Protokoll der Sitzung vom 11.10.2001

„Betrachten Sie Graffiti als Demokratisierung der Stadtplanung und -gestaltung und wenden Sie sich wichtigeren Aufgaben zu.“

Auf diese Weise tritt sie den Antragstellern entgegen. Ich zitiere noch eine andere Stelle:

„Solange Sie“

- gemeint sind CDU/CSU und FDP

„Jugendlichen keine besseren Angebote machen, ihre Kreativität und ihr Lebensgefühl auszudrücken, müssen Sie sich wohl damit abfinden, dass Sie der Attraktivität einer Spraydose nichts entgegensetzen können.“

Das ist also die Haltung der linken Bundestagsfraktionen gewesen, mit der sie dem Anliegen einer strafrechtlichen Verfolgung des Graffiti-Unwesens entgegengetreten sind.

Ich habe dies zitiert, weil ich hoffe, dass die SPD-Landtagskollegen, die unserem ersten Antrag bereits zugestimmt haben, die Gelegenheit nutzen, um ein wenig innerparteiliche Meinungsbildung zu betreiben; denn - das ist der zweite Grund, weshalb wir das Anliegen zum zweiten Mal vortragen - das Problem, um das es uns ging, hat sich seit der Entscheidung im Landtag bzw. im Deutschen Bundestag nicht vermindert, sondern verschärft.

Meine Fraktion hat vor einem Jahr in Halle eine Anhörung durchgeführt, die dies überdeutlich zum Ausdruck gebracht hat. Ich fasse die Ergebnisse dieser Anhörung in einigen Punkten stichwortartig zusammen:

Erstens. Das Beschmieren bzw. Besprayen von öffentlichen und privaten Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln, städtischen Freiflächen und sogar Naturdenkmalen weist eine zunehmende Tendenz auf, und dies trotz erheblichen Ermittlungsaufwandes der Polizei. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen.

Zweitens. Die Schäden sind enorm. Nun kann ich auf einige Zahlen aus dem Zeitraum 1998 bis 2000 verweisen, wobei die aktuelle Wirklichkeit wahrscheinlich auch diese Zahlen längst überboten hat. Die beiden großen kommunalen Wohnungsunternehmen der Stadt Halle beziffern die verschmierte und zu reinigende Fläche wenn sie denn gereinigt werden sollte - auf insgesamt 25 000 Quadratmeter Fassadenfläche und kalkulieren 1 Million DM Reinigungskostenaufwand.

Die Stadt Halle hat im Jahr 1998 - sie hat sich dabei nur auf exponierte Flächen und Flächen bei Verwaltungsgebäuden, Schulen und Kindergärten beschränkt und hat dabei bevorzugt nur Parolen rechtsextremer Natur beseitigt - mit 500 000 DM fast 10 % der Bauunterhaltungskosten für öffentliche Einrichtungen in die Beseitigung von Vandalismus- und Schmierschäden gesteckt. Das städtische Nahverkehrsunternehmen HAVAG rechnet mit 250 000 DM pro Jahr an Reinigungskosten und hat dabei gegen die neue Form des Verunstaltens in Form von Kratzereien längst die Segel gestrichen. Also da wird schon gar nichts mehr unternommen.

Statistisch schwer zu erfassen sind die Schäden bei privaten Eigentümern, aber sie unterstreichen den Handlungsbedarf. Was sagt man beispielsweise einem wenig vermögenden Hausbesitzer, der sich erheblich verschulden musste, um den Anforderungen des Denkmalschutzes zu genügen und mit erheblichen Einzelaufwendungen eine baudenkmalgerechte Restaurierung der Fassade seines Hauses vorzunehmen - und dies allein unter der Vorgabe, dass es darauf ankommt, auch die Einzelheiten der Fassade im äußeren Erscheinungsbild denkmalgerecht zu gestalten -, und der an einem Morgen sein Haus betrachtet und feststellt, dass es durch Graffiti völlig verunstaltet und beschmiert ist?

(Zustimmung von Herrn Becker, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Ich wünschte mir, meine Damen und Herren, dass das Landesamt für Denkmalschutz, das mit der Erteilung von Bauauflagen auch nicht zurückhaltend ist, sich in den Verein der Gegner des Graffiti-Unwesens endlich einreihte. Das wäre ein guter Beitrag.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP)

Ich verweise aber auch auf Naturdenkmale, beispielsweise die Naturfelsen in den Gimritzer Alpen, in den Brachwitzer Alpen oder auch im Amselgrund in Halle. Auch hier frage ich mich, ob Nabu und BUND, die sich auch sonst sehr für den Umweltschutz und die Bewahrung von Naturschönheiten einsetzen, sich nicht auch an dieser Stelle engagieren könnten.

Drittens. Graffiti-Schmierer treiben angesichts der bestehenden Rechtslage ohne nennenswertes Unrechtsbewusstsein ihr Unwesen. Das Risiko, erwischt zu werden, sorgt lediglich für den erwünschten Kick, nicht jedoch für einen Anflug des Gefühls, unrecht zu handeln. Viertens. Es wird immer deutlicher - auch das ist bei unserer Anhörung ganz klar geworden -, dass die Übergänge von illegaler Graffiti-Schmiererei zu grobem Vandalismus, ja hin bis zu gewaltkriminellen Handlungen fließend sind und dass die Regel des Bürgermeisters von New York, der nun aus anderem Anlass bekannt geworden ist, von den Broken Windows, das heißt von der Nulltoleranz gegenüber derartigen Straftaten und ihren Auswirkungen auf die Bekämpfung von Gewaltkriminalität, auch dabei ihre Bestätigung findet.

Fünftens. Ein erheblicher Ermittlungsaufwand der Polizei hat auch zu beachtlichen Ermittlungserfolgen geführt. Uns wurde in Halle von einer Aufklärungsquote von 77 % berichtet. Aber nun kommt das Entscheidende: Den hohen Fallzahlen und der hohen Aufklärung durch die Polizei steht keinerlei auch nur im Entferntesten angemessene juristische Konsequenz gegenüber. Die Staatsanwaltschaft verfolgt jedenfalls nicht in spürbarer Weise all dies, was von der Polizei und von anderen ermittelt wurde.

In diesem Zusammenhang gilt es nun festzustellen, wo die Ursachen für dieses Justizversagen liegen. Ich möchte drei Gesichtspunkte hervorheben:

Erstens. Wir haben es hier natürlich mit einer klassischen Anwendung des Jugendstrafrechts zu tun. Hier die Zahlen aus Halle für das Jahr 1999: 73 % der Täter sind Jugendliche, 10 % Kinder, 13 % Heranwachsende und 4 % Erwachsene. Das heißt, die Inkonsequenz der Landesregierung - Stichwort Diversionsrichtlinie - im Bereich des Jugendstrafrechts wirkt sich auch hier nachteilig aus.

Der zweite Punkt ist aber der eigentlich gewichtige, der uns zu diesem Antrag veranlasst. Die Auslegung des Straftatbestandes Sachbeschädigung macht die Justiz zwangsläufig blind für diese Form der Eigentumsverletzung. Im Schatten der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von 1979 ist die Justiz offensichtlich in eine Sackgasse geführt worden, indem man für die Erfüllung des Tatbestandes der Sachbeschädigung gemäß den einschlägigen Urteilen fordert, dass eine Sachbeschädigung nur dann anzunehmen ist - hierzu darf ich aus den entsprechenden Urteilen zitieren -,

„wenn sich die äußere Veränderung der Sache nicht rückgängig machen lässt, ohne damit zugleich die Sache in ihrer früheren Farbgebung oder Gestalt zu beschädigen. Kosten, Dauer und

Schwierigkeitsgrad des Rückgängigmachens sollen dabei außer Betracht bleiben, solange es zur vollständigen Wiederherstellung des früheren Zustandes allein einer Substanzbeseitigung - Abtragen der neuen Farbe - und keiner Substanzhinzufügung weiteren Farbanstrichs bedarf.“

Wer sich mit diesem Sachverhalt auseinander setzt, weiß, dass damit im Grunde genommen ein Hindernis aufgegeben ist, das es in der Tat der Justiz sehr schwer macht, zu einem angemessenen Umgang mit diesem Straftatbestand zu kommen.

Deshalb ist der Gesetzgeber, ist die Politik verpflichtet es hat keinen Zweck, auf die Justiz zu schimpfen -, durch eine Erweiterung des Tatbestandes, wie es das Land Baden-Württemberg vorgeschlagen hat, durch die Aufnahme des Sachverhalts des Verunstaltens eine Öffnung der Anwendung zu ermöglichen und damit auch einer angemessenen Strafverfolgung Raum zu geben. Ich komme zum dritten Punkt. Die Bundesregierung hat nach der Ablehnung der ersten Initiative von Bundesrat, CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundestag die Empfehlung gegeben, die Länder sollten das Ganze durch das Ordnungsrecht in Landeshoheit zu lösen versuchen. Wir sind auch dieser Möglichkeit nachgegangen und ich kann Ihnen nur sagen: Es scheint der ungeeignete Weg zu sein.

Wir kommen in dieser Sache nur weiter - ich sage nicht, dass das ein Patentrezept ist -, wenn wir den Straftatbestand der Sachbeschädigung so fassen, dass die Graffiti-Kriminalität - so muss man es wohl nennen - angemessen verfolgt werden kann. Deshalb bitten wir, den Antrag des Bundeslandes Baden-Württemberg im Bundesrat zu unterstützen.

Ich will gleich jetzt sagen: Das ist der konkrete Antrag, darum geht es. Es hat wenig Zweck, wie im Änderungsantrag vorgesehen, die Landesregierung für bisherige Aktivitäten zu loben. Wir haben das zu tun, was jetzt möglich ist; denn das, was bisher geschehen ist - das ist gar keine Kritik an der Justizministerin, die sich im Bundesrat pflichtgemäß verhalten hat -, war ganz offenkundig nicht ausreichend. Ich empfehle, offenen Auges einen Spaziergang durch Magdeburg, durch Halle und durch andere größere Städte zu machen. Dann wissen wir, dass ein Handlungsbedarf besteht. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der DVU und bei der FDVP)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Debatte aufrufe, begrüße ich herzlich Damen und Herren der Jungen Union Sachsen-Anhalt.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, es ist eine Debatte mit einer Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge DVU, FDVP, PDS, SPD und CDU. Als Erster erteile ich jedoch für die Landesregierung Ministerin Frau Schubert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bergner, vorab: Die Arbeit hätten Sie sich sparen kön

nen. Hätten Sie bei mir angerufen, hätte ich Ihnen gesagt, dass die Landesregierung bereits letzte Woche im Rechtsausschuss des Bundesrates zugestimmt hat und dem Gesetzentwurf auch nächste Woche in der Bundesratssitzung zustimmen wird. Ich denke, das hätte Ihre Arbeit sicherlich verkürzt.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP - Herr Becker, CDU: Das wur- de anerkannt!)

Wie Sie mit Ihren einbringenden Worten bereits mitgeteilt haben, greift die CDU-Fraktion mit ihrem Antrag eine Problematik auf, die wir bereits anlässlich der 21. Sitzung des Landtages am 7. Mai 1999 eingehend erörtert haben. Nur, unsere Haltung zur Strafbarkeit unrechtmäßiger Farbverunreinigungen hat sich seitdem nicht geändert. Auch das hätten Sie am Telefon von mir erfahren können, Herr Dr. Bergner.

(Herr Becker, CDU: Aha! Das ist des Pudels Kern, Frau Minister!)

Wie bereits damals, Herr Becker, geht der Antrag der CDU auch heute ins Leere. Wir handeln auch ohne Aufforderung.

(Zustimmung von Herrn Jüngling, SPD)

Selbstverständlich können wir nicht in Untätigkeit verharren, wenn in unseren Städten und Gemeinden private wie öffentliche Bauwerke und Verkehrsmittel mit Spraymotiven versehen werden. Ich denke, wir müssen den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf eine geordnete Umwelt auch insoweit ernst nehmen.

Auch ich kenne Fälle, wo Graffitis das Stadtbild beleben, ja im Einzelfall sogar verschönern können. Es kann aber überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass hierzu die Zustimmung der Eigentümer erforderlich ist. Hier geht es nicht um Kunst oder um die Frage, ob Graffitis schön und belebend sind, hier geht es darum, ob ein Eigentümer über den Zustand seines Eigentums entscheiden kann oder nicht.

Vor diesem Hintergrund haben wir die im Antrag der Fraktion der CDU erwähnte Bundesratsgesetzesinitiative im März 1999 nicht nur unterstützt, sondern mitgetragen. Wir werden auch jetzt den baden-württembergischen Antrag mittragen, aber wir werden ihn in den Ausschuss überweisen lassen, weil diese Fachfrage strafrechtlich sehr schwierig ist. Ich denke, im Ausschuss wird sie richtig behandelt werden können.

Nach der derzeit geltenden Rechtslage ist zur Verwirklichung des Tatbestandes der Sachbeschädigung entweder eine Minderung der Brauchbarkeit der Sache oder eine nicht unerhebliche Verletzung der Sachsubstanz erforderlich. Gleichgesetzt wird hiermit, dass die Sache derart in Mitleidenschaft gezogen wird, dass eine Reinigung zwangsläufig zu einer Substanzverletzung führt.

Das ist die große Schwierigkeit nach der jetzigen Gesetzeslage, weswegen wir gesagt haben, wir brauchen eine Erläuterung, eine Erweiterung und wir müssen sehen, wie wir klarstellen, dass die Farbaufsprühung auf eine Fläche, die jemandem gehört, als Strafsache geahndet werden kann, damit wir den Täter-Opfer-Ausgleich anwenden können. Dieser ist das wirksamste Mittel überhaupt, den Tätern nicht nur beizukommen, indem sie den Schaden wieder gutmachen, sondern ihnen bei der Schadenswiedergutmachung auch einen Erziehungseffekt zuteil werden zu lassen.

Ich denke, der größte Erziehungseffekt für den Täter besteht darin, dass er das, was er unter Stolz mit seinem „tag“ versehen und wofür er das Lob der gesamten Gruppe bekommen hat, vor Ort und vor den gleichen Leuten wieder beseitigen muss. Dafür brauchen wir das Strafrecht. Der Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafrecht ist anzuwenden, wenn wir über den § 45 des Jugendgerichtsgesetzes kommen.

Sie sagten, mit unserer Diversionsrichtlinie seien wir inkonsequent gewesen. Aber, Herr Dr. Bergner, wenn Sie die Farbsprühung auf Gebäudeflächen zum Straftatbestand machen, landen Sie wieder bei dem § 45 und bei der Diversion. Insofern ist also auch der Einwand inkonsequent.

Wir sind uns sicherlich im Klaren darüber, und zwar alle, dass es im Zusammenhang mit der Einführung des Tatbestandsmerkmals des Verunstaltens als neuem unbestimmtem Rechtsbegriff zu Schwierigkeiten kommen kann. Letztlich ist die Bundesratsgesetzesinitiative vom März 1999 daran gescheitert, dass sich die Bundestagsfraktionen insoweit in ihren Standpunkten nicht annähern konnten. Deshalb werden wir bei der Behandlung des baden-württembergischen Antrages für die Ausschussüberweisung und nicht für die sofortige Sachentscheidung stimmen.

Graffitis sind vielfach Ausdruck und Ausfluss der Probleme unserer Jugend. Insofern haben viele Leute, die sagen, es ist eine Rebellion im Gang, nicht ganz Unrecht. Deshalb müssen wir neben der beabsichtigten Gesetzesänderung auch weiterhin unsere Bemühungen im präventiven Bereich verstärken. Bedauerlicherweise geht Ihr Antrag hierauf mit keinem Wort ein. Das Strafrecht kann jedoch immer nur Ultima Ratio sein, insbesondere dann, wenn es sich um gesellschaftliche Missstände handelt.

Wir haben schon seit längerer Zeit differenzierte Präventionsstrategien entwickelt, um auf die zumeist jugendlichen Graffiti-Täter erzieherisch einzuwirken und so die Zahl der Farbverunreinigungen zu vermindern. Die enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Jugendämtern unter Beteiligung möglichst vieler gesellschaftlicher Kräfte hat sich bewährt, gerade auch in den Ballungszentren.

Die Graffiti-Täter werden von der Polizei durch besonders geschulte Beamte gezielt verfolgt. Dass die überführten Täter in unserem Land im Wege des TäterOpfer-Ausgleichs oder durch die gerichtlich auferlegte Weisung, den Schaden wieder gutzumachen, zu Reinigungsarbeiten herangezogen werden oder die Kosten der Reinigung der von ihnen verunstalteten Flächen gegebenenfalls bezahlen müssen, darf ich als bekannt voraussetzen.

Insofern, Herr Bergner, verstehe ich nicht, dass Sie sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Justiz den Vorwurf machen, gerade bei Sprühereien nicht konsequent vorzugehen. Wir haben durchaus entsprechende Urteile mit der Aufforderung zur Schadenswiedergutmachung.

(Herr Dr. Bergner, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage)