Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

Zu Beginn des Ausbildungsjahres sollten wir schon überlegen, meine Damen und Herren, ob wir über das

bisherige Lutz-Grünert-Gutachten noch einmal diskutieren. Wir haben es bisher nicht gemacht.

Herr Dr. Sobetzko, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben Ihre Zeit weit überzogen.

Ich habe gerade gesagt, ich komme zum Schluss. - Ich bedauere es, wenn gesagt wird, dass man erst das nächste Gutachten abwarten wolle. Ich bin dafür, dass wir das vor der Sommerpause in den Ausschüssen andiskutieren und uns im Herbst nochmals parlamentarisch damit beschäftigen. Das wäre mein Vorschlag. Den anderen Vorschlag halte ich nicht für sinnvoll, weil dann bereits das nächste Ausbildungsjahr beginnt. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Auf der Tribüne haben wir neue Gäste zu begrüßen. Wir begrüßen ganz herzlich Schülerinnen und Schüler des Liborius-Gymnasiums Dessau.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte wird fortgesetzt. Ich erteile der Abgeordneten Frau Brandt für die DVU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Werte Herren und Damen! Wenn die Landesregierung vor drei Jahren das Zentrum für Sozialforschung in Halle beauftragt hat, eine vergleichende Studie über die existierenden Förderprogramme im Bereich der beruflichen Erstausbildung zu erstellen, dieser Bericht schon seit zwei Jahren vorliegt und bis heute von der Landesregierung noch nicht im Parlament behandelt worden ist, so kann man doch mit Häme behaupten, dass seitens der Landesregierung kein besonderes Interesse daran besteht. Man hat sich wohl schon damit abgefunden, dass die berufliche Erstausbildung mehr und mehr in den anderen Bundesländern stattfindet.

Wie Frau Ministerin Kuppe beim Neujahrsempfang der Handwerkskammer Halle berichtete, hatten Ende September 2000 knapp 99 % der Jugendlichen in SachsenAnhalt einen Ausbildungsplatz - ein Ergebnis wie bei den DDR-Wahlen. Zählte man gerechterweise die dramatische Abwanderung aus unserem Land hinzu, käme allerdings ein anderes, nicht sehr erfreuliches Ergebnis heraus.

Da in den nächsten Jahren mit einer Abwanderung hoch qualifizierter Facharbeiter in den Rentenstand zu rechnen ist und parallel dazu die demografische Falle zuschlägt, wie Professor Lutz das bezeichnet, kommen auf den gewerblichen Mittelstand und das Handwerk harte Zeiten zu.

Mit „demografischer Falle“ meint Professor Lutz den dramatischen Geburtenrückgang nach der Wende bis 1996. Gerade das Handwerk, welches sich nach der Wende wie der Phoenix aus der Asche entwickeln musste und auch entwickelt hat, sieht sich bald in seiner Existenz gefährdet, weil in naher Zukunft keine Lehrlinge mehr zu finden sein werden. Dies tritt ungefähr ab den Jahren 2006/2007 ein.

Es ist der Landesregierung darum dringend anzuraten, sich schleunigst mit den Ausbildungsträgern, den Handwerkskammern und den IHK zusammenzusetzen, um zu erörtern, wie man der Lage noch einigermaßen Herr werden könnte. Beteiligungen seitens des Landes an Ausbildungsverbänden wären nur ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch Rückkehrprämien für ehemals abgewanderte Jugendliche wären denkbar. - Danke.

(Zustimmung von Herrn Büchner, DVU)

Danke sehr. - Der Abgeordnete Herr Siegert spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Brandt, ich muss mich wirklich wundern, wie ideologisch verbohrt Sie hier vortragen.

(Zustimmung von Frau Krause, PDS)

Die Zahl der Ausbildungsplätze, die wir anbieten, beweist sehr wohl, wie sich die Landesregierung und wie sich dieses Parlament für die Situation der Auszubildenden interessiert und dafür einsetzt. Es ist absurd, das mit Ergebnissen der DDR-Wahlen zu vergleichen. Wissen Sie, Sie können Äpfel und Birnen vergleichen, Sie dürfen sich aber nicht wundern, wenn Sie zu Pflaumen als Ergebnis kommen. Das ist einfach ärgerlich.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Dirlich, PDS)

Natürlich hat uns der vorliegende Antrag insofern überrascht, als es im Rahmen des Selbstbefassungsrechts den Ausschüssen zugestanden hätte, sich mit diesem Gutachten zu beschäftigen. Daher ist zwischen 1998 und 2000 eine ganze Menge Zeit verloren gegangen. Gleichwohl hat sich die Landesregierung in den vergangenen Monaten und Jahren sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt, auch im Parlament, auch in den Ausschüssen, zu ganz unterschiedlichen Bereichen, seien es die Sonderprogramme Berufsfachschule in Kooperation mit der Wirtschaft, die Einstellung von Berufsschullehrern, die Stärkung der Selbständigkeit von Berufsschulen.

Nach intensiven Diskussionen hat auch die überaus erfolgreich arbeitende ZAG vor wenigen Tagen beschlossen, die Verbundausbildung zu stärken und auszubauen, die berufliche Qualifizierung zu modularisieren, verstärkt Maßnahmen zur praxisnahen Berufsvorbereitung für Schulabgänger zu initiieren und, wie seinerzeit eben auch im Lutz-Gutachten gefordert, die Förderung von Ausbildungsplätzen zu straffen.

Der vermittelte Eindruck, es sei in den letzten Monaten oder Jahren überhaupt nichts geschehen, ist also schlicht unzutreffend.

(Zustimmung von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Wir wissen, wie sehr sich die SPD-Fraktion und insbesondere die Landesregierung in den vergangenen Monaten und Jahren immer für die Berufsausbildung interessiert und eingesetzt haben. Gerade unser Ministerpräsident hat sich dafür außerordentlich engagiert und er wird dies auch in Zukunft tun. Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Berufsausbildung ist in der SPD-Fraktion und in dieser Landsregierung gut aufgehoben.

(Zustimmung bei der SPD)

Deshalb hat die Landesregierung, worauf auch Herr Minister Dr. Harms hinwies, zwischenzeitlich eine vertiefte Analyse der betrieblichen Ausbildung in Auftrag gegeben. Dieser Abschlussbericht wird im Juli vorliegen. Wir halten es für sinnvoll, eine Berichterstattung erst nach Vorlage und Auswertung dieses Berichts vorzusehen. Deshalb stimmen wir der Überweisung zu und regen an, eine Berichterstattung im September dieses Jahres vorzunehmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr. - Eine Frage?

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Ja!)

Herr Dr. Sobetzko, bitte.

Stimmen Sie mir darin zu, dass man Folgendes berücksichtigen sollte: Wir haben die Bewertungen zum LutzGrünert-Bericht am 25. Juli vorgelegt bekommen. Dieser Bericht ist nicht ausgewertet worden. Warum soll das brachliegen? Sind Sie nicht auch der Meinung, dass man noch vor der Sommerpause zu einer Auswertung kommen sollte? Das kann uns bei dieser zwingenden, notwendigen Arbeit weiterhelfen.

Sie sagen, warten wir doch das nächste Gutachten ab, das zurzeit in Arbeit ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns damit gravierende Veränderungen vorgelegt werden. Damit können wir uns im Herbst immer noch beschäftigen. Aber wir sollten nicht die Zeit verstreichen lassen. Da verstehe ich Sie nicht. Sie müssen sich in dieser Beziehung nicht unbedingt der Meinung von Minister Harms anschließen.

Herr Dr. Sobetzko, ich finde es selbstverständlich, dass man zuerst die Ergebnisse ansieht, bevor man entscheidet, ob Änderungen erforderlich sind. Ich halte es einfach für sinnvoll.

In unserer Fraktion wurde das Lutz-Gutachten sehr wohl ausgewertet; in der Landesregierung selbstverständlich auch. In den Ausschüssen wurde jedoch offensichtlich nicht der Bedarf gesehen, darüber zu diskutieren. Das kann man gern nachholen. Wir halten das auch für sinnvoll. Nur dann, denke ich, sollte man schon mit Blick auf die Effizienz überlegen, ob man diesen Bericht nicht gemeinsam mit den neuen Erkenntnissen, die dann vorliegen, erörtert. Dann wird man sehen, ob sie zu Veränderungen geführt haben. Insofern, glaube ich, sollten wir weiterhin zu effizienten Arbeitsverfahren kommen. Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr. - Für die FDVP-Fraktion erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Herrn Wolf das Wort. Bitte, Herr Wolf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Naturgemäß sehen wir den Antrag anders als der Einbringer, deswegen aber nicht negativ.

Das viel zitierte Lutz-Gutachten liegt seit 1999 vor. Aufwendig und tiefgründig wurde dargestellt, analysiert, verglichen, prognostiziert und dann schön eingebunden. Dass so viel Papier beschrieben wurde, liegt nicht am Gutachter, sondern am Untersuchungsgegenstand.

Interessant ist und bleibt, was die Landesregierung sich aus dem Gutachten zu Eigen machte. Dazu gab es einen schriftlichen Bericht an die zuständigen Ausschüsse.

Es muss festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens, der enthaltenen Feststellungen und Empfehlungen die allgemeine Lage und die wirtschaftliche Lage im Besonderen eine andere war, als sie es heute ist. Die Lage der Unternehmen und des Mittelstandes, denen entscheidende Aufgaben zugedacht waren, ist Besorgnis erregend bis kritisch. Die Abwanderung kommt nicht zum Stehen. Die verschiedenen Stufen der Ökosteuer würgen die Wirtschaft an ihrer Schlagader. Hohe Arbeitslosenzahlen und arbeitslose Jugendliche sind ein fester Bestandteil Sachsen-Anhalts.

Selbst bei der Benennung nur dieser Störgrößen wird klar, Darstellungen und Empfehlungen aus dem Gutachten sind empfindlich gestört oder gar nicht mehr zutreffend. Hauptsächlich aus dieser Sicht können wir den PDS-Antrag begleiten.

Es liegt auf der Hand, dass mit den verschärften Bedingungen im Zusammenhang mit dem Thema auch neue Aussagen her müssen. Ein anderes Gutachten ist erforderlich. Wir haben gehört, es kommt sogar. Wir wünschen uns, dass dieser Auftrag nicht nach den Wunschvorgaben des Auftraggebers erledigt und ein Gutachten vorgelegt wird, in dem dann zu lesen ist, wie sich der Staat aus der Verantwortung stiehlt.

Die Ausschussüberweisung befürworten wir. Der Absender stört uns nicht, warum auch? - Vielen Dank. Ihre FDVP-Fraktion.

(Beifall bei der FDVP - Oh! bei der PDS)

Danke sehr. - Die Debatte wird abgeschlossen mit dem Beitrag der Abgeordneten Frau Ferchland. Bitte, Frau Ferchland, Sie haben noch einmal das Wort.

Für manche Sachen kann ich wirklich nichts. Das tut mir Leid. Es freut mich, dass ich die SPD-Fraktion nach drei Jahren Parlamentsarbeit immer noch überraschen kann. Ich verspreche Ihnen, das wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern.

Das System der beruflichen Bildung in Deutschland charakterisiert nun einmal in üblicher Form, dass die Wirtschaft die primäre Verantwortung für die Ausbildung ihres eigenen Nachwuchses übernimmt. Das ist so. Die staatliche Förderung der betrieblichen Ausbildung muss, wenn man die Grundlagen dieses Systems nicht infrage stellen will, auf Ausnahmesituationen beschränkt bleiben, in denen die Eigenverantwortung der Wirtschaft nicht ausreichend ist.

Da dieser Zustand mindestens noch ein paar Jahre andauern wird, wie wir alle wissen, besteht das große Risiko, dass die Fördermaßnahmen, die nur unter diesen Ausnahmebedingungen gerechtfertigt sind, unter der Hand dauerhafte Verhältnisse entstehen lassen, die niemand in dieser Form gewollt hat. Wir wollen in den

Ausschüssen darüber diskutieren, wie wir in diesem Land, in welcher Form auch immer, die berufliche Erstausbildung fördern können.

Ich kenne den erwähnten Beitrag der Landesregierung leider nicht, sonst hätte ich mich sicherlich darauf bezogen. Aber wir sollten - so glaube ich, Herr Dr. Sobetzko vielleicht wirklich im September dieses Jahres darüber diskutieren. Es sind noch vier Wochen, dann sind die Ausschussberatungen vorbei. Sie wissen selbst, wie stark die Ausschüsse mit Themen überlastet sind. Ich befürchte, dass es deshalb nur ein Randthema werden würde.

Wenn Sie unserem Vorschlag folgen, haben wir über die Sommerpause - wo wir auch sein mögen - ausreichend Zeit, das neue Gutachten zu lesen und uns darauf einzustellen. Wir könnten dann im September, wenn das neue Ausbildungsjahr beginnt, darüber diskutieren. - Ich bedanke mich.