Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

Wenn Sie unserem Vorschlag folgen, haben wir über die Sommerpause - wo wir auch sein mögen - ausreichend Zeit, das neue Gutachten zu lesen und uns darauf einzustellen. Wir könnten dann im September, wenn das neue Ausbildungsjahr beginnt, darüber diskutieren. - Ich bedanke mich.

(Zustimmung bei der PDS, von Herrn Metke, SPD, und von Herrn Sachse, SPD)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Wir stimmen über den Antrag in der Drs. 3/4489 ab. Wer diesen Antrag befürwortet, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen ist der Antrag angenommen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 19 beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Einheitlicher Jugendschutz in den Medien

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/4490

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4560

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Schomburg. Es folgt eine Fünfminutendebatte. Nach dem Einbringer wird zunächst der Ministerpräsident das Wort ergreifen. - Bitte, Herr Schomburg, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Medienlandschaft und mit ihr die Medienordnung und die Mediengesetzgebung sind im Umbruch begriffen. Die CDU-Fraktion ist deshalb der Meinung, dass wir uns als Landesparlament nicht aus diesem Diskussionsprozess um eine neue Medienordnung heraushalten sollten, sondern dass wir uns eifrig daran beteiligen müssen. Um nicht nur die Ergebnisse der Verhandlungen der Staatskanzleien zu diesem Thema abzuwarten, hat die CDU-Fraktion heute ein Thema aufgegriffen, über welches auch im Rahmen einer Fünfminutendebatte zu diskutieren ist: die Medienordnung zum Jugendschutz.

Die Idee des Medienschutzes ist alt. Vor knapp 200 Jahren warnte der politische Aufklärer Joachim Heinrich Campe vor den Folgen des übermäßigen Lesens nicht nur bei Kindern und Jugendlichen. Das Lesen, warnte er, mache das Glück so mancher Familie schon jetzt so verderblich und bei dem jährlich fürchterlichen Anwachsen der Bücherschwemme immer mehr und mehr verderblich. Das Lesen, fährt er fort, drohe zur Sucht zu

werden, zerstöre die zwischenmenschlichen Beziehungen, ruiniere die Moral, schwäche Körper und Seele und führe ins Elend.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Oh!)

Als Kant vor der Freude am Romanlesen warnte, die seinerzeit um sich griff, schien seine Kritik vielen intelligenten Menschen einleuchtend. Sich ständig durch die von Rührung, Sturm und Drang bewegten Extremwelten einer romanhaften Virtual Reality schleudern zu lassen, konnte auf die Dauer nicht ohne Schaden an der Seele des Lesers und der besonders gefährdeten Leserinnen abgehen. - So weit zur Geschichte.

(Herr Dr. Bergner, CDU, lacht)

Die Grundlagen des Jugendschutzes wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt. Schon die Konvention zum Schutz der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthielt im Absatz 2 des Artikels 10, der sich mit dem Recht der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit beschäftigt, folgenden Satz:

„Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafandrohungen unterworfen werden, wie sie vom Gesetz vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, unentbehrlich sind.“

Die nächste Grundlage - diese ist für uns wesentlich findet sich in Artikel 5 des Grundgesetzes. In dessen Absatz 2 schrieb die verfassunggebende Versammlung:

„Diese Rechte auf freie Meinungsäußerung finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Im Folgenden gibt es eine Fülle von Rahmengesetzen und Festlegungen, so eine Richtlinie des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit im Artikel 5 und ein europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 1989 im Artikel 7.

Konkreter wird es in der Bundesgesetzgebung mit dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte, das alles erfasst, was nicht Rundfunk und nicht Mediendienst ist. Alle diesbezüglichen Inhalte werden von der Bundesprüfstelle überprüft und, wenn es sein muss, auf den so genannten Index gesetzt.

Über die diesbezügliche Gesetzgebung im Rundfunk ist in § 3 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland eine abschließende Regelung getroffen worden. Hiermit werden die Landesmedienanstalten und die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beauftragt, darüber Aufsicht zu führen, dass der Jugendschutz im Rundfunk, also im Hör

funk und im Fernsehen, im Wesentlichen gewährleistet ist.

Über den erst vor wenigen Jahren eingeführten Mediendienstestaatsvertrag wird in § 8 geregelt, dass der Jugendschutz in Mediendiensten über eine Zentralstelle der obersten Landesjugendbehörden zu gewährleisten ist. Die Mediendienste werden als eine Zwischenform zwischen Individual- und Massenkommunikation angesehen, wie sie insbesondere im Internet durch an die Öffentlichkeit gerichtete Angebote dargestellt ist.

Weshalb jetzt eine Forderung nach Vereinheitlichung des Jugendschutzes? - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung des Medien- und Kommunikationsbereichs von der Produktion über die Distribution bis zur Rezeption führt zu einer Konvergenz bisher getrennt geführter Bereiche. Das beginnt mit der Ausdifferenzierung von dem, was bisher als Rundfunk definiert wurde, und setzt sich in der Vermischung von Massen- und Individualkommunikation fort.

Zwei Beispiele mögen das demonstrieren: Zum einen möchte ich an die Sendung „Big Brother“ erinnern, die im Fernsehen auf RTL II lief, allerdings in Ausschnitten, redigiert und kommentiert. Es gab aber auch die Verbreitung dieses Angebots im Internet, über 24 Stunden hinweg und ohne rundfunkrechtliche Erlaubnis. Dort waren teilweise auch die Intimbereiche derjenigen, die sich freiwillig dort hineinbegeben haben, zu sehen.

Ein zweites Beispiel ist das Internetradio. Während jemand, der in Sachsen-Anhalt Hörfunk veranstalten möchte, nicht umhinkommt, neben der Darlegung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch Ehrenerklärungen und andere Kompetenznachweise zu erbringen, kann jeder Bürger dieses Landes ohne Genehmigung und ohne Aufsicht Radio im Internet veranstalten. Auch hierbei handelt es sich um ein und denselben Sachverhalt, der unterschiedlich geregelt und unterschiedlich beaufsichtigt wird.

Die Begriffe Rundfunk, Teledienst und Mediendienst sind einmal vor dem technischen Hintergrund definiert worden. Mit der Verschmelzung der technischen Möglichkeiten, zum Beispiel in breitbandigen Netzen, machen auch die Definitionen und die daraus abgeleiteten unterschiedlichen Regelungen keinen Sinn mehr, wenn sich aus der unterschiedlichen Einordnung unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben. Dies führt langfristig nicht nur zu einer Wettbewerbsverzerrung, zum Beispiel zwischen Rundfunk und Mediendiensteanbietern, sondern es macht auch das Medienrecht insgesamt unglaubwürdig. Um wie viel mehr ist der Verbraucher durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Regelungen überfordert, zum Beispiel wenn er bei einer Beschwerde die für ihn zuständige Stelle ausfindig machen möchte.

Deshalb lauten unsere Forderungen:

Erstens. Der nach unterschiedlichen Gesetzen geregelte Jugendschutz soll gesetzlich und administrativ zusammengefasst werden.

Zweitens. Der Jugendschutz soll gesetzlich in einem Medienstaatsvertrag zusammengefasst werden, der auch den Bereich jugendgefährdender Schriften umfassen sollte und rechtliche Ungereimtheiten zwischen den Gesetzestexten ausmerzt. Ein Beispiel dazu: Die Verbreitung schwer jugendgefährdender Angebote in Telediensten ist eine Straftat, in Mediendiensten jedoch lediglich eine Ordnungswidrigkeit.

Drittens. Der Jugendschutz sollte administrativ in den Landesmedienanstalten, die sich einer so genannten Gemeinsamen Stelle Jugendschutz bedienen, die bei der bayerischen Landesmedienanstalt errichtet wird, angesiedelt sein. Diese sollte die Kompetenz der bisherigen Zentralstelle der obersten Landesjugendbehörden für Jugendschutz in Mediendiensten, genannt „Jugendschutz.net“, einbeziehen und, wenn möglich, auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften integrieren.

Warum macht das Sinn? - Erstens ist es vernünftig, einen gesetzlichen Jugendschutz für alle Medien aus einem Guss zu haben, der - zweitens - resistent ist gegen neue technische Entwicklungen, vor denen wir auch in diesem Bereich nicht gefeit sein werden. Drittens soll er die einheitliche Anwendung des Rechts in den unterschiedlichen Medienbereichen absichern. Viertens bringt er eine Entlastung des Steuerzahlers, allerdings zulasten des Gebührenzahlers, mit sich, der deshalb jedoch nicht mit einer Gebührenerhöhung rechnen muss. Die finanzielle Ausstattung der Landesmedienanstalten ist so gut, dass sie diese neue Aufgabe durchaus aus den bereits vorhandenen Mitteln, allerdings durch eine Schwerpunktverlagerung, absichern könnten.

Mit dieser Forderung befinden wir uns inzwischen in guter Gesellschaft; denn sowohl der Ministerpräsident Clement aus Nordrhein-Westfalen als auch der Chef der Rundfunkkommission der Länder und Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Rüter plädieren für diesen Weg.

Bei diesem Vorschlag ist uns sehr wohl bewusst, dass Kompetenzfragen zu den größten Problemen zählen, die sich die Politik aufladen kann. Insbesondere die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern zählt zu den diffizilsten Fragen. Der Chef der rheinlandpfälzischen Staatskanzlei schlug vor wenigen Tagen vor, dem Bund zur Kompensation des partiellen Kompetenzverlustes im Bereich des Jugendschutzes die Kompetenz im Datenschutz vollständig zu überlassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Antrag hat zwei Punkte, der eine zielt insbesondere auf den Jugendschutz im Internet. Diesen zu verwirklichen ist schwieriger als in jedem anderen Medium. Die anarchische Architektur, das Fehlen eines Zentrums, eines Verantwortlichen, und die grenzüberschreitende Vernetzung sind Hindernisse für eine effiziente Überwachung des Jugendschutzes.

Die Gegenmittel, die uns zur Verfügung stehen, sind staatliche Kontrolle - zunächst national, aber mithilfe internationaler Verträge auch international -, Selbstkontrolle und Medienkompetenz.

Mit der Medienkompetenz muss Kindern und Jugendlichen vermittelt werden, wie sie mit Inhalten, die sie im Internet, aber auch im Fernsehen und im Hörfunk antreffen, umzugehen haben. Solange sie diese Medienkompetenz nicht besitzen, sollten sie in einem geschützten Raum agieren können.

Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: Vor etwa einem Jahr ist an einer Grundschule in Wernigerode ein Raum mit Internetanschluss ausgestattet worden. Noch während der Eröffnung gelang es Grundschulkindern, Pornografieseiten auf die Bildschirme zu zaubern. Es war ihnen gelungen, ohne dass man sie vorher darin unterrichtet hatte. Die Tatsache, dass der Landrat, der Oberbürgermeister und andere Persönlichkeiten im Raum waren, hat sie nicht daran gehindert.

Deshalb meine Forderung: Wenn wir unsere Grundschulen mit Computern ausstatten, dann sollten wir Vorkehrungen dafür treffen, dass die Kinder nur in bestimmten geschützten Räumen damit agieren können.

Die Selbstkontrolle der Anbieter ist eine weitere Möglichkeit. Die Tageszeitung „Die Welt“ meldete am 4. April dieses Jahres, das Internetportal „Yahoo“ schalte kostenlos Anzeigen gegen Neonazis. Nach der Kritik, dass dieses Portal den Zugriff auf so genannte Hassseiten ermöglicht, wird jeder bei der Suche nach Hassgruppen oder nach einem Neonazi-Chatroom automatisch mit der Einblendung eines Aufrufes zu mehr Toleranz gestört. „Yahoo“ hegt die Hoffnung, dass sich andere Portale diesem Beispiel anschließen.

Aber es gibt auch für den Nutzer Möglichkeiten, durch Selbstkontrolle einzugreifen, und zwar mithilfe von „Cyberpatrol“, „Surfwatch“ oder „Net-Nanny“. Diese erlauben es Eltern inzwischen, jene Teile des Internets für ihre Kinder zu blockieren, die sie für anstößig halten. Außerdem gibt es inzwischen Portale für Kinder, die den Zugriff auf problematische Seiten verhindern oder zumindest erschweren sollen. Beides ersetzt jedoch die Aufmerksamkeit der Eltern für ihre Kinder nicht; denn alle technischen und Softwarekontrollen sind überwindbar.

Die staatliche Kontrolle als Ultima Ratio wird über Staatsverträge der Länder im Medienbereich bzw. durch Bundesgesetze gewährleistet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Erarbeitung des Mediendienstestaatsvertrages war beabsichtigt worden, die Exekution dieses Gesetzes den Jugendbehörden der Länder zu übertragen, die auch der erste Ansprechpartner im Hinblick auf jugendgefährdende Schriften sind. Noch vor der Verabschiedung einigten sich die Jugendminister jedoch darauf, eine Zentralstelle für Jugendschutz in Mediendiensten in Mainz zu errichten, das bereits erwähnte „Jugendschutz.net“.

Diese Stelle ist mit Mitteln in Höhe von insgesamt 400 000 DM ausgestattet. Sie arbeitet mit zweieinhalb festen Mitarbeitern und eineinhalb Aushilfskräften. Dazu kommt noch die sächliche Ausstattung vom Land Rheinland-Pfalz. Nach dem Königsteiner Schlüssel zahlt Sachsen-Anhalt etwa 10 000 DM pro Jahr für den Jugendschutz im Internet.

Als im Sommer 1997 die Errichtung der Stelle beschlossen wurde, gab es im deutschen Teil des Internets also mit dem Kürzel „.de“ - etwa 100 000 Domains. Ende 2000 waren es aber schon 3,5 Millionen. Noch dynamischer vollzog sich die internationale Entwicklung. Rund 840 000 Zugriffe auf eine einzige Internet-Homepage mit 60 kinderpornografischen Fotos zählte das Bundeskriminalamt an einem einzigen Tag im Sommer 2000. Im Jahr 1999 entdeckte das Bundeskriminalamt rund 2 100 solcher Angebote im Internet. Dabei sind Dateien mit bis zu 70 000 Bildern keine Ausnahme.

In Auswertung eines Gespräches mit einem Vertreter von „Jugendschutz.net“ wurde uns bekannt, dass das Personal an seine Leistungsgrenze gestoßen ist. Zu den Überwachungsaufgaben kommen die Verfolgung gefundener Gesetzesverstöße und Gespräche mit ContentProvidern oder Host-Verantwortlichen. Daneben muss die Hotline abgesichert werden, bei der sich Internetnutzer mit Problemen melden können. Außerdem kommen Termine, auch auswärtige Termine zu Beratungen, Foren und wissenschaftlichen Konferenzen hinzu, so

dass kaum mehr Zeit für die eigentliche Überwachung bleibt.

Deshalb ist es unverantwortlich, dass seit dem Jahr 1997 keine zusätzliche finanzielle Unterstützung an diese Stelle ergangen ist. Wir fordern, dass das geändert wird. Übrigens konnten die Vertreter trotz dieses Engpasses von Erfolgen berichten. So war es mit einem Projekt von sage und schreibe 35 000 DM gelungen,

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

- danke, Herr Präsident; ich komme sofort zum Ende; ich darf das Beispiel vielleicht noch kurz zu Ende führen rechtsextremistische Inhalte im Internet auf ganze fünf Rechner in der Welt zu begrenzen. Das, denke ich, ist ein Erfolg und deshalb sollten wir diese Stelle auch bis zu einer Vereinheitlichung des Jugendschutzes unterstützen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.