Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Wenn schon der Bundesrat eingeschaltet werden soll, dann bitte in Form der Anrufung des Vermittlungsausschusses. Das haben bekanntlich die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen auch getan. Man brauchte sich also bei der anstehenden Bundesratssitzung nur diesem Anliegen anzuschließen. Dafür gäbe es auch wirklich eine gute Begründung. Die Begründung nämlich, dass die von den Experten, auch von dem Präsidenten des Landesarbeitsamtes Herrn Hess - ich verweise auf die „MZ“ vom August dieses Jahres -, geforderte Rosskur der Arbeitsvermittlung mit dem vorliegenden Gesetz nicht erreicht wird.

Es gibt Elemente, die wir durchaus positiv bewerten. Ich nenne lediglich das Stichwort Jobrotation. Ich könnte bei längerer Redezeit noch einiges hinzufügen. Aber wenn man sich daranmacht, die Spielregeln der Arbeitsvermittlung effektiver zu gestalten, dann sollte man nicht davor zurückschrecken, auch die Elemente aufzunehmen, die wir erwähnt haben. Da können wir uns, Frau Ministerin, über die Voraussetzungen für die Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sicherlich streiten. Ich gestehe zu, dass es dabei darum gehen muss, erst einmal die Tür für entsprechende Modellvorhaben zu öffnen.

(Ministerin Frau Dr. Kuppe: Die laufen ja!)

- Oder sie zu erweitern. Aber die Fragen, wie wir beispielsweise mit Arbeitsangeboten und mit der Arbeitsverpflichtung für arbeitsfähige Hilfeempfänger oder mit den Elementen von Kombilohn umgehen, sind Punkte, die, wenn man den Bundesrat anruft, schon mit auf die Tagesordnung gehören.

Deshalb fordern wir dazu auf, den Antrag von Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zum Anlass zu nehmen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.

Ich sehe, die rote Lampe leuchtet. Ich will meinen Redebeitrag damit beenden.

Herr Dr. Bergner, ich sehe eine Wortmeldung der Abgeordneten Frau Dr. Kuppe, die eine Frage oder eine Intervention anmelden möchte.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Ich möchte eine Frage stellen!)

- Ja, bitte.

Herr Kollege Bergner, die Frage lautet: Welches Modell der Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bevorzugen Sie? Es gibt ja unterschiedliche Ansätze. Man kann die Konzentration aufseiten der Sozialhilfe oder eher beim Bund aufseiten der Arbeitslosenhilfe vornehmen. Welche aktivierenden Hilfen für die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sehen Sie in diesem System?

Bitte, Herr Dr. Bergner.

Frau Minister, es wird Ihnen aufgefallen sein, dass wir uns mit unserer Aufforderung, den Vermittlungsausschuss zur Behandlung dieses Problems anzurufen, in der Sache und inhaltlich noch nicht festgelegt haben. Sie wissen, dass es in dem Vermittlungsantrag einen Vorschlag der Freistaaten Bayern und Sachsen sowie des Landes Baden-Württemberg gibt. Ich will gern einräumen, dass dieser Vorschlag auch in unserer Fraktion umstritten ist.

Aber wenn man tatsächlich noch einmal das Instrument Bundesrat benutzen will, dann sollte man weiter gehen, als es der Antrag der PDS vorsieht. Eine Stellungnahme, wie sie die PDS fordert, wird durchrauschen. Das werden Sie so gut wissen wie wir auch. Wenn man das Instrument Bundesrat nutzen will, dann bitte mit dem Ziel, die Reform entsprechend gründlich anzupacken, aber nicht mit dem Ziel, eine Stellungnahme abzugeben, die uns in der Sache nicht weiterbringt. - Danke schön.

Danke schön, Herr Dr. Bergner. - Für die SPD-Fraktion hat Frau Fischer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten! Wir haben lange überlegt, ob wir im Zusammenhang mit der Verabschiedung dieses Gesetzes einen eigenen Antrag einbringen. Weil es uns so geht, wie auch Herr Bergner sagte - die Fraktion ist noch unschlüssig, wie sie sich entscheiden soll -, haben wir auf einen eigenen Antrag verzichtet, zumal wir wussten, dass unsere Experten in Nürnberg und aus dem Sozialministerium in Berlin in die Formulierung des Gesetzes einbezogen sind.

Wir haben auch darauf verzichtet, eine Art Jubelantrag zu formulieren, weil ich auch aus Gesprächen mit Arbeitslosen genau weiß, dass es im Zusammenhang mit diesem Gesetz immer auch Befürworter einzelner Dinge gibt, während andere eine große Gefahr darin sehen.

Aber wir begrüßen ausdrücklich die Neuausrichtung, die in der Arbeit der Arbeitsämter zu erwarten ist. Schon der Name „Aktivieren, qualifizieren, trainieren, investieren und dann vermitteln“ verweist auf diese Veränderungen in der Arbeitsvermittlung. Diesbezüglich haben wir auch gewisse Hoffnungen auf Erfolg.

In der Presse und in Diskussionen gibt es eine ganz unterschiedliche Resonanz auf den Gesetzestext. Die einen haben sehr hohe Erwartungen, andere wiederum warnen. Was zum Beispiel älteren Arbeitslosen Angst macht, wird von der Wirtschaft begrüßt. Ich erwähne die dreijährige Wartepause. Während die Wirtschaft sagt, sie könne keine ABM-Karrieren fördern, sagen ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Dann habe ich überhaupt keine Chance mehr.

Ich habe im Gesetzestext nachgelesen. Es steht das berühmte Wort „grundsätzlich“ in dieser Regelung. Damit wissen wir, dass es Ausnahmen gibt. Des Weiteren steht darin, dass bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ab 55 Jahren Ausnahmen gemacht werden. Für sie wird es also nicht die verlängerte Wartezeit von drei Jahren geben, was ich ausdrücklich begrüße.

Auch ich bin dagegen, dass sich schon jüngere Arbeitslose auf ABM und SAM einrichten. Dagegen ist auch un

sere Fraktion. In diesem Falle müssen andere Instrumente greifen. Es darf nicht so sein, dass man nach einer Maßnahme ein Jahr zu Hause wartet, um dann erneut in eine Maßnahme zu gehen. Ich denke, da sind wir uns auch ein Stück weit einig.

Die Mitwirkungspflicht von Arbeitslosen unterstütze ich auch in einem gewissen Maße. Ich bin aber gegen weitere Sanktionen seitens der Arbeitsämter. Ich denke, wenn dieser Eingliederungsvertrag ordentlich ausformuliert ist, muss es auch nicht zu Sanktionen kommen.

Die weitere flexible Handhabung der Arbeitsmöglichkeiten der Arbeitsämter begrüße ich auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite habe ich natürlich auch Bedenken, wenn ich heute schon sehe, wie unterschiedlich Arbeitsämter arbeiten. Die einen nutzen alle Spielräume aus, die anderen wiederum nicht. Wir werden - davon gehe ich aus - als Fraktion oder als Landtag auch den Auftrag haben, dort genau hinzugucken und zu prüfen, was mit diesem neuen Gesetz an der Basis, also in den Arbeitsämtern, passiert.

Die Förderung Beschäftigung schaffender Infrastrukturmaßnahmen begrüße ich. Ich weiß, dass die Wirtschaft sie ablehnt. Ich würde auch nicht so weit gehen, wie die PDS es fordert, dass auch Sanierungsgesellschaften das tun sollen. Ich denke, diese Maßnahmen sollten wirklich von Wirtschaftsunternehmen ausgeführt werden, damit die Arbeitslosen auch eine Chance haben, dann eventuell eingestellt zu werden.

Die SPD-Fraktion hat zu dem PDS-Antrag einen Änderungsantrag eingebracht, weil wir besonderen Wert auf die beiden ersten Punkte legen, nämlich die Neuausrichtung von Beratung und Vermittlung und den Abschluss der Eingliederungsvereinbarungen. Den Punkt 2 haben wir aufgegriffen, da wir den Mittelansatz brauchen, damit die ausgeweitete Qualifizierung auch finanziert werden kann.

Auf den Punkt 3, den wir neu formuliert haben, möchte ich besonderen Wert legen. Ich muss das wahrscheinlich nicht vorlesen, zumal die rote Lampe schon leuchtet. Die Ministerin hat ja zugesagt, diesen Bericht zu geben. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Arbeitsämter bei der Einführung des neuen Gesetzes begleiten sollten.

Den CDU-Antrag lehnen wir ab - und ich bitte auch den Landtag, ihn abzulehnen -, weil wir wollen, dass dieses Arbeitsförderungsgesetz, diese Neuausrichtung, auf die wir lange gewartet haben, zum 1. Januar 2002 in Kraft tritt. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Danke schön, Frau Fischer. - Bevor ich noch einmal Frau Dirlich für die PDS das Wort gebe, begrüße ich auf der rechten Rangseite Schülerinnen und Schüler des Norbertus-Gymnasiums in Magdeburg, die uns heute besuchen.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Dirlich, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin, ich glaube, ich habe in meinem Redebeitrag deutlich gemacht, dass ich unter anderem tatsächlich nichts gegen Prä

vention habe. Das Problem ist nur - Frau Fischer hat das schon angedeutet -, dass viele Akteure der Arbeitsmarktpolitik sagen: Dieser Punkt geht eigentlich in die richtige Richtung, aber folgender Pferdefuß ist zu beachten... - So ähnlich ist es eben auch in dem Punkt Prävention.

Wenn diese Maßnahmen, die für Menschen gedacht sind, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, die also noch in Arbeit sind, für die der Versicherungsfall noch gar nicht eingetreten ist - ein Leistungsentgelt werden sie ja nicht bekommen -, in die Maßnahmen der Bundesanstalt für aktive Arbeitsmarktpolitik einbezogen werden, wird das zulasten von aktiven Maßnahmen für Menschen gehen, die jetzt schon von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Und wenn die Bundesregierung dann nicht eine müde Mark für diese Maßnahmen zur Verfügung stellt, dann weiß man, dass es eben tatsächlich voll zulasten der jetzt arbeitslosen Menschen geht. Das ist ein Pferdefuß, der bei aller Prävention einfach nicht übersehen werden darf.

Was die 20 % Qualifikation betrifft, so haben wir jetzt beispielsweise erfahren, dass Vertreter von Projekten in die Arbeitsämter einberufen und darauf aufmerksam gemacht werden, dass im kommenden Jahr die 100%Förderung, die ja nach wie vor und in immer mehr Ausnahmefällen möglich ist für Vereine, die die Mittel nun wirklich nicht aufbringen können, wegfallen wird. Das wird für viele Vereine bedeuten, dass sie sich keine einzige ABM mehr leisten können, weil sie bei diesen Maßnahmen eben nicht eine müde Mark zufinanzieren können.

Wenn das Arbeitsamt nämlich sagt: „Die 20 % Qualifikation sind nicht unser Bier“ und in Mecklenburg-Vorpommern der Minister von seinem Landesarbeitsamt in einem Nebensatz aufgefordert wird: „Na, Herr Holter, das bezahlen Sie doch sicherlich aus dem Landessäckel!“, wenn also die Frage der Finanzierung dieser Qualifikation überhaupt nicht geklärt ist, dann kann man sich doch ausrechnen, zu wessen Lasten das geht, nämlich zulasten der vorhandenen Maßnahmen.

Es hat noch niemand gesagt, wie die einzelnen Arbeitsämter - es steht darüber auch nichts in dem Gesetz - am Ende diese Qualifikation durchsetzen werden. Sie werden also an die Träger herantreten. Sie werden sich vertrauensvoll an das Land wenden und am Ende die Maßnahmen herunterschrauben. Das wird das Hauptergebnis sein.

Auch was das Programm „Aktiv zur Rente“ betrifft, bin ich gespannt, welche Auswirkungen die Sonderförderung für 55-Jährige haben wird, weil die Träger der „Aktiv zur Rente“-Maßnahmen jetzt darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr Anteil an der Finanzierung im nächsten Jahr höher wird.

Es muss mir auch erklärt werden, weshalb der Anteil der Träger steigen muss, wenn neben dem Anteil, den das Land zur Verfügung stellt, und neben der normalen SAM-Finanzierung auch noch eine Sonderförderung dazukommt. Aber genau diese Informationen bekommen derzeit die Träger. In dieser Hinsicht ist alles völlig offen.

Was die Maßnahme Wartezeit betrifft, muss ich sagen: Ich kann das in gewisser Weise verstehen. Es ist aber die Frage nicht beantwortet, wie sich das auf die Ausweitung der Langzeitarbeitslosigkeit auswirken wird. Deshalb bin ich immer noch der Meinung, dass wir uns auch für die Streichung der Wartezeit einsetzen sollten. Ich werde am Ende dazu einen Änderungsantrag zu

dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion stellen, dem wir ansonsten zustimmen wollen.

Was die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe betrifft, Herr Dr. Bergner, möchte ich auf das Problem, das Sie haben, aufmerksam machen, dass Sie sich in dieser Hinsicht nicht festlegen können. Ich vereinfache das einmal ein bisschen holzschnittartig. Das machen wir ja gern, Holzschnittbilder abwechselnd hochzuhalten.

Sie wollen - seien Sie ehrlich - das Arbeitslosenhilfeniveau auf das Sozialhilfeniveau senken. Das ist Punkt 1. Sie wissen aber, dass Sie, wenn Sie die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe bei den Sozialämtern ansiedeln, das Problem den Kommunen auflasten. Sie werden sich natürlich sehr hüten, das jetzt laut zu sagen. Also vermeiden Sie es, deutlich zu sagen, wie das am Ende tatsächlich passieren soll.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das war Ihr Holzschnitt!)

Aber sagen Sie es ruhig. Sie können es hier ja. Sie haben die Möglichkeit der Kurzintervention. Vielleicht können Sie auch einmal deutlich machen, dass Sie genau das, nämlich das Arbeitslosenhilfeniveau einfach auf das Sozialhilfeniveau zu drücken, nicht wollen. Das merke ich mir, schreibe ich mir auf, schneide es mir aus und zeige es auf Verlangen vor.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Ich möchte folgenden Änderungsantrag zu dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion stellen.

Haben Sie es schriftlich?

Ich versuche es mündlich, habe es aber auch aufgeschrieben.

Danke schön. - Ich kann das später entgegennehmen. Versuchen Sie es aber erst einmal mündlich.

Ich möchte beantragen, dass der Punkt 2 in dem Antrag der SPD-Fraktion wie folgt geändert wird. Und zwar soll der darin enthaltene Satz einfach nur erweitert werden. Er soll dann lauten: