Protokoll der Sitzung vom 29.06.2001

Das monatliche Kindergeld soll erneut um die „atemberaubende“ Summe von 30 DM pro Kind erhöht werden, allerdings nur, wenn es sich um das erst- und zweitgeborene Kind handelt. Da stellt sich die Frage: Brauchen die Familien mit drei und mehr Kindern nicht ebenfalls mehr Geld für ihre weiteren Kinder?

Auch die Nichtanrechnung dieser Kindergelderhöhung auf die Sozialhilfe hat auf den politischen Entscheidungsebenen des Bundes erneut keine Rolle gespielt. Dies finde ich persönlich nicht nur bedauerlich, sondern ich halte es für äußerst beschämend; denn es macht deutlich, dass diese Ungerechtigkeit bei der Behandlung von Kindern nach wie vor nicht als Problem angesehen wird.

Die Gefahr, von Sozialhilfe abhängig zu werden, ist bei Familien, besonders bei Alleinstehenden mit Kindern, sehr groß. 6,1 % der Familien mit Kindern und 4 % aller Haushalte in der Bundesrepublik beziehen Hilfe zum Lebensunterhalt.

15,2 % der Alleinerziehenden mit einem Kind, 22,6 % der Alleinerziehenden mit zwei Kindern und bereits 30,4 % der Alleinerziehenden mit drei oder mehr Kindern sind heute von Sozialhilfe abhängig. Somit weisen Alleinerziehende die mit Abstand höchste Sozialhilfequote aller Bevölkerungsgruppen aus.

Auch Ehepaare mit drei oder mehr Kindern unterliegen einer überdurchschnittlichen Sozialhilfequote. Damit bestätigt sich der Trend, dass über alle Familienformen hinweg das Armutsrisiko mit der Anzahl der Kinder ansteigt. Deshalb sind heutzutage besonders diese Familien mit Kindern auch von Armut betroffen.

Fast 7 % aller Kinder sind in der Bundesrepublik derzeit von Sozialhilfe abhängig. Das sind nach wie vor 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Im Jahre 1994 waren es noch 871 000. So stieg bei einer insgesamt anhaltend hohen Armutsquote die Zahl der sozialhilfeabhängigen Kinder im Zeitraum von 1991 bis 1998 um 4 %.

Die Sozialhilfequote bei den unter 18-Jährigen betrug nach dem Armutsbericht der Bundesrepublik im Jahr 1999 6,6 %. Sie war damit fast doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik.

„Armes“ reiches Land, das Armut für Kinder nicht nur erlebbar macht, sondern zunehmend auch zementiert und verfestigt. Für die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Kinder und Jugendlichen muss mehr getan werden. Sie bedürfen vor allem erst einmal auch finanzieller Verbesserungen.

Genau wie vor zwei Jahren, als wir einen ähnlichen Antrag in den Landtag einbrachten, soll die Erhöhung des Kindergeldes nur den Familien in voller Höhe zugute kommen, die nicht von der Sozialhilfe leben; denn die Zahlung aus der Kindergeldkasse geht einher mit der Kürzung der Zahlung aus dem Sozialhilfetopf, obwohl gerade die Familien, die von Sozialhilfe leben, in besonderem Maße auf Unterstützung angewiesen sind.

Die jährlichen Regelsatzerhöhungen bei der Sozialhilfe sind so gering, dass jede D-Mark mehr oder weniger für diese Alleinerziehenden und für diese Familien besonders zählt.

Doch wie vor zwei Jahren werden die Erhöhungen des Kindergelds wieder vor allem nur denen zugute kommen, die zu den Durchschnitts- und Besserverdienenden gehören. Das bedeutet, dass Kinder mit Sozialhilfebezug weiterhin auf die kleinen Freuden des Alltags verzichten müssen; denn Geld für Sportvereine oder Musikinstrumente - wir hatten das Problem, welche Rolle gerade die Musik und die Musikerziehung spielen - ist bei einem Sozialhilfebezug nicht vorhanden. Ferienreisen oder die Teilnahme an Klassenfahrten, Nachhilfeunterricht oder eine Kindergeburtstagsfeier sind oft für viele der Betroffenen ein Luxus, den eine Familie mit Sozialhilfebezug ihren Kinder nicht gewähren kann.

Mit dem Verzicht auf Ereignisse oder Leistungen, die für manche auf den ersten Blick vielleicht noch verschmerzbar erscheinen, sind jedoch weit schwierigere Probleme verbunden. Im ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung - vor kurzem vorgelegt - wird darauf verwiesen, welche Folgen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen diese Einschränkungen haben. So beeinträchtigen die geringen finanziellen Möglichkeiten die soziale Integration dieser Kinder insbesondere bei Aktivitäten, bei Erfahrungen und in der Kommunikation mit Gleichaltrigen. Sie erleben eine Ausgrenzung aus Bildungs- und Freizeitangeboten.

Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus diesem ersten Armuts- und Reichtumsbericht zitieren:

„Armut bedeutet dann für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen Einschränkung und Ausgrenzung aus fundamen

talen Erfahrungen des Aufwachsens. Die möglichen Konsequenzen für die Kinder sind geringes Selbstwertgefühl, Depressivität, Einsamkeit, Misstrauen, Nervosität, Konzentrationsschwäche und Resignation in Bezug auf berufliche Chancen.“

Die gesamte Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen ist also in vielerlei Hinsicht gefährdet. Und das, möchte ich betonen, ist nicht ihr privates Problem, sondern ein zutiefst gesellschaftliches, das wir lösen müssen.

Ein kleiner Schritt in diese Richtung wäre jetzt, die Erhöhung des Kindergelds verwaltungs- und gesetzestechnisch so auszugestalten, dass sie vor allem den tatsächlich bedürftigen Kindern und Jugendlichen zugute kommt und nicht als Einsparmaßnahme für die Sozialhaushalte wirksam wird.

Ich möchte deshalb noch einmal hervorheben: Die Sozialhilfe dient der Existenzsicherung, das Kindergeld der Entlastung der Familie und der Förderung der Entwicklung der Kinder. Beides darf nicht länger in einen Topf geworfen werden.

Wir fordern deshalb die Landesregierung erneut auf, in diese Richtung initiativ zu werden, wohl wissend, dass unser Antrag nur ein kleiner Schritt in diese Richtung ist. Notwendig wäre - das ist ja auch in der Diskussion - eine grundlegende Reformierung des Systems der Familienförderung.

Deshalb bleibt auch die Forderung der PDS nach der Einführung einer sozialen Grundsicherung, die für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nach dem Alter gestaffelte Leistungen gewähren sollte, erhalten.

Ich bitte darum, dem heute vorliegenden Antrag aufgrund des notwendigen umgehenden Handlungsbedarfes direkt zuzustimmen. Die Diskussion über das Gesetz zur Kindergelderhöhung läuft auf Bundesebene. Ich möchte vor allem an die Kollegen der SPD-Fraktion appellieren: Eine Überweisung in den Sozialausschuss, der frühestens Mitte September tagt, wäre bei diesem Thema nicht hilfreich.

Da ich heute in der „Volksstimme“ gelesen habe, dass die SPD das langfristige Ziel formuliert hat - ich kenne viele sehr gut, sodass ich daran glaube, dass sie an diesem Ziel festhält -, ein gleiches Kindergeld für alle herbeizuführen, denke ich, dass mit der Unterstützung unseres Antrages, bezogen auf die Kinder und Jugendlichen, die von der Sozialhilfe leben, dieser Schritt heute mit einer Direktzustimmung eingeleitet werden sollte.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank. - Im Ältestenrat wurde eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge CDU, DVU, SPD, FDVP und PDS vereinbart. Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Dr. Kuppe.

Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Erstens. Ich teile den sozialpolitischen Ansatz, der im Antrag Ihrer Fraktion, Frau Krause, zum Ausdruck kommt, nämlich für Kinder in Deutschland gute Lebens

bedingungen herzustellen und das Zusammenleben mit Kindern finanziell noch besser zu fördern.

(Zuruf von Herrn Prof. Dr. Trepte, PDS)

Zweitens sage ich deutlich, dass die Kinder- und Familienpolitik in Deutschland noch nicht optimal geregelt ist. Das sagen nicht zuletzt der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und die letzte Studie des DIW aus. Zu diesem Thema gibt es noch viele andere Gutachten.

Drittens sage ich aber auch, dass die rot-grüne Bundesregierung wie keine Regierung zuvor begonnen hat, Defizite in der Kinder- und Familienpolitik abzubauen. Sie hat allein in dieser Legislaturperiode - die jetzt vorgesehene Erhöhung eingerechnet - dreimal das Kindergeld erhöht. Das hat es bisher noch nicht gegeben.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Liebrecht, CDU: Aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils!)

Damit komme ich zu der Frage, wie dieses Kindergeld beim Einkommen von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern angerechnet wird. Darauf bezieht sich Ihr Antrag. Wir beraten über dieses Thema nicht zum ersten Mal im Landtag. Sie haben einen ähnlichen Antrag bereits im April 1999 gestellt, über den intensiv beraten wurde. Auch damals war der § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG im Gespräch.

Im Rahmen der Diskussion über das Gesetz zur Familienförderung, das dann am 1. Januar 2000 in Kraft trat, war dies einer der kritischen Punkte auf Länder- und auf Bundesebene, was dazu führte, dass die Möglichkeit einer zeitlich befristeten Absetzung von Kinderfreibeträgen geregelt wurde. Sie beläuft sich auf monatlich 20 DM bei einem Kind bzw. auf monatlich 40 DM bei zwei und mehr Kindern.

In dem Gesetz zur Familienförderung wurden die Freibeträge allerdings für den Zeitraum bis Ende Juni 2002 befristet. Dies geschah insbesondere mit dem Ziel, in dieser Zeit die Bedingungen für die Hilfe zum Lebensunterhalt zu überprüfen und neue Grundlagen für eine neue Regelsatzverordnung zu eruieren, damit dieses unterste Sicherungssystem in Deutschland auf eine neue, verbesserte Basis gestellt wird.

Ich will noch einmal kurz erwähnen - ich hatte das damals in der Diskussion auch gesagt -, dass eine Kindergelderhöhung nicht zwingend auch die Erhöhung der in § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG genannten Freibeträge bedingt; denn natürlich liegt die wesentliche Zweckbestimmung des Kindergeldes darin, die für das Kind entstehenden Kosten des Lebensunterhaltes teilweise mit zu decken, sodass damit auch eine Entlastung von den Kosten des Lebensunterhalts mit in Betracht zu ziehen ist. Damit wiederum dient Kindergeld schon derselben Zweckbestimmung wie die Sozialhilfe. Das liegt so im System begründet. Deswegen ist es auch folgerichtig, wenn Kindergeld als Bestandteil des Einkommens betrachtet wird.

Es stellt sich nunmehr die Frage, ob das System so richtig ist. Diese Frage wird durch Ihren Antrag nicht gelöst, Frau Krause; sie muss aber gestellt werden. Sie wollen im System verbleiben, fordern aber, dass die Kinder von Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern im Wege der von Ihnen vorgeschlagenen Entfristung und Weitergeltung der Freibetragsregelungen besser gestellt werden sollen, als es die Umsetzung des Gesetzes vorsieht.

Ich meine, wir sollten die Chance nutzen, die sich mit der Verlängerung der im Gesetz vorgesehenen Befristung um ein Jahr, nämlich bis zum Juni 2003, ergibt, um die grundlegende Debatte weiterzuführen. Ich glaube, dass diese Verlängerung der Befristung der Ihrem Antrag zugrunde liegenden Intention durchaus entgegenkommt, Frau Krause.

Die Beratung, von der Sie gesprochen haben, ist auf Bundesebene schon sehr weit gediehen. Die Bundesratsausschüsse haben abschließend beraten; die Plenarberatung im Bundesrat wird in zwei Wochen stattfinden.

Ich glaube nicht, dass Sie so weit gehen, die Landesregierung aufzufordern, das Zweite Gesetz zur Familienförderung im Bundesrat abzulehnen. Ich könnte das nicht verantworten, weil darin eine Menge sehr guter Regelungen auf dem Weg zu einer besseren Familienförderung enthalten sind. Neben der Kindergelderhöhung, die ich als nicht so bescheiden ansehe, wie Sie sie hier dargestellt haben - ich halte sie für einen wirklich wichtigen Schritt hin zu einer Verbesserung der Leistungen für Kinder -, sind in diesem Gesetz weiterhin die Möglichkeit zur steuerlichen Geltendmachung von Kinderbetreuungskosten, sofern sie bei Erwerbstätigkeit notwendig sind, die Anrechenbarkeit von Ausbildungskosten und manches andere mehr vorgesehen. Ich denke, das darf jetzt nicht verloren gehen.

(Zustimmung von Frau Fischer, Leuna, SPD, und von Herrn Rothe, SPD)

Deswegen sehe ich uns als Landesregierung in der Pflicht, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung im Bundesrat zuzustimmen. Ich rege jedoch an - das war das Ergebnis der Diskussion in unserer Fraktion -, die weitergehenden Erörterungen im Ausschuss zielgerichtet zu führen. Mittlerweile befindet sich in Deutschland ein ganzes Regal von Vorschlägen für die Verbesserung der Familienpolitik und der Leistungen für Familien in der Diskussion, angefangen bei der Weiterentwicklung der bedarfsgerechten steuerfinanzierten Grundsicherung, erweitert um die bereits geltenden Regelungen für Ältere und Erwerbsgeminderte, ebenso für den Bereich der Alleinerziehenden und hinsichtlich der Betreuung von Kindern.

Es wird über die Weiterentwicklung des Kindergeldes gesprochen; heute war von den 500 DM die Rede. Es wird darüber gesprochen, eine Kindergrundsicherung anderer Art, völlig neuer Art einzuführen, ebenso über die Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting, das das Aufziehen von Kindern honoriert. Die Rede ist weiter von einem Familiengeld. Gott sei Dank wird nun auch wieder in Deutschland über die Kinderkasse diskutiert.

Das sind alles wichtige Punkte, über die man eine ernsthafte Debatte führen muss. Sicher sollten wir, wenn wir die einzelnen Chancen und Risiken bei unterschiedlichen Möglichkeiten der Verbesserung der Familienförderung diskutieren, auch das, was uns das Bundesverfassungsgericht als Grundsatzurteil für die Gestaltung der Familienförderung ins Stammbuch geschrieben hat, berücksichtigen.

Ich halte diese Debatte für außerordentlich wichtig, für aktuell; denn diese Problematik muss auch in der nächsten Legislaturperiode des Bundestages dringend besser geregelt werden. Aufbauend auf dem, was bisher geleistet wurde, müssen wir weitere Schritte gehen.

Deshalb rege ich wirklich an, dass wir uns diese wichtige Aufgabe im zuständigen Ausschuss zu Eigen machen, die verschiedenen Varianten diskutieren und uns eine Meinung bilden, wie wir seitens des Landes SachsenAnhalt Schritte begleiten können, um zu einer besseren Form der Kinder- und Familienförderung in Deutschland zu kommen. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Wir treten in die Debatte der Fraktionen ein. Für die CDU-Fraktion spricht zunächst die Abgeordnete Frau Liebrecht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst möchte ich kurz auf das eingehen, was die Ministerin gesagt hat.

Frau Ministerin, Sie sagten, dass die rot-grüne Bundesregierung jetzt eine Familienförderung zustande gebracht habe, wie sie bisher nicht da gewesen sei. Ich möchte darauf hinweisen, dass sie diese Familienförderung aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998 umsetzt.

(Zustimmung bei der CDU - Ministerin Frau Dr. Kuppe: Weil Ihre Gesetze nicht verfassungs- konform waren! - Herr Dr. Bergner, CDU: Es war eine richterliche und keine politische Entschei- dung! - Ministerin Frau Dr. Kuppe: Also Herr Bergner! - Zuruf von Herrn Kühn, SPD - Unruhe)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das mit dem Antrag verfolgte Ansinnen und das dahinter stehende Problem sind nicht neu und aus der Sicht der Betroffenen auch verständlich; denn aufgrund der Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe führt die Erhöhung des Kindergeldes gerade bei denjenigen, deren soziale Lage am schlechtesten ist, nicht zu einer Verbesserung des Lebensstandards. Das hat Frau Krause bereits ausführlich dargestellt.

Grundsätzlich ist es so, dass die Sozialhilfe eine nachrangige Leistung ist, die dann eintritt, wenn der Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Kraft oder mit eigenen Mitteln bestritten werden kann. Kindergeld zählt als Einkommensbestandteil und wird auf die Hilfe zum Lebensunterhalt angerechnet.