Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

Diskutiert wurde, ob Berufsbildungspolitik auch für Migrantinnen Vorsorge zu treffen hat, die als Flüchtlinge ohnehin einen unterschiedlichen Aufenthaltsstatuts haben.

Es wurde darüber diskutiert, ob auch diejenigen einzukalkulieren sind, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Ausbildung abbrechen oder unterbrechen, ob Mobilität Jugendlicher Voraussetzung sein kann oder muss.

Diskutiert wurde, ob die Forderung nach einer qualifizierten Berufsausbildung für alle Jugendlichen heute und zukünftig aus bildungs- und wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus noch aufrechterhalten werden kann, welche Qualitätsanforderungen, welche didaktischen und methodischen Grundsätze die berufliche Erstausbildung in den nächsten Jahren prägen werden, ob es nicht Spezialangeboten für bestimmte Personengruppen, insbesondere für Jugendliche ausländischer Herkunft, bedarf, welche Berufe gebraucht werden, um überhaupt bedarfsgerecht auszubilden, wie es im Zuge der europäischen Vereinigung aussieht, ob es Steuerungsmechanismen bedarf für die Erstausbildung und welche Auswirkungen das auf Jugendliche mit schlechten Startchancen haben wird.

Seit der Veröffentlichung des Gutachtens sind gut anderthalb Jahre vergangen. Nun ist es Zeit nachzufragen, was genau die Landesregierung von den konkreten Empfehlungen, die das Lutz-Gutachten gegeben hat, umgesetzt hat bzw. wie der Stand der Diskussion diesbezüglich ist.

Die Empfehlungen zielten in zwei Richtungen. Erstens geht es um die Vereinheitlichung und Vereinfachung von Richtlinien, Zuständigkeiten und Bewilligungspraktiken bei den Programmen zur Förderung von Ausbildungsplätzen in privaten Unternehmen und zur Förderung im Bereich der so genannten Überbedarfsausbildung.

Angerissen wurde die regionale Differenzierung der Fördersätze, die vor allen Dingen deshalb so problematisch erscheint, weil nur nach sehr großflächigen Arbeitsamtsbezirken unterschieden wird, sodass in benachbarten Landkreisen, in denen dieselbe Problemlage festzustellen ist, die aber zu verschiedenen Arbeitsamtsbezirken gehören, unterschiedliche Fördersätze gewährt werden.

In dem Lutz-Gutachten sind des Weiteren folgende Punkte angesprochen: der generelle Ausschluss der Kommunen und der Unternehmen der öffentlichen Hand aus der Förderung, eine größere Verstetigung der Förderung und die Vermeidung unvorhersehbarer jährlicher Variationen der Förderbedingungen und der Förderhöhe - kurz: mehr Transparenz - und die Förderung weniger strategischer Fördertatbestände vor allem zugunsten der erstmaligen Ausbildung und der Ausbildungskooperativen und -verbünde sowie eine Ausbildung mit hoher Qualität in zukunftsfähigen Berufen.

Des Weiteren empfiehlt das Lutz-Gutachten, die Wirtschaft stärker in die Verantwortung zu nehmen und einen schrittweisen Rückzug des Staates aus der Förderung in der Fläche anzustreben. Dies soll im Rahmen eines mehrjährigen Konzeptes erfolgen.

Außerdem geht es darum, der prognostizierten demografische Falle, von der vorhin schon gesprochen wurde, entgegenzuwirken. Es geht aber auch um die Entwicklung neuer Formen der Arbeitsteilung und der Zusammenarbeit von Schule, Betrieben und Bildungsträgern, die in dieser Struktur, die zurzeit im Lande existiert, zukünftig nur eine Chance haben werden, wenn sie über die Bewältigung der aktuellen Lehrstellenknappheit hinaus gemeinsam überlegen, welche Potenziale in dieser Struktur vorhanden sind und wie diese Potenziale besser genutzt werden können.

Dies und weitere Empfehlungen können von allen Abgeordneten in dem Gutachten nachgelesen werden. Je größer der Zeitraum wird, in dem die berufliche Erstausbildung in der privaten Wirtschaft in großer Breite und mit einem hohen Mitteleinsatz gefördert wird, desto wichtiger ist es für uns, genauer zu betrachten, welche Erfolge letztendlich entstehen.

Die PDS-Fraktion glaubt, dass die Förderung sich stärker als bisher auf bestimmte Zielgruppen und Fördertatbestände konzentrieren sollte, bei denen besondere Hebel- oder Folgewirkungen zu erwarten sind.

Die PDS-Fraktion glaubt, dass mit dem Gutachten ein wichtiger Beitrag zum Umsteuern in der Förderpraxis vorgelegt wurde. Diesbezüglich gilt es, genau zu analysieren und konkrete Schritte dazu umzusetzen, die längerfristige Ziele und Perspektiven verfolgen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Metke, SPD)

Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht jetzt der Minister Herr Dr. Harms.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ferchland, ich möchte zunächst einmal mit der Feststellung beginnen, dass die Förderung der Ausbildung im Land Sachsen-Anhalt in der Tat eine hervorragende Wirkung erzielt hat. Kein Land hat eine derart gute Ausbildungsquote wie Sachsen-Anhalt. Das sollte an dieser Stelle auch betont werden. Es gibt oft Debatten darüber, worauf man stolz sein sollte - darauf sollten wir jedenfalls stolz sein.

(Zustimmung von Herrn Siegert, SPD)

Die Landesregierung hat im Jahr 1998 ein Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem wir untersuchen wollten, welche strukturellen Probleme sich aus der Situation der

Ausbildungsförderung - auch des hohen Anteils der Ausbildungsförderung - ergeben. Einige Punkte sind gerade genannt worden.

Herr Lutz definiert in seinem Gutachten insbesondere eine Förderfalle, auf den Tatbestand der Gewöhnung an hohe Subventionen im Bereich der Wirtschaft bezogen. Er erwähnt die demografische Falle, also die Probleme, die sich aus dem demografischen Umbruch ergeben, den wir seit 1990 in den Krippen erleben und in absehbarer Zeit auch im Bereich der Fachkräftestruktur erleben werden.

Darüber hinaus erwähnt er inhaltliche Probleme, die sich aus dem, was an Ausbildungsangeboten im Verhältnis zum realen Bedarf in der Wirtschaft vorhanden ist, ergeben.

Über allem steht - das möchte ich im Namen der Landesregierung deutlich sagen - der Satz: Ausbildung ist zuallererst Aufgabe der Wirtschaft.

(Zustimmung bei der PDS)

Wenn Mangelsituationen über Jahre dazu führen, dass über Subventionstatbestände mehr und mehr ungewollte Steuerungseffekte entstehen, dann ist ein solches Gutachten ein Anlass dafür, sehr intensiv darüber nachzudenken, wie man diesen Effekten entgegensteuern kann.

Es gibt allerdings einen Konsens in der Diskussion, die wir insbesondere auch im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit geführt haben, dahin gehend, dass jedem jungen Menschen in diesem Land ein Ausbildungsplatz angeboten werden soll. Diese Politik werden wir gemeinsam mit der Arbeitgeberseite, mit den Kammern und den Verbänden sowie den Gewerkschaften fortsetzen.

Über dieses Gutachten, das inzwischen als Band 14 in der Dokumentationsreihe „Forschungsbeiträge zum Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt“ publiziert vorliegt, ist am 14. Juli 1999 zum ersten Mal in einem Bündnisspitzengespräch gesprochen worden. Im Juli 1999 ist im Kabinett über die Umsteuerung der Ausbildungsförderung gesprochen worden. Seitdem ist es regelmäßig Gegenstand der Untersuchungen des Bündnisses und der zentralen Arbeitsgruppe.

Darüber hinaus haben wir gesagt: Es gibt auch Diskussionsbedarf im Bereich der betrieblichen Ausbildung. Im Bündnis sind wir mit der Arbeitgeberseite übereingekommen, dass es in dieser Hinsicht eine ergänzende Untersuchung geben soll.

Professor Lutz wurde beauftragt, unter dem Titel „Stand und Entwicklungsperspektiven betrieblicher Erstausbildung in Sachsen-Anhalt“ ein weiteres Gutachten vorzulegen, das nach dem derzeitigen Stand etwa Ende Juli 2001 vorliegen wird.

Deshalb glaube ich, dass die vorgeschlagene Berichterstattung im Ausschuss sinnvoll und richtig ist. Es ist richtig, dass über diese Maßnahmen kontinuierlich geredet werden muss. Es ist aber ebenfalls sinnvoll, dieses zweite Gutachten in die Überlegungen mit einzubeziehen, sodass eine Diskussion nach der Sommerpause am sinnvollsten erscheint. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Sobetzko.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass zu diesem Thema von der Landesregierung wenigstens eine Person mit Standhaftigkeit vertreten ist. Vielen Dank, Herr Harms.

(Minister Herr Dr. Harms: Mit Sitzfleisch!)

Ich meine, der vorliegende Antrag der PDS-Fraktion fordert letztlich eine Stellungnahme der Landesregierung zum aktuellen Stand bei der beruflichen Erstausbildung in Sachsen-Anhalt heraus.

Ich möchte dazu auf eine aktuelle Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Länder hinweisen. Am 28. März dieses Jahres wurde in dem dazu erarbeiteten Ergebnisprotokoll festgehalten, dass die ostdeutschen Länder nicht in ausreichendem Maße über Fachkräfte verfügen und Ausgebildete abwandern -; das haben wir heute schon mehrfach gehört. Darüber hinaus wurde in dem Protokoll festgehalten, dass weiterhin eine angespannte Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt vorherrscht und dass alle Anstrengungen zu unternehmen sind, um eine ausreichende Anzahl an Ausbildungsstellen anbieten zu können.

Ministerpräsident Herr Höppner hat das mitformuliert. Wir wissen, dass das insbesondere auch für unser Land gilt. In dieser Hinsicht müssen wir verstärkt wirksam werden.

Aufgrund dieser uns bekannten Tatsache hat sich der Landtag mehrfach mit dem Problem der beruflichen Erstausbildung beschäftigt und die Landesregierung in eine Reihe von Handlungszwängen gebracht, zuletzt das muss gesagt werden - in der 39. Sitzung aufgrund eines umfangreichen Beschlusses vom 4. Mai 2000, der nach Anträgen der SPD- und der CDU-Fraktion gefasst worden ist.

Der Entschließungsantrag basiert letztlich auf dem LutzGrünert-Gutachten von Juni 1999. Dieses stützt sich auf Ergebnisse aus den Jahren 1998 und 1999, also auf einen Zeitraum vor etwa drei Jahren. Deshalb begrüße ich, dass jetzt eine entsprechende Ergänzung in Auftrag gegeben wurde.

Da das Ergebnis auch in die Beschlusslage des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit einging, meine ich, dass eine Situationsbeschreibung außerordentlich aufschlussreich ist.

Wir stimmen dem vorliegenden Antrag der PDS-Fraktion daher zu, allerdings, meine Damen und Herren, unter Berücksichtigung der zum oben genannten Landtagsbeschluss bereits erfolgten Berichterstattung vom 25. Juli 2000.

Das Eigenartige hierbei ist, meine ich, dass diese Berichterstattung dem Antragsteller offenbar entgangen ist. Diese Berichterstattung der Landesregierung liegt vor, sie ist aber im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft und im Wirtschaftsausschuss nicht behandelt, sondern nur zur Kenntnis genommen worden. Das hat mich sehr verwundert, als ich das Ganze jetzt überprüft habe. Ausschließlich im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist das besprochen worden, allerdings ohne die notwendigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Das heißt, das Gutachten hätte schon entsprechend bewertet werden können. Diese Chance ist nicht genutzt worden. Das bedauere ich aus dieser Situation heraus sehr.

Meine Damen und Herren! Ich möchte daher aus meiner Sicht noch einige Hinweise geben.

Erstens. Die Landesregierung bezieht sich in der Bildungsarbeit in Bezug auf Ausbildung vorwiegend auf das Lutz-Grünert-Gutachten. Natürlich gibt es auch viele andere Gutachten. Die darin vorgegebenen Leitsätze werden aber, meine ich, aus gegenwärtiger Sicht nur unzureichend umgesetzt.

Beispiele: Lutz/Grünert fordern Transparenz und Verstetigung. Hierzu gibt es im Bericht der Landesregierung vom 4. Mai 2000 keine Anmerkungen. Kein Wunder, denn die Fördersätze werden ja von der Landesregierung ständig verringert und sind im Sozialministerium für das Jahr 2001 nur noch hälftig vorgesehen. Förderprojekte werden nivelliert bzw. auf Null gesetzt. Das wissen Sie. Noch nie kam die Förderrichtlinie so spät heraus wie in diesem Jahr.

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

Die Kammern bemängeln das, und ich werde den Verdacht nicht los, meine Damen und Herren, man wartet ab, damit Ausbildungsverträge ohne Förderung abgeschlossen werden, bzw. man geniert sich, diese stark reduzierten Fördersätze zu zeitig in die Öffentlichkeit zu bringen.

Ein weiteres Beispiel: Das von der Landesregierung favorisierte Modell BBS in Kooperation mit der Wirtschaft soll aus verschiedenen Gründen auf Null zurückgefahren werden. Wo ist der Ersatz für diese nicht vorhandene Verstetigung? Was haben Sie jetzt im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit beschlossen? Ich möchte die Landesregierung auch in diesem Falle ermuntern, nicht so lange zu warten, bis die demografische Korrektur alles von selbst erledigt hat.

Meine Damen und Herren! Jetzt meine weiteren Hinweise. Minister Harms wies mit Recht darauf hin, dass die Ausbildung eine Sache der Wirtschaft ist. Aber Auswanderung und Ausbildung unserer Jugendlichen und Standortqualität sind nun einmal abhängig von der Weiterentwicklung der Wirtschaftskraft in unserem Land. Ich nenne nur noch diese Zahl: Die hohe Insolvenzrate 1 644 Unternehmen im vergangenen Jahr -, die höchste Zahl an Gewerbeabmeldungen und die fehlende Unternehmensrate - in diesem Land 40 000, angenähert an die alten Bundesländer - sind Probleme. Dabei müssen wir allerdings gemeinsam nach Lösungen suchen. Ich empfehle dazu auch die konsequente Auswertung der Studie des IWH.

Als Drittes würde ich sagen, meine Damen und Herren, die aktuellen Beschlüsse der KMK zur Verbesserung der Attraktivität des Lehrerberufs und zur Absicherung der Unterrichtsversorgung sollten in den zuständigen Gremien für unser Land ausgewertet werden. Das betrifft insbesondere die Kompetenz in der Fremdsprachenvermittlung. Ich nenne das Fremdsprachenzertifikat. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht dort, wo wir sein müssten. Inzwischen gibt es in Hamburg eine entsprechende Auswertung. Ich hoffe, das wird von uns vernünftig genutzt.

Viertens. Unsere Ausbildung muss den modernen Anforderungen des geeinten Europas angepasst werden. Das heißt, auch unsere duale Ausbildung - sie betrifft immerhin zwei Drittel unserer Schüler - muss den notwendigen Reformschub vertragen können.

Weitere Bemerkungen will ich mir ersparen.

Zu Beginn des Ausbildungsjahres sollten wir schon überlegen, meine Damen und Herren, ob wir über das