Deshalb bitte ich namens der CDU-Fraktion, der Beschlussempfehlung des Innenausschusses nicht zuzustimmen. Wir halten diesen Tagesordnungspunkt für wert, über ihn in namentlicher Abstimmung zu entscheiden. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Empfehlung des Ausschusses für Inneres ist, gelinde gesagt, ein Skandal. Sie kriminalisiert faktisch die Zwangsausgesiedelten und macht deutlich, in welchem Maße sich die Sozialisten, die Kommunisten, von mir aus auch Halbkommunisten der Belange der Zwangsausgesiedelten annehmen, die ihrerseits Opfer des kommunistischen Unrechtsstaates geworden sind.
Die betroffenen Zwangsausgesiedelten waren weder Kriegsverbrecher noch Kriegsgewinnler und auch keine Großgrundbesitzer, die man in der sowjetzonalen Ideologie ohnehin verteufelt hatte. Die Zwangsausgesiedelten haben sich auch von Anfang an dazu bekannt, kein neues Unrecht durch neue Vertreibung hervorzurufen und sich nicht an Investitionen anderer zu bereichern.
Wenn aber umgekehrt die Bundesrepublik Deutschland die Zwangsausgesiedelten zur Kasse bittet für Geld
zahlungen, die von dem SED-Unrechtsstaat in mysteriöser Weise geleistet wurden für Vermögenswerte, die in keiner Weise rückübertragen werden können, so ist das eine Ungeheuerlichkeit und eine Bereicherung an den vom SED-Unrecht Geschädigten. Bei so viel Ungerechtigkeit kann einem glatt die Galle hochkommen. Inhalte des Totalitarismus wie aus der Gruft! Etwas besser umschrieben: an der Arroganz der Macht vermittelte Aussagen.
Meine Damen und Herren! Einen besonders eklatanten Fall der politischen Verfolgung des SED-Staates bildeten die Zwangsaussiedlungen aus dem vormaligen Grenzgebiet. Weil das den linken Fraktionen entgangen zu sein scheint, sei noch einmal an diese Gegebenheiten erinnert.
In den Jahren 1952 und 1961 kam es im Grenzgebiet zwischen der sowjetischen Besatzungszone und der Bundesrepublik Deutschland zu zwei groß angelegten Zwangsaussiedlungsaktionen, in deren Verlauf dem SED-Regime politisch missliebige Bürger regelmäßig unter Verlust ihres Grund und Bodens in das Landesinnere umgesiedelt wurden. Betroffen waren Alte, Mütter, Väter, Kinder und anderweitig politisch Verdächtigte sowie Denunzierte. Nach den bisherigen Erkenntnissen wurden in Sachsen-Anhalt erhebliche Personenkreise zwangsausgesiedelt.
Einen Tropfen auf den heißen Stein bildeten die Entschädigungen nach dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vom 23. Juni 1994 in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997. Hiernach erfolgten eine Rehabilitierung von Zwangsausgesiedelten und die Gewährung von Ausgleichsleistungen aber nur dann, wenn gleichzeitig mit der Zwangsaussiedlung ein Eingriff in die Vermögenswerte, eine gesundheitliche Schädigung oder ein beruflicher Eingriff vorlagen.
Diese gesetzliche Regelung ist aber unzureichend, da sie einen großen Teil der Zwangsausgesiedelten von jeglichen Entschädigungsleistungen ausschließt.
Darüber hinaus werden offenkundig im rot-roten Paradies von Sachsen-Anhalt die Anträge der Zwangsausgesiedelten nur unzureichend und schleppend bearbeitet; denn Hunderte von Personen warten noch auf die Bescheidung ihrer Anträge. Leider ist damit zu rechnen, dass sich die Anliegen der Betroffenen durch die so genannte biologische Lösung von selbst erledigen sollen wahrhaftig eine Samariterleistung der der Gerechtigkeit verpflichteten rot-roten Einheitspartei, die immer mehr Antworten als Fragen hat.
Dem von der CDU-Fraktion eingebrachten Antrag können wir zustimmen. Er unterscheidet sich von unserem Antrag dadurch, dass der unsrige mit „Hilfen“ und nicht mit „Entschädigungen“ überschrieben war. Hilfe ist umfassender als Entschädigung. Entschädigung ist eine Anerkennung für Aufwendungen. Somit wäre unser Antrag der weitergehende gewesen.
Hätten Sie, Herr Schomburg, nicht die namentliche Abstimmung beantragt, so hätte ich es getan. - Ich bedanke mich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie wir soeben vom Minister, aber auch schon im Ausschuss bei der Berichterstattung erfahren haben, ergab sich auch nach nochmaliger Prüfung durch das Ministerium kein anderer Sachverhalt. Trotzdem ist es für mich eine schwierige Entscheidung, weil man, wenn man den Antrag ablehnt, und zwar aus verfassungsrechtlichen Gründen, leicht in den Verdacht geraten kann, das Schicksal der Opfer nicht ernst genug zu nehmen. Ich glaube allerdings, dass mir das an dieser Stelle wohl niemand vorwerfen kann.
Vorgestern habe ich einen mich sehr berührenden Brief von der Föderativen Vereinigung Zwangsausgesiedelter bekommen. Sie fragen mich, ob ich mir vorstellen kann, wie ihnen bei diesen Verbrechen zumute war.
Ich möchte meine sehr persönliche Antwort an die Zwangsausgesiedelten richten: Ja, ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute war, welche Ohnmacht Sie gegenüber dem repressiven Staat DDR empfunden haben. Ich kann es mir vorstellen, weil ich Ähnliches erlebt habe wie Sie.
Auch meiner Familie wurde, betrieben durch einen SEDFunktionär, im Jahr 1984 mein Elternhaus enteignet. Wir mussten damals nach dem Tod meines Vaters das Haus zwar nicht innerhalb weniger Stunden räumen, sondern wir hatten einige Tage länger Zeit. Damit wir uns allerdings nicht zu viel Zeit ließen, wurde mit der polizeilichen Zwangsräumung gedroht.
Der nach der Wende gestellte Antrag auf Rückübertragung war erfolglos, da die Enteignung sehr viel cleverer und diffiziler eingefädelt worden war. Wir entschieden uns letztlich, das seit 120 Jahren im Familienbesitz befindliche Haus, das mittlerweile vom Verfall bedroht war, für sehr viel Geld zurückzukaufen.
Ja, ich kenne die Ohnmacht, sich nicht wehren zu können gegen einen repressiven Staat bis zur Wende im Jahr 1989. Als meine Tochter 19-jährig im Sommer 1989 über Ungarn in die Bundesrepublik flüchtete, wurde in meinem Beisein ihr sämtlicher persönlicher Besitz beschlagnahmt, so wie bei vielen anderen Flüchtlingen auch.
Gott sei Dank haben wir Schluss gemacht mit diesem Unrecht. Ich erzähle dieses Beispiel, weil es, so glaube ich, deutlich macht, wie schwierig es ist, begangenes Unrecht wieder gutzumachen.
An dieser Stelle fällt mir der Satz von Bärbel Bohley ein: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ - Es hat sich herausgestellt, dass der Rechtsstaat nicht in der Lage ist - und, Herr Schomburg, das sage ich auch ganz selbstkritisch -, von der DDR begangenes Unrecht umfassend und vor allem in moralischer Hinsicht zu regeln. Für die Opfergruppe der Zwangsausgesiedelten hat er sich zumindest im Ansatz bemüht. Dennoch sind die Einzelfälle der Schicksale so unterschiedlich, dass es nicht in aller Vollständigkeit gelungen ist.
Was mir und, wie ich denke, auch vielen Zwangsausgesiedelten und anderen vom Unrecht der DDR Betroffenen sehr wichtig ist, ist die moralische Rehabilitation, die die Opfer durch die Gesellschaft erfahren müssen. An dieser Stelle sehe ich große Defizite, ja teilweise eine unerträgliche Situation, nämlich dass bis heute die Menschen unter ihrer Kriminalisierung, Diffamierung und Dis
kriminierung zu leiden haben, dass sie teilweise auch heute noch von den gleichen Leuten wie früher verhöhnt werden, in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der DDR nicht ernst genommen werden - so nach dem Motto: etwas bleibt immer hängen - oder dass sie, wenn sie sich kritisch mit der DDR auseinander setzen, auch heute noch von mittlerweile wieder angesehenen Leuten diffamiert werden. - Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.
Wir brauchen die politische Bewertung der DDR und damit des SED-Regimes vor allem von den vom Unrecht Betroffenen. Wir brauchen die Geschichten des Erlebten auch, damit es der PDS heute nicht so leicht gemacht wird, ihren Etikettenschwindel zu betreiben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Frage der Einzelentschädigung für die Zwangsausgesiedelten anbelangt, kann bei der DVU-Fraktion die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Inneres nur auf Ablehnung und Unverständnis stoßen.
Die von der Landesregierung sofort ins Feld geführte Argumentation, dass die Zwangsausgesiedelten, was deren Vermögen betrifft, eine privilegierte Stellung, wenn nicht sogar die privilegierteste überhaupt unter den SEDUnrechtsopfern innehatten, ist schon fast als zynisch zu bezeichnen. Unter dem Deckmäntelchen einer objektiven Betrachtungsweise maßt sie sich damit allen Ernstes an, quasi eine Differenzierung zwischen einem mehr oder weniger erlittenen SED-Unrecht vornehmen zu dürfen. Für die Zwangsausgesiedelten stellt ein solches Verhalten eine erneute Demütigung dar.
Angesichts einer solch unverhohlenen Betrachtungsweise kann auch der von der Regierungspartei zur Begründung ihres Gesetzesänderungsantrages vorgetragene Appell nur als populistisch und scheinheilig anzusehen sein. Diese sprach davon, dass sie die Zwangsausgesiedelten gern gesellschaftlich und moralisch rehabilitiert sehen würde. Alles spricht schon deswegen für eine verlogene Schlussstrichmentalität dieser Landesregierung.
Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zum Ausdruck bringen, dass es mit einem alleinigen Verweis auf das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz und das Vermögensgesetz nicht getan ist; denn die Situation stellt sich für die Betroffenen in der Form dar, dass durch Misshandlungen erlittene körperliche Schäden, die nicht zu einem Dauerschaden führten, nicht entschädigt werden. Ebenso werden auch die Opfer von seelischen Misshandlungen nicht entschädigt.
Wenn man sich vor Augen führt, auf welch brutale Weise im DDR-Unrechtsregime die Zwangsevakuierungen und Verschleppungen unbescholtener Bürger und Familien durchgeführt wurden, dann möchte man nicht noch lang und breit über Probleme der Einzelfallgerechtigkeit diskutieren.
Was im Bundesland Thüringen mithilfe einer Stiftung für Zwangsausgesiedelte in puncto Einzelentschädigung
bereits vor fünf Jahren möglich gemacht wurde, das muss auch in diesem Land für die Opfer machbar sein. Auch mit Blick auf den Landeshaushalt müsste es mit etwas gutem Willen machbar sein, die Zahlung eines einmaligen Betrages von 4 000 DM an die auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt von Zwangsaussiedlung betroffenen 600 Personen zu realisieren.
Im Hinblick auf die Realisierung eines solchen Vorhabens sei jedoch auch an den Faktor Lebensalter der betroffenen Opfer erinnert. Viele von ihnen sind betagt und hochbetagt. Entscheidend wäre gerade für diesen Personenkreis nicht der Geldbetrag von 4 000 DM, sondern vielmehr die Geste ihres Heimatlandes Sachsen-Anhalt, mit der das Schicksal der Zwangsausgesiedelten besonders gewürdigt würde.
Wer auch weiterhin aufrichtig und glaubwürdig für die gerechte Wiedergutmachung des schweren Schicksals der Zwangsausgesiedelten einzutreten bereit ist, kann folglich der Beschlussempfehlung nur ablehnend gegenüberstehen.
Von daher folgen wir nicht der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Inneres, sondern sprechen uns mit allem Nachdruck für den Antrag der CDU-Fraktion aus, den Opfern der Zwangsaussiedlung eine Einzelentschädigung in Höhe von 4 000 DM zu gewähren. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Herr Büchner. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Dann ist die Aussprache zu Ende.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist eine namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte Frau Kollegin Dirlich, mit dem Namensaufruf zu beginnen.