Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Sie werfen mir vor - das ist auch in der Frage von Herrn Bergner zum Ausdruck gekommen -, dass ich mich selbst widerlege oder mich nicht an das halte, was ich einmal gesagt habe.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist so!)

Es ist ganz einfach: Ich habe zwar vor kurzem meinen 50. Geburtstag gehabt - vielen Dank für die Glückwünsche; ich konnte nicht allen antworten oder danken -, aber ich leide noch nicht an Altersstarrsinn. Das heißt, ich bin noch entwicklungsfähig und nehme gern Ratschläge an und auf.

Ich habe im Dezember 1999 mein Leitbild vorgestellt. Wir haben ausführlich darüber diskutiert. Ich hatte damals immer wieder gesagt, dass ich das Verbandsgemeindemodell nicht aufgegriffen habe, weil ich die Kommunen nicht überfordern wollte.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

Herr Becker, Sie haben übertrieben. Sie sprachen davon, seit zwei Jahren gäbe es die Stellungnahme. Seit einem Jahr gibt es eine Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes.

Jetzt kommt der Städte- und Gemeindebund als Vertreter der Hauptbetroffenen, legt im Mai 2000 eine Stellungnahme vor und schlägt vor, Aufgaben auf die Verwaltungsgemeinschaft zu übertragen, einen direkt

gewählten Verwaltungsgemeinschaftsausschuss einzuführen. Der Städte- und Gemeindebund nennt es eine qualifizierte Verwaltungsgemeinschaft. In der neuen Stellungnahme benutzt er hingegen auch die Bezeichnung „Verbandsgemeinde“. Das schlägt der betroffene Spitzenverband vor.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Kann es sein, dass er sich da irrt?)

- Einen Augenblick! - Hätte ich die Vorschläge nicht aufgegriffen, hätten Sie gesagt, der Innenminister höre nie auf die Spitzenverbände. Das kenne ich. Nun habe ich die Vorschläge aufgegriffen und werde dafür kritisiert. Herr Bergner, Sie müssen wirklich einmal die Stellungnahme lesen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich bezweifle, dass Sie die Stellungnahme genau gelesen haben. Sie vertreten mit Vehemenz und Engagement das Modell der Verwaltungsgemeinschaft. Aber Sie sind eigentlich der größte Verfechter der Einheitsgemeinde. Es gibt keinen größeren Verfechter der Einheitsgemeinde als Sie in diesem Lande, abgesehen vielleicht von einigen Bürgermeistern, die es genauso gemacht haben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Herr Dr. Bergner, CDU: Ach!)

Anfang Mai habe ich in Quedlinburg auf der Kreisvorstandskonferenz des Städte- und Gemeindebundes gesprochen und habe -

(Herr Becker, CDU: Prügel gekriegt!)

- Danke für das Stichwort; Streicheleinheiten. - Ich habe dort das Leitbild vorgestellt. Der Städte- und Gemeindebund hat dann über die ersten Stellungnahmen seiner Ausschüsse berichtet. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Die Stellungnahmen waren positiv. Ich dachte, jetzt kommt die große Kritik. Nein, es wurde deutlich, dass wir in den meisten Punkten übereinstimmen. Das war für mich sehr wichtig; denn es waren die Stellungnahmen der kleinen Landgemeinden und der Arbeitsgemeinschaft der Verwaltungsamtsleiter. Das war interessant.

Dann folgten Kritik und Prügel. Diese kam von Ihren besten CDU-Kommunalpolitikern und hauptamtlichen Bürgermeistern in diesem Lande, die im Städte- und Gemeindebund vertreten sind. Von ihnen wurde kritisiert, warum ich nicht weiterginge, die Einheitsgemeinde sei das einzig Richtige.

Von Ihrer Seite wurde ich kritisiert, weil ich die Verbandsgemeinde einführe und damit die Verwaltungsgemeinschaften stabilisiere. Hören Sie doch einmal auf Ihre kompetenten Kommunalpolitiker. Die beschweren sich bei mir darüber, dass die CDU-Spitze etwas anderes fordert. Sie sollten einmal mit ihnen reden. Leider machen Sie das nicht oder zu wenig.

(Zustimmung von Herrn Bullerjahn, SPD - Zuruf von der CDU)

- Da ist eine Menge an guten Leuten dabei. Ich schätze sie sehr. Sie könnten auch in der SPD sein.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD)

Zur Landtagswahl. Sie drohen seit einiger Zeit damit - das enttäuscht mich -, dass Sie nach der Landtagswahl alle Gesetze kippen werden und was da nicht alles noch diskutiert wurde. Ich hatte damals, als das Modell der Verwaltungsgemeinschaft eingeführt wurde, echte

Probleme damit. Das habe ich immer wieder gesagt. Aber ich habe im Wahlkampf nicht gesagt, ich würde, wenn die SPD die Regierung übernimmt und ich Innenminister werde, alles kippen und rückgängig machen.

Ich habe das Amt übernommen und habe dieses System stabilisiert. Ich habe viel Prügel für die Regelungen, die in der ersten Wahlperiode eingeführt worden sind, bekommen. Ich war aber der Meinung, dass die Kommunen Stabilität brauchen und nicht ständig von einem Modell ins andere wechseln können. Deshalb habe ich das System stabilisiert.

Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem wir das Modell weiterentwickeln können. Wir kippen es nicht, wir entwickeln es weiter. Das muss man sich überlegen. Vielleicht sollten Sie sich deshalb das überlegen, was Sie in Bezug auf „alles aufheben“ oder „zurückziehen“ gesagt haben. Die Entwicklung geht weiter.

Herr Becker, Sie stellen ständig Ihre schönen Anfragen dazu - ich habe in den letzten Tagen keine mehr gesehen -, was im Lande in Fragen der Gebietsreform abläuft. Wenn Sie die nächste Frage stellen, werden die Antworten noch länger werden. Es werden immer mehr Kommunen diesen Weg gehen, nicht nur weil ein Druck vorhanden ist, sondern weil sie es wollen. Der Zug ist abgefahren. Ich habe Ihnen das schon einmal gesagt. Springen Sie endlich auf und fahren Sie mit! - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das war‘s?

Jetzt habe ich Herrn Becker viereinhalb Minuten Redezeit verschafft.

Nach § 62 der Geschäftsordnung bin ich gehalten, den Fraktionen noch einmal eine angemessene Redezeit zu einer Erwiderung einzuräumen, wenn die Landesregierung gesprochen hat. Ich schlage vor, den Fraktionen fünf Minuten Redezeit zu gewähren, sofern sie davon Gebrauch machen wollen. - Bitte, Herr Becker.

Herr Minister, ich bescheinige Ihnen, dass Sie mit Ihren 50 Jahren nicht an Altersstarrsinn leiden; ich mit meinen 65 Jahren übrigens auch nicht. Dafür kennen wir uns zu gut.

(Heiterkeit - Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU, und von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Herr Minister, Sie schaffen eben doch ein Aliud zur bisherigen Verwaltungsgemeinschaft. Sie behaupten zwar noch in der Begründung zu § 3, dass Sie in dieser Verbandsgemeinde eine Servicestation, eine Serviceeinrichtung sehen. Gleichzeitig führen Sie aber etwa zu § 2 Abs. 7 aus, dass die Verbandsgemeinde und ihre Mitgliedsgemeinden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unter Beachtung der beiderseitigen Verantwortungsbereiche vertrauensvoll zusammenarbeiten sollen.

Erstens. Ich frage Sie, ob in dieser Beschreibung des Umganges der Charakter der Verbandsgemeinde als Erfüllungsgehilfe zum Ausdruck kommt.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

Mit einem Erfüllungsgehilfen verkehre ich ganz anders und Sie auch, Herr Minister, in Ihrem Ministerium.

(Zustimmung bei der CDU)

Zweitens. Wie verträgt sich das zum Beispiel mit der Anzeigepflicht, die in § 8 Abs. 3 geregelt ist, der genügt werden muss, wenn eine Mitgliedsgemeinde gegen ein Gesetz verstoßen hat? Geht so ein Erfüllungsgehilfe mit seiner Mitgliedsgemeinde um?

Drittens muss ich Sie fragen: Warum beseitigen Sie § 75 Abs. 5 der Gemeindeordnung, was die Bürokraft des Bürgermeisters betrifft? Auch das hat mit dem Erfüllungsgehilfen absolut nichts zu tun. Es könnte doch dabei bleiben.

Ihr Gesetz lässt außerdem die von Frau Theil angesprochene Frage der Ortschaftsverfassung offen. Im letzten Satz des § 11 steht nur Wischiwaschi. Es kommt etwas oder es kommt nicht. Am Schluss gilt die Ortschaftsverfassung nur für Naumburg, für die Einheitsgemeinden, aber nicht für die, die sie draußen haben wollen. Das kann nicht sinnvoll sein.

(Beifall bei der CDU - Minister Herr Dr. Püchel: Wunderbar!)

Herr Minister, wir haben im Ersten Vorschaltgesetz auf Betreiben der PDS eine neue Ortschaftsverfassung beschlossen. Sie ist ausgeweitet worden. Jetzt plötzlich sammeln Sie alles so häling, wie der Schwabe sagt, wieder ein.

(Minister Herr Dr. Püchel: Quatsch! Stellungnah- me!)

- Was heißt Stellungnahme?

Dann sage ich Ihnen eines: Ich kenne natürlich die große Gemeinschaft des Städte- und Gemeindebundes einschließlich aller Gemeinden von Salzwedel bis nach Eckartsberga und weiß, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber das Gros der Gemeinden sagt - das kommt auch in der Forderung des Städte- und Gemeindebundes zum Ausdruck -, eine echte Alternative zur Einheitsgemeinde schaffen. Das Gros sagt, es gibt genügend Vertretungskörperschaftsebenen, Ortschaftsverfassungen, die Ortschaftsebene, die Gemeindeebene, den Kreistag und den Landtag, deshalb brauchen wir keine neue Ebene einzuziehen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kannegießer, DVU)

Ich sage Ihnen offen: Mit dieser neuen Ebene fahren Sie die kommunale Demokratie in den Graben, Herr Minister. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr. - Wünscht noch eine Fraktion das Wort zu ergreifen? - Bitte, Frau Theil.

Verehrter Kollege Becker, bis jetzt habe ich das geschluckt und wir müssen uns auch nicht einen solchen Schlagabtausch liefern. Aber ich denke, das, was Sie eben gesagt haben, ist der Dinge ein wenig zu viel.

(Zustimmung von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)