Protokoll der Sitzung vom 17.01.2002

Damit ist die Arbeitsgruppe aber nicht gescheitert, sondern sie hat ein ganz wichtiges Ergebnis gebracht. Dieses Ergebnis lautet - - Ich möchte damit nicht sagen das taucht ein bisschen in Ihrem Antrag auf -, wir vonseiten der Politik und wir vonseiten der Gewerkschaften seien die besseren Unternehmer als die Vertreter des Vorstandes von Bombardier, die sicher auch unter unternehmenspolitischen Prämissen ihren Entscheidungsvorschlag vorgelegt haben. Eines darf man nicht vergessen: Auch wenn man einmal ein paar Monate Bahnchef war und ansonsten im Bereich von Verwaltung und Politik gearbeitet hat, sollte man sich nicht dazu aufschwingen zu sagen, man wüsste das alles besser als die.

(Zustimmung von Herrn Metke, SPD)

Aber, meine Damen und Herren, den Sachverstand hat auch die Politik, nämlich zu erkennen, ob ein Vorschlag plausibel ist.

Es war ein Erfolg dieser Arbeitsgruppe, dass wir alle gemeinsam feststellen konnten - freilich ohne die Vertreter von Bombardier -: Die von dem Unternehmen vorgelegten wirtschaftlichen Berechnungen zur Begründung der Schließung sind nicht nachvollziehbar.

Dazu möchte ich drei Bemerkungen machen. Erstens. Die deutsche Schienenfahrzeugindustrie im Allgemeinen und Bombardier im Besonderen leiden nicht unter einer schwachen Auftragslage. Auch das Werk in Halle ist derzeit ausgelastet. Richtig ist, meine Damen und Herren, dass es eine so günstige wirtschaftliche Situation, wie sie gegenwärtig in der Schienenfahrzeugindustrie besteht, noch nie gegeben hat. Die Unternehmen - insbesondere die drei großen Unternehmen, die den Markt beherrschen - sind sämtlich ausgelastet.

Die Vertreter von Bombardier sagen auch nicht, dass die Arbeitskräfte entlassen werden müssen. Nein, sie wollen sie nur an anderen Standorten einsetzen. In dieser Hinsicht sind wir von Anfang an skeptisch gewesen, weil das eine Situation ist, die schlecht nachvollzogen werden kann; denn normalerweise stecken die Unternehmen, die ein Werk schließen, in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen.

Hinzu kommt, meine Damen und Herren, dass nach der Entscheidung von Bombardier, das Werk in Halle zu schließen, die Deutsche Bahn ein Investitionsprogramm verkündet hat, das allein für die Fahrzeugproduktion in den Bereichen Fernverkehr, Nahverkehr und Güterverkehr ein Auftragsvolumen bis zum Jahr 2006 von sage und schreibe 4,3 Milliarden € beinhaltet. Das sind Auftragsvolumina, die in den Berechnungen von Bombardier nur ungenügend auftauchen.

Zweitens. Wir haben uns dann die Reibungsverluste bei der Produktionsverlagerung an andere Standorte ange

sehen und haben festgestellt, dass die damit verbundenen Risiken in Bezug auf die Qualität und die zeitgerechte Lieferung von denjenigen, die die Schließungspläne erarbeitet haben, weit unterschätzt worden sind, genauso wie die technischen Kapazitäten weit überschätzt worden sind. Hier ist gewissermaßen am grünen Tisch davon ausgegangen worden, man könnte einen Zweischichtenbetrieb über die gesamte Produktion durchziehen und hat damit Kapazitäten angesetzt, die jenseits von Gut und Böse sind und einer betriebswirtschaftlichen Nachprüfung nicht standhalten.

Die Vertreter des Konzerns Bombardier mussten bei diesem Verlagerungsvorhaben sogar so weit gehen, dass sie in ihre Berechnungen Vertragsstrafen an Auftraggeber einbeziehen mussten, weil sie schon damit gerechnet haben, nicht rechtzeitig fertig zu werden.

Dazu kommt, meine Damen und Herren, dass die Deutsche Bahn AG von Bombardier seit Jahr und Tag verlangt, dass der Konzern schneller liefert, als er heute liefern kann. Das Unternehmen sieht sich aber nicht in der Lage, schneller und besser zu liefern, damit die Deutsche Bahn AG diese Fahrzeuge möglichst schnell in ihren Fahrbetrieb einbeziehen kann. Jetzt gehen die Vertreter des Konzerns nicht nur so weit, dass sie nicht schneller liefern wollen, sondern jetzt wollen sie sogar langsamer liefern und ihre Auftraggeber noch länger warten lassen. Wir halten das für unvertretbar.

Drittens. In den Berechnungen von Bombardier sind einige Positionen enthalten, die etwa die Verwertung von Grundstücken am Standort betreffen und von denen diejenigen, die die Kenntnisse vor Ort haben - wie die Oberbürgermeisterin Frau Häußler und die Vertreter des Ministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr, die den Immobilienmarkt in Sachsen-Anhalt sehr gut kennen -, einfach nur sagen können: Wer sich das ausgedacht hat, der ist noch nie in unserem Land gewesen und der kennt auch Ostdeutschland nicht. Das Unternehmen erwartet in wenigen Jahren einen Millionenerlös aus der Verwertung dieses Standortes. Das ist einfach absurd.

Wir haben dann natürlich - die Vertreter von Bombardier wollten es auch so - auch weiterhin über die Frage gesprochen, wie das mit der Übernahme von Mitarbeitern überhaupt funktionieren soll. Es ist in keiner Weise gesichert, dass Hunderte von Mitarbeitern, die dann an anderen Standorten in Sachsen, Nordrhein-Westfalen oder in Brandenburg gebraucht werden, dort überhaupt zur Verfügung stehen. Es ist auch in keiner Weise für den Fall Vorsorge getroffen worden, dass - wenn sie nicht zur Verfügung stehen - etwa der Arbeitsmarkt diese Mitarbeiter zur Verfügung stellt. Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, sind hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die lassen sich nicht einfach ersetzen.

Die Diskussionen haben schließlich dazu geführt, meine Damen und Herren, dass die Arbeitsgruppe den Vorstand von Bombardier aufgefordert hat, den Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung am Montag zu streichen. Das ist bisher nicht passiert. Wir sind aber der Meinung, dass auf einer derartig dünnen Grundlage eine Entscheidung nicht getroffen werden kann.

Meine Damen und Herren! Es ist richtig so, dass eine Vielzahl von Menschen, denen ich den guten Willen überhaupt nicht absprechen möchte, den ich vielmehr anerkenne, sich nicht nur darum bemüht, die Arbeits

gruppe zu unterstützen, sondern auch eigene Vorschläge erarbeitet und eigene Gespräche führt.

Wir haben auch darüber nachgedacht, ob wir einen Wirtschaftsprüfer einbeziehen. Wir haben als Landesregierung davon Abstand genommen, nachdem die IG Metall von der betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, einen Sachverständigen hinzuzuziehen, der mit sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Konzerns sprechen kann und der auch alle Zahlen des Unternehmens einsehen kann.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Danke sehr, Herr Präsident. Ich brauche noch ganz wenige Sätze. Ich bemühe mich aber sehr, meinen Vortrag zu Ende zu bringen.

Die Landesregierung hat vor diesem Hintergrund davon abgesehen, einen eigenen Sachverständigen einzusetzen. Die CDU hat etwas anderes gemacht. Sie hat einen Sachverständigen eingesetzt. Ich weiß nicht, auf welchen Grundlagen der gearbeitet hat. Aber, Herr Bergner, ich bin schon ein wenig darüber enttäuscht, dass Sie zwar gesagt haben, dass das Gutachten fertig sei, dass Sie uns aber in keiner Weise erzählt haben, was darin steht. Das hätten Sie doch machen können.

(Herr Gürth, CDU: Das ist ja hanebüchen!)

Sie hätten sich hier hinstellen können und hätten das in unsere Gespräche einbringen können. Sie haben in Ihrer Fraktion auch einen wirtschaftspolitischen Sprecher. Der hätte das auch tun können.

(Zurufe von Herrn Scharf, CDU, und von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Sie haben einen wirtschaftspolitischen Sprecher, der das in den Ausschüssen mitteilen kann. Nein, das ist Ihnen nicht möglich. Vielmehr müssen Sie Herrn Ludewig selbst in den Ausschüssen sprechen lassen, weil offenbar keiner in der Lage ist, die Ergebnisse dieses Gutachtens vorzutragen.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Das ist doch hanebüchen!)

Aus diesem Grund sage ich - es steht dem Haus frei, diesbezüglich eine andere Entscheidung zu treffen -: Wir müssen schnell handeln. Am Montag ist die Aufsichtsratssitzung. Ich sehe Herrn Ludewig hier nirgendwo. Bis dahin muss gehandelt werden. Es nützt uns nichts, wenn wir die Vorstellungen aus dem Ihnen vorliegenden Gutachten in zwei Wochen in einer Ausschusssitzung auf den Tisch bekommen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Deshalb sage ich, ich möchte sachlich das Richtige. Ich bin auch mit dem ehemaligen Bundesaußenminister Genscher im Gespräch. Wir haben überhaupt keine Hemmungen, uns mit allen zusammenzutun, die uns helfen können. Er führte die Gespräche. Wir sprechen auch mit dem Bundeskanzleramt. Darauf wird zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen sein.

Kommen Sie bitte -

Ich schließe, Herr Präsident.

Ja, bitte.

Der Waggonbau hat in Halle Tradition - auf dem höchsten und modernsten Niveau. Der Kampf der Waggonbauer um ihr Werk ist nicht nur verständlich, sondern sie haben die politischen Argumente und die wirtschaftlichen Argumente auf ihrer Seite. Die Landesregierung hat seit der Privatisierung des Werkes alles getan, um den Standort zu erhalten und zu modernisieren. Wir werden diese Anstrengungen fortführen.

Bitte, Herr Minister, Sie haben Ihre Redezeit überzogen.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident, dass Sie mir eine leichte Überziehung meiner Redezeit gestattet haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Herr Dr. Daehre hat eine Frage. Sind Sie bereit zu antworten?

Selbstverständlich.

Bitte, Herr Dr. Daehre.

Herr Minister Heyer, es wäre sehr schön, wenn Sie uns erzählen könnten, inwieweit Sie sich mit Bundeskanzler Schröder in Verbindung gesetzt haben und welche Ergebnisse erzielt wurden. Wir haben ein Recht darauf, dieses vor dem Montag zu erfahren.

Ferner weise ich darauf hin, dass es einmal eine Baufirma Holzmann gab, bei der der Bundeskanzler angesichts vergleichbarer Probleme sehr schnell auf der Matte stand. Vielleicht ist es auch hier so gewesen. Wir müssen erfahren können, was die Kontakte mit der Bundesregierung gebracht haben und wie sich der Bundeskanzler in das Projekt Ammendorf eingeschaltet hat.

Herr Kollege Daehre, Sie haben mit Ihrer Frage und Ihrem Interesse an der Angelegenheit Recht. Der Bundeskanzler ist schon auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in Nürnberg, als die Belegschaft uns besuchte, gemeinsam mit unserem Ministerpräsidenten, mit dem Ostbeauftragten der Bundesregierung Rolf Schwanitz und mit dem Parlamentarischen Staatssekre

tär im Bundeswirtschaftsministerium Mosdorf vor die Belegschaft getreten - neben den hohen Herrschaften war auch ich anwesend - und hat sehr deutlich gemacht, dass er sich für dieses Werk Ammendorf einsetzen wird. Zu einem Zeitpunkt, da Sie noch gar nicht daran dachten, die Bundesregierung überhaupt einzuschalten, war der Kanzler schon da.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank - Widerspruch bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Das ist doch Quatsch! - Herr Dr. Daehre, CDU: Was hat er denn konkret ge- macht? Das Ergebnis will ich wissen! - Frau Lu- dewig, CDU: Hat er denn etwas erreicht?)

Ist das eine weitere Fragestunde? Ist Ihre Frage beantwortet, Herr Dr. Daehre?

Ich darf nur noch anfügen, dass alles Weitere wahrscheinlich im Laufe der Debatte noch erklärt werden wird. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und von der Regie- rungsbank)

Danke sehr. - Für die PDS-Fraktion erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Dr. Süß das Wort. Bitte, Herr Dr. Süß.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Position der PDS-Fraktion zur Lage des Waggonbaus Ammendorf habe ich in der Aktuellen Debatte am 15. November vergangenen Jahres an gleicher Stelle dargelegt. Im Kern haben wir deutlich gemacht, dass es nicht nur im Interesse der Beschäftigten des Waggonbaus Ammendorf, der Region Halle und des Landes Sachsen-Anhalt liegt, den Waggonbau in Halle-Ammendorf zu erhalten, sondern auch den Entwicklungsabsichten des Bombardier-Konzerns selbst entgegenkommt.

Inzwischen hat die vom Land Sachsen-Anhalt und dem Bombardier-Konzern gebildete Arbeitsgruppe mehrfach getagt, ohne die im Antrag der SPD genannte Aufgabe, nämlich Vorschläge zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Produktion am Standort Ammendorf zu erarbeiten, allein von der Zielsetzung her ins Auge zu fassen. Ich meine damit nicht die Landesregierung. Sie hat es dort selbstverständlich gefordert, aber Bombardier hat in dieser Arbeitsgruppe ganz offensichtlich seinen Schließungsplan verteidigt.

Kritisch ist festzustellen, dass die Bundesregierung die Erklärung von Wirtschaftsminister Müller vom 30. November vergangenen Jahres gegenüber dem Betriebsrat im Wesentlichen unverändert gelassen hat.