Protokoll der Sitzung vom 15.03.2002

In seiner Regierungserklärung vom Februar 1998 mit dem viel sagenden Titel „Föderaler Wettbewerb Deutschlands Stärke, Bayerns Chance“ ist dieser Wille jedenfalls nicht erkennbar.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Herr Stoiber formulierte dort unter anderem das Ziel von regionalen Beitragssätzen in allen Krankenkassen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Oh, die Angst vor Stoiber muss ja groß sein!)

Seine Sozialministerin proklamiert dieses Ziel noch heute unverdrossen in allen öffentlichen Äußerungen.

Das ist überhaupt keine Lösung für uns ostdeutsche Länder, sondern das ist in der Tat eine Chance für Bayern. Mit regionalisierten Beitragssätzen - auch bei den Kassen, die sich über mehrere Länder erstrecken würden in Ostdeutschland wegen der schlechten Einnahmensituation und der höheren Ausgaben aufgrund der höheren Morbidität die Beitragssätze auch der Ersatzkassen erheblich ansteigen. Mit dieser Forderung wird eindeutig klar, was Herr Stoiber unter einem föderalen Wettbewerb versteht: nämlich niedrige Beitragssätze und beste Standortbedingungen in Bayern sowie in den anderen klagenden Ländern und

(Herr Dr. Daehre, CDU: Time out! Zeit!)

hohe Beitragssätze und schlechte Standortbedingungen in Ostdeutschland. Das - ich sage es noch einmal - ist die Aufkündigung der gesamtdeutschen Solidarität und würde den Abbau Ost bedeuten.

(Beilfall bei der SPD - Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

Dabei bemerke ich nur am Rande, dass Bayern über 38 Jahre lang von dem Transfer aus der föderalen Solidarität profitiert hat.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Da gab es noch gar keinen Risikostrukturausgleich!)

Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU, damit die negativen Seiten nicht eintreten, sollten Anstrengungen zum Erhalt des Risikostrukturausgleichs, vor allem des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleiches, unternommen werden. Die Möglichkeit, im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Stellung zu nehmen, erscheint mir ein geeignetes Mittel dafür zu sein, die Ostinteressen zu artikulieren.

Ich freue mich, dass es über Parteigrenzen hinweg gelungen ist, mit den Ländern Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen und Thüringen ein gemeinsames Verfahren zur Abgabe einer Stellungnahme zu verabreden. Sicherlich könnte das jedes Land für sich gegenüber dem Bundesverfassungsgericht tun, aber ich denke, wir sollten durch eine gemeinsame Stellungnahme ein politisches Signal setzen, und das muss heißen: Hände weg vom Risikostrukturausgleich!

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

Meine Damen und Herren von der CDU, am besten wäre es natürlich, wenn Bayern und die anderen beiden Länder die Klage zurückziehen würden.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen bitte ich um Zustimmung zu dem Antrag der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! In der vereinbarten Fünfminutendebatte spricht jetzt Herr Professor Dr. Böhmer für die CDU-Fraktion. Bitte.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Die Ministerin hat länger gesprochen als zugelassen!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben Wahlkampf und dabei sind solche Reden an der Tagesordnung.

(Zustimmung bei der CDU)

Dieser Antrag ist Wahlkampf pur, und ich will sagen, Herr Bischoff, ich habe mit Respekt zur Kenntnis genommen, wie Sie versucht haben, das einigermaßen sachlich vorzutragen. Das, was die Frau Ministerin Kuppe jetzt gemacht hat, erinnert mich an manche Redebeiträge aus anderen Fraktionen in diesem Haus. Die sind schon von der Stimmlage her schwer zu ertragen, geschweige denn vom Inhalt her.

(Beifall bei der CDU - Frau Lindemann, SPD: Das ist eine Frechheit!)

Wir müssen auch das aushalten, und ich würde mich jetzt überhaupt nicht wundern, wenn noch jemand kommt und eine namentliche Abstimmung verlangt, weil er denkt, dass es hierbei um die letzte Entscheidung für Sachsen-Anhalt geht.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir können das mit Lockerheit ertragen, weil wir das alles schon einmal erlebt haben. Es gibt in der Bundesrepublik seit langem den innerdeutschen Finanzausgleich, der zuletzt im Jahr 1993 gesetzlich novelliert worden ist, weil er für die Einbeziehung der neuen Bundländer in den innerdeutschen Finanzausgleich vorbereitet werden sollte. Das alles hat damals die CDU-geführte Bundesregierung beschlossen.

Dann wurde das ab dem Jahr 1995 gemacht. Dabei stellten alle Beteiligten fest, dass es so - so gut es gemeint war - nicht geht, weil das Regelwerk gar nicht darauf ausgerichtet war, diese großen Finanzkraftunterschiede auszugleichen. Es kam zu Verschiebungen in der Steuerkraftreihenfolge. Das hat damals dazu geführt, dass Bundesländer eine Normenkontrollklage gegen den innerdeutschen Finanzausgleich eingereicht haben.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir damals eine fast gleich lautende Diskussion hier bei uns hatten. Sie haben damals Ihr gesamtes organisiertes Diffamierungspotenzial aufgeboten, um uns klar zu machen, dass die klagenden Bundesländer jetzt die innerdeutsche Solidarität aufgekündigt hätten.

Sie alle wissen, wie es weiterging. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden und hat gesagt: Die klagenden Länder haben Recht, die Bundesregierung muss ein Maßstäbegesetz dafür vorschlagen. Das wird sie auch machen. Der Solidarpakt ist längst ausgehandelt worden. Der Finanzausgleich geht weiter und das Maßstäbegesetz wird kommen.

Jetzt sage ich Ihnen voraus: Wir werden das gleiche Geschehen wieder erleben. Ich will jetzt nicht noch die Geschichte vom Risikostrukturausgleich auffädeln. Die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass er aus einem Gesetz stammt, nämlich dem Gesundheitsstrukturgesetz aus dem Jahr 1992, mit dem damals der einnahmeorientierte Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen und Kassenarten eingeführt wurde. Es war eine CDU-geführte Bundesregierung, die das wollte, und dazu stehen wir auch heute noch.

(Beifall bei der CDU)

Der Finanzausgleich ist dann fortgeführt worden und am 1. November 1995 in das Risikostrukturausgleichsgesetz eingebunden worden.

Alle Krankenkassen, meine Damen und Herren, führen aus den Beiträgen der Versicherten 12 % der beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder in einen so genannten Risikostrukturausgleichstopf ab.

Nach einem rechtlich vorgegebenen Verfahren wird dann vom Bundesversicherungsamt der objektive Beitragsbedarf jeder einzelnen Krankenkasse, und zwar unter Berücksichtigung von zunächst vier Risikofaktoren, ermittelt. Diese Risikofaktoren sind die Zahl der mitversicherten Familienangehörigen, Alter und Geschlecht, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und verschiedene Krankengeldansprüche. Jede Krankenkasse erhält aus diesem Risikostrukturausgleichstopf Zuweisungen entsprechend der Differenz zwischen ihren Beitragseinnahmen und dem errechneten Bedarf.

Nachdem nun beschlossen wurde, die neuen Bundesländer in einem geregelten Verfahren bis zum Jahr 2007 systematisch und schrittweise in diesen Risikostrukturausgleich mit einzubinden, wird jetzt festgestellt, dass die Berechnungsmodi, die das Bundesversicherungsamt vorgegeben hatte und die vorgeschrieben sind, dazu

führen, dass es neue Ungleichheiten gibt und dass es mehr Risikopotenziale und -faktoren gibt, insbesondere auch in den neuen Bundesländern, die berücksichtigt werden müssen.

(Zuruf von Frau Krause, PDS - Ministerin Frau Dr. Kuppe: Das haben wir doch letztes Jahr gemacht!)

Deswegen führt die gegenwärtige Berechnung zu Verwerfungen. Die Ersatzkassen haben schon lange angekündigt, dass sie aus diesem Verfahren aussteigen wollen.

Sie sollten einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass gegenwärtig im Zusammenhang mit dem Risikostrukturausgleich in Deutschland über 300 Rechtsstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten mit einem Gesamtstreitwert von über 500 Milliarden € anhängig sind. Wenn hier nicht der Gesetzgeber handelt, sondern sagt, das lassen wir einfach laufen, dann führt das nur dazu, dass die begleitenden Rechtsanwälte reich werden, und zwar zulasten der Versicherungskassen. Das kann doch niemand wollen,

(Beifall bei der CDU)

der dazu bereit ist, einigermaßen ehrlich über diese Angelegenheiten zu diskutieren.

Deshalb hat zunächst das Land Baden-Württemberg die anderen genannten Länder haben sich angeschlossen - gesagt: So geht das nicht. Wir müssen auch hierzu ein Normenkontrollverfahren einleiten, damit die Berechnungsmodi neu festgestellt werden.

Hierbei wird es ein ähnliches Maßstäbegesetz geben, wie wir es zum Finanzausgleich noch machen müssen auch das ist noch nicht formuliert -, um eine einigermaßen gerechte Verteilung dieser Finanzmassen zu schaffen, die allen Risikofaktoren gerecht wird. Niemand geht dabei davon aus, dass die neuen Bundesländer weniger Geld bekommen sollen, und niemand möchte das. Eine solche Aussage halte ich für eine Lüge.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Herrn Oleikie- witz, SPD)

Ich sage Ihnen, deswegen ist die Angelegenheit höchst ärgerlich. Ich habe großes Verständnis für den Wahlkampf. Wer aber Wahlkampf nach dem Motto führt - das ist schon sehr alt -: „Jede Lüge wird zur Wahrheit, wenn man sie nur häufig genug wiederholt“, dem sage ich: Das haben nicht einmal Sie verdient, dass wir so miteinander umgehen.

(Beifall bei der CDU - Unruhe bei der SPD - Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

Herr Professor Dr. Böhmer, Sie müssten zum Ende Ihrer Rede kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon um eine Minute überzogen.

Herr Präsident, ich weiß, dass ich Ihnen die Minute Redezeit schuldig bin. - Ich möchte nur sagen, ich bin ganz sicher, dass das jetzige Verfahren - die Klärung dieser Unklarheiten innerhalb des Risikostrukturausgleichs durch ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - die vernünftigste Lösung des

Problems ist. Man kann das Problem nicht den Verwaltungsgerichten überlassen.

Die Lösung wird kommen, sie wird auch zu einem Maßstäbegesetz für den Risikostrukturausgleich führen. Erst dann werden wir wieder Ruhe in der Diskussion haben und dann werden Sie mir Recht darin geben, dass in diesem Verfahren niemand die innerdeutsche Solidarität aufkündigen wollte. - Vielen Dank.