Protokoll der Sitzung vom 14.09.2001

Danke, Herr Kollege, für die Berichterstattung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit einer Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge FDVP, CDU, PDS, DVU und SPD. Ich erteile jedoch zunächst für die Landesregierung dem Innenminister Herrn Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der letzten Sitzung vor der Sommerpause habe ich den Entwurf eines Verbandsgemeindeeinführungsgesetzes in den Landtag eingebracht. Meine Hoffnung war, dass der Landtag nach der Sommerpause dieses Gesetz verabschiedet, damit die Kommunen in der Freiwilligkeitsphase die Möglichkeit der Entscheidung zwischen Verbandsgemeinde und Einheitsgemeinde haben, damit sie eine Grundlage haben, um eine richtige Entscheidung treffen zu können, und zwar rechtzeitig.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Wo bleibt denn eigent- lich der Begriff „Freiwilligkeitsphase“? - Zuruf von Herrn Becker, CDU)

- Wir kommen doch noch zur Freiwilligkeitsphase, Herr Kollege Dr. Bergner.

Wir alle haben in den vergangenen Monaten eine intensive öffentliche Diskussion über den Inhalt dieses Gesetzentwurfes erlebt. Teilweise waren wir selbst aktiv beteiligt. Diese Auseinandersetzungen mit diesem Thema habe ich für notwendig gehalten und auch begrüßt. Ich danke allen, die sich daran ehrlichen Herzens und zum Wohle unserer Kommunen im Lande beteiligt haben. Was ich jedoch ablehne, ist eine allein an wahltaktischen Aspekten ausgerichtete Diskussion über dieses wichtige Thema.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Es ist der Versuch, eine Entwicklung zu stoppen, die in unseren Kommunen bereits vielfach auf den Weg gebracht worden ist. Diese Taktik ist darauf ausgerichtet, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zu verunsichern

(Zustimmung bei der SPD - Unruhe bei der CDU - Herr Dr. Bergner, CDU: Aber Herr Minister!)

- ich komme noch dazu - und ihre Gestaltungsmöglichkeiten in der freiwilligen Phase zu behindern.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Becker, CDU: Wo ist denn die Phase?)

- Die Phase läuft bereits vor Ort. Warum sind Sie nicht mit nach Elbe-Parey gekommen und haben sich die Bildung der Einheitsgemeinde angesehen?

(Zuruf von der CDU - Unruhe)

Meine Damen und Herren! Kürzlich besuchte ich eine Verwaltungsgemeinschaft im Süden unseres Landes. Dort wollte man mit mir konkret über die Vor- und Nachteile der Einheitsgemeinde bzw. der Verbandsgemeinde diskutieren. Freundlicherweise hatte man auch die Landtagsabgeordneten aus der Region eingeladen.

Eingangs wurde ich gebeten, eine Einführung zu geben. Ich stellte das Leitbild vor und ging auch kurz auf die Vorstellungen der CDU-FDP-Regierung von 1992 ein, wie ich es auch im Landtag schon getan habe, wo ich wieder betont habe: Im Grunde setze ich das um, was von Ihnen damals gewollt war und wozu Sie nicht die Kraft hatten. Eigentlich müssten Sie mich dabei unterstützen.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Becker, CDU)

- Warten Sie doch, Herr Becker. - Zur Erinnerung - ich glaube, ich brauche doch etwas länger, Frau Präsidentin, weil ich unterbrochen werde -: In Ihrem Leitbild forderten Sie damals Verwaltungsgemeinschaften mit 10 000 bis 15 000 Einwohnern und Landkreise mit über 120 000 Einwohnern. Sollten die Regierungspräsidien zum Ende aufgelöst werden, dann sollten die Landkreise 250 000 Einwohner haben. - Dies zu Ihrer Erinnerung und für die, die es noch nicht kannten.

Der anwesende CDU-Abgeordnete, dessen Namen ich jetzt nicht nennen werde, äußerte anschließend sinngemäß, dass seien nur die Zahlen von Herrn Perschau gewesen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig! - Herr Becker, CDU: Ja!)

Dieser sei bekanntermaßen aus Hamburg gekommen, habe von den Problemen eines Flächenlandes wenig verstanden und auch nur das wiederholt, was ihm seine Beamten aufgeschrieben hätten.

(Herr Becker, CDU: Jawohl, das war es!)

Herr Becker, weiter sagte dieser hier nicht zu nennende Abgeordnete,

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

die gleichen Beamten säßen nun immer noch im Ministerium und würden mir die gleichen Zahlen aufschreiben.

(Zustimmung bei der SPD - Heiterkeit bei allen Fraktionen - Herr Becker, CDU: Auch richtig!)

Einmal richtig in Gang gekommen, wie wir ihn kennen und wie wir ihn erleben - wir wissen ja, um wen es geht, ohne den Namen zu nennen -,

(Heiterkeit)

fügte er hinzu, er sei schon immer gegen diese Zahlen gewesen. Ähnliches wiederholte er kurze Zeit später bei einer Veranstaltung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. Dadurch wurde es aber auch nicht besser, lieber Herr Kollege.

Unabhängig davon, dass der Abgeordnete auf einmal seinen damaligen Minister kritisierte, obwohl er ihn in dieser Frage immer voll unterstützt hatte,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ach!)

hat er wenigstens in einem Punkt Recht: Jawohl, die Beamten sind immer noch im Ministerium, sie sitzen zum Teil auch hier und es sind gute Beamte mit einer vorbildlichen Aktenhaltung.

(Herr Becker, CDU: Jawohl!)

Dank ihres guten Gedächtnisses ist es mir heute möglich, meinen geschätzten Kollegen an seine damalige Auffassung zu erinnern. Wie gesagt, er behauptet heute, er sei schon immer gegen diese Richtgrößen gewesen und habe alles viel kleiner haben wollen. Nur findet sich das in den Unterlagen nicht wieder.

Ganz im Gegenteil, im Jahr 1993 wurden im Arbeitskreis Inneres der CDU-Fraktion die damaligen Leitbildgrößen diskutiert, die übrigens, wie gesagt, drastischer waren als unsere heutigen Festlegungen. Vorsitzender dieses Arbeitskreises war und ist der Kollege Becker. Im Arbeitskreisprotokoll findet sich dazu Folgendes: „Es ist kritisch anzumerken, dass sich der Gesetzentwurf im Zuge der Entwicklung immer mehr von der zentralen Leitbildgröße Einwohnerzahl verabschiedet hat.“ Später heißt es weiter - das ist ein offizieller Vermerk in meinen Akten -: Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das Leitbild schon an der unteren Grenze möglicher Größen orientiert.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Aber jetzt! - Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Ferner wird in demselben Papier bedauert, dass mit den Unterschreitungen der Leitbildgröße in dem einen oder anderen Fall - ich zitiere - „auch der Haltung des Koalitionspartners Rechnung getragen werden musste“. - Wie traurig!

(Zurufe von der CDU)

- Augenblick! - Um die Öffentlichkeit gänzlich

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

- doch, eindeutig - über die Vorstellungen des geschätzten Kollegen aufzuklären, darf ich nochmals und letztmalig aus dem genannten Protokoll eine Passage unter der Überschrift „Kritik“ zitieren:

„Dem Landtag liegt zu § 17 und zu § 23 - kreisfreie Stadt Halle - ein Änderungsantrag in der Drs. 1/2318 neu vor, unterzeichnet von 20 SPDAbgeordneten sowie dem CDU-Abgeordneten Becker und Ute Scheffler, Bündnis 90/Grüne. Danach soll der Saalkreis aufgelöst und zugunsten von Eingemeindungen in die Stadt Halle nicht wieder neu gebildet werden. In der Begründung wird geltend gemacht, kosten- und verwaltungsaufwendige Konstruktionen bezüglich des Zusammenwirkens des Saalkreises und der Stadt Halle wären bei der Auflösung vermeidbar. Die Auflösung würde eine Inkonsequenz bei der Umsetzung des Leitbildes beseitigen.“

So viel zu dem erstaunlichen Meinungswechsel meines Freundes und Kollegen Curt Becker. Ich warte darauf, mit welchen Zahlen er im nächsten Jahr hervortritt; vielleicht sind es dann schon 20 000.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Also, was wollen Sie denn damit sagen?)

- Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Herr Becker steht in Veranstaltungen auf und sagt, er sei schon immer dagegen gewesen, er habe immer kleinere Größenordnungen haben wollen. Er sei schon immer dagegen gewesen. Was sagte er 1993? Da kritisierte er den da

maligen Minister, weil dieser von den eigenen Größen abgewichen ist. Er wollte es also schon immer größer haben.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

- Ja, man muss sich auch einmal an die alten Aussagen erinnern.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von der CDU)

- Es passt Ihnen nicht, das weiß ich doch.

Meine Damen und Herren! Zum besseren Verständnis des heute zu verabschiedenden Gesetzes muss ich mit wenigen Sätzen noch einmal ganz kurz auf die Geschichte eingehen: Im Mai 2000 schlug der Städte- und Gemeindebund neben der Einheitsgemeinde die Einführung der qualifizierten Verwaltungsgemeinschaft vor. Anfang März 2001 stellte ich einen ersten Referentenentwurf zum Verbandsgemeindeeinführungsgesetz zur Diskussion. Wenige Tage später brachte die CDU-Landtagsfraktion den Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften im Land ein. Nach Auswertung der Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes zum Referentenentwurf modifizierte ich diesen und brachte ihn ebenfalls in den Landtag ein.

Herzstück des Gesetzes ist die Festlegung eines Aufgabenkatalogs und damit die Zuständigkeitsverteilung zwischen der einzelnen Gemeinde und der Verbandsgemeinde. Die originäre Anbindung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises an die Verbandsgemeinde fordert verfassungsrechtlich zwingend die Schaffung eines direkt gewählten Gremiums, also der Vertretung des Volkes in dieser Selbstverwaltungseinheit. Diese Auffassung wurde übrigens auch von den kommunalen Spitzenverbänden ausdrücklich bestätigt.

Welche Aufgaben im Einzelnen bei der qualifizierten Verwaltungsgemeinschaft angesiedelt werden, war Gegenstand intensiver Verhandlungen. Der Umstand, dass die heute zur Abstimmung vorliegende Beschlussempfehlung im Laufe der Beratung mehrfach ihr Gesicht veränderte, beweist die Offenheit und Aufnahmebereitschaft für konstruktive Vorschläge im Rahmen der Reformvorhaben.