Protokoll der Sitzung vom 12.10.2001

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zustim- mung von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Danke schön, Herr Dr. Eckert. - Für die DVU-Fraktion hat Herr Preiß das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag zur Schaffung einer Schlichtungsvereinbarung zwischen ambulanten privaten Pflegediensten einerseits und den Krankenkassen andererseits kann von unserer Fraktion nur begrüßt und unterstützt werden.

Die Errichtung von ambulanten Pflegediensten ist ein großer Fortschritt im sozialen Bereich. Die Menschen, die hierin tätig sind, brauchen bei ihrer nicht immer leichten Arbeit vor allen Dingen Rechtssicherheit. Es kann einfach nicht hingenommen werden, dass über ein Drittel der Pflegekräfte ohne vertragliche Grundlage ihren schweren Dienst versieht. Dass bei den Krankenkassen auch gespart werden muss, ist uns allen klar, aber man darf nicht am falschen Ende anfangen.

Mitbürger, welche die ambulanten Pflegedienste in Anspruch nehmen, sind zumeist ältere Bürger, welche ihr ganzes Arbeitsleben in die Kassen eingezahlt haben. Ausgerechnet bei denen will man zu sparen anfangen.

Wenn man weiß, dass die AOK Sachsen-Anhalt im vorigen Jahr ein Plus von 49 Millionen DM erwirtschaftet hat, dass, wie vor ein paar Tagen in der Presse zu lesen war, ein Millionenschaden durch Falschabrechnungen bei der AOK entstanden ist und man es sich immer noch nicht erlauben kann, Gesundheitsberater paarweise zu den Pflegebedürftigen zu schicken, dann kommt man zu dem Schluss, dass bei den Krankenkassen immer noch genug Geld vorhanden ist. Außerdem sollte man auch wissen, dass die Ausgaben für die häusliche Krankenpflege nur etwa 1,5 % des Gesamtbudgets der AOK ausmachen.

Man kann hierbei nicht einfach die Gesetze des freien Marktes anwenden, noch zumal die Pflegedienste keine Lobby haben. Durch die ambulanten Pflegedienste wird gewährleistet, dass unsere ältere Generation länger in der gewohnten Umgebung und Familie bleiben kann. Ohne ambulante Pflegedienste würde für viele ältere Menschen eine Heimunterbringung unausweichlich, die natürlich auch wieder teuer würde.

Wir sind aufgefordert, die Arbeit der ambulanten Pflegedienste durch die Errichtung einer Schlichtungsstelle zu unterstützen, um ihnen mehr Rechtssicherheit zu geben; denn gerade durch die Arbeit der Pflegedienste wird den Krankenkassen viel Geld erspart, wenn man die Kosten für die Heimunterbringung dagegenrechnet. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung von Herrn Montag, DVU)

Danke schön, Herr Preiß. - Für die FDVP-Fraktion spricht Herr Weich.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Jahr 1999 verhandeln die privaten Leistungserbringer über ihre Verbände mit der AOK über den Abschluss eines neuen Vertrages zur Erbringung häuslicher Krankenpflege nach § 132 a SGB V. Bisher konnte mit der AOK ein Vertragsabschluss nicht erzielt werden, weil die AOK sowohl durch immer neue Vergütungsangebote als auch durch Vorschläge hinsichtlich der Gestaltung von Leistungsinhalten und -strukturen die Verhandlungen unnötig in die Länge zieht.

Statt sich auf die Erzielung eines Ergebnisses zu verständigen, nutzt die AOK jede Gelegenheit, sich an die einzelnen Mitgliedsbetriebe zu wenden und diese zum Abschluss von Einzelverträgen zu bewegen. Den Pflegediensten werden dabei von der AOK ohne weitere Verhandlungen Preise aufgezwungen. Der Einwand der Pflegedienste, dass die geforderte hohe Qualität der Leistung im Vergleich zu den dafür angebotenen Vergütungen ein wirtschaftliches Handeln unmöglich macht, wird schlicht ignoriert.

Die ambulante Behandlung und Versorgung pflegebedürftiger Menschen steht vor einem Kollaps. Dies ist das Fazit, das zum derzeitigen Stand der Verhandlungen zwischen den Trägerorganisationen der ambulanten Dienste und den gesetzlichen Krankenkassen gezogen werden kann.

Zunehmend wird die finanzielle Absicherung der häuslichen Pflege und Versorgung zum Spielball zwischen Krankenkassen, Pflegekassen, Politik und Trägern der ambulanten Pflege. Leidtragende sind die Pflegebedürftigen, aber auch die Pflegemitarbeiter, auf die der Druck weitergegeben wird. Dies gilt nicht nur für die Pflegedienste der freien Wohlfahrtspflege; auch privatgewerbliche Dienste können sich oft nur noch durch einen selbstausbeuterischen Arbeitseinsatz über Wasser halten.

Gleichwohl erwarten die Krankenkassen für die Mittel, die sie zur Verfügung stellen, immer mehr Leistungen zur Absicherung der ambulanten Krankenpflege, die Vorrang vor der Behandlung im Krankenhaus haben soll. Die Kostenübernahme wird bei Leistungen der pflegerischen Vorsorge sowie der psychiatrischen Krankenpflege von den Krankenkassen häufig abgelehnt. In unzähligen Fällen weigern sie sich auch, ärztlich verordnete Maßnahmen zu finanzieren. Hierbei ist eine zunehmende Entwicklung zu beobachten, kranke und pflegebedürftige Menschen nur mehr als Kostenfaktor zu sehen. Die Ablehnungsbescheide sind vielfach an Selbstherrlichkeit und Zynismus kaum zu überbieten.

Da es nicht zu einer Verständigung über die Vergütung kommt, werden veraltete und nicht mehr leistungsge

rechte Entgeltregelungen stillschweigend fortgeschrieben. Die Schlagwörter sind Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Zusammenhang mit Notwendigkeiten und Grundsicherung in der Pflege sowie eine neue Kultur des Helfens. Wenn diese jedoch, wie zu befürchten ist, hauptsächlich darin besteht, einer Billigpflege und damit der Absenkung der Qualität das Wort zu reden, hätte dies nicht nur für die Betroffenen fatale Auswirkungen.

Unerträglich sind dabei die Auseinandersetzungen über Finanzierungszuständigkeiten - Krankenkasse oder Pflegekasse - für Leistungen und die Frage, wer sie erbringen soll - Fachkraft oder Nichtfachkraft.

In diesem Zusammenhang wird auch viel von Wirtschaftlichkeitsreserven der ambulanten Dienste ge-sprochen. Von einem gewissen Punkt an sind Kostenreduzierungen durch verbesserte Organisation oder Umstrukturierungen nicht mehr erreichbar. Es verbleibt nur die Reduzierung der Qualifikation der Mitarbeiter bzw. die Absenkung der Bezahlung. Wenn dies gewollt ist, sollten die Verantwortlichen dies sagen und auf die Folgen für alle Beteiligten hinweisen, damit nicht falsche Hoffnungen entstehen.

Partnerschaftliche Lösungen, wie sie von der Politik gewollt sind, erfordern, dass die Interessen aller Beteiligten in fairer Weise ausgehandelt werden. Derartige Modelle der Selbstverwaltung funktionieren aber nur und führen nur dann zu einer Versorgung, die den Erfordernissen der Versicherten gerecht wird, wenn für den Konfliktfall neutrale Schiedsstellen vorgesehen sind.

Für die häusliche Krankenpflege existiert jedoch kein Schlichtungsverfahren. Damit ist von vornherein vorprogrammiert, dass sich die Träger der häuslichen Pflege in einer benachteiligten Position befinden. Die Praxis zeigt jedoch, dass hier ein Schlichtungsverfahren zwingend notwendig ist. Das Nachsehen haben aber die Pflegebedürftigen, wenn immer weniger ambulante Dienste häusliche Pflegeleistungen anbieten.

Die Krankenkassen sollten in den Verhandlungen die ernsthafte Bereitschaft zeigen, noch in diesem Jahr zu einem einvernehmlichen Vertragsergebnis mit den ambulanten privaten Pflegediensten zu kommen.

Die freiheitliche Fraktion stimmt dem Antrag zu. - Danke.

(Zustimmung bei der FDVP)

Danke schön, Herr Weich. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Frau Lindemann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass der Antrag der CDU eigentlich nur dazu dienen soll, die Landesregierung zu etwas aufzufordern, was sie bereits seit geraumer Zeit und mit Nachdruck verfolgt. Das ist meiner Meinung nach unseriös und auf keinen Fall ein guter Stil.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Frau Stan- ge, CDU)

Wenn der Antrag dennoch Sinn machen sollte, dann besteht dieser allenfalls darin, dass die Öffentlichkeit und dass die sich streitenden Parteien, die Pflegeverbände und vor allen Dingen wohl auch die Krankenkassen, verspüren, dass wir als Parlament sehr wohl ein waches Auge auf die gesundheitliche Versorgung unserer Bür

ger haben, auch wenn in diesem Fall die administrativen Ebenen von Land und Bund und sogar die Gerichte ganz offensichtlich völlig ohne Einflussmöglichkeiten sind und allein die Selbstverwaltung eine Klärung herbeiführen muss.

Vielleicht ist hier tatsächlich im Hinblick auf ein gesetzlich zwingendes Einsetzen von Schiedsstellen im Bereich des § 132 a SGB V - Häusliche Krankenpflege - und korrespondierend zur Regelung in der sozialen Pflege nach SGB XI auf Bundesebene eine Gesetzeslücke zu schließen.

Die Ministerin hat das Wesentliche zur inhaltlichen Problematik des zu schlichtenden Streites bereits ausgeführt, insbesondere zur Rechtssituation und zur Frage der Kompetenzverteilung zwischen Selbstverwaltung, Leistungserbringern und Politik.

Wir als Landespolitiker haben uns insbesondere im Sozialausschuss wiederholt und intensiv mit der aktuellen Situation beschäftigt und uns nicht zuletzt auf der Grundlage eines umfänglichen Berichtes der Landesregierung zur Frage der Umsetzung der einschlägigen neuen Bundesrichtlinie einerseits und auch einer sehr informativen und aufschlussreichen Anhörung vor erst zehn Tagen andererseits rundum kundig gemacht. Mehr wird die Politik an dieser Stelle nicht leisten können, außer dass wir natürlich wollen, dass sich die streitenden Parteien schnellstens einigen und auf freiwilliger Basis einem Schiedsverfahren unterwerfen.

Für mich bleibt die Argumentation speziell der AOK anlässlich der bereits zitierten Anhörung vor dem Sozialausschuss völlig inakzeptabel, wenn allein die derzeitige Mengenausweitung und, damit verbunden, ein nicht unerheblicher Kostenanstieg im Bereich der häuslichen Krankenpflege als Grund für ein Preisdiktat nach unten herhalten muss.

Haben wir es nicht eigentlich mit einem gewollten, einem Reformeffekt zu tun, wenn insbesondere im Zuge einer sich bereits in breitem Maßstab vollziehenden Absenkung von Krankenhausverweilzeiten und auch im Sinne von real zu praktizierender Krankenhausvermeidung natürlich ambulante Äquivalente, zum Beispiel durch Maßnahmen der häuslichen Versorgung, geschaffen werden müssen? In der Summe wird damit dann offensichtlich auch wieder ein deutlicher Einsparungseffekt verbunden sein.

Hinzu kommen - das sollten die Krankenkassen nicht einfach vom Tisch wischen - die Bedingungen des einsetzenden demografischen Wandels und die ungünstige Morbiditätsstruktur im Osten, insbesondere bei Alterspatienten.

Die Krankenkassen sollten auch aufhören, Löcher zu stopfen, die sie gleichzeitig an anderer Stelle aufreißen. Unser vorrangig akut bzw. kurativ-medizinisch orientiertes Krankenkassenausgabensystem muss dringend zugunsten präventiver und zuallererst rehabilitativer Strategien insbesondere in der Altersmedizin überdacht und verändert werden.

Meine Damen und Herren der CDU, den Mangel Ihres Antrages habe ich bereits eingangs benannt. Um aber kein falsches, kein missverständliches Signal in der Sache selbst nach außen zu geben, lassen wir Ihren Antrag nur dann passieren, wenn Sie, auch lediglich der Realität Rechnung tragend, unserem Änderungsantrag zustimmen, der nichts anderes aussagt, als die Landesregierung zu bitten, ihr bereits unaufgefordert praktizier

tes, lobenswertes Engagement für die freiwillige Einsetzung einer Schiedsstelle zur Schlichtung der Konfliktsituation fortzusetzen.

(Oh! bei der CDU - Zuruf von Frau Stange, CDU)

Genau das sind Tatsachen, denen auch Sie sich beugen müssen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Danke schön, Frau Lindemann. - Das Wort hat noch einmal Frau Liebrecht.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU, meldet sich zu Wort)

- Entschuldigung, das ist hier nicht angekommen. Das Wort hat Herr Professor Dr. Böhmer.

Herr Präsident, das konnte auch nicht ankommen, denn wir haben uns eben erst geeinigt.

Meine Damen und Herren! Ich finde es schwer erträglich, wie Sie Ihre Ausführungen geschlossen haben, Frau Lindemann. Weil mich das ärgert, stehe ich jetzt hier vorn.

(Zustimmung bei der CDU)

Um es klar zu sagen: Wir kennen den Rechtskonflikt. Im SGB V ist eine Schlichtungsstelle für einen solchen Konflikt nicht vorgesehen. Zwei Parteien, für die der Gesetzgeber einen Einigungszwang nicht vorgesehen hat, können sich nicht einigen. Das ist die eigentliche Ausgangssituation.

Frau Ministerin, ich weiß nicht erst seit gestern, dass die Landesregierung an dieser Stelle eine Rechtsaufsicht und keine Fachaufsicht hat. Darüber müssen wir uns nicht unentwegt gegenseitig belehren. Sie haben völlig Recht damit, dass wir über dieses Thema im Fachausschuss ausführlich beraten haben. Wir waren doch dabei. So deppert sind wir noch nicht, dass uns das entgangen wäre.

Aber wir möchten schlicht und einfach - dabei lassen wir uns auch keine unlautere Absicht unterstellen -, dass dieser Landtag sich äußert und die Landesregierung - da gebe ich Ihnen völlig Recht, das hat auch Frau Lindemann zunächst so gesagt - bei ihrem Bemühen unterstützt, die beiden Parteien - Tarifparteien sind es nicht - zu einer Lösung zu führen, und zwar mit dem Nachdruck eines Votums dieses Parlaments.

(Zustimmung von Frau Liebrecht, CDU)