein Finanzierungsvorschlag gemacht wurde, der realistisch ist. Es soll nicht in geschlossene Haushalte eingegriffen werden. Es sollen nur überschüssige Gewinne oder nicht notwendige geplante Ausgaben aus dem Bundeshaushalt, zum Beispiel die an die Bundesanstalt für Arbeit, zu einem Sonderprogramm Ost zusammengefasst werden, damit das Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Entwicklungsgeschwindigkeit abgefangen werden kann.

Man kann natürlich sagen: Wenn die Bundesbank Gewinne in Höhe von, glaube ich, 9 Milliarden DM mehr als geplant einnimmt, dann ist per Gesetz geregelt, dass dies in den Erblastentilgungsfonds überführt werden soll. Ich sage jedoch: Eine solche gesetzliche Vorschrift ist leichter zu ändern, als etwa ein Eingriff in einen geschlossenen Haushalt vorzunehmen ist. Wer weiß, wie schnell man Gesetze ändern kann - wir haben das im Dezember 1998 erlebt -, der weiß, dass an dieser Stelle keine Handlungsbarrieren aufgebaut werden können.

Es gibt im Bundeshaushalt auch Einsparungen bei den Zinsausgaben; denn die Zinsentwicklung ist anders ver

laufen, als dies bei der Aufstellung des Haushaltes geplant wurde. Es gibt darüber hinaus Privatisierungserlöse und Rückflüsse von EU-Mitteln, die ebenfalls nicht eingeplant waren.

Lediglich dieser Bereich, in dem aktueller Gestaltungsspielraum besteht, ohne dass in Haushaltsbeschlüsse eingegriffen werden muss, soll gemäß dem Vorschlag zu einem Sonderprogramm zusammengefasst werden, mit dem in dem Zeitraum von 2001 bis 2004 eine Gegensteuerung der wirtschaftlich auseinander driftenden Entwicklung erreicht werden soll, damit der geplante und konzipierte Solidarpakt II die Entwicklung des Solidarpaktes I fortsetzen kann.

Je weiter die Schere auseinander gleitet, umso größer wird der finanzielle Aufwand sein, um zunächst den Zustand wiederherzustellen, den wir ungefähr bis 1997/98 hatten, als man davon ausging, dass es langsam zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung kommt.

Wir haben in unserem Antrag keine speziellen Vorschriften gemacht, über welche Förderprogramme dies laufen könnte. Lediglich in der Begründung wird darauf hingewiesen, dass eine kommunale Investitionspauschale das Instrumentarium sei, mit dem man am schnellsten das Geld in Aufträge umsetzen könne.

Ich weiß, dass ich von dieser Stelle aus auch schon gegen kommunale Investitionspauschalen votiert habe. Das ist ein Instrumentarium, das jedem Finanzpolitiker nicht so richtig schmeckt. Dafür habe ich Verständnis, aber ich weiß auch, dass man dieses Instrument dann, wenn es darum geht, möglichst schnell finanzielle Mittel umzusetzen, sodass sie in den Wirtschaftskreislauf einfließen und dazu führen, dass Aufträge ausgelöst werden, ausnahmsweise anwenden kann, um die Zeit zu überbrücken, die man für die Strukturierung von Förderprogrammen braucht, mit denen dann eine - das gebe ich zu - sachgerechtere Förderpolitik betrieben werden kann.

Damit haben wir keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich kann mich an den Anfang der 90er-Jahre erinnern, als kein Jahr verging, in dem die Kommunalpolitiker uns nicht aufgefordert haben, dieses Instrumentarium aufzulegen. Deshalb haben wir daran erinnert, ohne es jedoch in den Beschluss hineinzuschreiben. Ich denke, die grundsätzliche Entscheidung, die wir heute erbitten, soll nicht an einer Diskussion über die einzelnen Instrumentarien festgemacht werden.

Ich komme später noch auf den Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu sprechen. Die dort vorgegebenen Ziele Innovationsförderung und Entwicklung der Infrastruktur sind absolut notwendige Ziele, die, denke ich, von allen unterstützt werden und die unter uns nicht strittig sein sollten. Uns geht es jetzt nicht um diese Einzelheiten, uns geht es prinzipiell darum, dass das Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Solidarpakt I und Solidarpakt II mit einer Sondermaßnahme abgefangen wird.

Eines ist uns allen doch klar: Nicht nur die Probleme der zukünftigen EU-Erweiterung, die bevorsteht, auch die demografischen Probleme verlangen von uns in den neuen Bundesländern, dass wir genau dieses Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Entwicklung in einem Zeitraum von vier bis maximal sechs Jahren abfangen müssen, damit wir erreichen, dass die weitere Aufbauleistung wie ursprünglich konzipiert - in einem Zeitraum, der ohnehin länger dauern wird, als wir im Jahr 1993

gedacht haben - auch tatsächlich vonstatten gehen kann und organisierbar ist.

Ich erinnere mich an die Solidarpaktverhandlungen im Jahr 1993 - eine Zeit, in der die SPD bei den Solidarpaktverhandlungen noch von Herrn Engholm und Herrn Scharping vertreten wurde -, als es innerhalb von drei Tagen nicht ohne Schwierigkeiten gelungen ist, dieses Paket zusammenzuschnüren. Ich beobachte jetzt, wie die Diskussionen verlaufen, einen Solidarpakt II zusammenzuschnüren. Ich bin ganz sicher - niemand wird widersprechen -, dieser Solidarpakt II wird kommen, wie immer er am Ende auch aussehen mag.

Aber diese geplante Entwicklung wird nur so verlaufen, wie wir es erhoffen, wenn wir alle zwischenzeitlichen und nicht vorhergesehenen Entwicklungen, wie die jetzige, tatsächlich abfangen, durch Gegensteuern abfangen können. Das ist die aktuelle Aufgabe, zu der wir im Grunde genommen mit einem Landtagsbeschluss die Landesregierung nicht nur ermutigen, sondern sie dabei auch unterstützen wollen.

Ich habe die Diskussion in den letzen acht Wochen in den Medien dazu verfolgt. Ich halte es nicht für wichtig, jetzt darauf einzugehen. Das würde ich nur machen, wenn die geplante Diskussion eine solche Notwendigkeit ergibt.

Wir bitten um die grundsätzliche Zustimmung aller Fraktionen zu der vorgesehenen Absicht, die Landesregierung durch ein Votum des Landtages in der Intention zu unterstützen, dass ein Sonderprogramm gestartet werden muss, um die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern, das heißt auch bei uns in Sachsen-Anhalt wieder in jene Richtung zu bringen, die mit der gesamten Konzeption der Gestaltung der innerdeutschen Einheit durch den Solidarpakt I und den Solidarpakt II geplant war. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Dr. Fikentscher, SPD, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, begrüßen wir Damen und Herren des Fortbildungs- und Integrationstrainings-Bildungswerkes Halberstadt sowie Damen und Herren der Fachhochschule der Polizei Aschersleben ganz herzlich.

(Beifall im ganzen Hause)