Protokoll der Sitzung vom 12.10.2001

Schon vor der Anhörung hat sich abgezeichnet - in der Anhörung wurde dies ganz deutlich -, dass seit dem 1. September 2000 über ein Drittel der ambulanten privaten Pflegedienste für die Kassenverbände Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbringt, ohne eine vertragliche Grundlage nach § 132 a SGB V zu haben. Trotz stetiger Verhandlungen konnten sich die Verhandlungspartner bisher nicht auf einen Vertrag einigen.

Im Gegenteil, dieser vertragslose Zustand zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen wurde dazu genutzt, die Leistungen an private Anbieter zu kürzen. Durch ein Preisdiktat ist eine Ungleichbehandlung gegenüber den gemeinnützigen Trägern entstanden. Das heißt, die privaten ambulanten Pflegedienste werden für die gleiche Leistung schlechter bezahlt als die gemeinnützigen Träger.

Eine akute Gefährdung von Arbeitsplätzen in der häuslichen Krankenpflege ist damit nicht auszuschließen. Dadurch kann es zu Versorgungsengpässen kommen und die vom Gesetzgeber geforderte Qualität kann unter Umständen zukünftig nicht mehr sichergestellt werden.

Wie die Praxis zeigt, sind die Vertragsverhandlungen nach § 132 a SGB V auch in anderen Bundeslän- dern problembehaftet. Infolgedessen liegen seit Jahren im Bundesgesundheitsministerium Anträge vor, ein Schiedsverfahren für die häusliche Krankenpflege in das SGB V einzufügen. Alle bisherigen Bemühungen um eine bundesgesetzliche Regelung sind an den Widerständen der Krankenkassen gescheitert, die darin einen Eingriff in ihre Selbstverwaltungsangelegenheiten sowie eine Einschränkung ihrer Verhandlungsautonomie sehen.

Eine von Bayern in den Bundesrat eingebrachte Initiative zur Einführung von Schiedsstellen für die Vergütung der Leistungen der häuslichen Krankenpflege hat keine

Mehrheit gefunden. Auf Rückfrage hat der AOK-Bundesverband mitgeteilt, dass es in Brandenburg Pläne gibt, eine Schlichtungsvereinbarung zu schließen. Derzeit besteht in Bayern eine freiwillige Schlichtungsvereinbarung zwischen den Verbänden der Leistungser- bringer und den Krankenkassen. In Mecklenburg-Vorpommern besteht bis zum 31. Dezember 2001 ein freiwilliger Schlichtungsvertrag.

Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass das Sozialgericht Magdeburg am 6. September 2000 in einem Beschluss ausgeführt hat, dass es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verwehrt ist, eine angemessene Vergütung für Leistungen nichtärztlicher Leistungserbringer festzusetzen. Zugleich hat das Gericht erhebliche Bedenken dahin gehend geäußert, ob die Regelung nach § 132 a SGB V den inzwischen in der Praxis auftretenden Problemen überhaupt noch gerecht werden kann. Einerseits formuliert das Gesetz einen Kontrahierungszwang; aber in der Praxis finden die Verhandlungsbeteiligten zu keiner Einigung und ein Schiedsstellenverfahren ist vom Gesetz nicht vorgesehen.

Das Sozialgericht vertritt die Ansicht, dass der Gesetzgeber es dem Verhandlungsgeschick der Beteiligten überlassen hat, ob und in welchem Umfang eine Einigung erzielt wird.

Nach dem Rechtsgutachten von Herrn Professor Dr. Gunther Schwerdtfeger von der juristischen Fakultät der Universität Hannover, das sich mit der grundrechtsgeleiteten Pflegeberechtigung der privaten Pflegedienste in der häuslichen Krankenpflege nach § 132 a SGB V befasst, wird dazu grundlegend ausgeführt - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus diesem Rechtsgutachten -:

„Obwohl für die Vertragsverhandlungen über die häusliche Krankenpflege eine entsprechende gesetzliche Regelung fehlt, bedeutet dies nicht, dass dort keine Schiedsstellen möglich sind. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts können die Krankenkassen und die Verbände der Pflegedienste Schiedsstellen vertraglich vereinbaren.

Demgemäß ist das Fehlen einer ausdrücklichen Schiedsstellenregelung in § 132 a Abs. 2 SGB V keine Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Auflösung von Pattsituationen über rechtsgeschäftliche Schiedsvereinbarungen. Bei § 132 a SGB V geht der Gesetzgeber bisher davon aus, dass die Krankenkassen und die Verbände der Pflegedienste Pattsituationen auch ohne die gesetzliche Einrichtung von Schiedsstellen überwinden können.“

Entscheidend ist der abschließende Satz:

„Sollte sich diese Einschätzung des Gesetzgebers als Irrtum erweisen, wäre der Gesetzgeber wegen des Grundrechtsschutzes der Pflegedienste im Extremfall zur Nachbesserung verpflichtet.“

Nun ist eine Bundesratsinitiative von Bayern gescheitert. Dem Bundesgesundheitsministerium liegen die Anträge seit Jahren vor und in der Sache ist ein Weiterkommen nur absehbar, wenn es zu einer Schlichtungsvereinbarung zunächst auf Landesebene kommt.

„Der Gesetzgeber ist verpflichtet“, heißt es in dem Rechtsgutachten. Wird nicht mit dieser sanften Formulie

rung in dem SPD-Änderungsantrag lediglich gefordert, dass die Landesregierung die Bemühungen in der gehabten Form fortsetzt und ein freiwilliges Schiedsverfahren durchführt?

Den SPD-Änderungsantrag lehnen wir ab. Unser Antrag gibt der Landesregierung jede Handhabe, auf einen Vertragsschluss und auf eine Schlichtungsvereinbarung hinzuwirken. Ungenügend ist jedoch die Formulierung der SPD-Fraktion - ich zitiere -: „ihre Bemühungen der letzten Monate fortzusetzen“, weil dies suggeriert, das Sozialministerium habe bisher alle Möglichkeiten ergriffen und ausgelotet.

Wie sich das Sozialministerium bemüht hat, ist einem Protokoll zu entnehmen - ich zitiere -:

„Die beteiligten Krankenkassen sind mit voller Kapelle und Juristen im Sozialministerium erschienen. Das Sozialministerium hat sich sehr zurückhaltend verhalten und lediglich gefordert, per Protokoll über die weiteren Verhandlungen informiert zu werden.“

(Frau Feußner, CDU: Oh, oh, das ist schwach!)

Wenn dass die Bemühungen sind, die die SPD fortsetzen will, soll sie es bitte schön den Pflegeverbänden auch mitteilen. Ein Ende des vertragslosen Zustandes ist so jedoch nicht herbeizuführen. - Ich bitte um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Frau Liebrecht. - Die Debatte wird fortgesetzt. Für die Landesregierung, die zunächst um das Wort gebeten hat, wird Frau Ministerin Dr. Kuppe sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Das Thema „Häusliche Krankenpflege“ hat uns im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales mehrfach beschäftigt. Dabei ging es überwiegend um die Versorgungssituation und um Qualitätsgesichtspunkte.

Mit Schreiben vom 25. September und mündlich in der Ausschusssitzung am 27. September 2001 habe ich die Ausschussmitglieder ausführlich über den aktuellen Sachstand zur Umsetzung der Richtlinie „Häusliche Krankenpflege in Sachsen-Anhalt“ und über die Aktivitäten der Landesregierung in diesem Zusammenhang informiert. Dabei sind auch Fragen des Verhandlungsstandes und der Vergütung angesprochen worden. Ich will deshalb nur wenige Zitate aus meinem Schreiben bringen, insbesondere was die Vergütung anbelangt:

„Insbesondere zwei Verbände privater Leistungserbringer in der häuslichen Krankenpflege haben die Landesregierung mehrfach auf eine zu geringe Vergütung bzw. auf eine fehlende Vertragsgrundlage für die häusliche Krankenpflege mit der AOK Sachsen-Anhalt aufmerksam gemacht. Die beiden Verbände bzw. deren Mitglieder haben im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht auf eine bestimmte Vergütungshöhe von der AOK Sachsen-Anhalt geklagt. Mit diesem Vorhaben sind sie gescheitert.

Wir haben als Landesregierung mit den Verbänden mehrere Gespräche geführt. Die Beteiligten haben sich in den Gesprächen für weitere Verhandlungen ausgesprochen. Eine Annäherung der Positionen konnte jedoch nicht erreicht werden. Lösungsoptionen der Landesregierung zum Verfahren bezüglich der Einrichtung einer Schiedsstelle oder eines Schlichtungsverfahrens auf freiwilliger Basis - denn diese sind gesetzlich nicht vorgesehen - sind vonseiten der Kasse nicht angenommen worden. Die Landesregierung wird die Angelegenheit weiter begleiten.“

So weit die Informationen. Wir haben konkret darüber diskutiert.

Heute liegt uns nun ein Antrag der CDU-Fraktion vor, nach dem die Landesregierung dafür Sorge tragen soll, dass sich Pflegedienste und Krankenkassen bei Vergütungsstreitigkeiten einem Schlichtungsverfahren unterwerfen.

Nachdem ich im Ausschuss ausführlich berichtet habe, dass wir die Option der Schiedsstelle oder des freiwilligen Schlichtungsverfahrens sehen und dass wir bei den Verbänden dafür werben und uns dafür einsetzen, hoppelt jetzt die CDU-Fraktion hinterher und bringt einen Antrag genau zu diesem Thema in den Landtag ein.

Herr Professor Böhmer, Herr Bergner, Frau Stange, Sie waren anwesend in der Ausschusssitzung, Sie haben das alles mitbekommen und haben auch die Aktivitäten, die wir unternommen haben, durchaus registriert und, wie ich denke, nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch unterstützt.

(Zuruf von Frau Stange, CDU)

Deswegen will ich, weil Herr Professor Böhmer mit Sicherheit die rechtlichen Grundlagen kennt, diese aber möglicherweise nicht allen anderen bekannt sind, noch einmal feststellen, dass die Landesregierung über die landesunmittelbaren Krankenkassen die Rechtsaufsicht führt. Das beinhaltet kein fachliches Weisungsrecht gegenüber den selbstverwalteten Körperschaften.

Nach den gesetzlichen Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches schließen die Krankenkassen mit den ambulanten Pflegediensten Verträge über die Einzelheiten der Versorgung, über die Preise und über deren Abrechnung. Dabei haben die Krankenkassen darauf zu achten, dass die Leistungen wirtschaftlich und preisgünstig erbracht werden.

Inhalt und Ausgestaltung von Vereinbarungen mit den Leistungserbringern der häuslichen Krankenpflege sind originäres Selbstverwaltungsrecht der gesetzlichen Krankenkassen. Aufsichtsrechtliche Möglichkeiten sind für diese Vertragsabschlüsse nicht gegeben. Ich sage ganz deutlich: Wenn wir uns an Recht und Gesetz halten wollen, müssen wir das einfach akzeptieren.

Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist der Vielfalt und insbesondere der Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege Rechnung zu tragen. Angesichts des Gebotes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit kann das jedoch nicht dazu führen, dass mit jedem potenziell möglichen Leistungserbringer Verträge abzuschließen sind. Mit 96 von 474 bei der AOK zugelassenen Leistungsanbietern gibt es derzeit keine vertraglichen Vereinbarungen. Für erbrachte Leistungen werden dennoch Vergütungen gezahlt, wenn auch auf niedrigerem Niveau. - Das ist ein schwieriger Punkt.

Die derzeitige Auseinandersetzung zwischen zwei Verbänden der privaten Krankenpflegedienste auf der einen Seite und der AOK Sachsen-Anhalt auf der anderen Seite bezieht sich genau auf diese Vergütung der Leistungserbringer.

Nicht streitig zwischen den Partnern ist die Versorgung. Nach unserer Kenntnis ist die Versorgung mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Sachsen-Anhalt gesichert. Mit der überwiegenden Mehrheit der Anbieter bestehen, wie gesagt, Versorgungsverträge.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium haben mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine Verständigung zwischen der AOK SachsenAnhalt und den Verbänden herbeizuführen versucht. Wir werden diese Bemühungen fortsetzen, weil ich sie für notwendig halte. Meine Lösungsoption bleibt nach wie vor die freiwillige Einrichtung einer Schiedsstelle bzw. die Durchführung eines freiwilligen Schlichtungsverfahrens; bei dieser Position bleibe ich. Leider wurde dieser Vorschlag von der AOK Sachsen-Anhalt bisher abgelehnt.

Die Möglichkeit der Einrichtung einer Schiedsstelle auf freiwilliger Basis ist im Gesetz nicht vorgesehen; Sie haben das referiert, Frau Liebrecht. Deshalb ist eine rechtliche Durchsetzung von unserer Seite aus nicht möglich. Wir können nur dafür werben und uns dafür einsetzen, dass auf freiwilliger Basis derartige Möglichkeiten von den Vertragspartnern genutzt werden. Ihr Antrag ist daher überflüssig.

Ich würde mich freuen, wenn der Landtag unsere Bemühungen unterstützt, die wir als Landesregierung in diesem vertrackten Verfahren unternehmen, uns den Rücken stärkt und damit auch den beiden Vertragspartnern signalisiert, dass Lösungen gewollt sind und dass auf freiwilliger Basis die entsprechenden Vereinbarungen zustande kommen sollen. Wir würden ein Schlichtungsverfahren bzw. eine solche Schlichtungsstelle auf jeden Fall begrüßen und aktiv begleiten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Ro- gée, PDS)

Danke schön, Frau Ministerin. - Wir kommen nunmehr zur Aussprache. Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Das Wort hat für die PDS-Fraktion Herr Dr. Eckert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einmal mehr stehen Fragen der Pflege, und zwar der Erbringung und Vergütung von Leistungen der häuslichen Pflege, im Mittelpunkt der Diskussion des Landtages.

Mit dem Antrag der CDU-Fraktion wird die Landesregierung aufgefordert, dahin gehend zu wirken, dass die Krankenkassen mit den ambulanten privaten Pflegediensten eine Schlichtungsvereinbarung treffen. Die Beweggründe und die Hintergründe für die Einbringung dieses Antrags haben sowohl die CDU-Fraktion als Einbringerin des Antrages als auch die Ministerin deutlich gemacht.

Das Anliegen als solches wird von der PDS-Fraktion unterstützt. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir versucht haben, am Rande der Ausschusssitzungen im Juni dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, um relativ unkompliziert zu einer Lösung zu kommen.

Die Probleme sind durch die Frau Ministerin dargestellt worden. Ich sehe - das muss ich ganz ehrlich sagen - relativ wenig Unterschiede zwischen beiden Anträgen, zwischen dem Antrag der CDU und dem der SPD. Der SPD-Antrag ist aber meines Erachtens sachgerechter, weil er die bisherigen Bemühungen mit aufnimmt.

(Frau Stange, CDU: Er muss zu einer Lösung führen, Herr Dr. Eckert!)

- Ihr Antrag führt auch nicht zu einer Lösung und genau das ist der Punkt. - Unsere Fraktion wird den Änderungsantrag der SPD-Fraktion unterstützen.

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass vielleicht vonseiten der Landesregierung zu prüfen ist, inwieweit es günstiger wäre, im Bundesrat über die Einrichtung einer Schiedsstelle nachzudenken. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zustim- mung von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)